Wiesbaden: Die Geschichte des Oberbürgermeisters Erich Mix wird aufgearbeitet.
Zweimal Oberbürgermeister, immer im Zwielicht
Erich Mix - von den Nazis im Amt installiert und von der FDP reaktiviert

Von Waltraut Rohloff

Die Polizei ermittelt, wer in der Oberbürgermeister-Galerie im Rathaus-Treppenaufgang zum ersten Stock das Porträt des zweifachen Oberbürgermeisters Erich Mix beschriftet hat. „Nazis raus FDP" stand in roter Schrift auf hellblauem Hintergrund. Gerade so, als sei sie vom Künstler Bernd Schwering hineinkomponiert, um dem langen Schweigen über die NS-Vergangenheit des früheren OB Mix ein Ende zu bereiten.

Erich Mix war Oberbürgermeister in Wiesbaden von 1937 bis 1945 und von 1954 bis 1960. Wiesbaden ist damit vermutlich die einzige Stadt in Deutschland, die nach der nationalsozialistischen Diktatur in freier Wahl einen Nazi-Oberbürgermeister erneut zum Stadtoberhaupt machte.

Dabei war Erich Mix keineswegs ein Mitläufer. Der NSDAP trat der 1898 in Westpreußen Geborene noch in der Weimarer Republik im Jahre 1932 bei. Der Jurist engagierte sich im Osten als Kreis- und Gaurichter der Nazis, wurde 1933, als seine Partei die Macht übernahm, Oberbürgermeister von Tilsit. 1937 schließlich setzte ihn die NSDAP als Oberbürgermeister von Wiesbaden ein.

Was Mix bei seiner Einführung zu seinem Amtsverständnis erklärte, hat der Historiker Philipp Kratz 2007 mit seiner Staatsexamensarbeit publik gemacht. Mix: „Im Dritten Reich gibt es für jede Arbeit nur ein Programm, das ist das Programm der Wahrung der nationalsozialistischen Idee." So war Mix als OB für den Ankauf der „Judenhäuser" und „Judengrundstücke" zuständig. 1938/39 hat die Stadt laut Kratz mindestens drei Hausgrundstücke von jüdischen Bürgern und den Sportplatz Kleinfeldchen „zu vorteilhaften Bedingungen" erworben.

Bei seinem Kandidaten vermißte Goebbels aber die gewünschte Unternehmungslust.

Im Oktober 1942 notierte Josef Goebbels in seinem Tagebuch: „Der Führer ist auch der Meinung, daß wir jetzt in Berlin für einen richtigen Oberbürgermeister sorgen müssen. Ich denke da an Oberbürgermeister Dr. Mix von Wiesbaden, den ich mir in den nächsten Tagen kommen lassen werde, um ihn zu beäugen." Bei seinem Kandidaten vermißte Goebbels dann aber die von ihm gewünschte Unternehmungslust und Phantasie für die Reichshauptstadt - er verzichtete auf ihn.

Als verdienter Parteigenosse avancierte Mix zum Obersturmbannführer bei Himmlers SS. Als Innenminister beriet Himmler mit dem Luftwaffenoberst eine Verwaltungsreform. Mix beklagte dabei die Reste von Parlamentarismus, „obwohl die nationalsozialistische Gestaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände (...) längst ganz andere Voraussetzungen geschaffen hat". 1945 fand Mix trotz allem so viele Fürsprecher, daß er letztlich als „minderbelastet" eingestuft wurde, dokumentierte Kratz. Der SS-Standartenführer und Gauamtsleiter für Kommunalpolitik galt nach Ablauf einer Bewährungsfrist plötzlich sogar nur noch als „Mitläufer" und fand wieder Beschäftigung im städtischen Rechtsamt. Dort hatte er „gewisse Abwicklungsarbeiten im Zusammenhang mit seiner früheren amtlichen Tätigkeit zu erledigen", ließ die Stadtverwaltung damals verlauten.

Die FDP, zu dieser Zeit ein Sammelbecken ehemaliger NSDAP- Mitglieder, verhalf Mix zu einer neuen politischen Karriere. Sie nahm ihn in die Partei auf, machte ihn bei der Kommunalwahl 1952 zum Spitzenkandidaten und wurde mit ihm zweitstärkste Kraft im Stadtparlament. Ihr Landesvorsitzender August Martin Euler sah den Grund des Erfolgs vor allem in der NS-Vergangenheit des Spitzenkandidaten: „Der Trumpf war der, daß der Oberbürgermeister aus der NS-Zeit an zweiter Stelle auf unserer Liste kandidiert hat." Der frühere Nazi gehörte nun auch dem Ausschluß an, der Rückerstattungsansprüche von Juden zu behandeln hatte - also auch derjenigen, wie der Historiker Kratz schreibt, die Mix hatte enteignen lassen.

Mix nun sogar als OB-Kandidaten aufzustellen, lehnten zunächst SPD und auch Teile der CDU ab. Die Unionspolitiker rangen sich dann aber durch: Mit 37 von 57 Stimmen wählte das Parlament den ehemaligen Führer-Gefolgsmann und Verächter des Parlamentarismus zum Stadtoberhaupt. Seiner Karriere stand die verheimlichte (“verheimlichte”? Nicht im Geringsten, liebe FR! Webmaster) Vergangenheit nicht im Weg: 1958 bis 1966 war Mix Mitglied des Hessischen Landtags, zeitweise Vorsitzender der FDP-Fraktion und Vizepräsident. Auch die Kurzbiographie auf den Internetseiten der Stadt, wo Mix harmlos in der Reihe der Oberbürgermeister steht, verschweigt bis heute sein Treiben im Nationalsozialismus.

ZUR PERSON

Der Historiker Philipp Kratz (29) promoviert derzeit am Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts der Friedrich-Schiller-Universität Jena über das Thema „Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Eine Fallstudie zu Wiesbaden l945-2005.

Im Jahr 2007 legte er eine Arbeit über „Strategien der Verdrängung: Der Umgang mit dem Holocaust im Wiesbaden der 1959er Jahre" vor. Darin finden sich die Enthüllungen über Erich Mix.

Das Schweigen der Freidemokraten
Historiker Philipp Kratz wird bislang ignoriert

Der Kreisvorstand der FDP hatte laut Pressemitteilung des Vorsitzenden Florian Rentsch vom 31. August 2007 unter anderem beschlossen, ein Gespräch mit dem Historiker Philipp Kratz über dessen Nachforschungsergebnisse zu Erich Mix zu führen. Die Ergebnisse wollte die FDP auch bekannt geben.

Ein Zitat des Vorsitzenden Rentsch aus dem Jahr 2007: „Für uns als Liberale ist es wichtig, unsere Geschichte aufzuarbeiten. Herr Kratz hat hier in den vergangenen Wochen wichtige Details des Lebens von Mix veröffentlicht. Darüber wollen wir uns informieren und diese Ergebnisse dann auf unserer Internetseite veröffentlichen."

Und was ist aus dieser Ankündigung geworden? Die FDP hat sich nach Aussagen von Kratz bis heute nicht bei ihm gemeldet. Selbst auf seine Mail an die FDP habe er keine Antwort bekommen, versicherte Kratz. off

Frankfurter Rundschau - 3.4.09 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Ein typisches Beispiel für den so hoch und so häufig gerühmten “Neu”-Anfang der “deutschen” Demokratie, wobei doch immer nur die Rekonstruktion alter Strukturen in Westdeutschland/BRD-alt das Maß aller Dinge war.

Wertvoll das Neu-Beginnen der Stadt Wiesbaden heute.
Webmaster

Bei der FDP Wiesbaden seit dem 31.8.07 keine neuen Erkenntnisse.

Lesen Sie auch zur Vorgeschichte!

Einem Leserbrief in der FR vom 11.4.09 ist zu entnehmen, daß OB Mix nicht der einzige Nazi-OB war, der es in die “neue deutsche Republik” geschafft hat. Dort handelt es sich um Carl Neinhaus, OB von Heidelberg 1928-1945, NSDAP-Mitglied seit 1933 - OB dann wieder 1952-1958.
Das war die “Erfolgsgeschichte” der BRD. Untypisch? Nein, gewiß nicht. Bittere Realität.
Webmaster