1225 Jahre Schwalbach am Taunus
DIETER FARNUNG

Die Anfänge

1225 Jahre sind nun vergangen, seit Schwalbach am Taunus zum ersten Mal schriftlich erwähnt wurde. Eine Urkunde aus dem Lorscher Codex berichtet von der Schenkung eines Ritters Starcfrit und seiner Mutter Mechthild an das Kloster Lorsch im Jahre 781.

Originaltext und Übersetzung lauten:
1225 Jahre Schwalbach

    “In Christi Namen, am 23. Oktober im 14. Jahr (781) des Königs Karl. Wir, Starcfrit und meine Mutter Mechthilt, machen eine Vergabung an den heiligen Märtyrer N(azarius), dessen Leib in dem vom ehrwürdigen Abt Helmerich verwalteten Lorscher Kloster ruht. Nach unserem Willen soll die Schenkung für alle Zeiten in Kraft bleiben, und wir versichern, daß sie vollkommen freiwillig gemacht wurde. Wir schenken in pago Nitachgowe (im Niddagau), im Dorf Sualbach siebzig Joch Ackerland, eine Wiese und zwei Hofreiten. Geschlossen und gefertigt. Geschehen im Lorscher Kloster zur oben angesetzten Zeit.”

Aus: Codex Laureshamensis, Faximileausgabe, Neustadt/ Aisch 2002. Übersetzung aus: Karl Josef Minst, Lorscher Codex deutsch, Lorsch 1971

Die „Geburtsurkunde" aus dem Jahre 781 sagt natürlich nichts aus über die tatsächliche Geburtsstunde Schwalbachs. Wir wissen darüber nur, daß sich hier, wie an vielen Orten des Vortaunus, schon in der Jungsteinzeit Menschen niedergelassen hatten. Südwesthanglage, reichlich Wasser sowie Ton und Lehm boten dafür nahezu ideale Voraussetzungen. Für Schwalbach belegen dies zahlreiche Funde, entdeckt beim Bau der Wohnstadt Limes im Jahr 1963. Darunter befindet sich eine Butte, ein jungsteinzeitliches Vorratsgefäß, das nach vorsichtigen Schätzungen von Wissenschaftlern der Universität Frankfurt am Main ungefähr 7.000 Jahre alt ist.

Auch die Römer waren hier. Dies zeigen der beim Pflügen im Jahr 1839 entdeckte Viergötterstein und der Fund römischer Ziegel 1983. Das läßt darauf schließen, daß hier ein römischer Gutshof (eine „villa rustica") gestanden haben muß.

Auch Franken müssen - zumindest zeitweise - hier gelebt haben. Beim Bau eines Hauses im Gärtnerweg fand man in einem Grab eine „Franziska", eine bei den Franken gebräuchliche Streitaxt. Danach bleibt die Geschichte Schwalbachs für Jahrhunderte im Dunkeln - von der ersten Erwähnung im Jahr 781 und weiteren acht Schenkungsurkunden aus den Jahren 782 bis 789 einmal abgesehen. Erst aus dem Jahr 1237 stammt der früheste Beleg für einen Träger des Namens „von Schwalbach": ein Hartmut von Schwalbach trat zusammen mit einem Hartmut von Sulzbach für Ulrich von Münzenberg als Zeuge auf. Bis ins 16. Jahrhundert stehen uns nur solche einzelnen Zeugnisse zur Verfügung. Faßt man sie zusammen, so läßt sich folgendes feststellen: Schwalbach am Taunus war ein kleines Dorf von bäuerlichem Charakter, immer in Abhängigkeit von fremder Herrschaft (Königstein, Münzenberg, Falkenstein, Eppstein) und es wurde seit dem Ende des 13. Jahrhunderts von einem Vogt verwaltet, der seinen Sitz wohl in der Burg Schwalbach hatte.

Veränderungen von außen, die auch für die Einwohner Schwalbachs spürbar waren, gab es - soweit wir wissen - im 16. Jahrhundert. Nach dem Aussterben der Eppsteiner im Jahre 1535 übernahmen die Stolberger die Herrschaft. Graf Ludwig zu Stolberg bekannte sich nach einjährigem Studium bei Luther und Melanchthon in Wittenberg zum protestantischen Glauben und begann 1540 mit der Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse. Ab 1545 war dies weitgehend abgeschlossen. In fast allen Kirchengemeinden der Grafschaft fand der Gottesdienst nach der neuen Ordnung statt.

Nach dem Tode Graf Ludwigs im Jahre 1574 – er  starb kinderlos - trat sein Bruder Christoph die Nachfolge an. Da auch Kurmainz Anspruch auf das Gebiet erhob, kam es zum Rechtsstreit, der erst nach 1581 gewaltsam beendet wurde. Kurmainzer Truppen belagerten die Burg Königstein und zwangen Graf Albrecht-Georg, der für den inzwischen verstorbenen Grafen Christoph die Herrschaft übernommen hatte, zur Aufgabe. Immerhin konnte er erreichen, daß die evangelischen Gemeinden bestehen blieben.

Unter Kurfürst Adam von Bicken wendete sich das Blatt. Er war Jesuitenschüler und bestrebt, im gesamten Kurmainzer Gebiet den katholischen Glauben wieder einzuführen (Gegenreformation). Im August 1604 mußte die Schwalbacher Bevölkerung aus dem Munde eines Dr. Gereon zur Kenntnis nehmen, daß Erzbischof Johann Schweikardt so sehr um das Seelenheil seiner Untertanen besorgt sei, daß sie nunmehr wieder zum wahren Glauben zurückzukehren hätten. Der Besuch der Messe und die Bereitschaft zum Empfang der heiligen Kommunion galten als Beweis der Umkehr. Der Besuch des evangelischen Gottesdienstes außerhalb Schwalbachs wurde manchmal mit „Auslaufstrafen" belegt, hartnäckigen Anhängern des evangelischen Glaubens wurde die Auswanderung empfohlen. Während des Dreißigjährigen Krieges und der Besetzung durch schwedische Truppen konnten zwar die Stolberger kurzzeitig wieder eingesetzt werden, eine wirkliche Veränderung der bestehenden Verhältnisse ergab sich nicht. Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang die weitgehende Zerstörung (Einäscherung) der Burg durch Braunschweigische Truppen im Jahre 1622. Nach ihrem Wiederaufbau diente sie erneut als Amtssitz der kurmainzischen Schultheißen. Detaillierte Kenntnisse der Situation Schwalbachs im Jahre 1668 verdanken wir Theodor Niederquell, der das Jurisdiktionalbuch der kurmainzischen Ämter Königstein und Eppstein gründlich ausgewertet hat. Danach zählte Schwalbach damals 174 Einwohner - Kleinkinder nicht mitgezählt - in 48 Wohnhäusern. Alle kurfürstlichen Untertanen, außer Schultheiß und Pfarrer, unterlagen der Leibeigenschaft. Der Schultheiß erledigte alle administrativen Aufgaben einschließlich der Rechtsprechung auf unterer Ebene. Seine Dienstwohnung war - wie bereits erwähnt - die Burg Schwalbach.

Schwalbacher Burg

Schwalbacher Burg (Foto: Stadtarchiv Schwalbach)

Die 174 Einwohner teilten sich wie folgt auf: es gab 36 Männer und 41 Frauen, dazu kamen 49 Söhne und 48 Töchter. Die kurfürstlichen Untertanen waren in zwei Gruppen eingeteilt. Zum einen die größere Gruppe der Vollbürger, auch Nachbarn oder Einwohner genannt. Sie besaßen Hofreiten, also Wohnhäuser, sowie Stallungen und Scheunen und die dazu gehörenden Küchengärten. Sie durften Wald, Weide und Wasser nutzen, mußten aber auch die Hauptlast der Steuern und Abgaben tragen und wurden zu Schöffen des örtlichen Gerichts bestellt. Zum anderen eine kleinere Gruppe nicht vollberechtigter Bürger, sie wurden auch Beisassen oder Beiwohner genannt. Sie besaßen bestenfalls ein kleines Häuschen mit Garten oder wohnten zur Miete. Ihren Lebensunterhalt erwarben sie im Dienst bei reicheren Bauern oder als Tagelöhner.

Aus dem 18. Jahrhundert ist für 1792 der Bau einer neuen Schule erwähnenswert. Kein geringerer als der seit 1778 in kurmainzischen Diensten stehende Architekt Emanuel Joseph von Herigoyen nahm sich der Schwalbacher Schulmisere an. In bewegten Worten schilderte von Herigoyen, der zu den bedeutendsten Baumeistern seiner Zeit im süddeutschen Raum zählte, in einem Brief an die Kurfürstliche Landesregierung die Zustände an der Schwalbacher Schule. Aus diesem Brief vom 25. April 1792 erfahren wir, daß der Unterricht im „Thorgebäude an der Chaußee nach Frankfurt“ stattfand. Wegen zu großer Enge und des für Schulkinder eigentlich zu steilen Treppenaufgangs sei dort kein Unterricht mehr möglich. Eile sei geboten. Von Herigoyen empfahl die Umsetzung des Thorhauses oder einen Schulneubau auf einem Platz in der Nähe der Kirche. Bemerkenswert ist die Kürze der Bauzeit. Bereits im Sommer 1792 war das neue Schulhaus errichtet.

Spürbare Veränderungen im Leben der Schwalbacher Bevölkerung brachte die Gründung des neuen Herzogtums Nassau im Jahr 1806. Es bescherte allen seinen Bürgern - also auch den Schwalbachern - nicht nur die Aufhebung der Leibeigenschaft, sondern auch eine insgesamt liberale Politik, die das Schulwesen mit einschloß. Das Schulgesetz aus dem Jahr 1817 sah die Einrichtung von Elementarschulen vor, die „jedem Menschen, ohne Unterschied des Geschlechts, der Religion, des Standes, nothwendige allgemeine Bildung" sicherstellen sollten. Hier wurde zum ersten Mal in der deutschen Schulgeschichte die Simultanschule verwirklicht, also der Unterricht von Kindern verschiedener Bekenntnisse in einer gemeinsamen Schule.

In den Jahren von 1815 bis 1835 war die Bevölkerung Schwalbachs von 504 auf 622 angestiegen, eine bemerkenswerte Zunahme von etwa 23%. Auch die Zahl der Kinder wuchs von 255 auf 322, ein Anstieg von etwa 26%. So kann es kaum verwundern, daß schon wieder ein neues, größeres „Schullokal" benötigt wurde. Der in herzoglichen Diensten stehende Baumeister Eduard Zais, der 1822 auch das Wiesbadener Theater gebaut hatte, errichtete in den Jahren 1833 bis 1835 ein neues Schulgebäude auf der „rothen Wiese" etwas außerhalb der damaligen Bebauung. 60 Jahre später benötigte man wiederum ein größeres Schulgebäude, nachdem die Bevölkerung 1895 auf rund l 100 Einwohner angewachsen war. Der ortsansässige Bauunternehmer Johann Elzenheimer errichtete 1896/97 den rechten Anbau mit dem kleinen Turm. Bis 1956 war diese Schule mit ihren vier Klassenräumen und einer Lehrerwohnung für die Schwalbacher Kinder Hort der Bildung, bevor das Gebäude dann bis 1973 als Rathaus diente und heute als Haus der Vereine genutzt wird.

Es war Im Jahr 1930, als die Gemeindevertretung Schwalbachs beschloß, den Ortsnamen durch den Zusatz „am Taunus" zu ergänzen Bis weit ins 20. Jahrhundert war die Gemeinde ein weitgehend von der Landwirtschaft geprägtes Dorf. Die Zahl bäuerlicher Vollerwerbsbetriebe war zwar schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts stark zurückgegangen, weil mehr und mehr junge Männer in den Fabriken in und um Frankfurt am Main zur Arbeit gingen. Dennoch spielte in Schwalbach die Landwirtschaft noch bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle.

Der Zweite Weltkrieg hinterließ auch in Schwalbach am Taunus seine Spuren. 40 junge Männer kamen aus dem Krieg nicht mehr zurück, viermal war das immer noch beschauliche Dorf Ziel alliierter Bomben. Die Angriffe kosteten etwa 30 Frauen, Männern und Kindern das Leben. Der schwerste Angriff fand am 25. September 1944 statt, seine Folgen waren 24 Tote und 14 total zerstörte Häuser. Auch das Wasserwerk am Brater gegenüber der Schule wurde wie diese stark beschädigt, so daß die Wasserversorgung Schwalbachs zusammenbrach.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs verlief in Schwalbach ohne Zwischenfälle. Das verdankt der Ort nicht zuletzt James Eimer Spyglass, einem farbigen US-Amerikaner, den es nach der Zerstörung seiner Wohnung in Frankfurt nach Schwalbach verschlagen hatte. Beim Einmarsch amerikanischer Truppen am 29. März 1945 wirkte er als Fürsprecher und Vermittler und zeigte seine große Hilfsbereitschaft auch in den ersten Nachkriegsjahren. Die Gemeinde würdigte seine Verdienste durch die Verleihung der Ehrenbürgerschaft. (Einen nach ihm benannten Preis verleiht die Stadt heute an Bürgerinnen und Bürger, die sich für die Verständigung und das Zusammenleben von deutschen und ausländischen Einwohnern ein setzen.)
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Ein neuer Stadtteil: die Wohnstadt Limes
(Unten rechts ist Norden!)

In den Jahren von 1945 bis 1958 wuchs die Bevölkerung der Gemeinde Schwalbach von 2.200 auf knapp 4.000 Einwohner. Neue Baugebiete waren entstanden an der Sodener Straße und Bahnstraße, am Sossenheimer Weg und Niederhöchstädter Pfad. Doch die wohl deutlichste Veränderung erlebte die Gemeinde in den Sechzigerjahren mit dem Bau der Wohnstadt Limes. Wie kam es dazu? Auch den Verantwortlichen im Schwalbacher Rathaus - allen voran Bürgermeister Hugo Lietzow - war die Verpflichtung zur Linderung der Wohnungsnot bewußt. Schließlich bot die Gemeinde durch ihre Lage sowie Flächen in Staatsbesitz gute Voraussetzungen, moderne Wohnungen nahe den Arbeitsplätzen der Menschen zu schaffen. So reifte sehr schnell der Gedanke, mit Hilfe eines starken Partners, der „Nassauischen Heimstätte", eine neue Wohnstadt zu bauen.

Der Preisträger des öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerbs, Professor Hans Bernhard Reichow, überzeugte mit seinem Konzept der „organischen Stadtbaukunst" alle an der Ausschreibung beteiligten Gremien. Eine Wohnstadt im Grünen sollte es werden mit Raum für 10.000 Menschen, in einer gemischten Bebauung aus Hochhäusern, Mehr- und Einfamilienhäusern, alle in „Bestlage", also nach der Sonne ausgerichtet. So entstand ein neuer Stadtteil, eingebunden in die Landschaft des Vortaunus, mit einer deutlichen Trennung von Autostraßen und Fußwegen, mit Kindergärten, Schulen und Kirchen und dem Marktplatz als neuer Stadtmitte, als Einkaufszentrum und Anbindung an den alten Ortsteil.

Der neue Stadtteil hat nicht nur das äußere Bild Schwalbachs verändert, sondern auch die Bevölkerung und damit das gesamte gesellschaftliche Leben. Damals fanden viele junge Familien mit Kindern hier eine neue Heimat, und die Anzahl der Einwohner Schwalbachs wuchs von 1965 bis 1975 von knapp 8.000 auf fast 16.000 an. So viele neue Bürgerinnen und Bürger und das nun städtische Umfeld waren die besten Argumente für die Erhebung zur Stadt am 9. Mai 1970. Im Jahr 1981 wurden mit einem großen Fest die 1.200 Jahre Geschichte der Stadt gefeiert. Hier und bei der Vorbereitung des Fests waren die Bürgerinnen und Bürger aus Alt-Schwalbach und der Wohnstadt Limes gleichermaßen beteiligt - ein Zeichen, daß die Bevölkerung Schwalbachs ein Stück weiter zusammengewachsen war und einen weiteren Schritt in Richtung eines Schwalbacher „Wir-Gefühls" getan hatte.

Quellennachweis:

Heinrich Seitz, Geschichte der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Marburg, 1961 (aus: „Schwalbach im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation" ohne weitere Angabe)

Ulrich Simon „Die Niederadligen von Schwalbach am Taunus" in: Rad und Sparren, Heft 23, Frankfurt am Main, 1993

Theodor Niederquell „Schwalbach im Jahre 1668" in: Rad und Sparren, Heft 2 (11), Frankfurt am Main, 1981

Michael Elbei, „Altes Rathaus - heute Jugendhaus" in: Materialien zur Geschichte von Schwalbach am Taunus, Heft 3, Schwalbach am Taunus, 1988

MTK-Jahrbuch 2006 - mit freundlicher Erlaubnis der Herausgeber

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