Kaiser-Kopf entsteht in Gießen Virtuelle Rekonstruktion des Gesichtes Heinrichs IV.
Wissenschaftler der Fachhochschule Gießen / Friedberg rekonstruieren am Computer den Kopf Kaiser Heinrichs IV. Vom 6. Mai an können Besucher dem fränkischen Herrscher wieder ins Gesicht schauen. VON INGA LEISTER
Bis 1077 hat er Papst Gregor VII. die Stirn geboten. Dann mußte Heinrich IV. (1050- 1106) seinen berühmten Gang nach Canossa antreten. Eben diese Stirn ist der erste Teil von Heinrichs Gesicht, der jetzt am Computer wieder entsteht. Jörg Subke, Professor für medizinische Meßtechnik und Biomechanik an der Fachhochschule Gießen / Friedberg, wird den kaiserlichen Kopf am Rechner nachbilden. Die Idee einer Rekonstruktion gibt es schon lange. Mitarbeiter des Historischen Museums der Pfalz in Speyer haben jetzt wegen der Ausstellung „Heinrich IV - Kaiser, Kämpfer, Gebannter" für ihre Umsetzung gesorgt.
Die Gebeine des Herrschers liegen - wie die seines Vaters und Großvaters - in einem Sandsteinsarkophag in der Krypta des Speyerer Doms. Der echte Schädel darf für die Rekonstruktion nicht angetastet werden. Um herauszufinden, wie die Gesichtszüge Heinrichs ausgesehen haben, benutzen Jörg Subke und sein Team deshalb drei Fotos. Die Aufnahmen sind vor 100 Jahren entstanden, als Wissenschaftler der Bayerischen Akademie der Wissenschaften die Kaiser-Gräber im Dom geöffnet haben.
„Aus den Fotos lassen sich Meßdaten extrahieren", sagt Subke. Photogrammetrie nennt sich die Methode: Mithilfe von Geradenlängen und Winkeln errechnet der Computer dreidimensionale Daten. Neben der Schädelform entscheidet die Schichtdicke von Haut und Gewebe darüber, wie Heinrich schließlich aussehen wird. An bestimmten Punkten des Schädels setzt Subke Marker und läßt ein Computerprogramm die Gesichtszüge des Kaisers berechnen. Auf dem Bildschirm wird der Kopf dann in virtuellem Ton abgebildet. Ganz automatisch entsteht das Gesicht aber nicht. „Die Bereiche, für die wir keine Angaben haben, müssen wir von Hand modellieren", erklärt der Professor. Das sind Nase, Ohren und Augenlider, weil dort keine Knochen die Form vorgeben. Damit das Gesicht Heinrichs IV. an diesen Stellen keine weißen Flecken hat, nutzt Jörg Subke eine „3D- Organbibliothek.
Sortiert nach Alter und Geschlecht sind in dieser Datenbank Nasen und Ohren von x-beliebigen Menschen gespeichert. Ein Computerprogramm paßt die Jedermann-Nase in Höhe, Breite und Tiefe dem Gesicht an. Eingesetzt wird sie dann von Hand. „Wir füllen die Zwischenräume mit Ton auf und streichen das glatt, damit wir schöne fließende Übergänge bekommen", sagt Subke.
Hilfe bei rätselhaften Todesfällen
„Man muß aufpassen, wie viele künstlerische Elemente man da mit reinbringt", sagt Subke. „Wir wollen so wenig Unsicherheiten wie möglich haben." Deshalb lassen die Wissenschaftler normalerweise bei ihren virtuellen Rekonstruktionen die Haare weg. Außerdem hat der Tonkopf geschlossene Augen. „Wenn die Augen geschlossen sind, wandert die Aufmerksamkeit eher in den sicheren Bereich mit Wange und Kinn." Besonders interessant werde am Ende der Vergleich mit zeitgenössischen Abbildungen des Kaisers sein. Dann werde sich zeigen, wie realitätsnah die Darstellungen sind.
Subkes Methode der virtuellen Rekonstruktion wird in der Kriminaltechnik angewendet. Mit einer anderen von ihm entwickelten Methode (Streifenlichttopometrie) haben zwei Fernseh-Kommissare schon mal einen Fall gelöst: Im Frankfurter „Tatort" half sie, wichtige Hinweise zu rätselhaften Todesfällen älterer Damen zu bekommen.
Ausstellung „Heinrich IV. Kaiser, Kampfer, Gebannter", 6. Mai bis 15. Oktober 2006 im Historischen Museum der Pfalz, Speyer, Domplatz, Telefon 06232/13 25 0. http://museum.speyer.de/de/histmus/
HINTERGRUND
Ruhestätte des Adels - Der Dom zu Speyer
Der Kaiserdom zu Speyer bestand bereits 840 Jahre, als ihm seine Geheimnisse entlockt wurden: Im Jahre 1900 öffneten Wissenschaftler die Gräber im Dom und fanden die Gebeine von Kaisern, Königen, deren Frauen, Bischöfen und Unbekannten. Auch die Gebeine Heinrich IV. waren darunter. 1106 war er im Dom beigesetzt worden.
Der Bau der größten romanischen Kirche Europas begann 1030. Mehr als 30 Jahre dauerten die Arbeiten. 1061 weihte Bischof Gundekar von Eichstätt den Dom. Die Kirche ist innen 110 Meter lang, mehr als 37 Meter breit im Langhaus und 33 Meter hoch bis zum Scheitelpunkt des Gewölbes. In seiner rund 950-jährigen Geschichte wurde der Dom des Bistums Speyer mehrfach zerstört, geplündert und wieder aufgebaut. Bereits 1137 und 1159 brannten große Teile des Domes aus. Die Soldaten Ludwig des XIV. wüteten während des pfälzischen Erbfolgekrieges 1689 im Dom, raubten, was nicht niet- und nagelfest war, und brachen auch Gräber auf. Napoleons verwundeten Kämpfern diente der Dom 1813 als Lazarett.
Mitte des 19. Jahrhunderts malten Johann Schraudolph und Joseph Schwarzmann den Dom aus. Deren Fresken wurden jedoch bis auf den 24-teiligen Marienzyklus nach 1957 entfernt, als der Dom restauriert wurde. Die umfassendsten Arbeiten zum Erhalt des Baus sind 1996 begonnen worden und sollen 2010 beendet sein. Die Unesco nahm den Dom 1981 in die Liste des Weltkulturerbes auf. vf
Der Dom zu Speyer ist geöffnet von November bis März (9 bis 17 Uhr) und von April bis Oktober (9 bis 19 Uhr). Anmeldungen für Führungen unter der Rufnummer 06232/102118.
KOPF-REKONSTRUKTIONEN
Der Biomechaniker Jörg Subke rekonstruiert den Kopf Heinrich IV. auf der Grundlage von Fotos, die bei Ausgrabungen im Jahr 1900 gemacht worden sind.
Weitere Grabungsfotos will das Historische Museum der Pfalz in der Ausstellung vom 6. Mai an zeigen. Außerdem werden die Grabbeigaben des Kaisers und Urkunden zu sehen sein. Heinrichs Kopf soll neben Subkes Arbeit in zwei weiteren Varianten präsentiert werden. Ein Kieler Professor modelliert einen Kopf, außerdem wird eine Wissenschaftlerin nach Methoden des Bundeskriminalamts eine zweidimensionale Gesichtsrekonstruktion erstellen.
Idealisierte Darstellung Heinrich IV. bei seiner Abbitte vor Papst Gregor VII. in Canossa. Ob der Kaiser wirklich so ausgesehen hat, wird die Rekonstruktion seines Kopfes zeigen, die Anfang Mai 2006 beendet sein wird. Bild: AKG. Wenn sie dieses Bild einsehen wollen, halten Sie sich bitte an die Papierausgabe der FR.
Frankfurter Rundschau - 3.3.06 - mit freundlicher Erlaubnis der FR
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