"Die Juden waren Teil des nationalen Widerstands"
Arno Lustiger, Mitbegründer der jüdischen Gemeinde Frankfurt, korrigiert in der „Erbsenlesung" die Behauptung, die Juden hätten sich passiv der Verfolgung ergeben
VON OLIVER POTENGOWSKI
 

BAD VILBEL - „Man sagt mir nach, dass ich ganz gut erzählen kann", gibt sich Arno Lustiger bescheiden. Deshalb wandelte der 81-Jährige die Erbsenlesung des Kunstvereins Bad Vilbel am Donnerstagabend kurzerhand um, auch weil er befürchtete, das Lesen könnte ihn zu sehr ermüden. Dem Publikum entgeht aber nichts. Lustiger hat den Inhalt seiner eigenen Bücher und Reden und Gedichte und Zitate anderer wörtlich im Kopf. So bekommt der Abend eine einzigartige Lebendigkeit und Authentizität.

Sein jüngstes Buch „Sing mit Schmerz und Zorn" ist weniger seine Autobiographie als eine Sammlung von Erzählungen und Essays zu Lustigers Lebensthema, dem jüdischen Widerstand während des Nationalsozialismus. Er wendet sich gegen die Behauptung, die Juden hätten sich passiv in ihre Verfolgung und Ermordung ergeben. Vor 20 Jahren beschloss er, nicht mehr zu schweigen. Seine Gedenkrede in Frankfurt anläßlich des 40. Jahrestags der Auschwitzbefreiung beendet er mit dem Gedicht von Hans Sahl „Fragt uns aus, wir sind die letzten."

Teil des Widerstands

Die europäischen Juden leisteten nicht nur Widerstand gegen ihre eigene Ermordung. Sie hatten auch wesentlichen Anteil am Kampf gegen den Faschismus in Europa und bildeten in einigen Ländern das Rückgrat der nationalen Widerstandsbewegung. Allein 6000 Juden kämpften im Spanischen Bürgerkrieg, teilweise in einer eigenen Brigade, berichtete Lustiger.

Auch biografische Erzählungen kamen bei der Erbsenlesung nicht zu kurz. Lustiger berichtete über die Verfolgung seiner Familie und die Glücksfalle, die einigen das Überleben ermöglichten. Sein Wunsch, „um jeden Preis diesen verfluchten Kontinent zu verlassen", scheiterte an den Folgen der Zwangsarbeit von Mutter und Schwester. Trotz ausgeheilter Tuberkulose wurden sie nicht nach Amerika gelassen. Als Lustiger

sah, dass Verhandlungen mit dem Beamten des amerikanischen Gesundheitsministeriums aussichtslos waren, zerriss er seine „Einwanderungspapiere, für die andere sich eine Hand abgehackt hätten", und blieb mit seiner Familie in Deutschland. In den Nachkriegsjahren schuf er in Frankfurt ein erfolgreiches Textilunternehmen und baute die jüdische Gemeinde wieder auf.

„SING MIT SCHMERZ UND ZORN" ist im Aufbau-Verlag erschienen
und kostet 22,50 Euro.

Frankfurter Rundschau – 21.11.05