Würde durch das Erinnern
Die Geschichtswerkstatt Offenbach forscht über Faschismus im lokalen Raum

Von Renate Bastian

„Es sind die Menschen ohne Geschichte, die ein Recht auf einen Platz in unserer Geschichte haben, der uns dazu dienen wird, die Wahrheit über unsere Vergangenheit zu verstehen." (J. P. de la Riva) - Nach diesem Verständnis arbeitet die Geschichtswerkstatt Offenbach. Auf zehn stattliche Jahre kann sie mittlerweile zurückblicken. In dieser Zeit hat sich die Werkstatt zu einer anerkannten Einrichtung gemausert, zum Gedächtnis von Offenbach an Verfolgung und Widerstand während der Naziherrschaft.

Die Geburtsstunde fällt mit einem Erfolg zusammen. 1996 wird an dem heutigen Gebäude der Industrie- und Handelskammer eine Tafel angebracht, die auf den ehemaligen Sitz der berüchtigten Gestapo hinweist. Darauf mußte rund elf Jahre lang hartnäckig gedrungen werden. Verschiedene Initiativen ließen nicht locker. Immer wieder hakten sie nach. Am Ziel wollten sie sich nicht zur Ruhe setzen. Die Geschichtswerkstatt Offenbach entstand und ist bis heute quicklebendig.

Wer stolpert, wird auch aufmerksam

Mitte Oktober 2006 verlegten sie wieder „Stolpersteine" und erregten sogar das Interesse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die sonst in diesen Zusammenhängen eher zurückhaltend ist. Stolpern, das heißt: aufmerksam werden auf Orte, an denen rassisch, religiös und politisch Verfolgte lebten, verhaftet oder ermordet wurden. Mit dem Gedenkstein im Gehweg soll ihnen ein Stück ihrer Würde zurückgegeben werden, sollen sie an ihren alten Wohnort zurückgeführt werden. Eine erste derartige „Verlege-Aktion" hatte bereits im Februar dieses Jahres stattgefunden - auch hier mit großer Aufmerksamkeit der Presse, ver.di Offenbach übernahm die Patenschaft für den Erinnerungsstein für Georg Kaul. Der sozialdemokratische Journalist nahm sich am 2. Mai 1933 das Leben, aus Entsetzen darüber, daß „ehemals aktive Gewerkschafter mit der NS-Arbeitsfront im gleichen Zug zur Maifeier marschierten". An solche Schauplätze der Offenbacher Geschichte führen auch Stadtrundfahrten - per Bus oder per Fahrrad. Oftmals kann man sich gar nicht vorstellen, dass auch im eigenen Raum Stätten existieren, an denen Euthanasieurteile gefällt, Menschen deportiert, Zwangsarbeiter ausgebeutet und vernichtet wurden.

Es gibt in unserem Land viele, die das Kapitel Faschismus schließen möchten, neuerdings wieder viele, die die schrecklichen Zeiten verherrlichen, und viel zu viele, die ahnungslos sind. Dem entgegenzusteuern, empfindet Barbara Leissing, der gute Geist der Geschichtswerkstatt, als eine der wichtigsten, gerade heute drängend aktuellen Aufgaben. Deshalb muß man manchmal auch über Offenbach hinausblicken. Das geschieht durch Besuche in Gedenkstätten wie Auschwitz, Osthofen oder Theresienstadt.

Hauptsächlich aber ist die Geschichtswerkstatt in Offenbach präsent. Eine Ausstellung über das Konzentrationslager Auschwitz (2003) fand rege Resonanz. Drei Wochen lang waren rund 20 Geschichtswerker mit Kino, Vorträgen, Bildern und Präsentationen zur Stelle. Das allerdings sind Kraftakte, die lange vorbereitet sein müssen und nicht jederzeit möglich sind.

Im Rathaus, gut sichtbar im Foyer, gibt eine Vitrine Auskunft über die Gruppe und ihre Vorhaben. Wer sind diese Werker in Sachen Geschichte? Eine ungezwungene Gruppe, die Jüngste 20, der Älteste 90 Jahre alt. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Berufen, nicht zuletzt von ver.di. Rentner sind natürlich schon allein zeitlich im Vorteil. Und Barbara Leissing, die den „Verein" von etwa 20 Personen zusammenhält, sieht gerade in der lockeren Zusammenarbeit eine Art Bestandsgarantie. Man trifft sich regelmäßig, um die Vorhaben zu besprechen. Aber es gibt keine Anwesenheitspflicht, keine gestanzte Tagesordnung. In ein interessantes Projekt stürzt man sich hinein. Anschließend wird vielleicht einen Gang zurückgeschaltet.

Die Themen wiegen schwer. Doch aktives Erinnern heißt nicht nur Zurückblicken, sondern auch, die Zukunft zu erhellen. Spätestens die Geburtstagsfeier im idyllischen Lämmerspiel bei Offenbach hat spüren lassen, wie wohl das tun kann.

 

Für weiteren Kontakt: Barbara Leissing,

Offenbacher Straße 81, 63165 Mühlheim, E-Mail B.Leissing@t-online.de

Aus:

VER.DI Publik – 11.2006 – Regional-Ausgabe Hessen 
Monatszeitung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. 
Mit freundlicher Erlaubnis der Redaktion.