Die Zeit der Weimarer Republik

Der Beginn des I. Weltkrieges führte auch zu einer Niederlage der internationalen Arbeiterbewegung, denn die Idee der „Vaterlandsverteidigung" erwies sich als stärker als alle Antikriegsresolutionen der Vorkriegszeit und als der Ruf nach internationaler Solidarität der Arbeiter. Die SPD-Fraktion im Reichstag stimmte den von der Reichsregierung geforderten Kriegskrediten einstimmig zu. In der Not des Krieges stand niemand der Sinn nach Maifeiern. Nach der Revolution im November 1918 übernahm der von den Sozialdemokraten (SPD) und den von ihnen abgespaltenen „Unabhängigen Sozialdemokraten" (USPD) gebildete „Rat der Volksbeauftragten" die Regierungsgewalt und setzte eine Reihe von Reformen durch, für die über Jahrzehnte bei den Maifeiern demonstriert worden war. Dazu gehörten das allgemeine, gleiche Wahlrecht für Männer und Frauen und der gesetzlich vorgeschriebene Achtstundentag. Nach den Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 beschloß die Versammlung am 19. April 1919, den 1. Mai 1919 als allgemeinen Feiertag zu begehen. Parlamentarische Versuche, ihn auch für die folgenden Jahre als reichsweiten Feiertag einzuführen, scheiterten aber. Nur in einzelnen Ländern blieb er gesetzlicher Feiertag, nicht aber in Preußen und deshalb auch nicht im Main-Taunus-Kreis.

Trotz der bestehenden politischen Spannungen zwischen den drei seit Anfang der „Weimarer Republik" bestehenden drei Arbeiterparteien, der SPD, der USPD und der KPD, haben sie den Maifeiertag anfangs noch oft gemeinsam organisiert und gefeiert. So veranstaltete eine „sozialistische Arbeitsgemeinschaft" aus den drei Parteien im „Frankfurter Hof" in Hofheim am Sonntag, dem 30. April 1922 eine akademische Feier mit Ansprache und musikalischem Rahmenprogramm, der am Montag nachmittags eine Kundgebung auf dem Kapellenberg folgte. Dabei hielt der Redner Habicht aus Frankfurt seine Mai-Ansprache an die Besucher aus Kriftel, Marxheim, Lorsbach, Langenhain und Hofheim von der Außenkanzel der Kapelle aus. Anschließend marschierten die Kundgebungsteilnehmer mit Musikbegleitung nach Hofheim zurück, um in den Sälen des „Frankfurter Hofes" den Festtag mit Musik, Gesang und Rezitationen ausklingen zu lassen.
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Anzeige aus „Freie Presse", Höchst, 28. April 1923.

Auch 1923 fand für Höchst und Umgebung eine zentrale Maifeier in Schwalbach statt, die von der wiedervereinigten SPD, der KPD und dem Gewerkschaftskartell gemeinsam organisiert wurde. Gegen Ende der zwanziger Jahre wurden die Gegensätze zwischen SPD und KPD aber so groß, daß gemeinsame Veranstaltungen nicht mehr denkbar waren. Im Jahr 1930 berichtete die „Freie Presse", Höchst, daß die Hofheimer SPD den 1. Mai abends in der Turnhalle des TV Vorwärts mit einer Ansprache, Liedern des Volkschors „Liederkranz" und Musik der Musikgesellschaft „Lyra" feierte. Die kommunistische Ortsleitung hatte am gleichen Tag zusammen mit den Krifteler Kommunisten zu einer Feier in den „Frankfurter Hof" in Hofheim geladen. Die SPD-Ortsgruppen von Langenhain und Lorsbach feierten diesen Tag in der neu erbauten Turnhalle von Vockenhausen zusammen mit den dortigen Genossinnen und Genossen.

Am Sonntag, dem 1. Mai 1932 fand eine große, zentrale Maifeier in Hofheim-Langenhain statt. Die „Freie Presse", Höchst, berichtete am 3. Mai 1932 wie folgt darüber:

„Die Bezirksmaifeier in Langenhain wurde zu einer imposanten Kundgebung für die Arbeiterbewegung im Main-Taunus-Kreis. Die Räume der neuen Turnhalle waren viel zu klein, um die Teilnehmer alle zufassen. Mit einem großen Umzug durch die Ortsstraßen wurde der Maifesttag vormittags eröffnet. Der eigentliche Festzug bewegte sich nachmittags durch die Ortsstraßen und hinterließ einen nachhaltigen Eindruck. In einer temperamentvollen Festrede begeisterte Genosse (Siegfried) Höxter die Teilnehmer der Kundgebung für die Ziele des Sozialismus. Der Rede folgten Gesangsvorträge, turnerische Aufführungen der Jugendgruppe Vockenhausen, Kinderspiele und anderes. Auch die Abendfeier, in der der Genosse Adam Büttner aus Offenbach sprach, war außerordentlich gut besucht. Im Programm zeigten die Mädchengruppen künstlerische Reigen und die Arbeiterradfahrer Lorsbach traten als Kunstradfahrer hervor. Bis in die späten Abendstunden blieben die Feiernden zusammen."

Auch hier zeigte sich, daß die Maifeiern von den vielen Arbeiter-Gesangsvereinen und -Sportvereinen mitgestaltet wurden, die es damals noch gab, die aber wenig später unter der Naziherrschaft - meist für immer - untergegangen sind, weil sie sich von den Nationalsozialisten nicht „gleichschalten" ließen. Schon ein Jahr später, am 1. Mai 1933, konnten die Nazis in Hofheim demonstrieren, daß sie die Regie über die Maifeiern übernommen hatten.

1933: „Feiertag der nationalen Arbeit"

Nachdem Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler geworden war, begannen die Nationalsozialisten sofort die gewonnene Macht zu festigen und ihre Gegner unbarmherzig zu verfolgen. Auf der anderen Seite warben sie mit allen propagandistischen Mitteln, die damals zur Verfügung standen, um die Zustimmung der Bevölkerung zu ihrer Politik. Ein eindruckvolles Beispiel dafür war die Inszenierung des ersten Maifeiertages, den Hitler am 10. April 1933 als gesetzlichen Feiertag hatte einführen lassen.

Im bewußten Widerspruch zu dem geschilderten internationalen Ursprung des Maifeiertages nannten die Nazis ihren Festtag den „Feiertag der nationalen Arbeit". Nach ihrer Ideologie sollte der Tag nicht nur von den Arbeitnehmern und Gewerkschaften gefeiert werden, sondern von der ganzen „deutschen Volksgemeinschaft", von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, von Handwerkern und Gewerbetreibenden, von Arbeitern und Angestellten. Alle gesellschaftlich relevanten Gruppen, also auch die Kirchen, sollten eingebunden sein. Ausgeschlossen waren die Juden, weil sie nach der Nazi-Ideologie nicht zur deutschen Volksgemeinschaft gehörten. In Verkennung der wahren Absichten der Nationalsozialisten rief auch die Dachorganisation der freien Gewerkschaften, der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), seine Mitglieder zur Teilnahme an den Maifeiern auf.

Die im ganzen Reich gleiche Inszenierung des Feiertages, der 1933 auf einen Montag fiel, stammte aus dem Propagandaministerium von Josef Goebbels; sie gipfelte in der abends vom Rundfunk übertragenen zentralen Maifeier in Berlin mit der Rede Adolf Hitlers. Die „Festfolge" in Hofheim begann mit einem einstündigen Glockenläuten der Kirchen beider Konfessionen, verbunden mit einem Platzkonzert auf dem festlich geschmückten Kellereiplatz. Alle Vereine, Handel und Gewerbe, vor allem alle Betriebe waren zur Teilnahme aufgefordert worden. In Hofheim rief auch eine Katholische Arbeitsgemeinschaft alle katholischen Vereine und die Bevölkerung zur Beteiligung auf. In der Pfarrkirche gab es frühmorgens noch ein Hochamt.

Ab 9 Uhr wurde auf dem Kellereiplatz die zentrale Kundgebung mit dem Reichspräsidenten Hindenburg aus Berlin übertragen. Ein Foto des Platzes zeigt die große Beteiligung der Bevölkerung. Nachmittags bewegte sich ein Festzug vom Bahnhof zum Sportplatz an der Zeilsheimer Straße, wo sich ein großes Sport- und Kulturprogramm abwickelte. Schließlich marschierten die beteiligten Vereine und Verbände abends zurück zum Kellereiplatz, um dort die Rundfunkübertragung aus Berlin mit der Rede Hitlers zu hören.
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Maifeier am 1. Mai 1933 auf dem Hofheimer Kellereiplatz (Stadtarchiv Hofheim)

Der Aufbruchstimmung, die erzeugt werden sollte und wohl auch erzeugt worden ist, folgte für viele am nächsten Tag die Ernüchterung. Die freien Gewerkschaften wurden im ganzen Reich verboten, die Gewerkschaftshäuser besetzt und das Vermögen der Gewerkschaften beschlagnahmt. Damit war die organisatorische Basis für eine der großen Oppositionskräfte gegen die Nazis zerschlagen. Für alle hauptamtlich Beschäftigten der Gewerkschaften bedeutete dies aber auch den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Davon betroffen war z. B. Heinrich Weiß, damals Gewerkschaftssekretär bei der Gewerkschaft der Eisenbahner, aber ebenso  SPD-Gemeindevertreter in Marxheim und SPD-Kreistagsabgeordneter, nach dem Krieg dann lange Jahre SPD-Landtagsabgeordneter in Hessen. In gleicher Weise betroffen war der Sekretär der Gewerkschaft der Industriearbeiter, Peter Nida aus Hattersheim, der damals auch Vorsitzender der SPD-Fraktion im Kreistag des Main-Taunus-Kreises war.

Der öffentliche Druck zur Beteiligung an den Feierlichkeiten war so groß, daß sich viele Nazigegner nicht entziehen konnten. Die es trotzdem taten, wurden verfolgt. Als Beispiel dafür gab es in der nächsten Hofheimer Stadtverordnetenversammlung am 5. Mai 1933 ein Nachspiel: Der NSDAP-Stadtverordnete Messer beantragte die Zulassung des Antrages, die SPD-Stadtverordneten für einen Monat auszuschließen, weil sie nicht an den Maifeierlichkeiten teilgenommen hatten. Nach der Annahme dieses Antrages verließen die anwesenden SPD-Stadtverordneten Hermann Meyer, Katharina Kemmler und Fritz Seifert die Versammlung. Da die SPD am 22. Juni 1933 verboten wurde, wurde ihr Ausschluß dauerhaft.

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