Das Volk aß Rüben, der Kaiser Lachs
Stadtarchiv zeigt zu Wilhelms 150. Geburtstag Dokumente aus seinem Alltag in Bad Homburg

Von Klaus Nissen

Kommenden Dienstag wäre Wilhelm II. 150 Jahre alt geworden. In seinem Homburger Lieblingsschloß spendierte der Kaiser am 27. Januar dem Personal stets eine Tasse Schokolade und einen Kaiserweck.

Die Nachgeborenen würdigen den runden Geburtstag mit einer Archiv-Schau: Am Dienstag und Samstag liegen viele alte Dokumente und Kaiser-Fotos auf dem großen Tisch im Lesesaal des Stadtarchivs im ersten Stock des Gotischen Hauses an der Tannenwaldallee. Man kann eigenhändig darin stöbern.

Die FR tat das mit Erlaubnis des Archiv-Teams Beate Datzko, Astrid Krüger, Jutta Seidenfaden und Andreas Mengel schon gestern. Der Wühltisch und die Vitrinen bieten jede Menge Stoff zum Festlesen.

„Wilhelm muß es hier gut gefallen haben", sagt Beate Datzko. Als Elfjähriger wohnte er 1870 mit Mutter und Geschwistern zum ersten Mal im Homburger Schloss. Er besuchte mit seinem Bruder Heinrich das Militärschwimmbad in Dornholzhausen und begeisterte sich für die Reste des Saalburg-Kastells. Als Kaiser wohnte er ab 1897 jeden Sommer in Homburg. Im städtischen Adreßbuch stand die gut 20-köpfige Kaiserfamilie ganz vorn. Wilhelm empfand sich als Homburger. „Ich kann nur in Homburg gut schlafen", behauptete er.

Bei einem Festmahl im Kurhaus sagte er anno 1905, „daß Homburg und Homburgs Bevölkerung sich gewissermaßen zu Unserer Familie rechnen". Fernab seines Berliner Hofs traf Wilhelm bürgerliche Freunde, ritt über die Louisenstraße, kaufte ein, unternahm Spazierfahrten.

Viele Einwohner profitierten: Händler durften sich Hoflieferant nennen, Luxushotels florierten, Kaisermanöver, Fürstentreffen, Autorennen und Luftschiffparaden brachten Glamour und Umsatz. Kein Wunder, daß die Homburger dem Kaiser mit schwülstigen   Grußadressen   huldigten.

Gleichzeitig findet man auf dem Archivtisch Klagen von Zimmervermietern, daß der Offizier von Sowieso beim Kaisermanöver die Miete schuldig geblieben sei.

Im Ersten Weltkrieg regierte Wilhelm meist von Homburg aus, und während im Reich das Volk die letzten Steckrüben aufessen mußte, stand auf der goldverzierten Menükarte vom 3. April 1917 geröstete Kalbsschnitte und Steinlachs mit Stangenspargel. Dazu tranken die Majestäten Veuve-Cliquot-Champagner vom Erbfeind. Das Volk bekam es nicht mit.

Im Februar des dritten Kriegsjahres 1918 hielt Wilhelm vor der abblätternden Schloßfassade die letzte Rede an seine „lieben Homburger". Er sprach vom harten Schicksal, das jeden betroffen habe. „Wir gingen oft falsche Wege", sagte Wilhelm laut Taunusbote. Vor der Flucht ins Exil blieb ihm Zeit, per Güterzug die gesamten Habseligkeiten ins holländische Doorn zu verfrachten. Im Homburger Schloss blieben nur ein paar Möbelstücke zurück. Und die blühende Stadt versank in Armut. Anno 1926, berichtet Archivarin Datzko, schickte der Magistrat eine Abordnung zum Ex-Kaiser nach Doorn: Er möge doch bitte wieder nach Homburg ziehen. Doch Wilhelm fürchtete im republikanischen Deutschland um seine Sicherheit. Er blieb in Doorn bei seiner jungen Frau und sägte aus Spaß Baumstämme durch, bis er 1941 mit 82 Jahren starb.

Die Archivschau im Gotischen Haus an der Tannenwaldallee 102 öffnet am Dienstag, 27. Januar, zwischen 16.30 und 19 Uhr, am Samstag, 31. Januar, von 11 bis 17 Uhr.

Das volk aß Rüben

Kaiser Wilhelm auf der Louisenstraße, festgehalten von Hofphotograph Voigt.  
 Stadtarchiv / M. Schicke

Frankfurter Rundschau - 22.1.09 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

“... der Kaiser aß Lachs”: “Sozialneid” würde man diese Formulierung heute nennen. Ganz schamlos...

Steckrüben: auch aus der Zeit nach 1945 in guter Erinnerung! Doch auch damals gab es schon Leute, die keine Not litten. Nicht jeder hatte den Krieg resp. die Kriege verloren... - das waren immer die Proles.