Geschichte des Maifeiertages zwischen Main und Taunus

Dieter Reuschling

Im Juli 1889 beschloß ein internationaler Arbeiterkongreß in Paris, der die Zweite (Sozialistische) Internationale gegründet hat, zum 1. Mai 1890 in allen Ländern und Städten Kundgebungen für den Acht-Stunden-Tag und für andere Forderungen des Kongresses zu organisieren. Dies war die Geburtsstunde des Maifeiertages der Arbeiterbewegung in Europa, der 2010 sein 120-jähriges Jubiläum hat(te). Seine lange, wechselvolle Geschichte läßt sich auch im Main-Taunus-Kreis nachzeichnen.

Die Ursprünge

Der Gründungskongreß der 2. Internationalen der sozialistischen Arbeiterbewegung, der vom 14. bis 20. Juli 1889 in Paris stattfand, bestimmte den 1. Mai 1890 zum Tag einer internationalen Kundgebung für den Achtstundentag und für die Forderungen der Arbeiterbewegung. Symbolische Bedeutung bekam er auch dadurch, daß die Arbeiterbewegung mit ihm neben den kirchlichen und staatlichen Feiertagen einen eigenen Feiertag anstrebte. Daß er in Deutschland seit 1890 fortschreitend durchgesetzt werden konnte, lag auch an dem engen Bündnis zwischen den Gewerkschaften und der trotz des Bismarck'schen Sozialistengesetzes immer stärker werdenden SPD. Am 25. Januar 1890 hatte der Reichstag das seit 1878 geltende „Sozialistengesetz", das die „gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie' bekämpfen sollte, nicht mehr verlängert; es galt deshalb nur noch bis zum 30. September 1890. Trotz der noch geltenden gesetzlichen Behinderungen war die SPD bei den Reichstagswahlen am 20. Februar 1890 erstmals die stärkste Partei im Reichstag geworden.

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Postkarte “Völkermai” aus der Zeit nach 1890 (aus M. Gebhardt: ein Hauch von Maienblüte)

Um keine erneute Verlängerung des Sozialistengesetzes zu provozieren, hatte die SPD-Reichstagsfraktion von einer allgemeinen Arbeitsruhe am 1. Mai 1890, der auf einen Donnerstag fiel, abgeraten. Trotzdem kam es zu Arbeitsniederlegungen, die die Unternehmer mit Aussperrungen beantworteten. In Frankfurt fand um die Mittagszeit eine Mai-Versammlung in „Schwagers Felsenkeller" statt, an der etwa 1.500 Arbeiter teilnahmen. Von Veranstaltungen oder gar Arbeitsniederlegungen im Main-Taunus-Kreis in diesem Jahr ist nichts bekannt.

Erste Maifeier im Main-Taunus-Kreis

Die SPD-Reichstagsfraktion hatte im Februar 1891 dazu aufgerufen, die Maifeier am ersten Sonntag im Mai zu begehen und auch in den Folgejahren daran festzuhalten. Die erste Maifeier im Main-Taunus-Kreis, die dem Autor bekannt ist, fand am Sonntag, dem 3. Mai 1891 im Saal der Wirtschaft „Zur Linde" des Gastwirts Ludwig Mauer auf dem Hof Häusel bei Vockenhausen statt, die heute nicht mehr existiert. Dank der Sorgfalt des die Versammlung überwachenden berittenen Gendarmen Ditschert, der seinen Bericht über die Versammlung an den königlichen Landrat in Langenschwalbach (heute Bad Schwalbach) schickte, ist der Verlauf aus der Sicht der preußischen Polizei relativ ausführlich beschrieben worden. Danach wurde sie von dem Zimmermann Johann Seckler aus Eppstein einberufen, der auch als Vorsitzender der Versammlung gewählt wurde. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand ein Referat des Maurers Abel Bonn aus Frankfurt a. M. über die „Bedeutung der Feier des 1. Mai".

Bei der Anmeldung der Maifeier beim Bürgermeister Schmidt von Vockenhausen beantragte Seckler auch eine daran anschließende Tanzmusik, was der Bürgermeister aber ablehnte. Nach dem Bericht kamen am Sonntagnachmittag aber trotzdem etwa 250 meist jugendliche Arbeiter aus der Umgebung des Hof Häusel zusammen. Gemäß dem preußischen Versammlungsrecht wurde zu Beginn auch ein zweiter Vorsitzender der Versammlung gewählt. Es war der Maurer Christian Bohrmann aus Langenhain. Zum Schriftführer wurde der Maurer Adam Deutsch aus Ruppertshain bestimmt.

Im Mittelpunkt des Referats von Abel Bonn stand wie bei den meisten Maifeiern dieser Zeit die Forderung nach dem achtstündigen Arbeitstag. Bemerkenswert war für den Gendarmen die Begründung des Referenten, daß nämlich damit dem „Übelstand der Arbeitslosigkeit abgeholfen werden könne". Die gewerkschaftliche Forderung nach Arbeitszeitverkürzung zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit war also schon damals aktuell.

Die führenden Köpfe dieser ersten Maiveranstaltung im Main-Taunus-Kreis waren wohl vorwiegend Bauarbeiter, die in der damaligen Zeit meist in Großstädten wie Frankfurt und Wiesbaden arbeiteten und dort auch durch die Gewerkschaften und die SPD politisiert wurden. Mit der Veranstaltung sollten über Vockenhausen hinaus auch die Arbeiter der umliegenden Ortschaften angesprochen werden. Als zentraler Ort wurde eine Wirtschaft gewählt, deren Wirt den Sozialdemokraten wohl gesonnen war, was damals noch eher selten vorkam.

Maifeiern bis zum Ersten Weltkrieg

Eine lückenlose Darstellung aller Maifeiern der 1891 folgenden Jahre ist nicht möglich, da sicher nicht alle dokumentiert und nicht alle denkbaren Quellen ausgewertet wurden. Die im Folgenden aufgeführten Feiern sollten als Beispiele auch für andere Feiern im Main-Taunus-Kreis gewertet werden.

Nach dem Ende des Sozialistengesetzes begann die SPD sich in vielen Orten als Partei zu organisieren, zunächst als Zweigstellen des Sozialdemokratischen Wahlvereins für die Kreise Höchst, Homburg und Usingen, die zum I. Nassauischen Wahlkreis gehörten. In Hofheim wurde z. B. 1892 eine solche Zweigstelle gegründet. Dieser spätere SPD-Ortsverein wird wesentlich dazu beigetragen haben, daß am Sonntag, dem 7. Mai 1893 in Hofheim eine Maifeier stattfand, von der noch eine Eintrittskarte erhalten geblieben ist. Gefeiert wurde ein „Großes Volksfest zu Gunsten des achtstündigen Arbeitstages" in der Gaststätte „Zur schönen Aussicht", die in der Stadt an der „Alten Bleiche" lag.

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Eintrittskarte zur Maifeier 1893 in Hofheim (Stadtarchiv Hofheim)

Die Maifeiern wurden damals durch den Verkauf von Eintrittskarten oder von Mai-Postkarten finanziert. Die beispielhafte Postkarte „Völkermai" stammt aus der Zeit kurz nach 1890. Die Einnahmen wurden offenbar beim Sozialdemokratischen Kreis-Wahlverein verbucht, wenn dieser als Veranstalter fungierte. Aus dem erhalten gebliebenen Rechenschaftsbericht dieses Wahlvereins für den I. Nassauischen Wahlkreis vom 1. August 1904 bis zum 31. Juli 1905 geht so indirekt hervor, daß im Jahr 1905 Maifeiern in Fischbach, Hofheim, Hornau, Kelkheim, Ruppertshain und Vockenhausen stattgefunden haben.

Die Maifeiern mußten nach dem geltenden Vereinsgesetz angemeldet und polizeilich genehmigt sein. Dabei bestand die Anweisung des Regierungspräsidenten an die nachgeordneten Behörden, wegen „der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" keine Versammlungen unter freiem Himmel zu genehmigen. Es gab aber auch viele Gastwirte, die Versammlungen in ihren Häusern ablehnten. Wie alle politischen Versammlungen wurden auch die Maifeiern regelmäßig polizeilich überwacht. Der Landrat von Homburg berichtete so u. a., daß sich am Mittwoch, dem 1. Mai 1907 in Kelkheim im Gasthaus zum Wiesenthal, abends 8 Uhr, 80 Mitglieder des Holzarbeiterverbandes versammelten, „nachdem dieselben am Tag die Arbeit eingestellt und einen Ausflug gemacht hatten". Am Sonntag danach fanden u. a. in Eppstein und Hornau Maifeiern statt, wobei die Polizei in Eppstein 180 bis 200 Teilnehmer zählte. Polizeilich registriert wurden Maifeiern in Kelkheim auch in den Jahren 1908 bis 1910, 1908 in Ruppertshain, 1910 in Vockenhausen und 1911 in Eppstein. Meist wurden die Veranstaltungen an einem Ort auch von den Gewerkschaftern und SPD-Mitgliedern der Nachbarorte besucht.

Die damals enge Verbindung zwischen den Gewerkschaften und der Parteiorganisation der SPD zeigte sich auch in den politischen Forderungen, die neben der Forderung nach dem Achtstundentag mit den Maifeiern verbunden waren. 1901 zum Beispiel war die Maiparole „Gegen Brodwucher und Hunnenkurs". Der Hintergrund war die Kolonial- und Flottenpolitik des Reiches und die damit verbundene kostspielige Aufrüstung von Marine und Heer, die von der SPD-Reichstagsfraktion bekämpft wurde. Dem gegenüber stand die drastische Erhöhung der indirekten Steuern, die zur Verteuerung der Grundnahrungsmittel führte.

In den Jahren 1906 bis 1908 stand die „Wahlrechtsfrage" im Vordergrund der Maiparolen, d.h. der Kampf gegen das undemokratische Dreiklassenwahlrecht in Preußen, das erst gegen Ende des I. Weltkrieges aufgehoben wurde. Bei der Landtagswahl im Juni 1908 wurde die SPD bei den Urwählerstimmen mit 23,9 % der Stimmen die stärkste Partei, bekam aber nur 7 Sitze im Landtag. Dagegen erhielten die konservativen Parteien nur 16,7 % der Urwählerstimmen, aber wegen des größeren Gewichtes der Stimmen der wohlhabenderen Urwähler in der 1. und 2. Klasse zusammen 212 Sitze.

Im Jahr 1908 fand die zentrale Maifeier für den Wahlkreis Höchst-Homburg-Usingen am Sonntag, dem 3. Mai in Flörsheim im Restaurant „Kaisersaal" statt. Die Flörsheimer Zeitung berichtete, daß der Saal zu klein war, um alle heimischen und auswärtigen Gäste zu fassen. In den Straßen habe ein stärkeres Leben geherrscht als zur Kirchweih und die Feierlichkeiten hätten sich bis Mitternacht fortgesetzt. Auch in den Jahren 1909 und 1910 fanden in Flörsheim Maifeiern statt, die von der SPD veranstaltet wurden.

Im Zuge der sich verschärfenden Arbeitskämpfe um Arbeitszeitverkürzungen blieben in einigen Betrieben die Arbeiter auch am 1. Mai der Arbeit fern, um den Tag als Feiertag durchzusetzen. Die Folge waren Lohnausfall und häufig auch Aussperrungen durch die Arbeitgeber. Um dem entgegenzuwirken, wurde im SPD-Agitationsbezirk Frankfurt a. M. ein Maifeier-Unterstützungsfond gebildet, in den die SPD-Mitglieder und die Gewerkschaftsmitglieder ab Januar 1910 pro Quartal 5 Pfennig Beitrag einzahlten. Aus diesem Fond erhielten die wegen der Teilnahme an Maifeiern ausgesperrten Gewerkschafts- oder Parteimitglieder eine finanzielle Unterstützung ausgezahlt. Die Streiks zum Durchsetzen von Arbeitszeitverkürzungen führten langsam zu Erfolgen. Während um die Jahrhundertwende Arbeitszeiten von zwölf und mehr Stunden täglich überwogen, waren um 1910 in den wichtigsten Industriezweigen und Gewerken der Neun- oder Neuneinhalbstundentag, d. h. die 54- bis 56-stündige Arbeitswoche, zur Norm geworden.

Im Jahr 1913 fiel der 1. Mai mit Himmelfahrt zusammen. Nach dem „Geschäftsbericht des Sozialdemokratischen Kreis-Wahlvereins Höchst-Homburg-Usingen für die Zeit vom 1. April 1913 bis 31. März 1914" fand am Vormittag eine wegen des Feiertages stark besuchte zentrale Maiveranstaltung als „Massenmeeting" im Höchster Stadtpark statt, bei der die SPD-Reichstagsabgeordneten Brühne und Dißmann über die Bedeutung des Tages sprachen. Am Nachmittag wurden in Hofheim, Schneidhain, Oberursel, Anspach und Wörsdorf große Volksfeste gefeiert. Die Maifeier in Hofheim wurde von einem „Arbeiterbildungsausschuß" organisiert, dessen Vorsitzender das SPD-Magistratsmitglied Emil Oskar Müller war. Der 1. Mai wurde hier am Nachmittag als Waldfest am Kapellenberg gefeiert.

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Es war ein langer Weg mit dem 1. Mai: aus dem Kampf-Tag der internationalen Arbeiterschaft wurde der gesetzliche (Nazi-)Feiertag, heraus kamen nach dem Ende der Nazizeit schließlich die Mai-Feiern.
Und heute? Tanz in den Mai. Unpolitisch. Alles vorbei.

Über den Mai-Feiertag.

Und über die Mai-Feiern.