Heimatmuseum belebt lokale Bezugspunkte

Von Matthias Arning

Schöne Zeit, damals. Aber keine bessere, bestimmt nicht. Christine Hahn setzt das gleich hinzu. Und doch, glaubt die 44-jährige Historikerin, sei gerade dieses kleinteilige Modell unter der Glasvitrine ihr Lieblingsobjekt in dem von ihr seit nunmehr einem Jahr geleiteten Bergen-Enkheimer Heimatmuseum: Bergen 1720 in Miniatur, eine Ansammlung von Fachwerkhäusern mit einheitlich wirkender Giebelhöhe, über die nur die Kirche hinausschießt. Bäuerliche Idylle aus ferner Zeit, rundum angefaßt von einer Mauer. Keiner Stadtmauer, betont Walter Reul, ein früherer Schuldirektor und dem Heimatmuseum lange Jahrzehnte verbunden, der mit in den ersten Stock des Museums gekommen ist: „Eine Ringmauer", schließlich sei Bergen damals doch gar keine Stadt gewesen.

Die Mauer des Modells, das Werner Henschke, der Mitbegründer des Museums, Mitte der 50er Jahre mit zwei Kollegen gefertigt hatte, ist an zwei Stellen von Toren unterbrochen. Tore zum Rest der Welt, „die Ausgänge zu den Weinbergen", berichtet Reul. Von wegen Ebbelwei, der 80-Jährige sagt das mit einer gewissen Strenge: Wein habe man damals angebaut, zum Anbaugebiet Franken gehört und einen edlen Berger Hinkelrain produziert. Vergangene Zeiten, guter Tropfen.

Die Tore zur Welt wären Bergen beinahe zum Verhängnis geworden. Denn allen Ernstes, Reul kann das bis heute nicht begreifen, hätten die Stadtherren in den 60er Jahren versucht, aus dem selbständigen Bergen eine moderne Stadt zu machen. Der damalige Bürgermeister, der sein Büro im Nachbarraum, in dem jetzt die Abteilung Frühzeit untergebracht ist, ebenfalls: Bergen sollte autogerecht werden. Gottlob seien allerdings widerspenstige Anwohner dagegen gewesen. Mit der Eingemeindung nach Frankfurt 1977, am Ende der Gebietsreform gleichsam, die der wachsenden Metropole eine Reihe neuer Stadtteile gebracht hat, waren großspurige Pläne dann ohnehin vom Tisch.

„Alle kommen hier vorbei"

Jetzt sind die 16.000 Einwohner auf der Anhöhe im Norden Frankfurter. Wenn auch nicht alle überzeugte. Dazu fällt Horst Becker, dem Vize-Museumsleiter, der Slogan ein, mit dem die Bergener in den 70er Jahren auf Barrikaden standen: „Wir Frankfurter bleiben Bergen-Enkheimer."

Und wenn diese Frankfurter dann doch Wehmut packt, finden sie im Heimatmuseum ihr Zuhause. 200 Mitglieder zählt die Arbeitsgemeinschaft Heimatmuseum, die im kommenden Jahr das 50-jährige Bestehen der Einrichtung im Alten Rathaus an der Marktstraße feiern will. 20 von ihnen wirken im Museum mit, organisieren Ausstellungen wie bald die Werkschau des Malers Gerhard Richter mit lokalen Motiven, und helfen Besuchern weiter.

Neubürgern etwa. „Die kommen nach einer gewissen Zeit in Bergen alle hier vorbei", berichtet Winfried Rohling, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft. Früher, weiß der ehemalige Rektor, habe er sich mit Heimat schwer getan, „weil der Begriff durch die Nazis doch völlig verbrannt gewesen ist". Inzwischen jedoch, und da gibt es seitens seiner Mitstreiter keinen Widerspruch, habe sich das entscheidend verändert. Was vielleicht auch eine Frage des Alters sei. Aber „Heimat hat auch einen Bedeutungswandel" durchgemacht, betont die Ehrenvorsitzende Friderun Fuchs. Und so biete das Museum für viele Menschen einen bekannten Bezugspunkt, schaffe einen Ort der Orientierung in Zeiten des Ungewissen.

„Viele", sagt Becker, „kommen weit rum, sehen die Welt und wollen doch einen Bezugspunkt haben". Und die Geschichte des Ortes kennen, an dem sie siedeln. Ein Ort, an dem es bereits vor 200.000 Jahren aufrechte Wesen gegeben hat. Die hinterließen einen Faustkeil, der sich heute im Büro des letzten Bergener Bürgermeisters findet. In Kopie. Das Original wollte das Archäologische Museum unbedingt haben. Das in Frankfurt, wohl gemerkt.

Das Museum ist außerhalb der Ferien sonntags zwischen 15 und 18 Uhr, donnerstags zwischen 20 und 21.30 Uhr geöffnet.

Frankfurter Rundschau – 5.7.08 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

KOMMENTAR

Was Heimat ist

Von Matthias Arning

Heimat - was immer das sein sollte, was immer man damit verbinden wollte, Heimat blieb ein Bäh-Begriff. Damals, gleich nach dem Krieg. Selbst wenn da nur Sammler zusammenkamen, um Andenken auszutauschen und so in gleichnamigen Museen einen Ort zu schaffen, an dem sich einem die eigene Welt vielleicht etwas besser erschloß. In den 70er Jahren erzählt man sich an diesen Plätzen Geschichten von früher. Plötzlich soll es so konkret wie möglich und dem Alltag so nah wie nötig sein. Die unbekannten Erzähler bereiten die Chroniken des kleinen Mannes vor, in denen dann der lange Krieg und das eigene Elend in einem anderen Licht erscheinen. Heimatmuseen wandeln sich in diesem Augenblick zum Ort der Zeitzeugenschaft.

Seitdem haben die kleinen Geschichten die große Erzählung verdrängt. Mittlerweile beharrt keiner mehr darauf, die Geschichte sei spätestens mit dem Mauerfall an ein Ende gelangt. Und so ist es wohl kein Zufall, daß man am Main heute wieder gründet, was man eigentlich als typisch für die Orientierungssuche der 50er Jahre geglaubt hatte - Heimatmuseen. Dort könnte man fortan ruhig auch Geschichten weiter erzählen - von einem Frankfurt vor, und dem Frankfurt nach 1989.

Frankfurter Rundschau – 5.7.08 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Heimat - ganz aktuell:
Lesen Sie vor allem den die Richtung weisenden Kommentar von Matthias Arning über “Heimat, den vormaligen Bäh- Begriff”!
Das Grundlegende gilt weit über das Frankfurterische hinaus.

Zum selben Thema hat sich Dr. Joachim Ziegler bereits in der FR vom 5.1.00 Gedanken gemacht - lesen Sie diesen Beitrag bei uns vollständig: “Vom Heimatforscher zum Lokalhistoriker
Zur Deutung eines Etikettenwechsels”.
Lesen Sie dazu unsere dortige Randbemerkung.

Erkennen sie mit uns: die lokale Historie, die Gesschichte der “normalen Menschen”, wird immer wichtiger. Und eben die Berichterstattung darüber. Das macht die Historische Gesellschaft Eschborn.