Ein Weg, gewidmet Agnon
Bad Homburg würdigt den Schriftsteller und Nobelpreisträger im Kurpark und mit einer Matinée

Von Martina Propson-Hauck

An Hölderlins Lebensjahre in Bad Homburg erinnert die Stadt schon seit Jahrzehnten mit einem eigenen Literaturpreis. Selbst Goethes Stippvisite am Fuße des Taunus ist mit einem nach ihm benannten Fleckchen im Schloßpark hinreichend verewigt. Wer allerdings Samuel Josef Agnon war, weiß nur ein recht kleiner Zirkel kulturgeschichtlich Interessierter. Seit 1993 gibt es im Kurpark immerhin ein Denkmal für den Schriftsteller, das die Bildhauerin Dina Kunze wie eine überdimensionale ausgerissene Buchseite konzipiert und in Bronze gegossen hat. Selten aber bleibt dort jemand stehen und liest.

Am Wochenende nun soll mit einem Festakt ein Weg im Kurpark nach dem Mann benannt werden, der - was Zeitzeugen wie Gershom Scholem schriftlich festhielten - in Bad Homburg die glücklichste und kreativste Zeit seines Lebens verbracht haben soll. Ein Glück, das aber durch ein viel größeres Unglück jäh beendet wurde.

„Agnon" ist ein Pseudonym, eigentlich hieß er Samuel Josef Czaczkes. 1966 erhielt er, als erster hebräischsprachiger Schriftsteller, zusammen mit Nelly Sachs den Literaturnobelpreis. In Bad Homburg lebte der 1888 geborene Sohn galizischer Juden vom November 1921 bis zum Sommer 1924 und etablierte zusammen mit der Verlegerin Shoshana Persitz an der Kaiser-Friedrich-Promenade eine Art literarischen Salon.

Jüdische Intellektuelle, zumeist Ost-Juden, aus Frankfurt und dem gesamten Rhein-Main-Gebiet trafen sich hier, manche zogen wegen Agnon sogar nach Bad Homburg. Neben dem Religionswissenschaftler Gershom Scholem, dem Freund und Herausgeber der Werke Walter Benjamins, besuchte auch Martin Buber gern den kurstädtischen Intellektuellen-Zirkel.Agnon 001

Das Glück stetiger geistiger Auseinandersetzung mit dem Judentum, der hebräischen Sprache, dem Zionismus und Palästina fand in der Nacht zum 5. Juni 1924 sein jähes Ende: Ein Zimmerbrand brach aus im ersten Geschoß der „Villa Imperial", deren zweites Stockwerk Agnon mit seiner Frau und den damals zwei und drei Jahre alten Kindern bewohnte. Agnon lag zu dem Zeitpunkt im Krankenhaus, seine Frau und die Kinder konnten sich in Sicherheit bringen. Doch das Feuer breitete sich aus und zerstörte das ganze Wohnhaus.

Agnon betrauerte noch in seiner Nobelpreisrede mehr als 40 Jahre später den materiell, aber auch ideell schrecklichen Verlust seiner gesamten Bibliothek und zahlreicher unveröffentlichter Manuskripte. Seine Freunde konnten nur wenige Seiten aus dem brennenden Haus retten.

Astrid Krüger, die Leiterin des Bad Homburger Stadtarchivs, hat aus Anlaß der Namensgebung für den Weg im Kurpark eine 30-seitige Broschüre mit den wichtigsten Erkenntnissen über das Leben Agnons in Bad Homburg herausgegeben. In den Archiven hat Krüger auch die unterschiedlichsten Gerüchte über das Versagen der Bad Homburger Feuerwehr von damals gefunden (siehe Kasten). Agnon zog nach dem Brand mit seiner Familie nach Jerusalem, wo er 1970 starb. Sein Enkel und Urenkel, Amotz und Uri Agnon, kommen am Wochenende zu dem Festakt nach Bad Homburg.

DER BRAND, DIE FEUERWEHR UND DIE KLAGE

Über den Brand in der Villa Imperiale verbreiteten die Zeitungen Taunusbote und Frankfurter Generalanzeiger bereits am Tag danach unterschiedliche Versionen: Während die einen eine „Verkettung unglücklicher Umstände" für die Zerstörung der gesamten Villa bemühten, sahen die anderen zumindest eine Mitschuld bei der Stadt und deren völlig heruntergekommener Feuerwehr.

Stadtarchivarin Astrid Krüger ist bei ihren Recherchen auf Gerüchte gestoßen, wonach die Feuerwehrleute offenbar mit großer Verspätung am Brandort eintrafen und dann mit „unglaublicher Ungeschicklichkeit" erst die Hydranten nicht fanden, diese im Lichtschein von Streichhölzern dann doch entdeckten, aber die nötigen Schlüssel nicht dabei hatten. Als irgendwann die Schläuche angeschlossen waren, müssen diese dann auch noch geplatzt sein. Krüger nennt als Grund dafür die grundsätzlich nicht gut ausgestatteten Feuerwehren in derzeit nach dem Ersten Weltkrieg. Ob es sich bei dem nachlässigen Einsatz auch um eine Form mehr oder weniger verdeckten Antisemitismus gehandelt haben könnte, bleibt in Krügers neu erschienener Broschüre offen.

Agnon verklagte die Stadt Bad Homburg wegen des Versagens der Feuerwehr auf Schadenersatz, denn seine kostbare Bibliothek hebräischer Literatur und einige seiner noch unveröffentlichten Manuskripte waren Opfer der Flammen geworden. Die Richter des Landgerichts Frankfurt wiesen seine Klage im Jahr 1926 ab, auch eine Revision beim Oberlandesgericht Frankfurt blieb erfolglos. Die Argumente der Justiz fußten vor allem auf der Tatsache, daß Agnon selbst nicht Augenzeuge war, sondern sich auf Aussagen anderer berufen mußte. Ob die Stadt der Familie also eigentlich noch etwas mehr schuldet als die Benennung eines Wegs, bliebe neu zu ermitteln. Agnon hat seine Erlebnisse und die Klage in der Erzählung „Ein Laib Brot" literarisch verarbeitet. In dieser Version der Geschichte legt ein Nachbar den Brand selbst, um die Versicherungssumme zu kassieren, und animiert den unversicherten Geschädigten zu einer Klage. Die betrunkenen Feuerwehrleute löschen mit Branntwein und Bier.

Frankfurter Rundschau - 11.11.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Agnons Nachkommen zu Besuch

Eine Straße in Bad Homburg wird nach dem Literatur-Nobelpreisträger benannt

Von Martina Propson-Hauck

Amotz Agnon stand gestern lächelnd und vermutlich fürchterlich schwitzend in seiner dicken Daunenjacke unter dem soeben enthüllten Straßenschild. November in Deutschland hatten er und sein Sohn Uri sich eigentlich kälter vorgestellt. Die zahlreich erschienenen Bad Homburger auch. Doch gestern herrschte nahezu Jerusalemer November-Hitze im Kurpark.

Der Professor der Geologie, Spezialist für Erdbeben und den Anstieg der Meeresspiegel, nahm die Wetterkapriolen gelassen. „Bewegt" sei er, hatte er zuvor bei einem Festakt in der Englischen Kirche auf Englisch gesagt, sein Großvater wäre wohl „sehr bewegt" gewesen. Der Literaturnobelpreisträger Samuel Agnon hatte Bad Homburg 1924 zutiefst traumatisiert verlassen, weil seine Wohnung in der „Villa Imperiale" mitsamt der 4000 Bände umfassenden Bibliothek und vielen fast fertigen Manuskripten komplett ausgebrannt war. Schadenersatz wegen des offenbar dilettantischen Feuerwehreinsatzes bekam er auch nach zwei Jahre währendem Prozeß nicht. „Mein Großvater glaubte an Frieden und Versöhnung", sagte sein Enkel während des Festaktes aus Anlaß der Straßenbenennung. Er deutet es gar als einen Wink des Schicksals, daß sein eigener Sohn Uri ausgerechnet am 4. Juni 1988 geboren sei, einen Tag vor dem schicksalhaften Branddatum.

Langer Anlauf

Die Benennung des kurzen Asphaltstücks nach dem Literaten, der sich um die hebräische Literatur verdient gemacht hat und von 1921 bis 1924 in Bad Homburg gemeinsam mit anderen Ostjuden einen regen Intellektuellenzirkel unterhielt, ist eine symbolische Geste der Wiedergutmachung. Allein diese durchzusetzen dauerte in der Kurstadt sehr lange. Auch daran erinnerte gestern Kulturdezernentin Beate Fleige (BLB). Ende der 80er Jahre hatte sie durch einen Artikel des ehemaligen FR-Redakteurs Günther Scherf über den Heimatforscher Adrian Clemens erstmals überhaupt etwas über Agnon und seine Zeit in Bad Homburg erfahren.

Seither ficht die Politikerin „Wider das Vergessen" - so lautete denn auch der Titel der gestrigen Matinee. Ein Denkmal für Agnon entstand in der Folge dieses Bemühens 1993. Die Künstlerin Dina Kunze hat in der stilisierten Thora-Rolle Auszüge aus Agnons Nobelpreisrede auf deutsch und hebräisch festgehalten. Den Namen „Agnon" wählte der als Samuel Czaczkes geborene Schriftsteller übrigens als Pseudonym. Es leitet sich vom hebräischen „agonot" ab: „der Verlassene".

Mit Hilfe von GPS könne man nun wenigstens weltweit erfahren, daß in Bad Homburg eine Straße nach dem berühmten Mann benannt sei, so Oberbürgermeister Michael Korwisi. Die Verbindung zwischen Kaiser-Friedrich-Promenade und Lindenweg ist kurz und führt direkt zum Agnon-Denkmal. Sie beginnt just neben dem Haus, das auf den Ruinen des ehemaligen Wohnhauses der Familie Agnon erbaut wurde.

Die erste Erinnerung seines Vaters Hemdat sei das dort in der Nacht vom 5. Juni 1924 ausgebrochene Feuer, das die gesamte Habe der Familie zerstörte, erzählte Amotz Agnon. Der Vater, der wegen einer Erkrankung seiner Ehefrau nicht selbst nach Bad Homburg reisen konnte, war damals zwei Jahre alt. Die Worte „Feuer, Feuer", gehörten zu den wenigen, die Sohn Amotz auf Deutsch sagte. Er wendete das Unglück für die Familie ins Positive: Schließlich, so sagte er hintergründig, sei die Literatur seines Großvaters nach dem Brand ja besser geworden.

Frankfurter Rundschau - 15.11.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Wer will denn ernsthaft den antisemitischen Hintergrund der “Unfähigkeit” der Feuerwehr bezweifeln? In der Zeit?!