Die Vogteien des Stiftes St. Stephan zu Mainz
Alfons Gerlich

Erstveröffentlichung in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 101, 1953.
Mit freundlicher Erlaubnis des Autors Prof. em. Dr. Alois Gerlich wie der Kommission für geschichtliche Landeskunde, die die Geschichte am Oberrhein herausgibt, machen wir unseren Leserinnen und Lesern diesen für unsere Region wichtigen Beitrag erneut zugänglich. Zudem verweisen wir gerne auf das Buch “Territorium, Reich und Kirche”, das zu Ehren des 80. Geburtstages des Autors durch die Historische Kommission für Nassau herausgegeben wurde.

Die verfassungs- und rechtsgeschichtliche Forschung der letzten Jahrzehnte hat sich verschiedentlich mit Fragen der Kirchenvogtei beschäftigt und von mehreren Seiten aus die sich aus dem Verhältnis der weltlichen Macht zum Besitz geistlicher Institutionen ergebenden Probleme behandelt. Neben Erörterungen über die Entstehung der Vogtei und die Vogteigerichtsbarkeit stehen Abhandlungen über speziellere Themen, wie die sich aus der Immunität ergebenden Beziehungen zur Vogtei, die kaiserliche Zisterzienservogtei, die Stellung der Vögte zu öffentlichen Abgaben und nicht zuletzt Untersuchungen über die aus den Reformbestrebungen des 11. und 12. Jahrhunderts sich ergebende Ablehnung laikaler Elemente in der Vogtei, die im Begriff der libertas ihren programmatischen Ausdruck fand.

Es ist hier nicht am Ort, auf diese und andere hier nicht erwähnte Vogteiuntersuchungen mit landschaftlicher Begrenzung einzugehen. Gesagt sei nur, daß die Gegend des nördlichen Oberrheingebiets mit den Bistümern Mainz, Worms und Speyer bisher nur wenig in diesen Zusammenhängen beachtet wurde, obwohl gerade sie als eine der vornehmsten Kernlandschaften deutscher Vergangenheit auch hier einen begründeten Anspruch auf entsprechende Berücksichtigung hat. In diesem Gebiet wurde bisher lediglich die Vogteientwicklung des Stiftes Hördt im Bistum Speyer erschöpfend aufgezeigt. Wenn im folgenden nun die Vogteien von St Stephan zu Mainz behandelt werden sollen, geschieht dies aus zweierlei Gründen einmal um die Vogteientwicklungen eines Stiftes des ehemaligen Mainzer Erzbistums, das hier bisher nur wenig beachtet wurde, in ihrer fast vollständigen Lückenlosigkeit darzubieten, zum anderen, weil sie wertvolle Einblicke m die Kirchenpolitik Ottos III. und bezeichnende Beispiele für die Bedeutung der Vogteien bei der Entstehung der spätmittelalterlichen Territorien enthaltenSt_Stephan_zu_Mainz

Als kurz vor dem Jahre 990 der damalige Mainzer Erzbischof Willigis das Stift St. Stephan gründete, rief er eine Institution ins Leben, deren Geschichte bemerkenswerte Züge aufweist. Denn hier handelt es sich nicht um eine der vielen Stiftskirchen, die um jene Zeit entstanden, sondern um eine Kirche mit eigenem Gepräge, zumindest was die Gründungszeit angeht. St Stephan war nicht ein Stift, das man schlechthin in die Kategorie der bischöflichen Eigenkirchen einordnen kann, sondern vielmehr ein Institut, das teils als eine solche dem Mainzer Erzbischof gehörende Kirche, teils als niedere Reichskirche angesprochen werden kann Die Stellung des Stiftes zwischen dem Mainzer Ordinarius und der Zentralgewalt des Reiches druckt sich klar in den Schenkungen aus, die von beiden um die Jahrtausendwende an die Neugründung gemacht werden.

Vom Mainzer Erzbischof kamen Übereignungen von Besitz und Gerechtsamen, die im Gebiet des unteren Mainlaufes und des Ostteils des Taunus lagen, wie die Pfarreien Münsterliederbach und Schloßborn, von denen die letztere, im damals der kolonisatorischen Erschließung harrenden Waldland gelegen, erst kurz zuvor entstanden war. Durch den deutschen König wurden zwei bislang im Verband des Reichsgutes stehende Höfe, die villae Hahnweiler in der heutigen Rheinpfalz im Jahre 992 und Büchenbach in Ostfranken 996 zur Erstausstattung des neuen Stiftes beigesteuert. Gerade die königlichen Schenkungen sind aufschlußreich für das Interesse, das die Zentralgewalt neben dem Mainzer Erzbischof an der jungen Institution besaß. Ähnlich wie bei dem gleichzeitig mit St. Stephan entstehenden Mainzer Stift St. Viktor gewann Otto III. auf die Rechtslage der Stiftsgüter und sogar auf die rechtliche Stellung des Stiftes selbst einen bestimmenden Einfluß.

Außer in den beiden bisher genannten Urkunden Ottos III. für St. Stephan läßt sich diese Einwirkung des Königs besonders klar in einer Zweitausfertigung der Büchenbacher Schenkung, die aus dem Jahre 997 stammt, fassen. Ein äußerer Anlaß für die Erneuerung der Schenkung ist nicht zu erkennen, es steht nur zu vermuten, daß sie seitens des Mainzer Erzbischofs oder, was eine ihrer Schutzbestimmungen als wahrscheinlicher erscheinen laßt, seitens der Stiftsherren selbst von dem inzwischen zum Kaiser gekrönten Otto III. erbeten wurde, um der Schenkung vielleicht einen höheren Grad von Sicherheit zu verleihen. In dieser neuen Ausfertigung sind besonders die Bestimmungen zur Vogtei bedeutungsvoll. Die Urkunde sichert nämlich den Stiftsherren die Freiheit zu, sich selbst einen Vogt wählen zu können. Damit wird St. Stephan in Mainz ein Recht zugestanden, das um diese Zeit nur kirchlichen Instituten gewährt wurde, die unter Königsschutz standen. In dieser Urkunde von 997 liegt an sich keine Absonderlichkeit vor, gleiche oder ähnliche Bestimmungen enthalten auch Diplome für viele andere Kirchen, immerhin zeigt aber gerade die in ihr enthaltene Vogteibestimmung, welche Bedeutung das Mainzer Stift tatsächlich hatte, oder welche Stellung man ihm seitens des Königs für eine kommende Entwicklung zudachte und wie man diese Freiung als Mittel ansah, St. Stephan näher an das Königtum zu ziehen und seinen Besitz gegen Einflüsse, die ihren Ausgang beim Erzbischof von Mainz nahmen, oder auch gegen Übergriffe weltlicher Magnaten zu schützen und ihn so vielleicht auch als Grundlage für einen Teil des vom Mainzer Erzbistum zu leistenden Reichsdienst zu erhalten. Auch für den Besitz von St. Stephan in Büchenbach, sowie für alle anderen Besitzstücke, die in seine Hand kamen, durfte die hohe Immunität bestanden haben, die dem Erzbistum wahrscheinlich in der Ottonenzeit verliehen worden war, die ebenso wie für die Besitzungen des Erzstiftes auch für das Eigentum der dem Erzbistum nachgeordneten geistlichen Institutionen galt.

Bei der Klarlegung des historischen Hintergrundes, der für die Aufnahme der Vogtwahlfreiheit in die Urkunde Ottos III. von 997 wahrscheinlich maßgebend war, muß etwas weiter ausgeholt werden. Man muß zu diesem Zweck den Schlußpunkt der Rechte von St. Stephan an der curtis Büchenbach zunächst ins Auge fassen. Als 1008 Erzbischof Willigis den Hof Büchenbach an König Heinrich II. abtrat, damit ihn dieser an das von ihm neugegründete Bistum Bamberg weitergeben konnte, begegnet als erster sicher faßbarer Vogt des Stiftes Pfalzgraf Ezzo. Es kann auf den ersten Augenblick ein wenig befremdend wirken, daß der rheinische Pfalzgraf die Stiftsvogtei über den ostfränkischen Besitz in der Hand hat. Eine Erklärung mit großer innerer Wahrscheinlichkeit bietet indessen die nahe Verwandtschaft der Ezzonen mit dem Ottonischen Herrscherhause, die vielleicht den Mainzer Erzbischof bestimmt haben mag, einen Verwandten des Herrschers mit der Vogtei über einen Besitzteil einer der von ihm gegründeten Kirchen zu betrauen. Unter dieser Voraussetzung wäre die angeführte Vogtwahlfreiheit vielleicht aufzufassen als Rechtsgrundlage für die Bestellung eines Vogtes durch das Mainzer Stift, dessen Wahl durch den Ordinarius entsprechend beeinflußt wurde. Vielleicht waren aber auch Tatsachen für deren Gewährung maßgebend, die in der bisherigen Rechtslage der curtis Büchenbach selbst zu suchen sind. Als nämlich 997 der Hof in Mainzer Besitz kam, wird als Inhaber der Vogtei ein Graf Luitpold genannt, ein Angehöriger des Babenberger Hauses. Aus der Verschiedenheit der Familien, die jeweils 997 und 1008 die Vogtei ausüben, kann vielleicht geschlossen werden, daß sich beim Übergang des Hofes in Mainzer Eigentum die Ezzonen an die Stelle der Babenberger setzen und so ihre Gerechtsame in einem Landesteil, in dem sie auch sonst mehrfach begütert waren, erweitern. Vielleicht war die Aufnahme des Vogtwahlprivilegs in die Urkunde von 997 nötig, um sowohl dem Mainzer Erzbischof als auch dem Pfalzgrafen eine Handhabe zu bieten, damit sie ihre Ansprüche gegen den bisherigen Vogt durchsetzen konnten. Wie die konkrete Lage 997 im einzelnen auch gewesen sein mochte, das eine ist augenscheinlich, daß von Otto III. versucht wurde, bestimmenden Einfluß auf das neue Stift zu erlangen. Unter seinem Nachfolger, an den der Hof in Büchenbach in Tausch gegeben wurde, tritt dieses Bestreben der Zentralgewalt gegenüber der Mainzer Stiftskirche zurück. In den noch zu besprechenden Urkunden Heinrichs II. findet sich keine der Vogtwahlbestimmung von 997 entsprechende Stelle mehr. Vielmehr hat von nun an der Einfluß des Mainzer Ordinarius auf das Stift die Oberhand.

Bevor zu dem erwähnten Abtausch Büchenbachs übergegangen wird, soll noch ein kurzer Blick auf den Stiftsbesitz in Hahnweiler geworfen werden. Hier ist die urkundliche Überlieferung leider denkbar schlecht. Außer der Urkunde von 992 ist kein weiteres Zeugnis mehr vorhanden, das Aufschluß über den Besitz des Mainzer Stiftes südlich des Donnersberges geben könnte. Auch die Vögte lassen sich urkundlich nicht fixieren. Es besteht die Möglichkeit, daß auch hier die Ezzonen die Vogtei ausübten. Vielleicht kommen als Vögte aber auch die Salier in Frage. Diese erhielten 985 das Gebiet des Reichsforstes Lautern und dehnten ihren Herrschaftsbereich hier und im Hinterland von Worms rasch aus, wobei ihnen vieler kirchlicher Besitz, es sei nur an die Besitzentziehungen, die die Abtei Weißenburg dulden mußte, erinnert, zum Erwerbsobjekt wurde. In diese Expansion der salischen Einflußsphäre könnte vielleicht auch die curtis Hahnweiler einbezogen worden sein. Wie lange sie überhaupt in der Hand der Mainzer Stiftsherren war, ist unbekannt. Man hat vermutet, daß sie vielleicht um 1035 an die Abtei St. Maximin im Tausch gegen deren Eigentum in Bretzenheim bei Mainz abgetreten wurde. Sicheres läßt sich hier jedoch nicht aussagen. Auch im Besitz von St. Maximin scheint der Hof nur wenige Jahre gewesen zu sein. Die Schenkung Hahnweilers an das Mainzer Stephansstift durch Otto III. ist in der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung des Rheingebiets vielleicht als ein kleiner Ansatz zum Aufbau einer mainzischen Herrschaft südlich des Donnersbergs zu werten, dem jedoch infolge der salischen Machtexpansion keine Zukunft beschieden war, auch dann nicht, als später Konrad II. die curtis Hahnweiler nach deren kurzem Bestand im Eigentum von St. Maximin wieder an Mainz, diesmal an das dortige Domstift, übertrug. Durch die Schenkung des Reichsforstes Lautern durch Otto III. an die Salier und die darauffolgende Erweiterung ihres Herrschaftsgebiets im Pfälzer Waldland wurden vielmehr das Mainzer Erzbistum und die diesem nachgeordneten Kirchen nach Norden abgedrängt und konnten später ihre weltlichen Herrschaftsansprüche nur im Nahegebiet und im Hunsrück durchsetzen.

Für St. Stephan fällt dann in das Jahr 1008 eine einschneidende Veränderung seines Besitzes, die auch für die weitere Vogteientwicklung von großer Bedeutung wurde, zum Teil sogar ganz neue Entwicklungsmöglichkeiten einleitete. Den Anstoß zur Verlagerung des Stiftsbesitzes gab ein gänzlich außerhalb der Mainzer Sphäre liegendes Ereignis, die Errichtung des Bistums Bamberg durch König Heinrich II. In dessen Absicht dürfte von Anfang an die Vergabung des verhältnismäßig nahe bei Bamberg gelegenen Büchenbach an seine Neugründung gelegen haben. Zu diesem Zwecke mußte es aber aus dem bislang bestehenden Eigentumsverhältnis zu dem Mainzer Stephansstift gelöst und gegen anderen Besitz aus dem Reichsgut eingetauscht werden. Dies dürfte auch dem Mainzer Erzbischof gelegen gekommen sein, weil er auf diesem Wege die neu an das Stift gelangenden Besitzstücke enger in die Mainzer Einflußsphäre zu ziehen hoffen konnte. Tatsächlich läßt sich diese Tendenz des Mainzer Erzbischofs aus den Vorgängen des Jahres 1008 klar herauslesen. Im Unterschied zu Otto III., der, wohl aus der Erwägung heraus, den geschlossenen Reichsgutkomplex im Rhein-Maingebiet nicht durch Schenkungen an die Kirche aufzusplittern, Besitzstücke des Reiches in anderen Landesteilen, in denen das Reichsgut ohnedies nicht mehr in sich geschlossen war, an St. Stephan schenkte, was bei der damaligen Wirtschaftsstruktur gewiß seine Vorteile hatte, ging Erzbischof Willigis von anderen, dem Mainzer Erzbistum arteigenen Voraussetzungen in der Besitzausgestaltung des Stiftes aus. Ihm kam es darauf an, seiner Gründung Eigentum im Mainzer Einflußbereich zu verschaffen. Älterer Besitz und Neuerwerbungen sollten sich gegenseitig ergänzen, stützen und sichern. Heinrich II. kam ihm bei diesem Vorhaben entgegen. Von den vier Königshöfen, die er 1008 für St. Stephan eintauschte, befinden sich drei in Gebieten, in denen älterer Mainzer Besitz anzutreffen ist. So liegen Niederohmen und Dillich im hessischen Raum, wo das Mainzer Erzbistum bereits seit der Mitte des 8. Jahrhunderts zu einem ausgedehnten Besitzstand gekommen war. Ähnlich ist es auch um den Königshof Eschborn bestellt, der hart östlich des Gebietes liegt, in dem St. Stephan kurz zuvor durch die erwähnten Schenkungen Willigis' zu Besitz gekommen war, und zu einer Region gehört, die zu den ältesten Einflußbereichen des Erzbistums zu zählen ist. Hier hat sich im Laufe der Zeit ein in sich geschlossener Streifen Mainzer Eigentums entlang dem Nordufer des unteren Mainlaufes herausgebildet.

Allein die curtis Reil, die im Zuge der Besitzumgestaltung von 1008 an St. Stephan kam, macht insofern eine Ausnahme, als sie in einem Gebiet an der unteren Mosel liegt, in dem das Mainzer Erzbistum sonst keinen Besitz hatte. Sie verschwand denn auch bezeichnenderweise am frühesten aus dem Eigentum des Stiftes, das gegen seinen Moselbesitz Gerechtsame im Hinterland von Mainz um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert eintauschte und so der allgemeinen Ausdehnungsrichtung des Erzbistums folgte. Damit bilden sich für St. Stephan im 11. Jahrhundert drei Besitzzentren aus: Hessen, das Main-Taunusgebiet und das Hinterland von Mainz. In den Vogteien traf hier das Stift auf die jeweiligen landschaftlichen Gegebenheiten und mußte als Vögte die in den einzelnen Landesteilen ansässigen Adelsfamilien einsetzen. Bemerkenswert ist, daß die Bestimmung von der Vogtwahlfreiheit singulär nur im Diplom Ottos III. von 997 auftritt und in keine der Urkunden Heinrichs II. übernommen wurde. Der Hintergrund dieser Änderung kann nicht mehr bestimmt werden. Zwar nimmt Heinrich II. mit seinen Besitzzuweisungen von 1008 ähnlich wie sein Vorgänger immer noch einen maßgeblichen Einfluß auf die Besitzausgestaltung des Mainzer Stiftes, verzichtet aber augenscheinlich auf eine Festsetzung der Beziehungen des Stiftes zu dessen Vögten.

Von den Vogteien, die im Zuge der Besitzumgestaltung von 1008 entstanden, soll nun zunächst die in Reil an der Mosel besprochen werden, weil dort ein nur kurzer und hinsichtlich des Stiftes peripherer Entwicklungsgang vorliegt. Hier sind die Quellen leider recht dürftig und überdies zum Teil verunechtet. Auskunft über die Vogtei gibt nur eine Urkunde von etwa 1103, die den Abtausch des Stiftsbesitzes an der unteren Mosel enthält, jedoch hinsichtlich der Besitzgeschichte im einzelnen nur mit Vorsicht zu benützen ist. Zu den Teilen, die aus älteren Aufzeichnungen übernommen sein dürften und reale Verhältnisse widerspiegeln, gehört sicherlich auch die Erwähnung des rheinischen Pfalzgrafen als Vogt des Stiftes. Denn einmal hat die Erwähnung des Vogtes nichts mit dem unsicheren Umfang der Stiftsgüter zu tun, zum anderen ist die Vogtei des Pfalzgrafen als sehr wahrscheinlich anzusehen in Anbetracht des Besitzes seiner Familie im unteren Moselraum. Es ist anzunehmen, daß der Pfalzgraf bereits 1008, als der Hof Reil in den Besitz des Mainzer Stiftes überging, die Vogtei erhielt. Er wäre mithin für das gesamte 11. Jahrhundert als Vogteiinhaber anzusehen.- Auch in Alzey, dessen Kirche St. Stephan gegen seinen Reiler Besitz vom Kloster Ravengiersburg eintauschte, war der Pfalzgraf Vogt. Hier erkennt man in der Geschichte des Stiftes erstmals die Auseinandersetzung mit einer starken, gerade in ihrer Ausbildung begriffenen Territorialmacht. Wahrscheinlich konnten sich hier die Stiftsherren nicht gegen die Vögte durchsetzen, jedenfalls deutet die Abtretung der stiftischen Rechte in Alzey an den Mainzer Erzbischof im Jahre 1189 darauf hin. Aber auch der Mainzer Erzbischof konnte die Mainzer Rechte, es handelt sich im wesentlichen um das Patronat und das Grundeigentum der Alzeyer Kirche, nicht auf die Dauer bewahren. An seine Stelle setzte sich der Kurfürst von der Pfalz, Zeitpunkt und Art seines Vorgehens lassen sich indessen nicht mehr fassen. Immerhin dürfte hier die Vogtei über den Mainzer Besitz mit dazu beigetragen haben, das pfälzische Territorium aufzubauen, ein Vorgang, wie er in noch ausgedehnterem Maße in anderen Gebieten mit stiftischem Besitz zu beobachten sein wird.

Im hessischen Raum, dem sich die Darstellung nun zuwenden soll, gliederte sich der Stiftsbesitz verhältnismäßig stark auf, wobei hinsichtlich des Zugangs zwei Schichten zu unterscheiden sind. Zum älteren Bestand gehören die Gebiete der ehemaligen Königshöfe Niederohmen und Dillich, während der Stiftsbesitz im Ebsdorfer Grund aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts herrührt.

Man nimmt an, daß in Niederohmen der Vogteibezirk aus einer alten Zent stamme, die als solche noch in der Zeit, in welcher das Reich Eigentümer des Gebietes war, sich auflöste. Am Anfang der Entwicklung stünde demnach hier eine zersplitternde Verwaltungs- und Gerichtseinheit des Reiches, von der ein Bruchteil durch die Vorgänge von 1008 in den Besitz des Mainzer Stiftes überging, wonach die damit zusammenhängenden Gerechtsame in der Gerichtshoheit fortan durch einen Vogt des Stiftes ausgeübt wurden. Es war wohl eine Folge der geographischen Gegebenheiten, daß in Niederohmen die benachbarten Herren von Merlau zu Stiftsvögten wurden. Der Übergang der Vogtei in ihre Hände beim Wechsel des Gebiets aus der Verfügungsgewalt des Königtums in das Eigentum des Mainzer Stiftes kann zwar nicht sicher erfaßt, aus späteren Verhältnissen aber doch mit einiger Sicherheit erschlossen werden. Mit dem Beginn des 13. Jahrhunderts wird die Vogtei der Merlauer in Niederohmen dann urkundlich faßbar. Mit der Vogtei besaßen die Herren von Merlau im Stiftsgebiet auch die niedere Gerichtsbarkeit. Das 13. Jahrhundert bringt mannigfache Auseinandersetzungen der Vögte mit dem Stephansstift, in deren Verlauf verschiedene Ansprüche der Vögte abgewiesen wurden; unter anderem müssen diese damals auf eine Schätzung der Vogteiinsassen und auf die Einsetzung von Untervögten verzichten. Diese Auseinandersetzungen kennzeichnen sich leicht als eine Folge der in jener Zeit in intensiver Art einsetzenden Territorialisierungstendenzen, in deren Verlauf die jeweiligen Dynasten versuchen, ihre Macht- und Einflußsphäre durch Einbeziehung kirchlicher Besitzstücke zu erweitern, wobei gerade die Vogteien mit den ihnen anhängenden Gerichtsrechten häufig das Mittel solcher Machtexpansion wurden. Begünstigt wurde diese Entwicklung, die einen allgemeinen Zug des 13. und 14. Jahrhunderts darstellt, durch das Lehensrecht, das es den Vögten oft ermöglichte, eine unmittelbare Nutzung der betreffenden Besitzstücke durch ihren Eigentümer zu unterbinden. Gegenüber den Herren von Merlau konnte sich das Stift jedoch, wenigstens vorläufig, durchsetzen. Immerhin zeichnen sich in diesen Streitigkeiten bereits Konturen einer künftigen Entwicklung ab, wenn auch die Herren von Merlau noch bis in die 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts seitens des Stiftes Bestätigungen ihrer Vogtei und ihrer übrigen Rechte erhielten.

In Dillich lassen sich für das 11. Jahrhundert bezüglich der Vogtei keine Angaben machen. Nur vermutungsweise kann geäußert werden, daß die Grafen von Waldeck, die im 14. Jahrhundert als Vögte von St. Stephan auftreten, oder deren Vorfahren schon damals die Vogtei in die Hand bekamen. Hier sind Auseinandersetzungen um die Rechte der Vögte, wie sie in Niederohmen stattfanden, unbekannt. Aber auch hier sollte die Entwicklung sehr rasch durch das Eingreifen mächtigerer Territorialkräfte von außen her zuungunsten des Stiftes beeinflußt werden.

Im Unterschied zu den beiden bisher besprochenen hessischen Besitzstücken des Mainzer Stephansstiftes, die aus dem Beginn des 11. Jahrhunderts stammen, rühren die Rechte des Stiftes im Ebsdorfer Grund aus späterer Zeit. Aus den mehrmaligen Aufenthalten Heinrichs III. und Heinrichs IV. in jener villa schloß man auf ein Verbleiben auch des umliegenden Gebietes in der Hand des Herrschers für das gesamte 11. Jahrhundert. Hier schuf wahrscheinlich erst die Spätphase des Investiturstreites eine Möglichkeit, auch dieses Gebiet dem Mainzer Einfluß, der weiter nördlich in Amöneburg und Büraburg schon mehrere Jahrhunderte bestand, zu öffnen. Denn nach dem Frontwechsel der Gisonen, der bisherigen Lehensträger des Reiches in diesem Gebiet, von der Seite Heinrichs V. auf die von dessen Gegner Erzbischof Adalbert I. von Mainz, der nach anfänglichen Mißerfolgen im Rheingebiet seine Sorge um Sicherung und Ausbau des entstehenden Mainzer Territoriums besonders dessen nördlichen Positionen zuwandte, war wahrscheinlich die Bahn frei für eine Übernahme des Ebsdorfer Gebiets durch das Mainzer Erzbistum und seine Zuweisung an das Stift St. Stephan. Diesen Wechsel dürfte man um 1120 anzusetzen haben. Im Jahre 1151 begegnet in Ebsdorf ein Angehöriger der Familie von Erfurtshausen als Vogt des Stiftes. Wahrscheinlich handelt es sich bei diesem um einen vom Stifte eingesetzten Vogt. Gestützt wird diese Annahme durch die Überlegung, daß in Ebsdorf grundlegend andere Verhältnisse bestanden als in Niederohmen und Dillich. Der Besitzzugang beruhte hier wahrscheinlich nicht auf einer juristisch einwandfreien Übertragung durch den bisherigen Eigentümer, wie sie in den beiden Urkunden Heinrichs II. für Niederohmen und Dillich vorlag, sondern auf einer Usurpation bisherigen Reichsgutes im Zuge der Auseinandersetzungen des Investiturstreites. Adalbert I. dürfte bei diesen ungleich einschneidenderen Veränderungen keine Rücksicht auf die Dynasten des Gebietes genommen, sondern vielmehr einen ministerialischen Vogt dem Stift zubestimmt haben. Bis ins 14. Jahrhundert begegnen dann Angehörige dieser Familie als Vogteiinhaber im Stiftsbesitz des Ebsdorfer Grundes.

Eine völlig neue Lage wurde für den gesamten hessischen Besitz des Stiftes und mithin auch für die dortigen Vogteien durch das Vordringen der Landgrafen von Hessen aus dem Raum um Marburg und Kassel nach Süden geschaffen. Hier erstand dem Mainzer Erzstift und dessen Institutionen ein neuer und, wie die Zukunft zeigen sollte, unüberwindlicher Gegner, dessen Bestreben darauf gerichtet war, die Positionen des Erzbistums in sein eigenes Territorium aufzunehmen. Parallel mit dieser im Spätmittelalter allgemein zu beobachtenden Entwicklung zum institutionellen Flächenstaat, für die die Politik der Landgrafen ein bezeichnendes Beispiel zu bieten vermag, ging die allmähliche Umwandlung der Vogteien in die Gerichte der spätmittelalterlichen Zeit, die erkennbar ist an der Verwendung des neu auftretenden Verwaltungs- und Gerichtsbeamten, der den lehensrechtlich bestimmten Vogt der bisherigen Zeit ablöst.

Die Zeit, in der diese Vorgänge zu erkennen sind, ist das 14. und zum Teil auch das 15. Jahrhundert. Von besonderem Interesse ist hier eine Urkunde von 1370, in der die Landgrafen von Hessen den gesamten Besitz des Stephansstiftes zu Lehen empfangen, unter anderem auch die Vogteien. Befremdend wirkt hier das vollständige Verschweigen der Rechte der Merlauer in Niederohmen, die seitens des Stiftes erst vier Jahre zuvor anerkannt worden waren. Vielleicht sollte auf diese Weise die Lehenshoheit des Stiftes gegenüber den Herren von Merlau nicht berührt werden. Dieser Vorbehalt dürfte dann allerdings nicht lange wirksam gewesen sein, denn schon 1406 belehnten die Landgrafen die Herren von Merlau mit der Vogtei Niederohmen. Im 15. Jahrhundert treten dann noch außerdem die Schenken von Schweinsberg den Merlauern als hessische Lehensträger an die Seite.

Eine ganz ähnliche Entwicklung ist in Dillich anzutreffen, wo die Landgrafen vom Stift seit 1335 mit der Vogtei belehnt werden. Später findet sich die Vogtei in Händen der Herren von Dalwigk, die ebenfalls Lehensleute der Landgrafen waren, durch die vielleicht die Grafen von Waldeck aus der Vogtei verdrängt wurden.

Auch in Ebsdorf läßt sich eine analoge Entwicklung beobachten. So wie in Niederohmen die Umfassung des Gebiets durch die Einbeziehung des Gerichtes Merlau in den hessischen Machtbereich die Vorstufe für die Aufsaugung des Gebietes selbst durch den landgräflichen Staat bildete, ist hier die Absplitterung des Nordteils der Vogtei und die Einrichtung eines neuen Gerichts in Wittelsberg das Vorspiel für die Erfassung des bisher bestehenden Vogteibezirks durch die Landgrafen, wobei das Gebiet selbst gleichzeitig einer systematischen Durchdringung mit Elementen landgräflichen Einflusses unterworfen wurde, so daß bis zum 14. Jahrhundert das absolute Übergewicht der Landgrafen auch in diesem Raum gesichert war. In mehrfachen Belehnungen mußte das Stift diese Entwicklung anerkennen. Im Zuge dieser Vorgänge der Aufsaugung der Vogteien durch einen neuen Staat wurden die Gerechtsame der Vögte allmählich bedeutungslos und verschwanden. Um 1480 wird letztmalig ein Vogteigericht erwähnt.

Wenn auch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zwischen St. Stephan und den Landgrafen von Hessen lehensrechtliche Bindungen bestanden, kommt diesen dennoch nicht mehr als formale Bedeutung zu. Gerichtsrechte und tatsächliche Nutzung des übrigen Eigentums waren dem Stift vom 14. Jahrhundert an entglitten und dienten ihrerseits mit zum Aufbau der landgräflichen Territorialmacht. Gegenüber der stärkeren Macht der Landgrafen konnte sich das Stift nicht durchsetzen, seine Vögte wurden entweder verdrängt oder dort, wo sie bleiben konnten, in die Stellung landgräflicher Untervögte herabgedrückt und in die entstehende hessische Gerichtsverfassung eingebaut.

Im Taunusgebiet und am rechten Ufer des unteren Mains sind die Vogteien von St. Stephan erwachsen aus den Schenkungen, die hier Willigis und Heinrich II. machten. Für Eschborn, das 1008 an das Mainzer Stift kam, ist die Überlieferung für die ersten Jahrhunderte außerordentlich schlecht. Sicher faßbar sind die Stiftsvögte dort erstmals im Jahre 1370. Damals waren die Herren von Falkenstein-Münzenberg mit der Vogtei belehnt. Für die vor 1370 liegende Zeit können bezüglich der Vogtei Eschborn nur Vermutungen angestellt werden. Hinsichtlich ihres Besitzes waren die Herren von Falkenstein Erben der Grafen von Nürings, der staatlichen Hoheitsträger im Niddagau. In den siebziger Jahren des 12. Jahrhunderts starb das Grafengeschlecht aus. Es ist vielleicht möglich, daß die Herren von Falkenstein ihre Vogtei in gleicher Weise wie ihren Besitz aus der Nürings'schen Erblassung herleiteten. Sicheres läßt sich hier jedoch nicht aussagen, weil eine Vergabung der Vogtei Eschborn durch das Stephansstift an die Grafen von Nürings nicht nachweisbar ist. Alle weiteren Erwägungen zu diesem Punkte verbietet der Mangel an urkundlicher Überlieferung. Nur am Rande sei noch angeführt, daß für die gleichfalls erst 1370 erwähnte Vogtei der Falkensteiner in Münsterliederbach und Hattersheim, wo der Stiftsbesitz auf die Schenkungen zurückgeht, die der Mainzer Erzbischof zur Erstausstattung des Stiftes beitrug, die gleiche Herkunft vermutet werden darf wie in Eschborn, die jedoch auch hier ebenso wenig urkundlich belegt werden kann wie dort.

Die Herren von Falkenstein bekamen aus ihren Vogteien genau fixierte Abgaben in Geld und Naturalien. Daneben hatten sie noch Einkünfte aus Gerichtssitzungen und Strafgeldern, die indessen zahlenmäßig nicht feststellbar sind.

In Schloßborn, der Schenkung des Erzbischofs Willigis, durch die St. Stephan in die Expansion der Mainzer Gerechtsame im ausbaufähigen Taunuswaldland eingeschaltet wurde, traf das Stift auf die Dynastie der Herren von Eppstein. Allmählich wurde es hier in eine Lage gedrängt, die zwar nicht das territoriale Ausmaß hatte, in ihrem Kern aber ähnlich der gegenüber den Landgrafen von Hessen im 13. und 14. Jahrhundert war. Die zitierte Besitzbestätigung des Mainzer Erzbischofs Bardo, die Nachricht gibt von der Übereignung des Schloßborner Gebiets durch Willigis an St. Stephan, enthält keine Angaben, aus denen man die Vogteiverhältnisse erkennen könnte. Ihr Sachinhalt besteht im wesentlichen nur aus einer Zirkumskription des Schloßborner Pfarrsprengels; die Pertinenzformel deutet an, daß St. Stephan in diesem Gebiet neben dem Besitz an der Kirche und deren Zubehör auch noch andere Rechte hat. Erst eine Urkunde von 1317, in der die Kanoniker von St. Stephan den Herren von Eppstein mit ihrer Vogtei in Schloßborn und den Ortschaften der Umgebung belehnen, läßt einen tieferen Einblick in die Vogteiverhältnisse zu. Aufschlußreich ist in dieser Urkunde die Bemerkung, daß die Vogtei nunmehr schon in der dritten Generation in Eppsteinschem Besitz ist. Man kommt damit für den Beginn dieser Beziehungen zwischen dem Stift und den Herren von Eppstein an die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert. Auch hier erhebt sich nun die Frage, wer im ersten Jahrhundert nach der Besitzzuweisung Schloßborns an St. Stephan dort Vogt war. Schloßborn gehörte zum Niddagau, man trifft also auch hier in den Grafen von Nürings die gleichen Träger der staatlichen Hoheitsrechte wie in Eschborn; gleichermaßen wie die Herren von Falkenstein waren aber auch die Herren von Eppstein Erben der Grafen von Nürings. Man hat aus dieser Sachlage geschlossen, die Grafen von Nürings wären im 11. Jahrhundert Inhaber der Stiftslehen in Schloßborn gewesen. Eine innere Wahrscheinlichkeit ist dieser Annahme zwar nicht abzusprechen, indessen kann sie nicht sicher urkundlich bewiesen werden.

Im 15. Jahrhundert vereinigten dann die Herren von Eppstein die Vogteien in Schloßborn, Münsterliederbach, Hattersheim und Eschborn in ihrer Hand, weil sie ihre Falkensteiner Verwandten überlebten. Obwohl diese Vogteien so in einer Hand vereinigt waren, ist ihnen im Territorialisierungsprozeß des späten Mittelalters eine verschiedene Bedeutung zuzumessen.

Ähnlich wie in Hessen setzt in Schloßborn im 12. Jahrhundert eine Entwicklung ein, die im Zeichen der Einbeziehung der Stiftsgerechtsame in das sich langsam herausbildende Eppsteiner Territorium steht. Hier war wiederum die Vogtei die Basis, von der aus die Herren von Eppstein eine Ausweitung ihres Einflusses im Stiftsgebiet begannen. Die Dynasten werden auf diesem Weg Nutznießer der erfolgreichen Kolonisationstätigkeit, die sich in den beiden vorausgegangenen Jahrhunderten dank der Initiative von St. Stephan entfaltet hatte, und ernten die Früchte eines umfassenden Landesausbaues. Veränderungen der Filiationsverhältnisse der Schloßborner Mutterkirche zu Ende des 12. Jahrhunderts boten wahrscheinlich den Anlaß zu einem Streit zwischen Stift und Vogt. Im Jahre 1223 werden die umstrittenen Stiftsgüter an die Herren von Eppstein in Lehen gegeben und damit eine ähnliche Entwicklung von Vogtei und Gütern wie in Hessen in die Wege geleitet. Um diese Zeit setzt an der Nordgrenze des Stiftsgebietes ein Abbröckelungsprozeß ein, durch den einige Pfarreien in die Trierer Erzdiözese gelangen, der zwar kaum in ursächlichem Zusammenhang mit den Belehnungen der Eppsteiner steht, aber doch vielleicht den schwindenden Einfluß des Stiftes in diesem Gebiet beleuchtet. Gleichwie die hessischen Landgrafen sind die Herren von Eppstein Vertreter des aufstrebenden Landesfürstentums, ähnlich wie jenen glückt ihnen auf dem Wege über die Vogtei mittels des Lehensrechtes die Übernahme des Stiftseigentums in ihren Machtbereich und dessen Verwendung beim Aufbau ihres Staates. Auch sie schieben sich durch ihre Stellung als Lehensträger zwischen das Stift und sein Eigentum und unterbinden fortan eine unmittelbare Nutzung. Die Vogtei wird so auch bei den Herren von Eppstein zu einem wichtigen Element beim Aufbau ihres Territoriums, ein Vorgang, wie er im späteren Mittelalter allenthalben zu beobachten ist. Über diese lokalen Vorgänge in Schloßborn hinaus ist der Einfluß der Herren von Eppstein auf das gesamte Mainzer Erzstift augenscheinlich. Die mehrfachen Besetzungen des Mainzer Stuhles durch Angehörige dieses Hauses zeigen, welche Stellung die Dynasten sich gegenüber dem entstehenden Mainzer Kurstaat zu sichern wußten. In Schloßborn war die Übernahme der Stiftsrechte durch die Herren von Eppstein von Erfolg gekrönt, weil dem Mainzer Stift aus der Struktur seines Besitzes heraus und wegen des Fehlens jeglichen Rückhaltes an anderem Mainzer Einfluß in der unmittelbaren Nachbarschaft keine Möglichkeit gegeben war, den Vögten entgegenzutreten.

Im Gegensatz zu Schloßborn gelang es den Herren von Eppstein in ihren anderen Vogteien, die sie von St. Stephan zu Lehen trugen, nicht, den Stiftsbesitz seinem Eigentümer zu entfremden. In Münsterliederbach und Eschborn trafen sie nämlich auf territoriale Voraussetzungen, die einer Expansion ihrer Macht von Anfang an wenig Gelegenheit zur Verwirklichung geboten hätten. Am unteren Mainlauf befindet sich zwischen Mainz und Höchst ein breiter Gebietsstreifen, in dem das Mainzer Erzbistum schon seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert zu Besitz und Einfluß gekommen war; hier gelang den Erzbischöfen der Ausbau eines Territoriums, das vom Mainufer bis an den Taunusrand reichte und sich in seinen letzten Ausläufern bis in die südliche Wetterau erstreckte. Weiter östlich bildete sich das reichsstädtische Territorium Frankfurts heraus. In diesem Gebiet hatte der Besitz von St. Stephan Anlehnungsmöglichkeiten an anderes Mainzer Eigentum. In Münsterliederbach, Hattersheim und Eschborn ließen die Herren von Eppstein auffälligerweise ihre Vogteien von den Rittern von Kronberg versehen, ganz im Gegensatz zu Schloßborn, wo sie ihre Gerechtsame selbst in der Hand behielten, dazu sogar dort durch einen Passus der Lehensurkunden verpflichtet waren, der vorsah, daß allein der senior heres pro tempore dominus in Eppinstein die Vogtei besitzen solle. Die Untervogtei der Kronberger in den drei genannten Ortschaften scheint erst eine verhältnismäßig späte Erscheinung zu sein. Vielleicht rührt sie erst aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts her, aus der Zeit nach der Beerbung der Herren von Falkenstein durch das Haus Eppstein. Eine Aufzeichnung der Lehensträger, die in St. Stephan zu Mainz 1370 angefertigt wurde, kennt in den Orten des Untermaingebiets nur die Herren von Falkenstein als Vögte. Ob die Kronenberger im 15. und 16. Jahrhundert das Vogteigericht überhaupt noch abhielten, ist ungewiß, jedenfalls sagen die Quellen nichts aus. Sicher gilt auch hier, was anläßlich der Vogteientwicklung in Hessen gesagt wurde, daß nämlich die Vogtei im späten Mittelalter in der Gerichtsverfassung der Territorien, hier des werdenden Mainzer Kurstaates, aufging. Klar läßt sich dieser Vorgang bei der Vogtei der Ritter von Kronberg anläßlich des Erlöschens ihrer Familie im Jahre 1592 an seinem Schlußpunkt fassen. Die Vogteirechte werden nicht mehr von den Stiftsherren an eine andere Familie zu Lehen gegeben, sondern an das Mainzer Erzstift als die St. Stephan übergeordnete Institution verkauft. Das Aussterben der Familie, die die Vögte stellte, war so der Anlaß geworden, die bisher zu Lehen ausgegebenen Rechte in der Gerichtshoheit des Erzstiftes aufgehen zu lassen.

Bevor nun auf die Vogteientwicklungen in den in der Nachbarschaft von Mainz und Bingen gelegenen Besitzteilen von St. Stephan eingegangen werden soll, sind einige allgemeine Ausführungen zur Ausgestaltung des Eigentums des Stiftes in diesem Gebiet notwendig.

Das 13. Jahrhundert bringt für das Mainzer Stift eine vollständige Besitzverlagerung. Dem restlosen Verlust in Hessen und den schweren Einbußen im Taunusgebiet steht eine umfassende Übernahme kirchlichen Fernbesitzes am Rhein gegenüber. Vom Kloster Burtscheid bei Aachen und Kölner Stiften werden im Zuge dieses Vorganges die Fronhöfe in Kostheim, Dromersheim, Bubenheim und Nackenheim, von der Würzburger Domkirche deren Rechte in Niederingelheim in der Zeit von 1239 bis 1270 gekauft. Allgemein bedeutungsvoll an diesen Veränderungen ist die Tatsache, daß mit Ausnahme von Niederingelheim, wo St. Stephan nur geistliche Gerechtsame erwarb, der neue Stiftsbesitz in allen anderen Orten für das Mainzer Erzstift territorialbildend wurde. Gerade diese zweite Besitzschicht wurde für den sich herausbildenden Mainzer Kurstaat fruchtbar, während das Eigentum aus der frühesten Ausstattung fast gänzlich geschwunden ist. Die Entwicklung der Stiftsvogteien in diesen neuen Besitzteilen wird denn auch beeinflußt und überschattet vom allgemeinen Prozeß der Ausbildung des Mainzer Territoriums und dessen Auseinandersetzung mit dem benachbarten Gebiet des pfälzischen Kurfürsten. Die innere Vereinheitlichung des Mainzer Kurstaates wird dann maßgebend für den Übergang dieser Vogteien an den Erzbischof.

Älteren, mit großer Wahrscheinlichkeit noch aus der Gründungszeit des Stiftes stammenden Besitz hat man in den Gerechtsamen des Stiftes an der unteren Nahe, unweit deren Mündung in den Rhein in Büdesheim vor sich. Dies dürfte sicherlich auch das einzige Beispiel von altem Besitz von St. Stephan in diesem Gebiet sein. Durch eine Schenkung Ottos II. aus dem Jahre 983 wurde dem Mainzer Erzbistum das Gebiet um Bingen übertragen. Wahrscheinlich gab dann Erzbischof Willigis das inmitten dieses Landesteiles gelegene Dorf Büdesheim an St. Stephan. Leider liegen für die beiden ersten Jahrhunderte des Besitzverhältnisses nur sehr wenige Nachrichten vor; aus Lehensaufzeichnungen der Herren von Bolanden, die dem Ende des 12. Jahrhunderts angehören, kann man entnehmen, daß die Vogtei in Büdesheim als Lehen der Grafen von Saarbrücken in ihren Händen war. Die Grafen von Saarbrücken waren im Mainzer Erzbistum sehr einflußreich, in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts brachten sie zwei Angehörige ihrer Familie auf den Mainzer Erzbischofsthron, unter ihnen Adalbert I., einer der bedeutendsten Mainzer Erzbischöfe in deren langer Reihe. Neben St. Stephan sind die Grafen auch bei anderen Mainzer Kirchen als Vögte nachweisbar. Der Ursprung ihrer Vogtei in Büdesheim kann leider nicht sicher erkannt werden, ebenso ist unbekannt, wann sie ihr Ende fand. Tatsächlich treten später die Nachkommen und Erben der Reichsministerialen von Bolanden, die Herren von Hohenfels, in direkter Lehensabhängigkeit von St. Stephan als Vögte in Büdesheim auf. Um die Vogtei kam es am Ende des 13. Jahrhunderts zu Streitigkeiten zwischen den Stiftsherren und dem Vogt, die in einer Urkunde von 1289 nachklingen, in der die Mainzer geistlichen Richter entscheiden, der Herr von Hohenfels habe die Vogtei Büdesheim als Lehen des Stiftes. Hinter den Ausführungen der Urkunde läßt sich die Absicht der Dynasten ahnen, die Lehensabhängigkeit abzuschütteln und das Vogteigericht kraft eigenen Rechtes zu halten. Diese Auseinandersetzungen dürften die Stiftsherren in ihrer Absicht, die Vogtei an sich zu ziehen, bestärkt haben. Des Rückhaltes beim Mainzer Erzbischof waren sie bei diesem Vorhaben wohl sicher, weil auch diesem jede Eliminierung fremden Einflusses im erzstiftischen Gebiet beiderseits der Nahemündung nur recht sein konnte. Im Jahre 1346 gelang es dem Stift, die Vogtei Büdesheim den Herren von Hohenfels abzukaufen. An die Stelle des Vogtes trat von nun an ein vom Stift eingesetzter Amtmann oder Oberschultheiß, der jeweils für einige Jahre die Stelle übertragen bekam. Seine wichtigste Funktion war der Vorsitz im Gericht. Er ist ein typischer Vertreter des spätmittelalterlichen Beamtentums, das die lehensrechtlich bestimmten Vögte ablöste.

Der im Jahre 1346 erreichte Zustand hielt dann etwa drei Jahrhunderte lang an. Im Gefolge der Ausbildung des Landesfürstentums des Mainzer Erzbischofs kam es im 17. Jahrhundert zu Reibereien zwischen diesem und dem Stift wegen der Ausübung der aus der Vogtei herstammenden Gerichtsrechte. Im Zuge der inneren Vereinheitlichung des Kurstaates war die Politik der Erzbischöfe darauf abgestellt, alle durch ihre Konkurrenz störend wirkenden Rechtskreise innerhalb ihres Staates zu beseitigen. Dieser Vorgang zeigte auch in Büdesheim seine Auswirkungen. Im Jahre 1676 schlossen Erzbischof und Stift einen Vertrag, demzufolge ersterem neben dem Eigentum an den Leibeigenen und dem Judenschutz auch die sogenannte vogteiliche Jurisdiktion übertragen wurde, unter der die landesherrliche Oberherrschaft zu verstehen ist. Nicht in ihr einbegriffen waren die Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit innerhalb des Ortsbereichs; diese wurden dem Stift noch 1716 bestätigt. Der Mainzer Erzbischof beseitigte somit nur die Rechtssphären, die die innere Geschlossenheit seines Staates hätten beeinträchtigen können.

Die Vogteien in den Ortschaften, die man im Verlauf des 13. Jahrhunderts von Kirchen des Kölner Erzbistums erworben hatte, entwickelten sich sehr unterschiedlich. In Kostheim traf das Stift wiederum mit den Herren von Eppstein zusammen. Diese fanden hier aber gegenüber Schloßborn andere Bedingungen, die von vornherein Bestrebungen nach Erweiterung ihres Einflußbereichs hindernd in den Weg treten mußten. Bereits beim Übergang des Dorfes vom Kloster Burtscheid an das Mainzer Stift im Jahre 1224 lassen sich in Kostheim die gleichen Tendenzen der Vögte beobachten wie im Taunusgebiet. Zugleich mit der Vogtei beanspruchen nämlich die Dynasten auch die Ortsherrschaft und wollen den Einfluß des Stiftes auf bloßen Grundbesitz und geistliche Gerechtsame einschränken. Zwei Jahre später muß der Mainzer Erzbischof in den Streit eingreifen und als Schiedsrichter die beiderseitigen Befugnisse gegeneinander abgrenzen. In seinem Schiedsspruch wird festgestellt, daß St. Stephan in Kostheim die Oberherrschaft zustehe, während sich die Vogtei als Lehen des Stiftes in der Hand des Herren von Eppstein befinde. Dem Stift stand somit eine lehensherrliche Stellung gegenüber den Dynasten zu, an sich das gleiche Verhältnis, wie es auch in Schloßborn bestand, wobei freilich die Herren von Eppstein, ähnlich wie in Eschborn, hier in der territorialen Einbettung Kostheims in Mainzer Gebiet gänzlich andere Bedingungen antrafen als im Taunusland, das zum entstehenden Mainzer Kurstaat nur eine periphere Lage hatte. Die Lehensbeziehungen konnten denn auch hier von den Vögten nicht als Mittel zur Unterbindung einer direkten Nutzung des neuen Besitzes durch St. Stephan gebraucht werden. Nach einem Kostheimer Weistum des 14. Jahrhunderts wurden von den Vögten alljährlich zu genannten Terminen die ungebotenen Dinge gehalten. Von jeder Hufe reichten die Stiftsherren dem Vogt eine gewisse Abgabe in Korn und Geld, dies wahrscheinlich zu verstehen als Bezahlung des Vogtes für den Schutz, den er dem Stiftsbesitz angedeihen ließ, und für die von ihm abgehaltenen Gerichtsverhandlungen. Im Gericht selbst verstand es St. Stephan, seinen Einfluß mittels der ihm zustehenden Schöffensetzung geltend zu machen.

Dieser das gesamte Spätmittelalter hindurch währende Zustand wurde am Ende des 15. Jahrhunderts durch eine überraschende Aktivität der Herren von Eppstein beendet, die erneut versuchten, die Ortsherrschaft auf dem Weg über ihre Vogtei an sich zu ziehen. Sie gingen dabei wahrscheinlich in Anlehnung an das benachbarte Kastei vor, wo sie Landesherren waren. Gegenüber dieser neuen Aggression der Vögte reagierte das Stiftskapitel anders als unmittelbar im Anschluß an den Kauf der Ortschaft zu Anfang des 13. Jahrhunderts. Denn nun traf sich die Gefährdung der Stiftsrechte mit der Tendenz des Erzbischofs, die kleinen Partikelchen geistlicher Herrschaften in seinem Landesfürstentum aufgehen zu lassen. Die um 1490 zwischen Stift und Erzbischof einsetzenden Verhandlungen führten 1514 zur Abtretung der Ortsherrschaft Kostheim an den letzteren. Die Vogtei wurde von den Herren von Eppstein schon während dieser Verhandlungen im Jahre 1506 an den Mainzer Erzbischof abgetreten, wobei allerdings die diesem Akt vorausgehenden Schritte im Dunkel liegen. Damit ging auch diese Vogtei in der allgemeinen Gerichtshoheit von Kurmainz auf.

Im linksrheinischen Teil des Mainzer Kurstaates hatten die aus dem Aufkauf Kölner Fernbesitzes entstehenden Vogteien von St. Stephan ein ähnliches Schicksal wie die in Kostheim. In Dromersheim und dem mit diesem in der Verwaltung durch das Stift vereinigten Aspisheim stieß das Stift insofern auf verhältnismäßig komplizierte Vogteiverhältnisse, als hier die Herren von Montfort in der Vogtei als Lehensleute des Kurfürsten von der Pfalz auftreten. Um das Jahr 1341 entspann sich um die aus der Vogtei herrührenden Gerichtsrechte ein längerer Streit zwischen den Herren von Montfort und dem Stiftskapitel. Aus dieser Auseinandersetzung gingen die Herren von Montfort als Sieger hervor, das Stift konnte indessen sein Recht auf die Dromersheimer Schöffensetzung im Ortsgericht wahren. Eine gewisse Parallele zu den Kostheimer Rechtsverhältnissen ist insofern gegeben, als auch hier die Stiftsherren die Schöffen im Ortsgericht bestimmen. In Dromersheim sind jedoch keine lehensrechtlichen Beziehungen zwischen Stift und Vogt nachweisbar, was für die Zukunft bedeutungsvoll werden sollte, weil hier hinter den Vögten die pfälzischen Kurfürsten als Lehensherren standen. Aus nicht mehr erkennbaren Gründen ließen die Herren von Montfort ihre Vogteien Dromersheim und Aspisheim in den Jahren 1392 und 1430 gegen eine Abfindung in Geld an die Kurfürsten von der Pfalz gehen. Eine Auswirkung dieser Veränderung ist zunächst nicht erkennbar. Im 16. Jahrhundert dürfte es indessen nicht an pfälzischen Versuchen gefehlt haben, die Gerechtsame des Stiftes in diesen hart an der Grenze zwischen beiden Kurstaaten gelegenen Orten an sich zu bringen. Ähnlich wie in Kostheim rettet das Stift seine Rechte für Kurmainz nur durch eine Abtretung an den Erzbischof, die 1598 stattfand, wobei auch hier wiederum die Tendenz zur Rechtsvereinheitlichung innerhalb des Kurstaates mitgespielt haben mag.

Eine äußere Gleichheit der Vogteientwicklung mit der in Büdesheim fand in Bubenheim und Nackenheim statt. Im erstgenannten Ort bestanden zur Zeit der Gütererwerbungen des Stephansstiftes im 13. Jahrhundert zwei Vogteien, deren eine in der Hand der Wild- und Rheingrafen war, während die andere in Besitz der Kämmerer von Mainz war, die sie ihrerseits an die Herren von Schonenburg zu Lehen ausgaben. Die Schonenburger Vogtei konnte das Stift 1298 mit Zustimmung der Kämmerer von Mainz kaufen. Im gleichen Jahr bezeugt das Bubenheimer Hubengericht diesen Übergang. Dem Stift gelang es damit, in dem aus einem Reichsgutkomplex erwachsenen sogenannten Ingelheimer Reich eine Vogtei durch Kauf an sich zu bringen und die aus ihr folgenden Gerichtsrechte fortan durch einen Amtmann versehen zu lassen. Eine neue Lage brachte hier die Verpfändung des Gebietes an Kurpfalz. In der Reformationszeit scheinen dann die Stiftsrechte vom pfälzischen Kurfürsten eingezogen worden zu sein. Von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an ist in Bubenheim kein stiftischer Amtmann mehr nachweisbar.

Auch in Nackenheim glückte dem Stifte eine Übernahme der von den Herren von Dienheim ausgeübten Vogtei durch Kauf, hier allerdings erst im Jahre 1374. Wiederum ist auch dort dieser Besitzwechsel maßgeblich geworden für ein kurze Zeit später entstandenes Weistum, das die Stiftsherren als Herren von Dorf und Gericht Nackenheim bezeichnet. Auch hier wirkte sich dann später die kurpfälzische Nachbarschaft bedrohlich für die Gerichtsrechte des Stiftes aus, so daß man auch in Nackenheim den gleichen Weg wie in den anderen Orten beschritt und im Zuge der allgemeinen Abgabe von Hoheitsrechten auch die über dieses Dorf im Jahre 1615 an den Mainzer Erzbischof abtrat.

Zusammenfassend läßt sich die Entwicklung der einzelnen Vogteien von St. Stephan zu Mainz folgendermaßen charakterisieren: Die Vogteibestimmung Ottos III. läßt erkennen, daß man dem kurz vor 990 gegründeten Stift seitens der Zentralgewalt des Reiches eine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Hinter der Formulierung der Vogtwahlfreiheit steht die Absicht des Königs, das neue Stift an sich heranzuziehen, es so gegen den Einfluß weltlicher Großer zu schützen und es in das System der ottonischen Reichskirche einzubeziehen. Die allgemeine politische Entwicklung nach dem Tode Ottos III. ließ dann allerdings bald den Einfluß des Königtums zugunsten des Mainzer Erzbischofs, des Gründers der Institution, zurücktreten. Die Vogteiverhältnisse der Gründungszeit sind in die allgemeinen Beziehungen zwischen Otto III. und Erzbischof Willigis verflochten. Die Vogtwahlfreiheit Ottos stellt ein singuläres Privileg für St. Stephan dar, von dem Heinrich II. wieder abgerückt zu sein scheint.

War der aus dem Reichsgut zur Erstausstattung beigesteuerte Besitz nur kurze Zeit im Eigentum St. Stephans, so zeigen auch die Vogteientwicklungen im überwiegenden Teil des aus seinem Abtausch kurz nach der Jahrtausendwende erworbenen neuen Besitzes, daß man diese ebenfalls nicht auf die Dauer behalten konnte. Nur in Gebieten, in denen der Mainzer Einfluß von jeher eine gewisse innere Dichte hatte und wo man außerdem während des im 13. Jahrhundert einsetzenden Prozesses der Territorienbildung selbst verhältnismäßig unangefochten das werdende Mainzer Staatsgebilde formieren konnte, bewahrte das Stift seine Position gegenüber seinen Vögten. Im hessischen Räume jedoch, wo trotz alten Mainzer Besitzes die Voraussetzungen zur territorialen Ausgestaltung für Mainz fehlten oder in deren Anfängen durch gleichartige Tendenzen der mächtigeren Landgrafen von Hessen paralysiert wurden, wirkte sich die zwangsläufige Vergabung der Vogteien an diese insofern verhängnisvoll aus, als die Vogteirechte der Verfügungsgewalt des Stiftes entfielen und zu Bausteinen bei der Errichtung des landgräflichen Staates wurden. Ähnliche Vorgänge bei der Entstehung der Territorialstaaten des Spätmittelalters lassen sich allenthalben beobachten. Die gleiche, wenn auch hinsichtlich des gebietsmäßigen Umfanges weniger bedeutende Entwicklung vollzog sich im 13. Jahrhundert zu ungunsten von St. Stephan in dessen Besitz im östlichen Taunus, wo die Vogtei sich in der Hand der Lehensträger ebenfalls als Mittel für deren staatliche Machtausgestaltung erweist. Am Ende der Entwicklung steht der institutionelle Flächenstaat, in dessen Gerichtsverfassung die aus den Vogteien stammenden Elemente aufgehen.

Eine ähnliche Entwicklung, nur unter mainzisch-territorialstaatlichen Vorzeichen, fand in den Vogteibezirken statt, die Anlehnung an den sich bildenden Kurstaat hatten. Nur setzte hier der Ablauf der Ereignisse später, um die Wende vom 15. zum 16. und im 16. Jahrhundert selbst ein, weil man sich infolge der Einbettung oder des Rückhalts am erzstiftischen Gebiet den Vögten gegenüber in einer stärkeren Position befand; diese fanden in solchen Bezirken keine Gelegenheit, die Stiftsrechte via Vogtei ihrem Besitzer zu entfremden. Schließlich wirkten zwei Ursachen zusammen, latente Gefährdung der Stiftsrechte durch die Vögte und Tendenz zu innerer Vereinheitlichung des Kurstaates, um die Gerechtsame St. Stephans an den Mainzer Erzbischof übergehen zu lassen, die so zur Verfestigung des Kurstaates beitrugen.

Auf die Wiedergabe des umfangreichen “Apparates” verzichten wir; bitte greifen Sie im Bedarfsfall auf das o.g. Buch zurück.

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Die katholische Pfarrkirche St. Stephan in Mainz wurde 990 von Erzbischof Willigis, der auch den Mainzer Dom erbaut hatte, auf der höchsten Erhebung der Stadt gegründet. Willigis wollte mit ihr die "Gebetsstätte des Reiches" schaffen. In der Kirche war ursprünglich ein Stift untergebracht. Der Probst des Stiftes verwaltete eines der Archidiakonate (mittelalterliche Organisationseinheit, ähnlich den heutigen Dekanaten) des Erzbistums.
Aus: Wikipedia