Das Rätsel um eine verschwundene Kirche ist gelöst
BRENTANO BERK

Ein Jahr lang hat Dieter Zeh nach dem Standort der ehemaligen Bergkirche von Seckbach geforscht / Der entscheidende Hinweis kam aus Paris
Eine verschwundene Kirche, von der nicht mehr übrig ist, als der geheimnisvolle Schatten auf einem alten Schlachtengemälde. Das ist der Stoff, aus dem in Seckbach die Legenden sind.

FRANKFURT - Umgeben von historischen Akten, Landkarten und Gemälden sitzt Dieter Zeh in seinem Arbeitszimmer und lächelt bescheiden. Vor ihm auf dem Schreibtisch liegen fünf erloschene Pfeifen. Wie Sherlock Holmes beginnt Zeh immer dann kräftig zu paffen, wenn ihn ein Problem besonders beschäftigt. Ähnlich wie der Romandetektiv hat auch Heimatforscher Zeh gerade einen besonders kniffligen Fall gelöst: Das Rätsel um die verschwundene Bergkirche von Seckbach.

Wahrscheinlich haben viele Einwohner von Seckbach, Bergen-Enkheim und Umgebung schon einmal von dem geheimnisvollen Gotteshaus gehört. Schließlich sind gerade erst 250 Jahre vergangen, seit die Bergkirche abgerissen wurde. Ein „groß Gebäu ... ein viertel Stund vor dem Orth im Weinberg gelegen", soll sie gewesen sein. Viel mehr verraten die alten Gemeindechroniken jedoch nicht.

Ein Jahr Recherche, dann war das Geheimnis gelüftet

So viel Ungewissheit hat Dieter Zeh keine Ruhe gelassen. Deshalb entschloss sich der pensionierte Sprachwissenschaftler Ende 2004, zumindest den genauen Standort der ehemaligen Bergkirche zu ermitteln. Ein Jahr und zahlreiche Pfeifen später hat Zeh es geschafft. Im Rahmen einer Vortragsreihe des Kultur- und Geschichtsvereins Seckbach stellte er letzten Monat die Ergebnisse seiner Arbeit vor.

„Die Quellenlage war zunächst widersprüchlich", beschreibt Zeh den Beginn seiner Nachforschungen. Viele Wissenschaftler, Heimatkundler und Hobbyarchäologen hatten sich bereits an der Bergkirche versucht. Die meisten vermuteten ihren Standort an verschiedenen Punkten irgendwo im Umkreis der heutigen Schule des Deutschen Buchhandels.

„Hier hat die alte Kirche die meisten Spuren hinterlassen", erklärt Dieter Zeh. In der Gegend gibt es nicht nur eine Kirchgasse und einen Wallfahrtsweg, sondern auch Flurnamen wie „Unter dem alten Kirchhof' und „Palmengarten". „Palmen sind dort natürlich nie gewachsen", weiß Zeh, „wahrscheinlich aber Eiben und Buchsbäume, deren Zweige an Palmsonntag die Palmwedel ersetzten."

Zeh grub jedoch nicht vor Ort, sondern in den Akten des Staatsarchivs Marburg. „Mit Glück und Beharrlichkeit" fand er dort den vollständigen, zwischen 1749 und 1763 entstandenen Schriftverkehr bezüglich des Abbruchs der Bergkirche. Die Dokumente bestätigen: Die Kirche stand einst auf dem Flurstück „Am Alten Kirchhof', einem Areal, das von der heutigen Buchhändlerschule bis südlich der Wilhelmshöher Straße reicht.

Zeh wollte es natürlich genauer wissen: „So unglaublich es klingt, der entscheidende Hinweis kam schließlich aus dem Pariser Armeemuseum." Dort befindet sich ein Gemälde der 1759 geschlagenen Schlacht bei Bergen, das Zeh bereits seit Jahren bekannt gewesen ist. Auf ihm zeichnen sich ganz schemenhaft Konturen ab, die sich allerdings deutlich vom ansonsten dargestellten Baumbestand unterscheiden. Im Vergleich mit den Marburger Akten ergab die nur wenige Quadratzentimeter große Stelle auf dem Bild nun „plötzlich einen Sinn". Dieter Zeh ist sich ganz sicher: „Der Künstler Charles Cozette hat die Abbruchruine der alten Bergkirche dargestellt." Und zwar unmittelbar unterhalb der Wilhelmshöher Straße, dort, wo sich heute das Gelände der Gärtnerei Wucher befindet. Die Frage, wo die Bergkirche einmal gestanden hat, ist damit fast auf den Meter genau beantwortet.

Länger und höher als alle späteren Kirchen in Seckbach

Doch wie groß war das alte Gotteshaus, wie hat es ausgesehen und von wem wurde es genutzt? Auch auf diese Fragen kann Dieter Zeh jetzt Antworten geben. Denn von verschiedenen Gutachtern wurde der Abriss der Kirche seinerzeit genauestens dokumentiert. Der Grund: Das Baumaterial sollte wiederverwendet und zur Errichtung der 1966 gleichfalls abgerissenen Peterskirche gebraucht werden. Allein aus deren Materiallisten ergäbe sich, das sagt Zeh, dass die Bergkirche alle später errichteten Seckbacher Kirchen in Länge und Höhe mühelos übertraf. Nur etwas schmaler muss sie gewesen sein, denn zu ihrer Zeit war das so genannt Hängewerk noch nicht erfunden. Die Breite des Kirchenschiffs wurde deshalb noch durch die Läge der verfügbaren Balken bestimmt.
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Fundort: In der Nähe der Deutschen Buchhändlerschule in der Wilhelmshöher Straße hatte die legendäre Bergkirche ihre Standort.
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Der 1936 in Frankfurt geborene Dieter Zeh studierte Anglistik und Romanistik. Seit 2003 ist Zeh im Museumsvorstand des Kultur- und Geschichtsvereins Seckbach.

Trotz all dieser Erkenntnisse, meint Zeh, sei das Geheimnis um die Bergkirche noch lange nicht gelüftet: „Es hat sich nur verschoben." So schrieb zum Beispiel der Seckbacher Zentgraf Hans Conrad im Jahr 1613 an

seine Hanauer Herrschaft von den „schönen Mustern und Formen" der Bergkirche die „jederzeit ein sonderlich Wohlgefallen tragen."

Und der reformierte Pfarrer Johann Philipp Perti behauptet 150 Jahre später gar, dass „die Alten eine Hauptkirche auf dem Land vereint gebaut." Mitten im Weinberg, meint Dieter Zeh, muss sich also eine ungewöhnlich große Kirche mit einer besonderen Prachtentfaltung befunden haben. Warum man es damals jedoch so sehr darauf angelegt hatte, die Betrachter der alten Bergkirche zu beeindrucken, ist ein anderes Rätsel. Und dieses harrt noch darauf, von Dieter Zeh gelöst zu werden.

 

CHRONIK DER EHEMALIGEN BERGKIRCHE

Aufstieg und Untergang der Seckbacher Bergkirche lassen sich anhand neuer Aktenfunde nachvollziehen.

1178 - Erste urkundliche Erwähnung. Während des Mittelalters trägt die Bergkirche den Namen St. Elisabeth.
1349/50 - In der Pestzeit wird die Bergkirche zur Wallfahrtskirche. Der Name ändert sich m Kreuzkirche.
1437 - Die Kirche wird für längere Zeit geschlossen und erneuert.
1737 - Die reformierte Seckbacher Gemeinde löst sich von Bergen ab, die Kirche wird nur noch selten genutzt.
1749 - Der Turm zeigt seit längerem fingerbreite Risse.
1751 - Ein Gewitter beschädigt Dach und Fenster.
1752 - Die Einkünfte der Gemeinde reichen nicht mehr zum Erhalt der Kirche aus.
1755 - Wegen des schadhaften Dachs ist das Holzwerk verfault.
1757 - Landgraf Wilhelm von Hessen erteilt die Erlaubnis zum Abbruch.
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Diese Zeichnung der Seckbacher Bergkirche wird dem 1776 geborenen Kupferstecher Johann Georg Reinheimer aus Frankfurt zugeschrieben, der sie nach alten Vorlagen gefertigt haben soll. Die Ortsangabe „Bergen" beruht auf einem Irrtum Reinheimers.

Frankfurter Rundschau – 3.1.06 – mit freundlicher Erlaubnis der FR