Turm erinnert an Folteropfer
Auf dem einstigen Kerker der Homburger „Hexen" weht eine vergoldete Schützenfahne
VON GÜNTHERSCHERF

BAD HOMBURG - Es war im Jahr 1652, als eine Seulbergerin namens Else Megen (genannt „Müller Els") unter den Qualen der Folter ihre Freundin Ottilia Preußing bezichtigte, beim Hexentanz „an der obersten Tafel" gesessen zu haben. Im Laufe der Verhöre ließen sich weitere Angeklagte unter dem Zwang der Folter zu Denunziationen hinreißen. Am 6. April 1654 schließlich wurde die ehrbare Pfarrerswitwe Ottilia Preußing gefangen genommen, im Homburger Rathausturm festgesetzt, als Hexe angeklagt und knapp zwei Wochen später auf dem Platzenberg enthauptet.

Rund 200 Jahre lang tobte seit dem Beginn der frühen Neuzeit, dem 16. Jahrhundert, in Europa der Hexenwahn. Mindestens 70.000 Frauen und Männer fielen ihm zum Opfer. In der kleinen Landgrafschaft Hessen-Homburg wurden zwischen 1603 und 1656 mindestens 61 Frauen und 14 Männer wegen angeblicher Hexerei von weltlichen Gerichten mit ideologischer Unterstützung der Kirchen beider Konfessionen getötet.

Vor der Sanierung wurde mit Radar nach Mängeln geforscht

In Homburg wurden die meisten Opfer im Rathausturm gefangen gehalten. Der Turm steht noch heute an der Rathausstraße. Wohl sogar fester denn je, sind doch gerade nach siebenmonatiger Sanierung die Baugerüste gefallen. 1997 waren zunächst Risse im Mauerwerk aufgespürt worden; schließlich entdeckten Ingenieure, dass sich der 25 Meter hohe Rundbau in Richtung der gegenübergelegenen Landgraf-Ludwig-Schule zu neigen begann. Per Radarmessung entdeckten sie Hohlräume zwischen den Außenmauern, vom Regen ausgewaschen und vom Frost gesprengt. Inzwischen ist das Fundament neu betoniert, sind die Hohlräume mit 30.000 Liter Mörtel verfüllt und die faulenden Hölzer des Dachstuhls ausgetauscht. 260.000 Euro kostete die Rettung des denkmalgeschützten Objekts.

Drinnen im Dunkel des Turminnern, wo einst die Verfolgten des Hexenwahns auf ihre Hinrichtung warteten, steht nichts außer einer Leiter. Sie könnte künftig notwendig werdenden Handwerkern vielleicht einmal den Weg nach oben erleichtert.

Im 14. Jahrhundert war der Trutz als „Wartturm" errichtet worden, „Schutz und Wehr der Stadt, ein Sinnbild des Stadtbewusstseins der Bürgerschaft", schreibt Friedrich Lotz im 1972 erschienenen Band 2 der Stadtchronik. Er war auf der östlichen Seite unmittelbar ans Rathaus, einem „wehrhaften Torbau" (Lotz), angebaut. „Das Rathaus stand quer über die heutige Rathausstraße (früher Steingasse). „An seinen beiden Schmalseiten fügte sich die Stadtmauer an", heißt es in einer Broschüre, die Angelika Baeumerth zum angeblichen Stadtjubiläum 1982 verfasste. Damals feierte man das 1200-jährige Bestehen Homburgs; heute weiß man, dass die Datierung vermutlich falsch ist.
Hexenturm HG369

Mit dieser Wetterfahne würdigten die Bürger einst ihre siegreichen Schützengilden.

Hexenturm HG370

Einst ein Wehrturm, dann ein Kerker, heute ein Denkmal der Erinnerung an Hexenwahn und Folter: Der Bad Homburger Rathausturm ist mehr als 600 Jahre alt.

Die Wetterfahne ist ein Geschenk der Bürger an die Schützen

Das Rathaus wurde 1820 samt der Stadtschänke „Zum Roten Ochsen" abgebrochen, „um einem großen Unglück vorzubeugen". Die Sachverständigen meinten damals, der Fachwerkbau sei nicht mehr zu retten und drohe einzustürzen. Der Rathausturm aber blieb stehen. Ein zweiter Turm, der das Rathaus auf der Westseite eingerahmt hatte, wurde mit abgerissen, aber später wieder aufgebaut: der Stumpfe Turm, der heute mit einem Zinnenkranz versehen neben der Landgraf-Ludwig-Schule steht.

An die Entstehung des Rathausturms erinnert heute nur noch die - im Zuge der jüngsten Sanierung - nachgebaute Wetterfahne. Sie zeigt das Homburger Stadtwappen, das übrigens auch auf dem Schlussstein über der Eingangstür des Turms zu sehen ist. Die Wetterfahne, die einen Armbrustschützen und die Jahreszahl 1646 zeigt, sei ein Geschenk der Bürger der Stadt an ihre Schützen, die während des 30-jährigen Kriegs einen Angriff abgewehrt hatten, berichtet Hans-Joachim Höhn, Experte für die Geschichte des Homburger Schützenwesens. Laut Lotz wurden in den Kammern des angrenzenden Rathauses einst die Büchsen und Armbrüste der Schützengilde Sankt Antoni und Sankt Sebastiani aufbewahrt.

Die alte Fahne war laut Stadtrat Michael Korwisi (Die Grünen) so verrostet, das sie nicht mehr restauriert werden konnte; sie wird jetzt im Stadtmuseum aufbewahrt. Auch die Kugel, auf der sie montiert war, gab kein Geheimnis mehr preis: Sie war leer, als die Handwerker sie öffneten. Der Brauch, in solchen Kugeln Akten (oder in späteren Jahren tagesaktuelle Zeitungen) für die Nachwelt zu deponieren, scheint seinerzeit in Bad Homburg nicht üblich gewesen zu sein.

An das Schicksal der Frauen und Männer, die im Turm einst gefangen gehalten wurden, erinnert seit 2003 eine schlichte Gedenktafel: „Teil der Stadtbefestigung des 14. Jahrhunderts. Zwischen 1603 und 1656 wurden hier die Opfer des Hexenwahns im Amt Homburg bis zur Hinrichtung festgehalten."

Ein dritter Turm, der rund 100 Meter entfernte „Hexenturm" an der Ritter-von-Marx- Brücke, hat trotz seines Namens mit der so genannten Hexenverfolgung nichts zu tun. Laut Stadtchronist Friedrich Lotz hieß er ursprünglich „Hessenturm". So wie er heute steht, wurde er vor 100 Jahren beim Bau der Ritter-von-Marx-Brücke auf den Fundamenten eines alten Stadtturms nachgebaut.

Aus: Frankfurter Rundschau - 1.11.05 – mit freundlicher Erlaubnis der FR

Hexenverbrennungen in Flörsheim, in Homburg: Aber hat schon einmal jemand oder eine Stelle dafür die Verantwortung übernommen? Ein demütiges mea culpa gesprochen?
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