Friede, Freiheit, Brot
1918 kamen Kieler Matrosen nach Frankfurt

Von Jürgen Schultheis

Die Revolution kommt am Donnerstagabend planmäßig um 19.30 Uhr mit dem Zug aus dem Norden am Frankfurter Hauptbahnhof an. Es sind Blaujacken, Matrosen aus Kiel, die vor wenigen Tagen revoltiert haben. Die Männer wollen Frieden nach 52 Kriegsmonaten, sie wollen den Kaiser zum Teufel jagen.

Unter den 150 Matrosen, die an diesem 7. November 1918 in Frankfurt ankommen, sind Männer wie Adolf Löffler und Wilhelm Grönke, beide in Frankfurt geboren und beide von Beruf Kaufmann. Aber auch Männer wie Heinrich Moser, Sohn eines Fabrikbesitzers, dessen beherztes Eingreifen und ausgeprägte Führungskompetenz kein Machtvakuum im Übergang von Kaiserzeit zur Republik entstehen lassen.

Das XVIII. Armeekorps, das im Hause der Baronin Reinach an der Taunusanlage untergekommen war, hatte vergeblich versucht, die Matrosen verhaften zu lassen. Die knapp 40 Soldaten des Ersatzbatallions des 81. Infanterieregiments, das in der Gutleutkaserne stationiert war und den Befehl erhalten hatte, scheiterte überwiegend. Der Bahnsteig war voller Menschen gewesen, den nur mäßig motivierten Soldaten gelingt es kaum, der revoltierenden Kameraden habhaft zu werden. Gleich am anderen Morgen treffen weitere 80 Matrosen am Bahnhof Ginnheim ein. Auch diese Gruppe hatte der Befehlshaber des XVIII. Armeekorps, General Riedel, verhaften lassen wollen. Aber auch dieser Versuch scheitert.

Längst scharen sich die Frankfurter um die blauen Jungs, in der Kaiserstraße und in der Altstadt flattern blaue Bänder als Zeichen der Solidarität. Auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofes, am Bismarckdenkmal und vor der Gutleutkaserne werden Reden mit den Losungsworten „Friede, Freiheit, Brot" gehalten. „Hoch die Republik, nieder mit den Hohenzollern", rufen die Menschen in der Stadt.

An diesem 8. November macht der Vizewachtmeister Heinrich Moser Station in Frankfurt, schließt sich den Matrosen an und gewinnt im Nu die Führung über die Revoltierenden. Im noblem Frankfurter Hof bildet Moser in der Nacht zum 9. November den Vollzugsausschuss des Soldatenrates, der faktisch die Exekutivgewalt in der Stadt innehat. Umgehend läßt er Hauptbahnhof, Hauptpost, Polizeipräsidium und Eisenbahndirektion besetzen und die rote Fahne auf den Gebäuden hissen. Am 9. November unterstellt sich das stellvertretende Generalkommando dem Vollzugsausschuss, Oberbürgermeister Georg Voigt (DDP) läßt sich von der provisorischen Exekutive im Amt bestätigen. Moser läßt aber auch den preußischen Polizeipräsidenten Rieß von Scheurnschloß absetzen und ernennt den SPD- Abgeordneten und Rechtsanwalt Hugo Sinzheimer zum neuen Präsidenten. Der Frankfurter SPD-Reichstagsabgeordnete Hermann Wendel übernimmt das Kommando über das Wolff'sche Telegraphenbüro, Wilhelm Grönke den Befehl über die Garnisonstruppen.

Unter denen, die dazu beitragen, daß Soldaten- und Arbeiterräte gewählt werden, ist auch eine Frau: Die Frankfurter Kauffrau Toni Sender, die der USPD angehört.

Frankfurter Rundschau - 8.11.08 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Und dazu der KOMMENTAR:

Unbekannte Helden

Von Jürgen Schultheis

Kennt man in der Stadt Wilhelm Grönke und Adolf Löffler? Frankfurter Kaufleute, von Herkunft bürgerlich, in der Praxis revolutionär, die damals, im November 1918, nichts weniger als Landesverrat [??? - Webmaster] begangen haben, um Humanität zu retten und Demokratie zu bringen? Männer, die der Erste Weltkrieg zu Ungeheuerlichem getrieben hat: Matrosen, die am Ende unter Einsatz ihres Lebens bereit waren, den Wilhelminismus zum Wohle Deutschlands zu stürzen und die fähig waren, den Umsturz in Frankfurt entschlossen, mit Übersicht und vor allem weitgehend friedlich zu organisieren? Nein, wir kennen sie nicht. Und das ist eine Schande.

Parlamentarismus, Ministerverantwortlichkeit, Frauenwahlrecht, Sozialpartnerschaft, Volksentscheid - all das sind Folgen der Taten jener Männer, an die heute fast niemand mehr erinnert, weil dieser 9. November aus bundesrepublikanischer Perspektive vor allem das Datum der Reichspogromnacht ist. Aber darf der Schatten des NS-Zeit so weit fallen und die Erinnerung an unsere demokratischen und sozialen Wurzeln verdunkeln? Das wäre ein später Sieg der Nazis. Deshalb muß der 9. November auch ein Tag sein, an dem an die Grönkes und Löfflers erinnert werden muß.

Frankfurter Rundschau - 8.11.08 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Sehr verdienstvoll, lieber Jürgen Schultheis, dieses Thema mit dieser Intention aufzugreifen. Im Kommentar jedoch ohne jegliches Wenn und Aber den Begriff Landesverrat für das mutige Handeln dieser Revolutionäre ins Spiel zu bringen, ruft bei mir nur blankes Entsetzen hervor.
Ihne Ihr Webmaster in Eschborn

In einer Zuschrift hat Jürgen Schultheiß klargestellt, daß er mit dem Begriff “Landesverrat” für Grönkes Tat die damalige Definition der Herrschenden zitiert hat - selbstverständlich ohne damit seine eigene Haltung auch nur ansatzweise zu vermengen.
Danke, Jürgen Schultheis, für diese wünschenswerte Klarstellung.
Webmaster, 2.1.09