Doppeljubiläum in Biebrich: Der Verschönerungs- und Verkehrsverein wird 140 Jahre alt und das Heimatmuseum blickt auf hundertjährige Geschichte zurück
Das Vergangene bewahren
Einflußreiche Männer gründeten an der Wende vom Residenzstädtchen zur Industriestadt eine Art Bürgerinitiative

Von Michael Grabenströer

Verschönerungs- und Verkehrsverein Biebrich am Rhein seit 1870 - bei diesem Namen schwingt ein Hauch von Angestaubtheit mit. Das klingt nach Vergangenheit, auf die sich eine dicke Schicht Patina gelegt hat. Doch da meldet der Vereinsvorsitzende Klaus E. Zengerle Widerspruch an. Von Verstaubtheit könne nicht die Rede sein, denn der Verein habe sich seit 140 Jahren dem Ansehen von Biebrich, einst eigenständige Stadt, verschrieben. „Man könnte uns auch eine Bürgerinitiative nennen, aber den Begriff gab es vor 140 Jahren noch nicht", sagt Zengerle. Die Idee schon.

Es war am 7. Februar 1870 - also vor fast genau 140 Jahren, als sich „einflußreiche und engagierte Männer", wie es in der Festschrift heißt, in der Stadt Biebrich zusammenfanden, um einen Verschönerungsverein ins Leben zu rufen. „128 der angesehensten Bewohner unserer Stadt haben sich sofort als Pathen dieses Kindes der Zeit und des Gemeinwohls einzeichnen lassen", hieß es in einem zeitgenössischen Bericht, der am 16. Februar 1870 in der „Biebricher Tagespost" erschien. Von Frauen war damals bei Vereinsgründungen noch keine Rede. Sie hatten ja noch nicht einmal das Wahlrecht.

Die Gründungsliste liest sich wie ein „Who's who" der noblen und großbürgerlichen Stadtbevölkerung am Standort der Nassauischen Residenz. Mit dabei der Hofkammermeister, der Hofglasermeister, der Hoflieferant, der Hofgärtner, der Sanitätsrat und die Fabrikanten Dyckerhoff und Albert, die die Stadtgesellschaft prägten. „Es waren einflußreiche und engagierte Männer, die es gewohnt waren, Probleme zu erkennen, anzupacken und umzusetzen", schreibt Zengerle in seinem Grußwort zum Jubiläum.

Die Vereinsziele sind und waren es, die Attraktivität der Stadt Biebrich, die seit Oktober 1926 ein Stadtteil von Wiesbaden ist, zu fördern und weiterzuentwickeln, die Kultur zu pflegen und den Wohn- und Freizeitwert zu erhalten. „Daran hat sich in 140 Jahren Verschönerungs- und Verkehrsverein nicht viel geändert", ist Zengerles Überzeugung.
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Ziel war es, die Kultur zu pflegen und den Wohn- und Freizeitwert zu erhalten.

Voll des Lobes für die Vereinsaktivitäten ist auch Wiesbadens Rathauschef, Oberbürgermeister Helmut Müller (CDU). Das umgestaltete Biebricher Rheinufer, das er „Rheintor zur hessischen Landeshauptstadt" nennt, sei ein Beispiel für die Aktivitäten des Vereins vor dem „beeindruckenden Panorama des Biebricher Schlosses". Dem Verein sei es in den 140 Jahren seines Bestehens immer gelungen, „Menschen für seine Arbeit zu begeistern".

Für Dezernentin Rita Thies (Grüne) hat der Verschönerungsverein „in weiten Teilen das Gesicht seiner Stadt geprägt". Sie würdigt, daß dieser die Identität „seiner Stadt" bewahrt habe. Die Gründung vor 140 Jahren kam für Thies gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, daß Biebrich bei den rasanten Veränderungen der Industrialisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert sein Gesicht verlor. Denn damals wandelte sich das „beschauliche Residenzstädtchen durch die Ansiedlung zahlreicher Fabriken und Firmen in eine Arbeiterstadt", ruft Thies in Erinnerung.
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Gefeiert wurde das Jubiläum am Sonntag, 7. Februar, ab 11 Uhr in der Rotunde des Schlosses mit dem Streicher-Quartett der Musikakademie und einem Festvortrag des Historikers Rolf Faber. Ein Festakt, bei dem auch das hundertjährige Jubiläum des Museums Biebrich für Heimat- und Industriegeschichte gewürdigt werden soll. Denn es gibt zwei Jubiläen zu feiern in dem Stadtteil, der sich sein Eigenleben und sein Selbstbewußtsein dank eines über 140 Jahre gewachsenen Bürgerbewußtseins bewahrt hat.

GESCHICHTE Biebrich

Im Jahre 874 wurde Biebrich als Biburc oder Biburg das erste Mal urkundlich erwähnt.

Im Jahr 991 tauchten die Orte Biebrich und das Nachbardorf Mosbach in einer Schenkungsurkunde von Kaiser Otto III. auf.

Die verkehrsgünstige Lage am Rhein bestimmte auch in den folgenden Jahren die weitere Entwicklung Biebrichs und des Nachbardorfes Mosbach (Moskebach), die später zusammenwuchsen.

In Biebrich lebten Fischer, Flößer und Seiler, in Mosbach Bauern und Handwerker.

Einen Aufschwung nahm Biebrich, als die Fürsten von Nassau an der Rheinfront im 18. Jahrhundert über bald vier Jahrzehnte ein dreiflügeliges Barockschloss errichten ließen. Biebrich wurde die Hauptresidenz der nassauischen Fürsten und Herzöge.

Die Rolle der Residenzstadt verlor Biebrich allerdings, als die Nassauer Mitte des 19. Jahrhunderts ihr Stadtschloss im Zentrum von Wiesbaden fertigstellten und ihre Residenz dann dorthin verlagerten.

Unter dem Namen Stadt Biebrich am Rhein tritt die Gemeinde Biebrich-Mosbach seit 1893 in Erscheinung.

Einen Boom erlebte Biebrich mit seinen guten Verkehrsanbindungen durch die Industrialisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert, die mit Namen wie Albert, Kalle, Dyckerhoff und Henkell die Entwicklung und das Wachstum des Kleinstädtchens prägten.

1926 war es dann allerdings mit der Selbstständigkeit von Biebrich vorbei. Die Kleinstadt Biebrich wurde ein Stadtteil von Wiesbaden. Dies war auch eine Folge der Wirtschaftskrise und der finanziellen Probleme in den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts, die den Industriestandort Biebrich arg gebeutelt hatten.

Mit bald 37.000 Einwohnern ist Biebrich heute der größte Stadtteil von Wiesbaden.

Seit 140 Jahren kümmert sich der Verschönerungs- und Verkehrsverein um die Bewahrung und Verschönerung des Stadtbildes und die Förderung der Attraktivität des Stadtteils.

Seit 100 Jahren gibt es das Heimatmuseum, das vom Verschönerungs- und Verkehrsverein getragen wird und die Erinnerung an die herausgehobene Rolle Biebrichs in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden wachhält.

Bekanntestes Aushängeschild Biebrichs ist das Pfingstreitturnier im Schlosspark, das die schöne Schlossseite des Stadtteils alljährlich bundes- und weltweit verbreitet.

Im Schloss residieren heute jedoch keine Herzöge und Fürsten mehr. Das beeindruckende Gebäude ist mittlerweile standesgemäßer Sitz der hessischen Landesdenkmalpflege. Die Denkmallandschaft Hessens wird von Biebrich aus geprägt. gra

Frankfurter Rundschau - 4.2.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Hier geht’s zum Schloß Biebrich.