Maifeiern nach 1945

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 begann der Wiederaufbau der Gewerkschaften und der politischen Parteien unter der Kontrolle der alliierten Siegermächte. Die Gründung von Gewerkschaften wurde ab August 1945 zunächst nur auf lokaler Ebene zugelassen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) wurde in Hessen im August 1946 gegründet. Die ersten größeren Maifeiern fanden auch 1946 statt. Als Beispiel sei hier die Maifeier am 1. Mai 1946 in Hofheim genannt, zu der ein „Maikomitee" eingeladen hatte, bestehend aus Albert Hild, SPD und Karl Schuhmann, KPD. Bemerkenswert ist, daß beide politisch Verfolgte des Nazi-Regimes waren. Hild verbüßte 1936 zehn Monate Gefängnis, Schuhmann ab 1937 fünf Jahre Zuchthaus; danach noch dreieinhalb Jahre im KZ Dachau.

1Mai 005

Anzeige aus dem Main-Taunus-Anzeiger Nr. 5, 1946 (4.5.1946)

Welchen politischen Stellenwert der 1. Mai damals hatte, zeigt die heute kaum noch bekannte Entscheidung, dem Tag als „Feiertag der arbeitenden Menschen" in Hessen Verfassungsrang zu geben. In der durch Volksentscheid am 1. Dezember 1946 beschlossenen Hessischen Verfassung ist dies im Artikel 32 festgeschrieben. Dieser Feiertag könnte in Hessen also auch nur durch einen Volksentscheid abgeschafft werden.

Bei den Maifeiern der Nachkriegszeit standen die gewerkschaftlichen Forderungen im Vordergrund. Zunächst die Forderung nach Völkerfrieden, Vollbeschäftigung und Wiederaufbau. Mitte der fünfziger Jahre stand die „Fünftagewoche bei vollem Lohnausgleich mit täglich achtstündiger Arbeitszeit" im Vordergrund. 1956 zeigte das Maiplakat des DGB ein Kind mit dem Ausruf: „samstags gehört Vati mir". In den siebziger Jahren kamen neue Forderungen hinzu, z. B. die Kontrolle wirtschaftlicher Macht durch Mitbestimmung und die Humanisierung der Arbeitswelt. Zu Beginn der achtziger Jahre, bei damals zwei Millionen Arbeitslosen, wurden wieder verstärkt Arbeitszeitverkürzungen gefordert, jetzt die 35-Stunden-Woche.

Im Unterschied zu den früheren Maifeiern ist nach 1945 eine deutlichere Trennung zwischen politischen und gewerkschaftlichen Maifeiern festzustellen. Häufig organisierten die Ortskartelle der Gewerkschaften die Kundgebung am Maifeiertag, während sich die SPD mehr auf den geselligen Teil, z. B. den „Tanz in den Mai" am 30. April, konzentrierte. Als Beispiel sei hier die Maiveranstaltung 1986 des DGB-Ortskartells Hofheim in der Turnhalle des TV 1860 genannt, bei der Albert Stegmüller aus Schwalbach als stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Postgewerkschaft referierte. Der „Tanz in den Mai" des SPD-Ortsvereins Hofheim fand im Marxheimer Bierbrunnen statt.

In der Zwischenzeit hat der Zuspruch zu Maiveranstaltungen dieser Art stark nachgelassen. Nur noch in wenigen Orten des Main-Taunus-Kreises, wie z. B. in Hattersheim, wird die Tradition der Maifeiern noch gepflegt. Der 1. Mai ist wie mancher kirchliche Feiertag auch zu einem freien Tag geworden, dessen ursprüngliche Bedeutung von der Mehrheit der Bevölkerung kaum noch wahrgenommen wird. Wer kann sich heute noch vorstellen, daß es in der 120-jährigen Geschichte dieses Feiertages jahrzehntelanger Kämpfe bedurfte, um ihn als arbeitsfreien Tag durchzusetzen? Vielleicht kann dieser Bericht dazu beitragen, die Erinnerung daran wach zu halten.

Flugblatt des DGB-Ortskartells Hofheim 1986 (Privatbesitz) - im Buch.

Schrifttum

Achten, Udo: Illustrierte Geschichte des 1. Mai. 3. Auflage, Oberhausen, 1985.
Beier, Gerhard: Das Lehrstück vom 1. und 2. Mai 1933. Frankfurt/Main, Köln, 1975._
Fricke, Dieter: Kleine Geschichte des Ersten Mai. Frankfurt a. M., 1980._
Gebhardt, Manfred (Hrsg.): Ein Hauch von Maienblüte. Postkarten der deutschen Arbeiterbewegung zum 1. Mai. Berlin, 1989._
Hoffmann, Brunhilde: Roter Frühling am Taunushang. 100 Jahre 1. Mai Bad Homburg und Umgebung. Bad Homburg, 1990._
Jungeis, Hans: 50 Jahre Ortsverein /Ortsbezirk Niederjosbach der sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Eppstein-Niederjosbach, 2008.
Marßolek, Inge (Hrsgb.): 100 Jahre Zukunft. Zur Geschichte des 1. Mai. Frankfurt a. M., ohne Jahreszahl.
Neuland, Franz: Die Mai-Feier im Spiegel der Frankfurter "Volksstimme". Ein Faksimile-Querschnitt mit historischen Erläuterungen. Frankfurt am Main, 1985.
Reuschling, Dieter: Politischer Widerstand und Verfolgung von NS-Gegnern im Main-Taunus-Kreis von 1932 bis 1945. Zwischen Main und Taunus, MTK-Jahrbuch 2005. Hofheim, 2005. S. 13-18._
Schiele, Werner: Auf roten Spuren. Die Geschichte der Sozialdemokratie in Flörsheim am Main. Flörsheim, 1988.
Ulrich, Axel: Trotz alledem - der 1. Mai blieb rot. Zur Geschichte des 1. Mai in Wiesbaden während der Illegalität 1933 - 1945. Wiesbaden, 1985._
Verein für Frankfurter Arbeitergeschichte e. V: 1848 -1890 - 1984. Frankfurt im Mai. Stationen eines Kampfes um Arbeit, Freizeit, Mitbestimmung, Menschenrecht. Frankfurt a. M., 1985.
Welt der Arbeit - Extra-Magazin: 100 Jahre Maifeiertag. Ausgabe 1/90, Düsseldorf, 1990._

Zeitungen

Flörsheimer Zeitung
Frankfurter Rundschau, 1. Mai-Rundschau, Sonderseiten 30. April/1. Mai 1996._
Freie Presse, Höchst (1920 bis 1933)
Höchster Kreisblatt
Hofheimer Zeitung
Main-Taunus-Anzeiger (1946 - 1948)
Taunusbote

Archivalische Quellen

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 413, 418, 420.
Geschäftsbericht des Sozialdemokratischen Kreis-Wahlvereins Höchst-Homburg-Usingen für die Zeit vom 1. April 1913 bis 31. März 1914._
Jahresbericht des Agitationsbezirks Frankfurt a. M. für die Zeit vom 1. Juli 1909 bis 30. Juni 1910.
Rechenschafts-Bericht des Sozialdemokratischen Kreis-Wahlvereins (Höchst-Usingen-Homburg etc.) vom 1. August 1904 bis 31. Juli 1905._
Protokollbuch des Magistrats der Stadt Hofheim.
Die Angaben zum Gasthaus im Hof Häusel verdankt der Autor Dr. B. Picard, Eppstein.

Aus:
MTK2010 002

Zwischen Main und Taunus
MTK-Jahrbuch 2010