Begrüßung anläßlich der Festveranstaltung

"10 Jahre Historische Gesellschaft Eschborn"
Manfred Seelig, Eschborn:

Herr Bürgermeister Tomala, Herr Landtagsabgeordneter Koch, meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Historische Gesellschaft Eschborn besteht 10 Jahre. Sie ist 1974 mit dem Ziel gegründet worden, Fragen aus dem Bereich der Geschichte zwischen interessierten Menschen zu besprechen.

Diese zunächst nicht regelmäßig tagende Gesellschaft hat sich heute zu einem eingetragenen Verein entwickelt: mit Satzung, Vorstand und Mitgliederversammlung. Der Verein hat heute fast 50 Mitglieder. Hieraus läßt sich entnehmen, daß die Eschborner wohl ein waches Interesse an geschichtlichen Fragen bekunden.

Auf Einzelheiten der Arbeit dieser Gesellschaft in den 1O Jahren brauche ich nicht einzugehen. Detlev Kiekheben-Schmidt hat hierüber ausführlich berichtet.

Namens des Vereins danke ich den Bürgermeistern dieser Stadt: Hans-Georg Wehrheim, Jochen Riebel und Manfred Tomala, Herrn Stadtrat Bauer, Herrn Archivar Raiss für ihre freundliche und angemessene Unterstützung. Besonders zu danken habe ich dem Hanny-Franke-Archiv und Herrn Michael Franke.

Die Gesellschaft beschäftigt sich nicht nur mit Fragen der sehr interessanten Geschichte Eschborns, sondern auch mit der Allgemeingeschichte. Dies zeigt die heutige Tagesordnung :

Ehrenstadtrat Siegfried Wurche wird zu Ehren von Hansjörg Ziegler sprechen. Herr Ziegler ist ein guter Kenner der Eschborner Geschichte. Sein Interesse gilt - stichwortartig formuliert: der Rekonstruktion der Eschborner Burg und der Eschborner Kirche, der Auslegung und dem Verständnis des Bonifatiuskreuzes.

Sie wissen, daß vor mehr als einem Jahr in Eschborn überraschend ein fränkisches Gräberfeld entdeckt worden ist. Bisher sind 50 Gräber gefunden worden. Das Landesamt für Denkmalschutz, Abt. Vor- und Frühgeschichte, restauriert die beeindruckenden Funde. Das Eschborner Parlament hat hierfür finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Eine Ausstellung der Funde ist für das Frühjahr 1985 vorgesehen. Um das große Interesse der Eschborner an den fränkischen Grabfunden zu befriedigen, wird Herr Dr. Selzer vom Mittelrheinischen Landesmuseum in Mainz zum Thema "Völkerwanderungszeit an Rhein und Main" sprechen.

Die Beschäftigung mit Fragen der Geschichte sollte nicht isoliert gesehen werden. Ich bin überzeugt, daß das Bemühen um geschichtliche Kenntnisse und ihre Interpretation eine wesentliche Eigenschaft der europäischen Zivilisation ist. Dieses typische Interesse zeigen schon die antiken historischen Schriftsteller. Es reicht bis zu den deutschen Historikern, wie z.B. Ranke und Mommsen. Aber auch heute werden brauchbare historische Werke geschrieben. Ein einziges sei genannt: Theodor Schieder, Europäisches Staatensystem als Gleichgewicht. Trotz allem scheint es so zu sein, als wenn das Fach Geschichte in Verruf geraten ist. Dies hat nicht nur seine Ursache in dem allgemeinen Desinteresse - typisch für die Deutschen heute -, politisch-ideologischen Streitigkeiten (Aufgehen des Fachs Geschichte im Fach Gemeinschaftskunde), in methodologischen Streitigkeiten (Soziologie statt Geschichte), sondern vor allem in der mangelnden Kontinuität der deutschen Geschichte. Sie ist im Vergleich mit der Gesichte der Franzosen und Engländer durch Brüche gekennzeichnet.

Stichworte sind: der 3o-jährige Krieg, der Gegensatz zwischen Preußen und Österreich, die Reichsgründung als kleindeutsche Lösung 1871, der Verlust des Ersten Weltkrieges, der Zerfall der Weimarer Republik, der Untergang des Dritten Reiches 1945. Es scheint, als wenn ein großes Verhängnis in diesem 2O. Jahrhundert auf unserer Geschichte lastet. Ich erinnere an die schlimme Teilung Deutschlands, an den Verlust unserer östlich-preußischen Provinzen - was das bedeutet für die Verringerung der schöpferischen Potenz unserer Nation, ist nicht bewußt.

Den zahlreichen Kulturreformern, die den Gang des Weltgeistes am ministeriellen Schreibtisch glauben feststellen zu können, sei gesagt, daß ein wenig "Salbung mit historischem Öl" ihnen gut täte. Immerhin habe ich festgestellt, daß Hessen vor zwei Jahren das Fach Geschichte an den Schulen wieder eingeführt hat. Gewiß lassen sich direkte Handlungsanweisungen aus der Geschichte nicht entnehmen. Sie setzt jedoch Wegmarken und gibt Orientierungshilfen. Sie zivilisiert, denn ohne Tradition kann niemand leben. Geschichte richtig verstanden, - niemand hat das besser gesagt als Friedrich Nietzsche - erschöpft sich nicht im Bewahren, sondern der Blick des historischen Menschen drängt immer zur Zukunft.