Frankfurter Waldstadion
75 Jahre Sportgeschichte 1925-2000

Dr. Thomas Bauer

 „Die werdende schönste deutsche Sportanlage" 1920-1925

Beim Anblick des Frankfurter Stadions wusste Theodor Lewald im Mai 1925 sofort; „Dies Stadion erstrebt Besonderes". Der einem antiken Theater nachgebildete Mittelbau der neuen Stadion-Tribüne hatte den Präsidenten des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen tief beeindruckt. Theodor Lewald und der geistige Vater der Theaterfassade, Karl Kotzenberg, sahen in der Rückbesinnung auf die Antike eine Aufwertung des Sports zur Körperkultur. Vor dem Hintergrund politischer und wirtschaftlicher Krisen erlebte der Sport in den ersten Jahren der Weimarer Republik einen enormen Zuspruch. Im 1920 gegründeten Frankfurter „Stadtamt für Leibesübungen" genoss der Sportstättenbau Priorität. Magistrat und Stadtverordnetenversammlung beschlossen 1921, auf dem Gelände der infolge des Versailler Vertrags geschleiften Militärschießstände im Stadtwald die Errichtung einer großen „Kampfbahn". Das von Gartenbaudirektor Max Bromme entworfene Erdstadion umfasste zunächst nur ein Fußball-Spielfeld, eine 500-Meter-Laufbahn und eine vorgelagerte Festwiese und bildete die Keimzelle des späteren „Zentralsportparks". Die Stadt Frankfurt bewies großen Mut und Weitblick, als sie an dem aufgrund der galoppierenden Inflation 1922/23 mehrfach unterbrochenen Stadion-Projekt festhielt und sich 1924, da eine Konsolidierung des Geldmarktes einsetzte, auch noch an den Bau des Tribünengebäudes, des Schwimmbeckens und der Radrennbahn heranwagte. Zur Verwaltung der Sportanlagen und zur „Förderung der Gesundheit aller Kreise der Bevölkerung, insbesondere der körperlichen Ertüchtigung der Jugend" wurde am 21. April 1925 die Stadion GmbH gegründet. Der idyllische Standort im Stadtwald und die faszinierende Architektur der 37.000 Zuschauer fassenden Hauptkampfbahn fand bei der Einweihung am 21, Mai 1925 viele Bewunderer, Die „Deutsche Allgemeine Zeitung" feierte das Frankfurter Stadion im Mai 1925 als „werdende schönste deutsche Sportanlage,"

Vom Stadion zum „Sportfeld" 1925-1945

Im neu eröffneten Stadion jagte 1925 ein Großereignis das andere. Mit über 40.000 Fußballfans beim Endspiel um die Deutsche Meisterschaft war das Stadion am 7. Juni 1925 erstmals ausverkauft. Zur I. Internationalen Arbeiter-Olympiade kamen vom 24. bis zum 28. Juli 1925 weit über 100.000 Gäste. Anders als die nach Meinung der Kritiker von Rivalität und Nationalismus überschatteten Olympischen Spiele von Paris 1924 sollte die Frankfurter Gegen-Olympiade ganz im Zeichen der Völkerverständigung stehen. Das Stadion bewährte sich als Austragungsort für sportliche Großveranstaltungen. Erst drei Jahre nach der Stadion-Weihe war der Sportpark im Stadtwald komplett. Vor der Arbeiter-Olympiade konnte am 5. Juli 1925 das Schwimm- und Sprungbecken fertig gestellt werden. Später kamen die Radrennbahn (September 1925), das Stadionbad (Juni 1926), die sogenannte Wintersporthalle (Januar 1927), die Tennisanlage und das Waldtheater hinzu (beide 1928). Die heile Stadion-Welt zerbrach 1933. Der Aufsichtsrat der Stadion GmbH wurde mit dem NS-Staat „gleichgeschaltet". Der sozialdemokratische Aufsichtsratsvorsitzende, Stadtrat Karl Schlosser, wurde von den Nazis aus dem Gremium verbannt. Weil „Stadion" kein urdeutsches Wort war, verfügte NSDAP-Oberbürgermeister Friedrich Krebs 1935 die Umbenennung in „Sportfeld Frankfurt". Der bis heute gültige Name „Bahnhof Sportfeld" ist ein Relikt aus jener Zeit. Es wäre müßig, alle großen Veranstaltungen im „Sportfeld" aufzuzählen. Unvergessen ist der von Rudolf Harbig am 12. August 1939 in der auf 54.000 Plätze erweiterten Hauptkampfbahn aufgestellte 400-Meter-Weltrekord. Wenig später besetzte der Zweite Weltkrieg alle Lebensbereiche. So wurde zum Beispiel die Wintersporthalle nacheinander als Getreidespeicher, Möbeldepot für Fliegergeschädigte und Feldpostsammelstelle zweckentfremdet. Das bis Anfang 1944 gut besuchte „Sportfeld" überstand den Bombenkrieg relativ glimpflich, Im Chaos der letzten Kriegstage wurden die Sportstätten im März 1945 von Plünderern verwüstet.

In der Hauptkampfbahn regierte König Fußball. Zweimal, 1925 und 1926, wurde das Stadion zum Schauplatz des Endspiels um die Deutsche Fußballmeisterschaft, 1925 verlor der FSV Frankfurt mit 0:1 gegen den 1. FC Nürnberg. Für Frankfurter Fußballfans waren die Lokalderbys zwischen dem FSV und der Eintracht die Saisonhöhepunkte.

 „Victory Park" 1945-1950

Die amerikanischen Streitkräfte richteten sich nach Kriegsende in Frankfurt, das sie zum Sitz ihres europäischen Hauptquartiers bestimmt hatten, häuslich ein. Dazu gehörte auch die Beschlagnahmung des „Sportfelds" am l. Mai 1945. Das „Sportfeld" wurde amerikanisiert und in „Victory Park" umbenannt. Die Hauptkampfbahn hieß fortan „Victory Stadium", das Schwimmbad „Victory Pool", Nur von Fall zu Fall gab die Militärregierung die Einrichtungen des „Victory Parks" für Großereignisse frei. 1945 stand die Sportfeld GmbH vor einem Scherbenhaufen. Auf Anordnung der Amerikaner musste der „braune" Aufsichtsrat ausgewechselt werden. Im Juli 1947 wurde der Name der GmbH „entnazifiziert" und die ehemalige Bezeichnung „Stadion GmbH" erneuert. Inmitten von Hunger, Wohnungsnot und Flüchtlingselend erlebte der Sport eine glanzvolle Zeit, Für die Dauer von zwei Halbzeiten, zehn Boxrunden oder einem Steherrennen waren die Sorgen um das tägliche Brot vergessen. 1947/48, im dritten Geschäftsjahr der Stadion GmbH nach Kriegsende, strömten 326.000 Zuschauer zu den Sportveranstaltungen im Stadtwald - das war die zweithöchste Besucherzahl seit Bestehen des Stadions.  Frankfurt empfahl sich in der Nachkriegszeit durch die günstige Verkehrslage und das intakte Stadion als geeigneter Austragungsort für Deutsche Meisterschaften und andere große Wettkämpfe.

Mit dem Abzug aus dem Stadtwald ließen sich die Amerikaner Zeit. Im Herbst 1948 wurde zunächst nur die Beschlagnahmung der Radrennbahn, der Tennisanlage und des Waldtheaters aufgehoben. Im Laufe dieses Rückzugs auf Raten kam die Stadion GmbH anschließend in den Besitz der Wintersporthalle, die gründlich renoviert am 23. Oktober 1949 wieder eröffnet werden konnte. Nachdem die Militärregierung im Sommer 1950 auch noch das Schwimmbad und die Hauptkampfbahn freigegeben hatte, war die Stadion GmbH zur 25-Jahr-Feier wieder „Herr im eigenen Haus".

Zum ersten Mal gab die Militärregierung das „Victory Stadium" am 13. Juli 1946 für ein von der Frankfurter Eintracht unter dem Motto „Tag der Eintracht" veranstaltetes Sportfest frei. An die 40.000 Zuschauer pilgerten ins Stadion, wo sie von Oberbürgermeister Kurt Blaum begrüßt wurden. Die Sportschau geriet zum ersten interzonalen sportlichen Großereignis im Nachkriegs-Deutschland. Vereine von Bremen bis München gastierten im Waldstadion.

Frankfurter Waldstadion 1950-1975

Am 17. Mai 1953 ging es im Stadion drunter und drüber. In der für gut 54.000 Zuschauer konzipierten Sportarena sorgten beim Gruppenspiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft zwischen der Eintracht und dem l. FC Kaiserslautern weit über 70.000 Fans für chaotische Zustände. Das Frankfurter Stadion war inzwischen für sportliche Topereignisse zu klein. Da auch die 500-Meter-Laufbahn nicht mehr dem internationalen Reglement entsprach, wurde die Hauptkampfbahn von September 1953 bis Mai 1955 für 1,6 Millionen Mark in eine riesige 81.000 Zuschauer fassende Arena umgebaut. Neu war auch der über dem Haupteingang in großen Leuchtbuchstaben angebrachte Name „Frankfurter Waldstadion".

Der Deutsche Leichtathletik-Verband würdigte 1955 die Anstrengungen der Stadt Frankfurt mit der Vergabe der Deutschen Meisterschaften ins Waldstadion, Vom Deutschen Fußball-Bund wurde Frankfurt wieder in den Kreis der Länderspielorte aufgenommen. Dank des Titelgewinns der Eintracht und einer überdurchschnittlichen Badesaison konnte 1959 erstmals die Schallmauer von einer Million Stadionbesucher durchbrochen werden. Um den Freizeitwert des Sportparks weiter zu erhöhen, eröffnete die Stadion GmbH 1960 im Innenraum des Radstadions eine Kunsteisbahn, die bis 1981 mehr Besucher anlockte als das Schwimmbad. Die zur Sanierung und zum Ausbau des Waldstadions aufgewendeten Mittel wurden durch die daraus resultierenden Mehreinnahmen nicht gedeckt. Fast zu allen Zeiten schrieb die Stadion GmbH rote Zahlen.

1974 war das Jahr des Waldstadions. Der 13. Juni 1974 mit der in alle Welt übertragenen Eröffnungsfeier der X. Fußball-Weltmeisterschaft gilt als der größte Tag in der Geschichte des Waldstadions. Die von Mai 1972 bis Februar 1974 für 28,5 Millionen Mark komplett umgestaltete Hauptkampfbahn bot knapp 62.000 Zuschauern Platz und war Austragungsort von fünf WM-Spielen. Als Sitz des WM-Organisationskomitees war Frankfurt im Sommer 1974 der Nabel der Fußball-Welt.

Beim Sport, das legt der Blick auf die Stadion-Tribüne 1946 nahe, kamen sich Amerikaner und Deutsche näher (oben). Im Sommer 1950 gab die Militärregierung den „Pool" und das „Stadium" an die Stadt Frankfurt zurück. Oberbürgermeister Walter Kolb eröffnet am 1. Juli 1950 die erste Nachkriegs-Saison im Stadionbad. Auch nach der Freigabe konnten die US-Militärs Sonderrechte geltend machen.

Das Waldstadion als Erlebniswelt 1975-2000

Seit der Eröffnung im Jahr 1925 ist das Waldstadion fast immer auch eine Baustelle gewesen - und zwar im positiven Sinn. Hinter den großen Umbauaktionen in der Hauptkampfbahn stand jeweils die Hoffnung auf attraktive Fußballländerspiele oder die Vorbereitung für ein internationales Fußballturnier, wie zuletzt die Europameisterschaft 1988. Baumaßnahmen in anderen Einrichtungen des Stadions stellten zumeist Reaktionen auf das gewandelte Freizeitverhalten dar. So wurde das Stadionbad von 1985 bis 1987 nicht nur generalüberholt, sondern auch um eine „Spaßzone" erweitert. Nachdem Boris Becker und Steffi Graf einen noch nie da gewesenen Tennisboom ausgelöst hatten, entstand an der Mörfelder Landstraße zwischen 1989 und 1991 eines der größten deutschen Tennisstadien. Zuletzt wurde im Waldstadion ein 12-Loch-Übungscourse für die jüngste Trendsportart, das Golfspiel, angelegt.

Das Deutsche Turnfest (1983), der Evangelische Kirchentag (1987), die Fußball-Europameisterschaft (1988), die Mannschaftsweltmeisterschaft (Federation Cup) der Tennis-Damen (1992-1994) und Popkonzerte zahlreicher Weltstars sprechen für die Vielseitigkeit der Stadion-Programme. Mit den Football-Begegnungen der Frankfurt Galaxy kam 1991 eine weitere Attraktion hinzu. Das Waldstadion lebt in erster Linie vom Fußball. In den letzten 25 Jahren besuchte jeder zweite das Stadion, um ein Fußballspiel zu sehen. Das Waldstadion ist die Bühne der „Diva vom Main". Im Stadtwald lieferte die Frankfurter Eintracht rauschende Fußballfeste und erbärmliche Trauerspiele.

Seit der Eröffnung vor 75 Jahren haben über 52 Millionen Besucher den Weg ins Stadion gefunden. Damit das Waldstadion auch in Zukunft ein attraktiver Veranstaltungsort bleibt, hat die Stadtverordnetenversammlung am 17. Dezember 1998 in Verbindung mit der Bewerbung des Deutschen Fußball-Bundes um die Weltmeisterschaft 2006 den Umbau und die Modernisierung der Hauptkampfbahn beschlossen Im Juni 2001 sollen die Bagger anrollen und die Hauptkampfbahn wieder einmal in eine Baustelle verwandeln,

Das Waldstadion ist die Bühne für große Sport- und Kulturveranstaltungen im Rhein-Main-Gebiet. Der Deutsche Leichtathletik-Verband wählte 1976, 1988 und 1997 Frankfurt zum Austragungsort der nationalen Meisterschaften.

(Mit freundlicher Erlaubnis des Autors. Ein informativer Lichtbildervortrag des Autors für die Historische Gesellschaft Eschborn begeisterte viele langjährige Freunde des Waldstadions, die auch ihrerseits gejubelt und gelitten haben… meistens mit der Frankfurter Eintracht.)