Hexen, Söldner, Himmelsgucker
Heinz Dieter Kittsteiners postum erschienener Blick auf das 17. Jahrhundert

Von Harry Nutt

Im Jahre 1631 nahm der Söldner Peter Hagendorf an der Erstürmung und Verwüstung der Stadt Magdeburg teil. Stolz ist er auf seine Tat nicht. "Ist mir doch von Herzen leid gewesen, daß die Stadt so schrecklich gebrannt hat, wegen der schönen Stadt und weil es meines Vaterlandes ist." Woher Hagendorf stammt, ist nicht bekannt. Betrachtet er Deutschland als sein Vaterland? Als Söldner im Dreißigjährigen Krieg ist er weit gewandert und hat verschiedenen Herren und Heeren gedient. Viele seiner Wege, Beobachtungen und familiären Unglücksfälle hat der gebildete Mann in sein Tagebuch eingetragen, das später in die Preußische Staatsbibliothek gelangte.

Für den 2008 im Alter von 65 Jahren verstorbenen Historiker Heinz Dieter Kittsteiner wurde das Tagebuch des Söldners zu einer kostbaren Quelle seines unkonventionellen Projekts zur deutschen Geschichte. Was auf sechs Bände angelegt war, brach durch den plötzlichen Tod des eigensinnigen Gelehrten jäh ab. Mit dem Band "Die Stabilisierungsmoderne" ist postum nun der erste Band erschienen, der eine Idee davon vermittelt, was für ein neuartiger Blick auf die deutsche Geschichte im Prozeß der Moderne da im Entstehen war.

Stufen und Schichten sind die beiden Metaphern, die Kittsteiners Konzeption zugrunde liegen. Am Beispiel der deutschen Geschichte wollte er zeigen, wie Geschichte fortschreitet und dabei doch immer auch mit den Problemen früherer Stufen zu tun hat. Geschichte wiederholt sich nicht, die Epochen lösen einander aber auch nicht ab, sondern überlagern sich. In drei großen Schritten beabsichtigte Kittsteiner, zwischen Stabilisierungsmoderne, Fortschrittsmoderne und der Heroischen Moderne zu unterscheiden. Die sogenannte Stabilisierungsmoderne steht in ganz Europa unter dem Eindruck der Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges. Das allgemeine Bedürfnis, zur Ruhe zu kommen, wird zum prägenden Merkmal der Epoche, das Kittsteiner an so heterogenen Beispielen wie der Hexenverfolgung und der sich wandelnden kosmologischen Weltsicht untersucht.

Von der Umklammerung der Religionen will man sich nach den Konfessionskriegen lösen

Ein einheitliches Weltbild gab es ohnehin nicht. "Wallenstein war zum Katholizismus übergetreten", schreibt Kittsteiner, "eigentlich aber glaubte er an die Gunst der Sterne und an die Horoskope des Astronomen Johannes Kepler - und stellte dem Kaiser im pfälzischen und dänischen Krieg sein Heer zur Verfügung. Das ist typisch für die Struktur dieses Krieges. Er ist noch nicht im späteren Sinn verstaatlicht, sondern der Kaiser betreibt sozusagen eine Form des feudalen Leasings (...). Die Armee betreibt den Krieg und lebt von ihm. Der Krieg ernährt den Krieg."

Magedburg 1640 - 800px-Magdeburg_Merian-600

Magdeburg im Jahr 1640

Auf ganz unterschiedliche Weise versucht das 17. Jahrhundert, nach den großen Konfessionskriegen, sich von der zerstörerischen Umklammerung der Religionen zu lösen. Am Beispiel der sprunghaft sich verbreitenden Hexenverfolgung kann Kittsteiner zeigen, wie aus Angst vor dem Dämonischen eine fatale Schreckensdynamik entsteht. In der Gestalt vermeintlicher Hexen konkretisiert sich eine Furcht vor dem Bösen, die man auf dem Scheiterhaufen bannen zu können meint.

Auf eindrucksvolle Weise führt Kittsteiner aus, wie allmählich eine immanente Kritik an den Hexenprozessen entsteht und wie sich in ihr das theologische Weltbild wandelt. Der Übergang von einem Gott des Zornes, der Plagen und Rache, schreibt Kittsteiner, "zu einem Gott der Liebe ist eine der größten kulturhistorischen Wandlungen in der Entwicklung des europäischen Denkens. Es ist die Abkehr von einem Gott der beleidigten Majestät und die Hinwendung zu einem Gott der unbegreiflichen Liebe." Zu diesem Wandel hat in erheblichem Maße auch die Betrachtung des Himmels beigetragen. Was die großen Astrologen Kepler, Kopernikus und Galilei oben am Himmel entdecken, stabilisiert auch das Leben auf der Erde. "Der sichtbare Himmel ist nicht länger der Ort des Schreckens und der Strafen Gottes, sondern ein Ort der Harmonie. Angesichts vorausberechenbarer Phänomene schien die Welt durch unwandelbare, allgemeine Gesetze erklärbar zu werden."

Heinz Dieter Kittsteiner hat mit seinem Buch originelle Spuren durch das 17. Jahrhundert gelegt, denen wegen der stilistischen Eleganz des Autors ebenso anregend wie kurzweilig zu folgen ist. Das Bedauern darüber, daß ein großer historischer Wurf nicht zu Ende gebracht werden konnte, nimmt durch diesen vielversprechenden Anfang weiter zu.

Heinz Dieter Kittsteiner: Die Stabilisierungsmoderne. Deutschland und Europa 1618 -1715. Hanser Verlag, München 2010, 446 Seiten. 29,90 Euro.

Frankfurter Rundschau - 9.10.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR