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X. Mit Gott an unserer Seite Die Kirchen hatten sich problemlos in die Riten des neuen Regimes einbinden lassen. Sie sahen in dieser Zeit Hitler als ihren wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den Bolschewismus an. Für Kreispfarrer Falk war die Maifeier 1933 nicht die erste Berührung mit dem Nationalsozialismus. Bereits ein Jahr zuvor hatte der ehemalige Prinzenerzieher der Häuser Stollberg-Wernigerode und des Landgrafen zu Hessen aus Herleshausen eine Sturmfahne der Gelnhäuser SA geweiht. Damit unterschied er sich nicht sonderlich von seinen zahlreichen evangelischen Kollegen, die durchweg aus dem deutschnationalen Lager kamen. Die christlichen Kräfte hatten auch den Nazis im März 1933 zum Ermächtigungsgesetz verholfen. Damit wurde Hitler vom Reichstag ermächtigt, allein Gesetze zu erlassen. Während die KPD-Abgeordneten bereits durch Verhaftung oder Ermordung an der Abstimmung gehindert waren, votierten alle bürgerlichen Parteien - auch das christliche Zentrum - für dieses Gesetz. Die Sozialdemokraten stimmten als einzige Partei dagegen. Auch der Vatikan läßt nicht lange auf sich warten. Sogleich im Jahr 1933 wertet er die NS- Regierung mit großer außenpolitischer Anerkennung auf, indem er mit ihr das 'Reichskonkordat' abschließt - das erste außenpolitische Abkommen des neuen Regimes. Das Konkordat beinhaltet weitgehende Rechte der katholischen Kirche (Geistliche erhalten den gleichen Schutz des Staates wie Staatsbeamte; Kirchengemeinden und -Organisationen sind Körperschaften öffentlichen Rechts; das Recht, Kirchensteuern zu erheben; das Recht, Bekenntnisschulen einzurichten; Staatsleistungen an die Kirche; Garantie der Militärseelsorge und anderes). Als Gegenleistung erhalten die Nationalsozialisten die Zustimmung der Zentrumspartei zum Ermächtigungsgesetz, das nur mit deren Hilfe die erforderliche Zweidrittelmehrheit bekommen konnte. In den zwanziger Jahren befanden sich die Kirchen in einer ideologischen Defensive gegenüber einer immer säkularer werdenden Gesellschaft. Sie fürchteten zu Recht um ihren Einfluß. Gegen Atheismus und Freidenkertum der Arbeiterbewegung ergriff man Maßnahmen: der evangelische Bildungsdienst Hessen-Kassel bot zum Beispiel spezielle Schulungen gegen die 'Gottlosenbewegung' an. Das alles ist seit 1933 verzichtbar. Denn der Nationalsozialismus hatte den Kampf aufgenommen gegen alles, was nicht 'gottgläubig' war. Unter den alten Kämpfern der NSDAP befanden sich bemerkenswert viele evangelische Pfarrer. In Waldensberg gehörte Pfarrer Theodor Riebeling schon seit 1932 der Partei an, im Kirchspiel Kirchbracht (mit Bösgesäß, Mauswinkel, Lichenroth, Völzberg und Wüstwillenroth) war es Friedrich Habersang, in Wächtersbach Heinrich Knöll. Und als Pfarrer Karl Scheibenberger im Oktober 1933 nach Schlierbach kommt, wird er in einem Einführungsgottesdienst vom Kriegerverein und einer SA-Formation aus Wächtersbach herzlich empfangen; selbstverständlich ist auch „der Patronatsherr Seine Durchlaucht Fürst zu Ysenburg" persönlich erschienen, wie die Schlierbacher Schulchronik zu berichten weiß. Auch der Nachfolger des schon erwähnten Kreispfarrers Falk in Gelnhausen, Pfarrer Berthold Volkenand, konnte eine typische national-konservative Karriere vorweisen: Er gehörte als Student der Burschenschaft Germania in Marburg an, welche an der Niederschlagung der Arbeiteraufstände in Thüringen 1920 beteiligt war, in den zwanziger Jahren finden wir ihn beim rechtsgerichteten Kyffhäuserbund, im Mai 1932 wird er NSDAP-Mitglied, ein Jahr später übernimmt er das Amt des Ortspropagandawartes, damals noch in Obergude bei Kassel, von wo aus er 1937 nach Gelnhausen versetzt wird. Volkenand gehörte, wie viele seiner evangelischen Kollegen, den 'Deutschen Christen' an. Die Deutschen Christen, eine rassistische und faschistische Bewegung innerhalb der evangelischen Kirche, deren Programm aus einer Synthese von Christentum und Nationalsozialismus bestand, gewinnen rasch an Boden. Ihr Mitbegründer Ludwig Müller wird 1933 von der Synode zum 'Reichsbischof' gewählt; gleichzeitig ernennt Göring ihn zum Preußischen Staatsrat. Auch spätere Widerstandskämpfer wie der Pfarrer Martin Niemöller kamen aus dem nationalkonservativen Lager und hatten die Einführung des Führerstaates 1933 begrüßt. Erst als sich der Hitler-Staat massiv in die Angelegenheiten der evangelischen Kirche einmischte, zum Beispiel, als die 'Nichtarier' aus den Kirchenämtern entfernt wurden, entstand der Pfarrernotbund, aus dem dann die Bekennende Kirche hervorging. Aber auch diese war nicht grundsätzlich gegen den Nationalsozialismus gerichtet und hatte nur wenige Gefolgsleute. Als ein Mann der Bekennenden Kirche wird gern der Unterreichenbacher Pfarrer Gustav Hoffmann herausgestellt. Gleichwohl: Wie viele andere gehörte auch er zur Riege der alten Kämpfer; er war 1932 der NSDAP beigetreten (Mitgliedsnummer 1 276 829) und kämpfte viele Jahre mit Erfolg dafür, unter seinen Gesinnungsgenossen in der Partei bleiben zu dürfen. Den Kreisleiter Kausemann, den Obersotzbacher Ortsgruppenleiter Schmidt und den Lehrer Pfaff aus Radmühl hatte er zwar gegen sich und diese ließen auch nichts unversucht, ihn hinauszuekeln. Aber mehrere Parteigerichtsverfahren konnten dem Gottesmann nichts anhaben. Erst 1942 (!) trennt sich die Partei von ihm, wogegen Hoffmann auch noch Beschwerde einlegt - diesmal allerdings ohne Erfolg. Die Kirchen hatten sich nun einmal mit dem Nationalsozialismus eingelassen und der faschistische Staat nutzte ihr Einflußpotential. Die Pfarrer gedachten in ihren Gottesdiensten der Gründung des Dritten Reiches und begrüßten von der Kanzel herab die Einführung der Wehrpflicht. Als Mitte der dreißiger Jahre der Oberpräsident Hessen-Nassaus und SA-Obergruppenführer Prinz Philipp von Hessen (NSDAP-Mitglieds-Nr. 418 991) Gelnhausen besucht, wird er von Kreispfarrer Falk in der Marienkirche festlich empfangen.
Auch der Pfarrer Gustav Hoffmann aus Unterreichenbach ist 'alter Kämpfer' und trägt das Parteiabzeichen. Auch der Evangelische Frauentag läßt sich 1935 in Gelnhausen für die Zwecke des faschistischen Regimes einspannen. Religiös überhöht wird die evangelische Mutter darauf hingewiesen, daß sie "ihr Kind hingeben muß" - daß dies wenige Jahre später blutige Realität wurde, dachte wohl kaum jemand - und Festprediger Falk beschwört die hohen Aufgaben der deutschen Frau in Haus, Volk und Kirche. Dennoch gab es immer wieder einzelne Christen, die dem Zeitgeist widerstanden. Als im Sommer 1935 Reichsbischof Müller die hessische Region besuchte - auch in Gelnhausen wurde er empfangen - rief zum Beispiel Pfarrer Zimmermann im benachbarten Landkreis Schlüchtern dazu auf, diesen nicht anzuhören. Massiv wurde Pfarrer Ernst Fincke aus Aufenau bedroht. Er war ins Blickfeld der Gestapo geraten, als er in der Kirche mutig für verfolgte Juden beten ließ. Im Sommer 1935 wird er in Schutzhaft genommen. Auch auf den katholischen Geistlichen Damian Dangel aus Somborn wird die Gestapo aufmerksam. Als er die gewalttätigen Übergriffe auf den jüdischen Viehhändler Max Sonneberg 1935 in einer Predigt scharf verurteilt, nimmt man ihn drei Wochen in Haft.
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