Frühe Migranten
Bad Homburg: Walter Mittmann erforscht Waldensernamen

Von Martina Propson-Hauck

Walter Mittmann ist ein Mann mit Migrationshintergrund. So würde man das heute wohl ausdrücken. Vermutlich wüßte er darüber auch gar nichts Genaues, wenn ihn nicht sein Beruf als Bauingenieur bei der Deutschen Bahn vor vielen Jahren zu einem Seminar nach Bad Homburg verschlagen hätte. Als er damals für ein paar Tage hier war, nahm er Kontakt mit der Waldenser-Gemeinde in Dornholzhausen auf, denn er hatte aus Familienerzählungen andeutungsweise gehört, daß seine Vorfahren wohl von Waldensern abstammten.

Aus dem eher zufälligen Stöbern in den Kirchenbüchern der Dornholzhäuser Kirche ist für ihn mittlerweile eine umfassende Passion geworden. Vor 20 Jahren zog er sogar mit seiner ganzen Familie nach Bad Homburg, allerdings nach Kirdorf, nicht nach Dornholzhausen. Seit zehn Jahren hat er akribisch an einer Ahnentafel der Waldenser in Dornholzhausen gearbeitet. Zigtausend Arbeitsstunden hat er in dieses (Lebens-)Werk investiert. Nun ist er fertig mit einem 400 Seiten starken Wälzer, in dem sich die Generationenfolgen von den ersten Waldenserfamilien, die 1699 nach Dornholzhausen kamen, bis heute nachvollziehen lassen.

Er hat Daten von rund 5000 Menschen mit etwa 1000 Namen gesammelt und erforscht. Dabei hat er festgestellt, daß innerhalb nur einer einzigen Generation alle Waldensernamen aus Bad Homburg verschwanden und deutschen Namen wichen. Die französische Sprache blieb in dem Dorf, das heute nordwestlicher Stadtteil Bad Homburgs ist, fast 300 Jahre erhalten.

Mittmann selbst stammt von einer Familie Gallet ab. Dieser Name ist seinen Nachforschungen zufolge 1865 in Bad Homburg ausgestorben. Die letzte weibliche Vorfahr in seiner Familie heiratete einen Hugenotten aus Usingen und der Name verschwand. Ebenso wie die Namen Heritier, La Garde oder Bertalot, ebenfalls bekannte waldensische Namen.

Am Samstag geht Mittmann auf große Fahrt. Im Piemont wollen er und einige andere Mitglieder der Waldenser Gemeinde in Dornholzhausen das Dorf Mean (italienisch Meano) besuchen, aus dem die wenigen Waldenser Familien stammen, die einst beim Landgrafen in Homburg um Asyl baten, weil sie wegen ihrer Religion verfolgt wurden. Ursprünglich hatten 68 Waldenser in Homburg Unterkunft gefunden.

Für sein voluminöses Ahnenbuch knüpfte Mittmann zahlreiche Kontakte auch zu anderen Waldensergemeinden im Rhein-Main-Gebiet, etwa in Neu-Isenburg oder Walldorf. Denn von 1699 bis 1715 gab es keine Kirchenbücher in Homburg. Aber auch bis in die Vereinigten Staaten und nach Südamerika reichten seine Kontakte übers Internet, denn auch dort leben Nachkommen der Waldenser.

Für viele Bad Homburger, die unter Umständen gar nicht wissen, daß ihre Vorfahren Waldenser waren, ist der Blick in die Dornholzhäuser Familientafel interessant. „Man kann dort nachsehen, wer mit wem verwandt ist", bringt Mittmann seine umfassende Arbeit auf den Punkt.

Der 71-Jährige hat selbst drei Kinder. Weil er von den zehn Jahren Forschung aber noch lange nicht genug hat, arbeitet er bereits an einem neuen Projekt: Nun will er die Ahnentafel seiner Frau erstellen, die ebenfalls einen Migrationshintergrund hat. Sie stammt von protestantischen Salzburgern ab, die 1736 nach Ostpreußen zwangsumsiedelten.

Der Geschichtskreis Dornholzhausen hat das Buch im Eigenverlag publiziert; es ist dort zum Selbstkostenpreis von 40 Euro erhältlich. Kontakt: Christian Weismann, Telefon 06172/3900998.

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Betont schlicht ist die Waldenser-Kirche in Dornholzhausen. Bild: Müller
 

WALDENSER IN DORN HOLZHAUSEN

Die Waldenser sind eine protestantische Kirche, die um 1170 in Südfrankreich gegründet wurde. Sie wurden schon während des Mittelalters durch die Inquisition der katholischen Kirche als Häretiker verfolgt.

Ende des 17. Jahrhunderts wurden sie nach der Aufhebung des Edikts von Nantes und der Glaubensfreiheit in Frankreich verfolgt, 1698 ließ Ludwig XIV. alle Reformierten ausweisen.

Weltweit zählen die Waldenser heute knapp 100.000 Mitglieder, die Hälfte davon lebt in Italien.

Große Schlichtheit zeichnet alle waldensischen Kirchen aus. Auch das Gotteshaus in Dornholzhausen hat weder Altar noch Kruzifix.

Über den Niedergang der französischen Sprache berichtet auch die jüngste Publikation des Geschichtskreises. Prop

Frankfurter Rundschau - 10.9.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR