Das Todesurteil gegen Valentin Schmidt
von
Christine Wittrock

(aus: Das Unrecht geht einher mit sicherem Schritt...)

In einem Fall wird der Gestapoterror in diesem Fuldaer Betrieb [Valentin Mehler AG Fulda] mit dem Tod bezahlt:

Der Langenselbolder Zimmererpolier Valentin Schmidt, der im Auftrag der Baufirma Kaus in Fulda tätig war, wird im November 1943 verhaftet und sollte nicht mehr nach Haus zurückkehren.

Wer damals den Stein gegen Valentin Schmidt ins Rollen brachte, läßt sich nicht mehr rekonstruieren. (geschwärzt im Original *) .Valentin Schmidt - wie die meisten Langenselbolder - eher der politischen Linken zugetan, aber keiner Partei zugehörig - machte aus seiner Einstellung gegen den Nationalsozialismus keinen Hehl. Vielleicht war er schon lange seinem (geschwärzt)-Chef und einigen faschistisch gesinnten Kollegen ein Dorn im Auge. Vielleicht wollte man dem selbstbewußten Polier aus Langenselbold auch nur mal einen Denkzettel verpassen. Jedenfalls nimmt das Drama im Herbst 1943 unaufhaltsam seinen Lauf.

Zwei Kollegen von Valentin Schmidt, der Zimmermann Christof Hanbuch aus Pfungstadt und der Maurer Philipp Ellermann aus Dieburg treten als Belastungszeugen gegen ihn beim Prozeß vor dem Volksgerichtshof in Berlin auf. Beide waren schon vorher in Fulda von der Gestapo vernommen worden und zwar, bevor Valentin Schmidt verhaftet wurde. Hanbuch wurde am 19. September 1943 vernommen, Ellermann am 2. November 1943. Zwei Tage später, am 4. November 1943 schlägt die Gestapo zu: Valentin Schmidt wird früh morgens an seinem Arbeitsplatz festgenommen. Er ist zunächst noch guter Dinge und sagt zu seinen Kollegen: Zum Frühstück bin ich zurück. Aber aus den Klauen der faschistischen Staatsmacht konnte er nicht mehr entkommen. Man bezichtigt ihn „defätistischer Äußerungen" gegen Staat und Partei. Diese bestanden darin, daß sich Schmidt gegen das in der Betriebskantine aufgehängte Bild Hermann Görings wandte, daß er äußerte, der Krieg sei ohnehin verloren, es sei jetzt Zeit, die Uniformen und Parteibücher zu verbrennen, daß er kritisch gegen den Feldmarschall Rommel Stellung bezog oder in Bezug auf einen Besuch Goebbels' im zerstörten Köln sagt: Wenn die Polizei nicht gewesen wäre, so hätte die Bevölkerung Goebbels totgeschlagen.

Diese Äußerungen genügen, um ihn wegen Wehrkraftzersetzung und Vorbereitung zum Hochverrat anzuklagen.

Valentin Schmidt

Der Langenselbolder Zimmererpolier Valentin Schmidt.

Er wurde 1944 hingerichtet.

Die Staatsanwaltschaft formuliert:

Valentin Schmidt „wird beschuldigt, im Sommer und Herbst 1943 in Fulda fortgesetzt handelnd gehässige und hetzerische Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates und der Partei gemacht zu haben, die geeignet waren, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben." - „Der Angeklagte hat es dadurch unternommen, einen kommunistischen Umsturzversuch vorzubereiten sowie den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen.” Er hat „den Glauben an den Endsieg sowie das Vertrauen in die Führung des Reiches erschüttern" wollen.

Valentin Schmidt wird zunächst in Fulda im Gerichtsgefängnis festgehalten. Seine Frau Maria fährt regelmäßig mit dem Zug von Langenselbold nach Fulda und besucht ihn. Valentin Schmidt äußert seiner Frau gegenüber den Verdacht, daß sein Kollege Philipp Ellermann, dessen Verhältnis zu ihm vielleicht von Neid geprägt war, ihn bei der Gestapo denunziert hat. Auch andere Arbeitskollegen von Schmidt vermuten das. Frau Schmidt wendet sich schriftlich an den Chef ihres Mannes, Wilhelm Kaus**), und bittet ihn, sich für ihren Mann einzusetzen. Aber Kaus denkt nicht daran. Im Gegenteil: Als Maria Schmidt drei oder viermal in seinem Büro anklopft, ist er nicht zu sprechen. Und schriftlich droht er ihr, daß, wenn sie weiterhin Philipp Ellermann verdächtige und sich nicht bei diesem entschuldige, werde er veranlassen, daß sie ihren Mann nicht mehr in Fulda besuchen dürfe. Offenbar verfügte Kaus über soviel Macht und Einfluß bei der Gestapo, daß sein Arm bis ins Gerichtsgefängnis reichte.

Todesurteil gegen Valentin Schmidt, Volksgerichtshof Berlin vom 27.3.1944
wegen Wehrkraftzersetzung.


Der "Volksgerichtshof" hat mal wieder gemordet!

Valentin Schmidt wird im März 1944 nach Berlin gebracht und dort vor den berüchtigten Volksgerichtshof gestellt. Entlastungszeugen werden nicht geladen. Es gibt nur zwei Belastungszeugen: Philipp Ellermann und Christof Hanbuch. Valentin Schmidt hat bis zuletzt auf seine Freilassung gehofft. Aber die faschistischen Henker waren unerbittlich. Allein der Berliner Volksgerichtshof verhängte etwa 5.000 Todesurteile. Insgesamt hatten deutsche Richter in wenigen Jahren zwischen 50.000 und 80.000 Todesurteile gefällt. Auch Valentin Schmidt wird im März 1944 zum Tode verurteilt. Das Urteil wird am 2. Mai 1944 mit dem Fallbeil vollstreckt.

An diesem Todesurteil wirkten mit: Volksgerichtsrat Lämmle, Kammergerichtsrat Dr. Makart, SS-Gruppenführer Petri, SA-Obergruppenführer Heß, SS- Obersturmbannführer Dörfler und Landgerichtsrat Dr. Scholz.

Die Witwe erfährt von der Hinrichtung ihres Mannes erst sechs Wochen später.

Daß man wegen ein paar Äußerungen gegen Hitlers Kriegspolitik hingerichtet werden konnte, gehört zu den Ungeheuerlichkeiten des faschistischen Staates. Die Ungeheuerlichkeiten nehmen aber ihre Fortsetzung, wenn man den Umgang mit diesen Ereignissen in der Nachkriegszeit betrachtet: Was sich zwischen 1945 und 1950 in diesem trüben Geschichtskapitel vollzieht, ist das, was Ralph Giordano die „zweite Schuld" nennt.

Kaus, Ellermann und Hanbuch werden zwar zunächst zur Rechenschaft gezogen. Sehr bald aber verlieren sich die Versuche, die ehemaligen Nazis und ihre Zuträger zu verfolgen. Spätestens 1948 wird der große Frieden mit den Tätern angestrebt, die man im Sinne einer neuen antikommunistischen Politik in der Ära des Kalten Krieges wieder benötigte.

Die Familie von Valentin Schmidt wurde niemals entschädigt. Unter schwierigsten wirtschaftlichen Bedingungen zog die Witwe ihre Töchter auf. Die damalige Gemeinde und heutige Stadt Langenselbold vergaß ihren Toten; weder wurde der Versuch einer Wiedergutmachung gemacht noch wurde dem Toten ein öffentliches ehrendes Andenken zuteil. Die Nachkriegspolitik kehrte diese Geschehnisse unter den Teppich.

*) Der hier geschwärzte Satz wurde durch Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 17. 12.1998 untersagt. Die Urteilsbegründung stützt sich auf die im Dezember 1948 erfolgte Rehabilitierung des Wilhelm Kaus durch seine Einstufung als „Mitläufer". Ich messe dieser Einstufung keine Bedeutung zu, denn zu diesem Zeitpunkt wurden fast alle Täter zu „Mitläufern" erklärt - d. Verf.

**) Damals Wehrwirtschaftsführer - d. Webmaster

Pars pro toto:
ohne zu zögern!

Und wer blieb Sieger? Auf keinen Fall die Opfer. Die blieben Opfer. Sie... sind immer noch tot. Vergessen. Sie haben sich umsonst aufgelehnt.

Und niemand beweint sie.
Doch die Richter... haben nur “ihre Pflicht” getan. Keiner wurde in den Westzonen oder der BRD belangt, verurteilt oder um seinen Pensionsanspruch gebracht.

Dies ist ein Blick in die Realität der sogenannten Wohlfühl-Diktatur eines Götz Aly.