Viele sind vergessen
Erinnerung an die Autoren, deren Bücher im Mai 1933 verbrannt wurden

Von Claus-Jürgen Göpfert

Die Bücher brannten nicht gut. Denn der 10. Mai 1933 in Frankfurt war ein „trüber, feuchter Tag". Lutz Becht, Historiker des Instituts für Stadtgeschichte, hat es penibel recherchiert. Und er erzählt die Geschichte vor etwa 100 gebannt lauschenden Bürgern im Kirchenraum der evangelisch-reformierten Gemeinde im Westend.

Nein, die Bücher brannten nicht gut, damals vor 75 Jahren. Und deshalb mußten die Mitglieder der nationalsozialistischen Studentenschaft auf dem Römerberg immer wieder Petroleum in die Stapel der Werke von Erich Maria Remarque, Fritz von Unruh, Ernst Glaeser, Erich Noth, Walter Mehring und vieler anderer schütten. Auf einem Rollwagen, gezogen von zwei Ochsen, hatten die NS-Studenten unter Führung von Georg Wilhelm Müller die Bücher aus der Universitätsbibliothek herangeschafft.

Auf dem Römerberg wird der bizarre Zug, der vorher durchs Westend führte, von etwa 15.000 Schaulustigen erwartet. Eine Kapelle spielt auf. Das Petroleum stinkt und rußt.

Ausgerechnet der evangelische Studentenpfarrer Otto Fricke hält an diesem Mittwochnachmittag die sogenannte „Feuerrede", bevor die Bücher den Flammen übergeben werden. Fricke ist kein Mitglied der NSDAP. Seine Ansprache gegen die verfemten Autoren ist denn auch kein nationalsozialistisches Bekenntnis, eher „voller nationalem Pathos" (Becht).

Zur Ehrenrettung des Geistlichen führen die Historiker heute an, daß er sich später der Bekennenden Kirche, dem kirchlichen Widerstand gegen Hitler, angeschlossen habe. Die Aktion in Frankfurt am 10. Mai ist nur eine von vielen in deutschen Universitätsstädten - in Berlin schreit Reichspropagandaminister Goebbels die Feuerrede in ein Mikrophon.

Plünderung in Bibliotheken

Verbrannt werden die Werke von 131 Autoren, die sich auf einer „Liste der schönen Literatur" finden. Es ist der Auftakt für eine beispiellose Plünderungsaktion. In den nächsten Wochen des Frühsommers 1933 werden „weit mehr als 10.000 Bücher aus Frankfurter öffentlichen Büchereien verschleppt" (Becht).

An diesem Abend bringt die evangelisch-reformierte Gemeinde die Stimmen derer zu Gehör, die damals für immer zum Schweigen gebracht werden sollten. Miriam Zeis und Stephan Jagau lesen aus Texten von Oskar Maria Graf, Ernst Ottwalt, Bertolt Brecht, Hans Sahl, Max Hermann Neiße, Ernst Toller. Einige von ihnen sind am Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1945 tatsächlich vergessen, gelangen nie mehr ins Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit.

Der Frankfurter Schriftsteller Erich Noth etwa, der erst in den 50er Jahren an die Johann Wolfgang Goethe-Universität zurückkehren konnte, von der er 1933 als Student vertrieben worden war. Seine Witwe Claudia Noth bringt heute seine Bücher aus den frühen 30er Jahren im kleinen Frankfurter Glotzi-Verlag heraus. In ganz kleinen Auflagen.


VERANSTALTUNGEN ZUR BÜCHERVERBRENNUNG

Die städtische Zentralbibliothek, Hasengasse 4, zeigt bis zum 31. Mai die Installation „Indiskret". Mit auf Seidenbahnen gedruckten Porträts und handschriftlichen Textfragmenten macht die Ausstellung auf das Schicksal verfemter Künstlerinnen aufmerksam.

„Dort, wo man Bücher verbrennt" heißt die Veranstaltung am 8. Mai ab 19.30 Uhr im Evangelischen Gemeindehaus Rödelheim, Alexanderstraße 37. Schüler der Liebigschule stellen Texte verbrannter Werke vor, der Schauspieler Peter Heusch liest. Die Einführung macht Walter Pehle vom Fischer Verlag.

In der Bibliothek Rödelheim, Radilostraße 17-19, stellt Dirk Krüger am 20. Mai, 19.30 Uhr, verfolgte Kinderbuchautoren wie Else Ury vor.

Frankfurter Rundschau – 8.5.08 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

"Das war nur ein Vorspiel. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen." Heinrich Heine
Gedenken:
75 Jahre Bücherverbrennung 10. Mai 1933

"Und im Jahre 1933 wurden meine Bücher in Berlin, auf dem großen Platz neben der Staatsoper, von einem gewissen Herrn Goebbels mit düster feierlichem Pomp verbrannt. Vierundzwanzig deutsche Schriftsteller, die symbolisch für immer ausgetilgt werden sollten, rief er triumphierend bei Namen. Ich war der einzige der Vierundzwanzig, der persönlich erschienen war, um dieser theatralischen Frechheit beizuwohnen. Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. ... Plötzlich rief eine schrille Frauenstimme: "Dort steht ja Kästner!" Eine junge Kabarettistin, die sich mit einem Kollegen durch die Menge zwängte, hatte mich stehen sehen und ihrer Verblüffung übertrieben laut Ausdruck verliehen." (In: Erich Kästner: Bei Durchsicht meiner Bücher)

Der 10. Mai 1933 hat sich in der deutschen Geschichte als der Tag etabliert, an dem landesweit die Deutsche Studentenschaft unter dem Motto: "Deutsche Schriftsteller marschieren wider den undeutschen Geist" die Schriften zahlreicher Schriftsteller vernichteten. Auf dem Opernplatz in Berlin, dem heutigen Bebelplatz, lag die Asche der Bücher vieler Schriftsteller und Wissenschaftler. Mit "Feuersprüchen" begleitet von Marschliedern der SA- und SS-Kapellen warfen Vertreter der Studentenschaft die "Bücher des undeutschen Geistes" in die Flammen.

Aus:
Einladung zur Kulturveranstaltung "Geist, Witz und Poesie, aus Deutschland vertrieben - Lebendig geblieben" - Freitag, 16.5.08, 19.30 Uhr, Wiener Hof, Offenbach-Bieber

Die Bücherverbrennung

Als das Regime befahl, Bücher mit schädlichem Wissen öffentlich zu verbrennen, und allenthalben Ochsen gezwungen wurden, Karren mit Büchern zu den Scheiterhaufen zu ziehen, entdeckte ein verjagter Dichter, einer der besten, die Liste der Verbrannten studierend, entsetzt, daß seine Bücher vergessen waren. Er eilte zum Schreibtisch zornbeflügelt, und schrieb einen Brief an die Machthaber. Verbrennt mich! schrieb er mit fliegender Feder, verbrennt mich! Tut mir das nicht an! Laßt mich nicht übrig! Habe ich nicht immer die Wahrheit berichtet in meinen Büchern? Und jetzt werd ich von euch wie ein Lügner behandelt! Ich befehle euch, verbrennt mich!

(Bertolt Brecht)
Quelle: s.o.



Nicht vergessen:
250 Jahre zuvor verbrannte man in deutschen Landen noch “Hexen”! Wie die Zeiten sich ändern...

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Bücherverbrennungen schon 1922 - doch nicht durch die Deutsche Studentenschaft, sondern durch evangelische Jungmännerverbände. Die Literaturwisssenschaftlerin Dr. Leonore Krenzlin berichtet.

Der antidemokratische Ungeist war in der Weimarer Republik früh aktiv!

Wo das Feuer ist - Die Bücherverbrennungen zu Zeiten des NS als Muster öffentlicher Akzeptanz für Unakzeptables.
FR vom 10.5.08