NS-Beamte plünderten Juden aus Reichsfinanzministerium war offenbar tief in den Holocaust verstrickt
Von Markus Sievers
BERLIN. Das Finanzministerium war stärker an der Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus beteiligt als gemeinhin anerkannt. Eine vom damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) eingesetzte Historiker-Kommission gelangt in einem ersten Zwischenbericht zu dem Ergebnis, daß die Verstrickung auf vielen Gebieten tiefer reicht als die des Auswärtigen Amtes.
Wer die öffentlichen Finanzen im Dritten Reich untersuche, stoße auf den „Kern der NS-Diktatur", sagte der Kölner Geschichtsprofessor Hans-Peter Ullmann bei der Vorstellung der ersten Zwischenergebnisse. Das Ministerium am Berliner Wilhelmplatz habe nicht nur die Finanzierung der Aufrüstung und des Krieges durch Steuern und Schulden aktiv betrieben, sondern auch aktiv den „Raub" - die Ausplünderung der Juden und anderer Verfolgter -organisiert. Es sei damit ein „unverzichtbarer Bestandteil" für die verbrecherische NS-Politik gewesen.
Historische Zwischenbilanz
Ullmann betonte zugleich, daß diese zentrale Rolle nach dem Krieg in der Bundesrepublik eher heruntergespielt wurde. Er sprach von einer „Entlastungsstrategie nach 1945", bei der das Reichsfinanzministerium als eher unpolitische Behörde ohne ideologische Ausrichtung dargestellt worden sei. Mit dieser Strategie verteidigten sich auch Hauptverantwortliche wie Staatssekretär Fritz Reinhardt, ein überzeugter Nationalsozialist, in den Entnazifizierungsverfahren.
Tatsächlich habe Reichsfinanzminister Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk schon im Sommer 1933, kurz nach der Machtübernahme, das Berliner Finanzamt Moabit-West beauftragt, politisch unliebsame Emigranten zu enteignen, sagte die Münchner Historikerin Christiane Kuller, die der Kommission zuarbeitet. Aus der Abteilung entstand nach und nach ein „Judenreferat" im Reichsfinanzministerium, das die Ausplünderung der Juden organisierte. Allerdings erschöpfte sich die Verfolgung laut Kuller nicht in der Tätigkeit des Judenreferats. „Antisemitische Verwaltungspraxis gehörte für Finanzbeamte im Dritten Reich zum Alltag."
Drei „Säulen nationalsozialistischer Aufrüstungs- und Kriegsfinanzierung" haben die sieben Wissenschaftler in der Kommission ausgemacht: Steuern, Schulden und Raub. Die Steuerpolitik diente Ullmann zufolge dem Regime bei der Aufrüstung, sollte aber auch die sogenannte „Volksgemeinschaft" festigen. Dafür setzten die Nationalsozialisten durchaus auch auf soziale Umverteilung. Vor allem aber diskriminierten sie gezielt die Menschen, die sie Gemeinschaftsfremde nannten, etwa mit Sondersteuern und speziellen Abgaben.
Den größten Teil der Milliarden, die Rüstung und Krieg verschlangen, brachten die Nazis durch Kredite auf. Die Darlehen holten sie auch bei Millionen Kleinanlegern, die Anleihen zeichneten. „Viel spricht dafür, daß Sparer wußten, wofür ihre Ersparnisse verwendet wurden", meinte der Wissenschaftler. Sollte sich dieser erste Befund bestätigen, könnte dies endgültig mit der Legende aufräumen, die meisten Deutschen hätten von den Verbrechen nichts gewußt.
Auch am Holocaust war das Finanzministerium beteiligt, durch das, was die Kommission „fiskalische Judenverfolgung" nennt. Die Beamten nahmen zunächst Emigranten einen Großteil des Vermögens und konfiszierten später das Eigentum der Deportierten.
Frankfurter Rundschau - 9.11.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR
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