Zum 200. Todestag von Königin Luise
Königin der Schmerzen
Vor 200 Jahren starb Preußens Königin Luise - und eine Legende nahm ihren Anfang, die erst mit dem Zweiten Weltkrieg aus dem Blick geriet

Von Harry Nutt

Die Luise ist seit jeher ein Anziehungspunkt für sommerliche Vergnügungsmassen. Obwohl der Biergarten im Berliner Villen-Vorort Dahlem nichts spezifisch Studentisches an sich hat, treffen sich hier Kommilitonen der benachbarten FU in Scharen zur Arbeitsgruppe, Vorlesungspause oder zum Feierabendbier. Das Gartenlokal heißt Luise, weil es an der Königin-Luise-Straße liegt. Die Bedeutung seiner Namensgeberin, ihr Mythos und ihre Tragik, bleiben nicht nur den Studenten weitgehend verborgen.

Kaiserin Augusta, Viktoria Luise und Sophie Charlotte bezeichnen in Berlin zunächst U-Bahnhöfe. Eine Geschichte der preußischen Herrscherinnen ist im kollektiven Gedächtnis der Stadt kaum verankert. Selbst die vorübergehend mächtigen Gatten dürften nicht auf viele Zeitgenossen hoffen, die die Abfolge preußischer Regenten einigermaßen korrekt dahersagen können. Als 1947 der preußische Staat aufgelöst wurde, verschwand mit ihm auch eine tradierte Erinnerung an die Herrschaft der Hohenzollern.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges stand das als Ausgeburt eines aggressiven Militarismus geltende Preußen in Ost und West nicht hoch im Kurs. Selbst die Nazis hatten zuvor ein gespaltenes Verhältnis zum monarchischen Erbe. Königin Luise, am 19. Juli 1810 in Hohenzieritz in Mecklenburg-Strelitz im Alter von nur 34 Jahren gestorben, kam darin als nationale Märtyrerin vor, zur soldatischen Kämpfernatur und selbstlosen Mutter verklärt.

Anfällig für Mythos und Selbstmythisierungen war Luise, eine Tochter aus dem kleinen Fürstentum Mecklenburg-Strelitz, schon zu Lebzeiten. Mindestens dreimal war ihr öffentliches Auftreten Anlaß für feierliche Paraden - einer Repräsentationsform der Macht, bei der die Massen für einige Stunden am höfischen Leben teilhatten. Als Luise in Berlin einzog, war sie nicht allein. Zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Friederike war sie für eine königliche Doppelhochzeit ausgewählt worden. Zwei arrangierte Ehen, denen die jungen Frauen gespannt und keineswegs mißmutig entgegensahen. Der Kronprinz, Friedrich Wilhelm III., hatte die Wahl und entschied sich nach einigem Zaudern für die 17-jährige Luise. Sein Bruder Louis bekam die zwei Jahre jüngere Friederike.

Zur Ankunft der heiratswilligen Prinzessinnen wurden schon in Potsdam, wo sie am 21. Dezember 1793 mit der Kutsche eintrafen, Kanonenkugeln abgefeuert. Der Hofbildhauer Gottfried Schadow hatte passend dazu eine Ehrenpforte errichtet. Die Handwerkszünfte grüßten. Die politischen Motive für die Hochzeit waren diplomatischer Natur. Das Fürstentum Mecklenburg-Strelitz unterhielt verwandtschaftliche Beziehungen zum englischen Königshaus, von denen auch Preußen zu profitieren hoffte.

Höfische Etikette war Luises Sache nicht. Mit ihrem Mann war sie schon bald beim Du

Darüber hinaus war man bestrebt, das Königtum in Eintracht mit seinem Volk darzustellen. Während aus Frankreich die Nachwehen der Revolution herüberdrangen, bemühte sich Preußen um innere Entspannung. Auch wenn die preußische Grandezza aus der Ära Friedrichs des Großen unter dessen Neffen Friedrich Wilhelm II. stark gelitten hatte, besaß man Gespür für machtvolle Inszenierungen. Die Prinzessinnen machten dazu bella figura.

Von einer paradigmatischen Szene des Einzugs berichtete der Hofprediger Rulemann Friedrich Eylert rund 50 Jahre später. Luise soll eines der Gedichte aufsagenden Kinder hochgenommen und auf die Stirn geküßt haben. Ein Zeichen ihrer Unbekümmertheit, gewiß auch Unerfahrenheit. Die Hüterin des Protokolls, die strenge Oberhofmeisterin Sophie von Voß, sei entsetzt gewesen. Diese, wegen ihrer beinahe lückenlosen Tagebuchschreiberei eine der ergiebigsten Quellen zu Luises Leben und Sterben, erwähnt die Übermütigkeit nicht.

Ob es sich so zugetragen hat, spielt denn auch keine Rolle. Tatsächlich trug die junge Prinzessin und spätere Königin erheblich zur Informalisierung des Hoflebens bei. Es zog eine neue Lockerheit ein, die einerseits aus einem durchaus vorhandenen Modernitätsbewußtsein erwuchs, andererseits vom individuellen Unbehagen des künftigen Königs geprägt war.

Kronprinz Friedrich Wilhelm waren Zeremonien zuwider, eine quälende Entscheidungsschwäche hatte sich bereits bei der Brautwahl gezeigt. Und doch hat es wohl nie zuvor eine größere Nähe zwischen einem preußischen Königspaar gegeben. Mit Luise war Friedrich Wilhelm schnell beim Du, obwohl sich zu dieser Zeit selbst Geschwister untereinander siezten.

Familiäre Verläßlichkeit und Geborgenheit waren Luises emotionale Mitgift. Sie unterhielt ein inniges Verhältnis zu ihrem Vater und ein noch engeres, beinahe verschworenes zu ihren fünf Geschwistern, die von sich gern als sechsblättriges Kleeblatt sprachen. Die Anverwandlung an einen bürgerlichen Lebensstil, der seinen architektonischen Ausdruck später im Landschloß Paretz fand, dem Sommersitz der jungen Königsfamilie nahe dem brandenburgischen Werder, war politisch durchaus konsequent.

Es war ein reformorientiertes Signal an das ökonomisch und politisch aufstrebende Bürgertum, das gar nicht erst auf umstürzlerische Gedanken kommen sollte. Die preußische Revolution von oben, die in den Stein-Hardenbergschen Reformen systematisch formuliert wurde, hatte in der bürgerlichen Attitüde des Königspaars ihre lebensnahe Entsprechung. Die zweite feierliche Inszenierung, in der Luise als preußische Lichtgestalt sichtbar wurde, war die so genannte Huldigungsreise des Kronprinzenpaars. Im November 1797 war Friedrich Wilhelm II. gestorben, im Mai sollte sein Sohn nach preußischer Tradition in Königsberg gekrönt werden. Friedrich Wilhelm III. versuchte auch hier, sich einem allzu pompösen Zeremoniell zu entziehen. Aus Kostengründen, aber wohl auch aus persönlicher Unlust. Sein politisch und militärisch sich tragisch auswirkendes Zaudern offenbarte sich bereits hier.

Gegen die Party-Neigung seiner Frau hatte er schon früh durchgegriffen. In den Anfangsmonaten ihrer Ehe navigierte Luise hart am Rand des Skandals. Sie genoß die Berliner Ballsaison, man feierte sie als unbeschwertes Glamour-Girl ihrer Zeit und sagte ihr eine Affäre mit dem leichtlebigen Prinzen Louis Ferdinand nach. Der Schwiegervater intervenierte, und Luise gelobte ihrem gutherzigen, aber auch langweiligen Gatten Besserung.

Als die Nächte durchtanzende Prinzessin war sie der Berliner Gesellschaft ans Herz gewachsen, als Königin bekam sie zu spüren, daß Blut im Schuh zurückgeblieben war. Ihr schwärmerisches Wesen bekannte sich bedingungslos zum Vergnügen, aber auch zur unbedingten Pflicht. Bis zu ihrem Tod im Alter von 34 Jahren zog Luise sieben Kinder auf und war zehnmal schwanger. Da erledigte sich ein ausschweifendes Nachtleben bald von allein. Was blieb, waren dauernde Kopfschmerzen.

Unter ihrer Unbildung litt sie selbst. Ihre Briefe beweisen aber schöpferische Energie

Auf der Huldigungsreise nach Königsberg spielten Friedrich Wilhelms Abneigung gegen Zeremonien und Luises Lust zum Repräsentieren ineinander. Auf ihren Stationen in Danzig, Königsberg, Warschau und Breslau füllte sie die Lücke, die der steife König zu reißen drohte. Luise war zum wiederholten Mal schwanger, aber trotz der körperlichen Anstrengungen wußte sie um ihre Pflichten gegenüber der Neugier und Begeisterung zeigenden Bevölkerung in den Reichsgebieten.

Nicht ohne Erstaunen und mit einiger Ironie registrierte sie den Wandel in ihrem Leben, seit sie den Hof in Hessen-Darmstadt, wo sie ihre Kindheit verbrachte, verlassen hatte. "Sonst reiste ich nach Frankfurt, um Krönungen zu sehen, jetzt lasse ich mich beinahe doch nun selbst krönen", schrieb sie ihrem Bruder.

Sie fremdelte erkennbar mit der Etikette. "Alsdann weiß ich mit Zuverlässigkeit, daß ich meinem Mann von Nutzen bin. Du weißt, er liebt nicht Cour, Gene, Etiquette, und wie die Dinger alle heißen, und diese Reise ist eine Kette von solchen Dingerchen". Um so genauer wußte Luise um ihre symbolpolitische Aufgabe an der Seite ihres Mannes. Ihr Rollenverständnis ist ein wichtiger Baustein des Luisenmythos. Zu wenig gebildet, um politischen Einfluß geltend zu machen, entwickelte sie so etwas wie politische Intuition, die Friedrich Wilhelm durchaus schätzte.

Ihre mangelnde Bildung hat sie in Briefen an ihre Geschwister oft selbst beklagt. In diesen finden sich orthographische Schwächen sowie eine allzu naive Sicht auf die Zeitläufte. Die eigenwillige Diktion ihrer Briefe verrät jedoch eine beachtliche schöpferische Energie und eine Lebenslust, die selbst nach Kriegsniederlagen und einer Flucht quer durch Preußen nicht zu bezwingen war. Als Luise, ihren bevorstehenden Tod nicht erahnend, ihrem Vater ihre Ankunft in Hohenzieritz ankündigt, schreibt sie: "Bester Päp, Ich bin tull und varucky. Eben diesen Augenblick hat mir der gute liebevolle König die Erlaubnis gegeben, zu Ihnen zu kommen, bester Vater Ich glühe vor Freude und schwitze wie ein Braten."

Tatsächlich glühte sie vor Fieber, der Vorbote eines tödlichen Lungentumors, der der Auslöser einer letzten großen Volksprozession war: Luise starb in Hohenzieritz im Beisein ihrer Familie und wurde im heißen Juli 1810 in einem beinahe endlosen Trauerzug nach Berlin überführt, in einer schwarzen Kutsche begleitet allein von der Hofdame Sophie von Voß. Der Königstroß war bereits nach Berlin zurückgereist. Die Anteilnahme war groß, die Arbeit am Weiterschreiben des Mythos in vollem Gange. Im brandenburgischen Städtchen Gransee etwa errichtete Karl Friedrich Schinkel 1811 ein Denkmal zum Andenken an den Zwischenstopp, den der Trauerzug dort gemacht hatte.
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Am 19. Juli war Luise gestorben, am 30. Juli fanden der Trauergottesdienst und die anschließende Beisetzung in der Hohenzollerngruft statt. Später wurde sie ins Mausoleum beim Schloß Charlottenburg umgebettet, wo sich ihr Lieblingswohnsitz befand. Der sich in Schüben vollziehende Luisenkult ist Legende, der politische Mythos eine Mischung aus nachträglicher Konstruktion und charakterlicher Impulsivität. Daß sie entscheidenden politischen Einfluß auf Friedrich Wilhelms Kriegspolitik hatte, weisen Historiker zurück. Früh äußerte sich hingegen ein starker, in Briefen dokumentierter antinapoleonischer Affekt, der in der legendären Tilsiter Begegnung, in der es ihr nicht gelang, Napoleon zu einer Schonung des unterlegenen Preußen zu bewegen, operettenhafte Züge annahm. Beinahe melodramatisch mutet die Beziehung zu Zar Alexander an, den Luise idealisierte, was diesen nicht davon abhielt, kühl seine Interessen zu verfolgen. Die Rolle der politischen Luise bestand denn auch nicht zuletzt darin, eine prinzipientreue Schmerzensfrau zu sein, die der später an Bedeutung gewinnenden Nationalbewegung vorausging und auf die sich noch über 50 Jahre später ihr Sohn Wilhelm I. berufen konnte.

Luise gewährte Dichtern wie Jean Paul, Novalis und Kleist ihre Nähe. Der Reformer Hardenberg, der die so entstehende Nähe zum König zu nutzen verstand, war einer ihrer engsten Vertrauten. Die höfische Welt war überschaubar, die Ranküne zwischen Freundschaft, Macht und Intrige eher nicht. August Wilhelm Schlegel nannte Luise in einem Gedicht "Königin der Herzen".

So klingen denn auch die Titel der Biographien und Ausstellungen aus Anlaß ihres 200. Todestages spritzig zeitgenössisch wie "Miss Preußen", "Die preußische Madonna" oder bloß: "Die Königin". Das Material liegt vor, doch noch immer unterscheiden sich die Methoden, es zu sichten. Die Frau hatte ein kurzes Leben, von dem bis auf weiteres wohl mehrere Geschichten zu erzählen sein werden. In Schutz nehmen kann man sie mit Fontane, der meinte: "Mehr als von der Verleumdung ihrer Feinde hat Luise von der Phrasenhaftigkeit ihrer Verherrlicher zu leiden gehabt."

 

Neuerscheinungen

Daniel Schönpflug: Luise von Preußen. Königin der Herzen. Eine Biographie. Verlag C.H. Beck, München 2010, 286 Seiten, 19,95 Euro.

Sibylle Wirsing: Die Königin. Luise nach zweihundert Jahren. wjs Verlag, Berlin 2010, 326 Seiten, 19,95 Euro.

Carolin Philipps: Luise. Die Königin und ihre Geschwister. Piper Verlag, München/Zürich 2010, 457 Seiten, 12,95 Euro. Luise Schorn-Schütte: Königin Luise. Leben und Legende. Verlag C.H. Beck, München 2010, 120 Seiten, 7,95 Euro.

Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg: Luise. Leben und Mythos der Königin. Ausstellungskatalog. Berlin 2010, 140 Seiten, 9,95 Euro.

Christine von Brühl: Die preußische Madonna. Auf den Spuren der Königin Luise. Aufbau Verlag, Berlin 2010, 250 Seiten, 22,95 Euro.

Immer noch zu empfehlen:

Günter de Bruyn: Preußens Luise. Vom Entstehen und Vergehen einer Legende. Siedler Verlag, Berlin 2001, 142 Seiten, 14 Euro. ( tt)

Frankfurter Rundschau - 15.7.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

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