Zeuge aus NS-Zeit berichtet Die Arbeitsstelle Holocaustliteratur an der Gießener Universität will bis 2007 eines der umfangreichsten geheimen Tagebücher aus der NS-Zeit veröffentlichen. Giessen 9. Juni 2005 - kro - „Das Tagebuch des ehemaligen Justizangestellten Friedrich Kellner deckt auf, was man als .Normalbürger' des Dritten Reichs von den Verbrechen, aber auch der alltäglichen Ideologisierung wissen konnte, wenn man denn wollte", sagt Sascha Feuchert, stellvertretender Leiter der Arbeitsstelle Holocaustliteratur. „Deshalb wäre der Autor mit Sicherheit im Konzentrationslager verschwunden, wenn das Tagebuch entdeckt worden wäre." Auch nach der „Machtergreifung" Hitlers hatte der langjährige Sozialdemokrat Kellner gegen den Terror des NS-Regimes gekämpft. In der Reichspogromnacht 1938 setzte er sich für verfolgte Juden ein, kam dafür vor Gericht und erhielt die Warnung, „das nächste Mal kommen Sie in ein KZ". Danach begann der Justizangestellte im mittelhessischen Laubach mit seinen zehn Bände umfassenden geheimen Aufzeichnungen. „Er sah es als Hilfe für kommende Generationen an, damit sich Zustände, wie sie damals in Deutschland herrschten, nie wiederholen könnten", berichtet Feuchert. So beschreibt Kellner umfassend den Alltag unter der NS-Herrschaft in Laubach und notiert, was ein Soldat auf Heimaturlaub berichtete: „Er hat gesehen, wie nackte Juden, die vor einem langen, tiefen Graben aufgestellt wurden, auf Befehl der Schutzstaffel von Ukrainern in den Hinterkopf geschossen wurden und in den Graben fielen. Der Graben wurde dann zugeschaufelt. Aus den Gräben drangen oft noch Schreie!" Die Arbeit der Gießener Wissenschaftler an Kellners Tagebüchern soll im März 2006 beginnen. Zunächst müsse noch die Finanzierung des Projekts sichergestellt werden, sagte Feuchert. Dazu sei ein Unterstützungsantrag bei einer Stiftung geplant. Frankfurter Rundschau - 10.6.05 |