Ehrung von Hansjörg Ziegler anläßlich des 10-jährigen Bestehens der Historischen Gesellschaft Eschborn e.V.

Ansprache
zu Ehren von Hansjörg Ziegler, durch
Ehrenstadtrat Siegfried Wurche, Eschborn

Lieber Hansjörg Ziegler,
sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren,

in einer Feierstunde anläßlich der 1200-Jahrfeier der ehemaligen Gemeinde Niederhöchstadt, heute ein Stadtteil der Stadt Eschborn, erhielt das aktive Mitglied der Historischen Gesellschaft Eschborn, Herr Hansjörg Ziegler, am 4. Juni 1982 aus der Hand von Bürgermeister Jochen Riebel die "Ehrennadel der Stadt Eschborn" in Gold, für den maßgeblichen Anteil daran, "daß wir über die Geschichte unseres Gemeinwesens so gut informiert sind" - so wörtlich zitiert aus der Laudatio des Bürgermeisters.

Heute, zum 10-jährigen Bestehen der Historischen Gesellschaft, möchte der Verein mit einer Ehrung Herrn Ziegler für seine Arbeit  danken. Aus diesem Anlaß wurde ich gebeten, seinen Lebensweg darzustellen. Der Bitte folge ich mit besonderer Freude.

Am 29. April 1945 stand der 25-jährige deutsche Soldat Hansjörg Ziegler erstmals auf Eschborner Boden, ohne es zu wissen. Er wurde, als Verwundeter in amerikanische Gefangenschaft geraten, vom Flugplatz Eschborn - er wußte nur von einem "Flughafen eines Ortes nordwestlich von Frankfurt am Main" - mit einer amerikanischen Maschine in ein Lazarett nach Versailles gebracht. Im August 1945 sorgte ein amerikanischer Jude dafür, daß seine Papiere verschwanden, obwohl er - oder gerade weil er - auf der Transportliste der zu entlassenden Kriegsgefangenen stand.

So einfach hört es sich an, wenn man den Heimatvertriebenen Hansjörg Ziegler fragt, welche erste Erinnerungen er an Eschborn habe. Doch bis zu diesen Erinnerungen ist der Weg des Donauschwaben Ziegler, eines Volksdeutschen, der Deutscher sein wollte, es aber lange Zeit nicht sein durfte, sehr dornenreich.

In seiner Heimat, ein Dorf von 5.000 Einwohnern in der Batschka, haben die durch Maria Theresia vor 200 Jahren angesiedelten deutschen Schwaben in Landwirtschaft und Handwerk eine sichere Existenzgrundlage dieser jugoslawischen Landschaft geschaffen. Hier in Wolfingen erhielt im Jahre 1940 der Fleischergeselle Hansjörg Ziegler einen Gestellungsbefehl zur jugoslawischen Armee. Der Gestellung entzieht er sich durch Fahnenflucht, da er Deutscher ist und nicht in der jugoslawischen Armee dienen will. In Ungarn allerdings wird er festgenommen und in ein Gefängnis gesperrt. Da er weder Papiere noch Geld besitzt, macht er durch einen Hungerstreik die Deutsche Botschaft auf sich aufmerksam, die ihm hilft und ihn nach Wien bringt.

Zwar wird er dort gemustert, was er auch wollte, aber nach Küstrin verbracht, wo er nicht als Soldat ausgebildet, sondern als Fachmann in der Ernährungswirtschaft dringend benötigt und eingesetzt wird. Doch nach drei Tagen flieht er wieder, da er nicht Fleischer, sondern Soldat sein möchte, und wird in Frankfurt an der Oder erneut in ein Gefängnis gesteckt.

In der Zwischenzeit hat die "Deutsche Volksgruppe" dafür gesorgt, daß seine Papiere in Deutschland eintreffen. Der ihn vernehmende Richter ermöglichte, daß Ziegler ein ihm von der Volksgruppe zur Verfügung gestelltes Stipendium nutzen konnte, da die Volksgruppe großen Wert auf Ausbildungsberufe legte, die der deutschen Sprache und damit der Förderung des Deutschtums verpflichtet waren.

Wenn er die Wahl habe, so wolle er Lehrer werden, erklärte Ziegler dem Richter. Doch bei der Deutschprüfung fiel er durch. Eine Stelle als Schriftsetzerlehrling in Frankfurt am Main aber konnte er bei der "Frankfurter Zeitung" antreten.

So machte er 1944, nach erfolgreicher Lehrzeit, als Jünger Gutenbergs dort seine Gehilfenprüfung. Doch seine Geborgenheit in Reichsdeutschland war noch nicht gesichert, denn für die Gestapo in Frankfurt am Main, in der Lindenstraße, ist Ziegler ein Ausländer, der serbisch und kroatisch besser als deutsch spricht, und er wird der Spionage verdächtigt. Viele Verhöre mußte er über sich ergehen lassen. Die Fragen, "wo er Deutsch gelernt habe" und "wo er den deutschen Namen Ziegler bekommen habe", beantwortete er wahrheitsgemäß. "Von meiner Mutter! Sie spricht nur deutsch", und "den Namen habe ich von meinem Vater!". Da war die Geduld des Inquisitors zu Ende und Ziegler wurde mit Drohungen vor die Tür gesetzt. Doch mit einem einwandfreien Ahnenpaß konnte die Identität des Deutschen Hansjörg Ziegler endlich geklärt werden. Hier in Frankfurt lernte er seine Frau kennen, die gleichfalls zur Deutschen Volksgruppe der Donauschwaben gehört.

Nun sollte er in die Heimat gehen, um an einer deutschsprachigen Zeitung seinen Beruf auszuüben. Auf der Reise nach dort wurde er jedoch in einer Sammelstelle in Budapest 1944 gemustert für die Waffen-SS, wie alle Volksdeutschen. Da er aber serbisch und kroatisch spricht, fand er Verwendung als Dolmetscher bei der Truppe. Anfang 1945 - die deutsche Armee befand sich weiter auf dem Rückzug - wurde er in Deutschland gegen die Amerikaner eingesetzt, wobei er verwundet in Gefangenschaft kommt und nach Eschborn.

In Eschborn gab es nicht nur den Flugplatz, sondern auch ein amerikanisches Kriegsgefangenenlager für Deutsche. Hier befand sich eine große Umschlagstelle für deutsche Kriegsgefangene, die als Arbeitskräfte in Frankreich eingesetzt wurden.

Durch das Kontrollratsgesetz Nr. 104, "Befreiung von National-Sozialismus und Militarismus", wurde u.a. der Jahrgang 1920 von einer Nazischuld befreit, soweit im Einzelfall keine Verbrechen begangen wurden. Unter diese Amnestie fiel ebenfalls Hansjörg Ziegler. Seine deutsche Einbürgerung erhielt er im Jahre 1946. Durch die Frankfurter Verbindung wurde er in diesem Raume ansässig und mit einer Verfügung des Landrates des Main-Taunus-Kreises am 1. März 1946 der Gemeinde Eschborn als Heimatvertriebener zugewiesen. Hier schließt sich der erste Kreis im Leben Zieglers. So finden wir auch das Verhalten des amerikanischen Juden in Frankreich erklärt, der die Papiere Zieglers verschwinden ließ: die Zugehörigkeit zum Jahrgang 1920, der nicht belastet ist.

Ziegler fand den beruflichen Anschluß in Frankfurt bald. Durch verbissene Arbeit, durch seinen Vorsatz, etwas Begonnenes zu Ende zu führen, und seinen gesunden Ehrgeiz. Er macht die Meisterprüfung. Er ist Faktor, wie es in der Fachsprache der Buchdrucker heißt, und heute verantwortlich für die Fotosatzabteilung mit 85 Mitarbeitern in der Societäts-Druckerei in Frankfurt am Main. Damit schließt sich ein zweites Mal der Kreis im Leben Zieglers, da die "Frankfurter Zeitung", in der er seinen graphischen Beruf erlernte, im Betrieb der Frankfurter Societäts-Druckerei hergestellt wurde, heute bekannt als die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Berufliches Können und die Qualität seiner Arbeit haben zur Folge, daß Ziegler als Mitglied in den Prüfungskommissionen der Handels- und Handwerkskammern für Gehilfen und für Meister der graphischen Industrie eine anerkannte fachliche Persönlichkeit ist. So kann es uns auch nicht verwundern, daß Hansjörg Ziegler die größte, in der Bundesrepublik in Privathand befindliche Fachbibliothek für das Druckgewerbe besitzt.

Wie kommt Hansjörg Ziegler nun zu seinem - zu unserem - historischen Interesse?

Da er als Vertriebener die Heimat verlor, suchte er, wie viele andere, dafür einen Ersatz. Um hier heimisch zu werden und etwas über die Geschichte von Eschborn zu erfahren, hörte er z.B. die Vorträge von Pfarrer Adolf Paul über die "Eschborner Burg", über den "Niddagau" und den "Stephanshof".

Heimat, meine Damen und Herren, wird in vielfältiger Weise interpretiert. Richtig ist, daß Heimat ein deutscher Begriff ist und in keine andere Sprache zu übersetzen ist. Für falsch halte ich dagegen die Auffassung einer modernen Journalistin, die vor kurzem schrieb, ich zitiere wörtlich: "Sie (die Heimat) ist eine Erfindung von Bürgern: geschichtslos-idyllisches Refugium, eine heile Welt im Ganghofer-Dekor".

Dagegen möchte ich Hermann Hesse aus "Lektüre für Minuten" zitieren: "Heimat ist für mich nie ein politischer Begriff gewesen, sondern ein rein menschlicher. Wo wir Kinder gewesen sind und die ersten Bilder von der Welt und Leben empfangen haben, wo wir sehen, sprechen und denken gelernt haben, da ist unsere Heimat, und ich habe die meine stets mit Dankbarkeit geliebt".

Diese Aussage unterstreicht auch Ruth Hoffmann in ihrem Schicksalsroman "Die Schlesische Barmherzigkeit", in welchem Menschen mit dem ratternden Eisenbahnzug etwas verlassen, "was jeder einzelne der Vertriebenen liebt als seinen Ursprung und Wurzelbereich".

Und Hansjörg Ziegler bestätigt, daß man sich für Dinge am stärksten einsetzt, wenn man sie verloren hat: für die Erforschung der Geschichte der Heimat. Und deshalb "fühle ich mich als Eschborner", setzt er hinzu.

Mit der Eschborner Chronik "Vom Vorgestern zum Heute", die Pfarrer Paul schrieb, half Hansjörg Ziegler seinen beiden Töchtern bei heimatgeschichtlichen Themen in der Schule. Selbst sammelte er alle Unterlagen, die er dafür erlangen konnte.

Doch eine Zeitlang verlor er diesen Faden und widmete sich sehr stark beruflichen Dingen. Erst 1979 erhält sein Interesse an der Historie wieder ein größeres Gesicht, als er in die Historische Gesellschaft Eschborn eintritt. Hier gibt er die ersten Schriften heraus.

So entstand 1980 die Arbeit "Eschborn - der Kronberger Ritter Heimat und Kinderstube". Ein Nachdruck der Eschborn-Abschnitte des Werkes "Die von Kronberg und ihr Herrensitz" von Ludwig Freiherr von Ompteda, das im Auftrage der Kaiserin Friedrich geschrieben wurde und 1899 erschien.

Im Mai 1981 legte er das Bändchen "Eschborns Burgstadl in Wort und Bild", eine Sammlung von Urkunden, Literatur, Karten und Abbildungen vor. Die dritte Veröffentlichung in der Reihe "Aus Eschborns Vergangenheit" erschien im Herbst 1982. Ein Güterverzeichnis mit alten Eschborner Namen, Feldgewannen, Straßennamen und dem Ortsgericht, dazu die Information über den politischen Hintergrund: "Kronbergisch’ Land zu Eschborn, seine Vermessung und Aussteinung am 17. November 1617 und das lokalgeschichtliche Geschehen", so heißt der umfangreiche Titel.

Neben diesen Broschüren verdankt die Historische Gesellschaft Herrn Ziegler die Reproduktion von alten und neuen Eschborn-Motiven, die in erstklassiger Druckausführung erworben werden können. Hinzu kommen alte Postkarten mit Eschborner Motiven.

Die Bürger dieser Stadt wären ohne die Arbeit von Hansjörg Ziegler um wichtige Kenntnisse ihrer Geschichte - im Detail - ärmer.

Nicht unerwähnt bleiben darf die großzügige satz- und drucktechnische Hilfe der Frankfurter Societäts-Druckerei bei der Herausgabe der Druckerzeugnisse. Nur diese Hilfeleistungen machten es Hansjörg Ziegler möglich, so reichhaltige Veröffentlichungen durchzuführen.

Doch nicht nur um die aus Urkunden, Schriften und bildlichen Darstellungen der heimatlichen Geschichte gewonnenen Erkenntnisse und ihre Weiterverbreitung ist Hansjörg Ziegler bemüht, sondern auch um neue Erkenntnisse durch Grabungen im Bereich des Burggeländes, durch Grabungen nach den Fundamenten der erkannten, aber noch nicht gesicherten dreischiffigen Basilika, Die Suche und die Darstellung alter Grenzsteine ist für ihn genau so wichtig, wie die von ihm betriebene Rekonstruktion der - vermutlich - ältesten Eschborner Flurdenkmalgruppe "zu den Crutzen" mit dem Bonifatiuskreuz.

Zum Thema Bonifatiuskreuz wird es zu Weihnachten das nächste Bändchen der Reihe "Aus Eschborns Vergangenheit", eine Dokumentation von ca. 150 Seiten, geben. Der Titel lautet "Bonifatius-Kreuz : Das Steinkreuz der Eschborner Flurdenkmalgruppe 'zu den crutzen'".

Eine weitere Arbeit ist in der Planung. An Hand von topographischen Karten, alten Flurkarten mit Flurnamen und von Grenzsteinen zeichnet sich ein reizvolles Bild der Entwicklung unseres Ortes über einige Jahrhunderte. Auf andere interessante Ergebnisse seiner Forschungen zur Eschborner Vergangenheit darf man gespannt sein.

Es gibt ein, für die Öffentlichkeit bisher noch nicht sichtbares, Ergebnis der historischen Sammeltätigkeit Zieglers. In seinem Hause stapelt sich noch nicht restlos überschaubares Material vieler Jahrgänge von Zeitungsmeldungen über unseren Ort, eine Vielzahl ungeordneter Fotos aus dem Leben der Gemeinde, unzählige Biographien, historische Veröffentlichungen aus der näheren und weiteren Umgebung unserer Heimat. Leider ist es, trotz vieler Bemühungen, in den letzten Jahren nicht gelungen, einen Archiv- und Arbeitsraum für die Historische Gesellschaft gegen möglichst geringe Kosten zu beschaffen. Sämtliches Material soll den Vereinen und Organisationen und den einzelnen Bürgern kostenlos zur Benutzung zur Verfügung gestellt werden - sofern der erforderliche Raum vorhanden ist.

Was möchte Hansjörg Ziegler mit seinen historischen Arbeiten bewirken?

Er sagt, "da die Brosamen der Heimatgeschichte nicht von den Wissenschaftlern gesammelt werden, will ich sie sammeln, um das Verständnis der Bürger zu wecken" und 'Um Material für die Wissenschaftler zu schaffen". Außerdem will er als Laie die berufsmäßigen Historiker provozieren, notwendige Untersuchungen durchzuführen. In seinem Büchlein "Zum Bonifatiuskreuz" wird er die Fachwelt zu einer erneuten Deutung der Schriftzeichen anregen.

In wenigen Monaten wird Hansjörg Ziegler in Pension gehen. Seine Zeit wird immer ausgefüllt sein: nicht nur mit Studien zur Eschborner Geschichte, sondern auch zur Geschichte und Herkunft der eigenen Familie. Hierzu darf ich ihm persönlich einen guten Erfolg wünschen.

Lieber Hansjörg Ziegler, gute Gesundheit, Energie und Erfolg wünsche ich Ihnen im Namen der Historischen Gesellschaft.

Rede, gehalten von Siegfried Wurche, am 6.10.1984. Siegfried Wurche wurde später Ehrenbürger der Stadt Eschborn, Hansjörg Ziegler ist es seit Dezember 2004.

Wir behalten die Form der persönlichen Ansprache bei.

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