Schmuggler und Schieber
Nach Ende des Ersten Weltkriegs entstand im Rheingau der „Freistaat Flaschenhals"

Von Mirjam Ulrich

Nachts schmuggelten sie ihn heimlich über die Grenze. Ihren besten Riesling sollten die französischen Besatzungstruppen nicht beschlagnahmen. Darum brachten die Winzer im besetzten Rheingau ihren Wein ein paar Kilometer weiter im „Freistaat Flaschenhals" in Sicherheit.

„Flaschenhals" - so nannten Deutsche und Franzosen den schmalen Streifen Land, der nach dem Ersten Weltkrieg am rechten Rheinufer zwischen den Städten Lorch und Kaub unbesetzt blieb. Landeinwärts erstreckte er sich bis zum Taunus ins freie Hinterland. Außer Lorch und Kaub gehörten 30 Dörfer zu dem Gebiet, dessen Umriß an den Hals einer Flasche erinnerte.

Die Enklave entstand am grünen Tisch der Siegermächte. Im Waffenstillstandsabkommen vom 11. November 1918 legten sie fest, den Westen Deutschlands bis zum linken Rheinufer zu besetzen und am rechten Rheinufer eine zehn Kilometer breite neutrale Zone einzurichten. Um sie besser zu kontrollieren, richteten sie Brückenköpfe in Köln, Mainz und Koblenz ein. Das Umland im Umkreis von 30 Kilometern gehörte ebenfalls zur Besatzungszone. Doch zwischen den Brückenköpfen von Mainz und Koblenz klaffte eine Lücke: der „Flaschenhals".

„Frankreich beanspruchte das Gebiet sofort für sich, aber die Bewohner wehrten sich", erzählt Stephanie Zibell. Die Wiesbadener Politologin hat die Geschichte des Flaschenhalses erforscht und ein Buch darüber veröffentlicht.

Auch die anderen Verbündeten wiesen die Forderung Frankreichs zurück, der Flaschenhals blieb frei. Die Probleme waren damit aber nicht gelöst. Das Gebiet war abgeschnitten, die Versorgung schwierig. Nichts und niemand durfte die Grenzen passieren. Zudem existierte keine einheitliche Verwaltung, die zuständigen Behörden lagen in der Besatzungszone. Improvisation und Organisation waren gefragt.

Von Limburg schaffte man Lebensmittel und Heizmaterial für die mehr als 17000 Einwohner des Flaschenhalses heran. Der Weg dorthin führte über Stock und Stein. Die Fuhrwerke konnten deshalb nur halb beladen werden, darum verteuerten sich alle Waren. Der Schmuggel blühte.

Weil das Kleingeld ausging, druckten die Städte Scheine zu 25 und 50 Pfennig

Weil im isolierten Flaschenhals bald auch das Kleingeld ausging, druckten die Städte ihr eigenes Notgeld - farbenfrohe Scheine zu 25 und 50 Pfennig. Auf manchen stand: „Nirgends ist es schöner als in dem Freistaat Flaschenhals".

Es war das erste Mal, daß die Bezeichnung „Freistaat" auftauchte. Ganz ernst gemeint war das nicht, denn im staatsrechtlichen Sinne war der Flaschenhals kein Freistaat. „Die Bewohner wollten damit einfach ihr Recht auf Selbstbestimmung verdeutlichen", sagt Zibell.

Dem französischen General Henry Mordacq, Kommandeur des 30. Armeekorps im Rheinland, blieb der Flaschenhals ein Dorn im Auge. In seinen Memoiren gab er zu: „So ergriffen wir denn jede Gelegenheit, den Flaschenhals zu beseitigen." Die Gelegenheit bot sich, als Deutschland Ende 1922 mit den Reparationslieferungen von Holz und Kohle in Verzug geriet. Frankreich und Belgien besetzten daraufhin im Januar 1923 das Ruhrgebiet. Und einen Monat später marschierten die französischen Truppen in den Flaschenhals ein. Passiver Widerstand der Bewohner nützte nichts mehr: Auch nachdem die französischen Truppen am 15. November 1924 aus dem Gebiet wieder abzogen, blieb ihr „Freistaat" Geschichte.

Schmuggler und Schieber

Kinder kamen ganz gut aus mit der marokkanischen Einheit der französischen Armee -
Bild: freistaat flaschenhals

FLASCHENHALS"

Der Name rührte von seinem Umriß auf der Landkarte her. Das Gebiet erinnerte an den Hals einer Flasche. An der schmälsten Stelle war es nur 800 Meter breit.

Das Gebiet reichte von Bodenthal bei Lorch und dem Roßstein bei Kaub bis zum Taunus ins freie Hinterland.

Seine Entstehung verdankt er einem Versehen im Waffenstillstandsabkommen vom Compiegne nach dem Ersten Weltkrieg.

Ein Freistaat im staatsrechtlichen Sinne war der Flaschenhals nicht. Von Januar 1919 bis zum Sommer 1920 verwaltete er sich aber de facto selbst.

Das Buch „Der Freistaat Flaschenhals. Historisches und Histörchen aus der Zeit zwischen 1918 und 1923" von Stephanie Zibell und Peter J. Bahles ist im Societäts-Verlag erschienen und kostet 9,90 Euro.

Mehr Informationen dazu gibt es im Internet unter:

www.freistaat-flaschenhals.de      miu

Frankfurter Rundschau - 10.11.09 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Eine informative Homepage - verführt zum persönlichen Besuch des Freistaates...