Adam Mohr (1812-1881) - Ein früher Demokrat aus Hofheim
PETRA HOFFMANN

Adam Mohr wurde am 15. März 1812 in Hofheim als Sohn des Schmieds Martin Mohr und seiner Ehefrau Elisabeth geb. Faust geboren. Er hatte noch vier Geschwister. Bis zu seinem 14. Lebensjahr besuchte er nach eigenem Bekunden den gewöhnlichen Schulunterricht. Noch zwei Jahre verbrachte er zu Hause, bis er als angehender Mechanikus nach Höchst zu dem Schlosser Behringer in die Lehre kam.

Im Jahr 1834 begab er sich auf Wanderschaft, die ihn zunächst nach Castel führte, wo er ein Jahr blieb. Dann machte er sich auf, in fremden Ländern seine Kenntnisse zu erweitern. Nach einer mehrwöchigen Station in Zürich gelangte er nach Genf, wo er 11 Monate arbeitete. Zwei Jahre bereiste er Italien und Frankreich, war in Mailand, Genua, Marseille und Toulon tätig. Von dort schiffte er sich am 13. Mai 1838 nach Algier ein.

Über ein Jahr arbeitete Adam Mohr in Algier im Arsenal. Alsbald fand er dort einen Freundeskreis, allesamt Handwerksgesellen aus Deutschland, der Schweiz und Frankreich. Zu seinem 28. Geburtstag schenkten sie Mohr ein Poesie-Album, zu dieser Zeit „Stammbuch" genannt. Zeittypisch trägt dieses Büchlein eindrückliche Belege des Freundschaftskultes, der im frühen 19. Jahrhundert auch unter Männern in voller Blüte stand. 1840 widmete der Mechaniker F. Preußer aus Idstein dem Freund folgende Zeilen:

„Wer stark sich fühlt, dem Worte treu zu bleiben, den bitt' ich in mein Stammbuch sich zu schreiben. Mohr." Foto: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden.

    „Hinaus muß der Mensch das Glück zu erjagen,
    Im Treiben und Schaffen der Welt;
    Und sollt ihn auch manchmal Mißgeschick plagen,
    Einen Anker hat er, der ihn hält.
    Die Freundschaft ist's, die mit liebendem Arm,
    Den Mann hält, in Trauer und Leiden;
    Ein Freund, der ihm aufrichtig, treu und warm,
    Die Hand giebt, in Unglück und Freuden"1

Im Juli 1839 setzte Adam Mohr seine Wanderschaft fort. Nach einem sechswöchigen Aufenthalt in Lyon traf er im September in Paris ein. Die Hauptstadt Frankreichs war zu dieser Zeit nicht nur ein Hauptanziehungspunkt deutscher Handwerksgesellen, sondern auch beliebtes Ziel deutscher Auswanderer. Die Größe der dortigen Handwerkerkolonie soll beachtlich gewesen sein, die Zahlen schwanken allerdings zwischen 20.000 und 80.000. Die Gesellen lebten meistens in geschlossenen Gruppen in bestimmten Vierteln oder den Vorstädten, getrennt von dem Kreis der Künstler und Intellektuellen, die meist aus politischen Gründen ihr Heimatland verlassen hatten. So auch Adam Mohr, der in der rue du Harlais au Marais, einem der heute schönsten Viertel von Paris, Unterkunft fand. Das Haus war wohl ausschließlich an deutsche Handwerksgesellen vermietet.

Geächtete, Gerechte und Deutsche
Paris war nach 1830 ein Schmelztiegel sozialistischer und revolutionärer Ideen. Die zunächst lockere Vereinsgesetzgebung erleichterte den Zusammenschluß Gleichgesinnter in politischen Vereinigungen. Im Februar 1832 gründete sich dort der „Deutsche Volksverein"2, der neben politischen Freiheitsforderungen vor allem die deutsche Einheitsidee vertrat.

Der Volksverein war Vorgänger des „Bundes der Geächteten", der 1834 entstand. Aufgrund der inzwischen verschärften Vereinsgesetzgebung fungierten die „Geächteten" nun als Geheimbund mit einer hierarchisch-absolutistischen Verfassung. Die Führung des Bundes lag vornehmlich in den Händen deutscher Intellektueller. Seine Ziele waren die Befreiung und Wiedergeburt Deutschlands, die Begründung und Erhaltung sozialer und politischer Freiheit, Gleichheit und Einheit. Vielmehr als in sozialistischen Ideen wurzelten diese Forderungen im christlichen Glauben von Freiheit und Gleichheit. Die Anschauungen des exkommunizierten katholischen Predigers Felicité de Lamennais, von Ludwig Börne ins Deutsche übersetzt, waren unter den „Geächteten" geschätzt und verbreitet. Insbesondere bei Handwerksgesellen, die überwiegend im christlichen Glauben tief verankert waren, fielen die Gedanken von Gleichheit und Freiheit auf fruchtbaren Boden. Auch von dem Satz „Jeder hat das Recht, durch seine Arbeit das zu erwerben, was er nicht hat." und „Gott hat Euch gemacht, in Gesellschaft frei wie Brüder zu leben."3 fühlten sich die Handwerker wohl besonders angesprochen. Die Gewerbefreiheit war zwar inzwischen eingeführt, jedoch lebte das zünftische System in den Köpfen der Handwerksmeister fort.

So gewannen allmählich die Gesellen die Überhand im „Bund der Geächteten". Der Bund breitete sich auch in Deutschland aus, vor allem in Frankfurt am Main und in Hessen. Was den Handwerkern jedoch vollkommen zuwider lief, war die autoritäre Organisationsstruktur jenes Geheimbundes, dessen Spitze das alleinige Sagen hatte. Sie waren es vor allem, die es ablehnten, von anonymen Personen gelenkt zu werden. Forderungen nach einem demokratischen Organisationsprinzip wurden laut.

Ende des Jahres 1836 kam es zum offenen Bruch unter den „Geächteten", deren größter Teil sich nun „im Bund der Gerechten" zusammenfand. Führender Kopf der „Gerechten" war Wilhelm Weitling, Schneidergeselle aus Magdeburg. Er gab ein Manifest heraus, das kommunistische Ideen auf christlicher Grundlage verbreitete. Die Zielsetzungen der „Gerechten" waren denen der „Geächteten" weitgehend gleich. Jedoch war die innere Struktur des neuen Bundes, der auch aufgrund der französischen Gesetzgebung im Geheimen organisiert war, etwas demokratischer aufgebaut. Vor allem legte man Wert darauf, daß seine Mitglieder Kenntnisse in wirtschaftlichen und politischen Fragen erwarben und das Wissen an Berufsgenossen in Deutschland weitergaben. Mit dieser Praxis der Mund-zu-Mund-Propaganda durch herumreisende Gesellen gelang es tatsächlich, wie das Jahr 1848 zeigte, politische Interessen im deutschen Kleinbürgertum zu wecken.

Daß die „Gerechten" jedoch auch von ihrem geistigen Führer abhängig waren, zeigte sich nach Weitlings Weggang in die Schweiz. Obwohl die Leitung in den Händen seiner Anhänger lag, war der Bund sehr geschwächt. Theodor Schuster, Führer der „Geächteten", die inzwischen wieder erneuten Zulauf gewonnen hatten, versuchte 1839 eine neue kampfkräftige Organisation unter dem Namen „Bund der Deutschen" aufzubauen. Die politische Zielsetzung blieb die gleiche, die innere Organisationsstruktur sah einen Kompromiß zwischen dem autoritären Aufbau der „Geächteten" und der demokratischeren Struktur der „Gerechten" vor. Doch es waren vor allem die Ortsgruppen in Deutschland, allen voran die Frankfurter Gruppe, die nicht damit einverstanden waren, daß der „Volksrat", die Spitze des Bundes, uneingeschränkte Vollmachten hatte. 1840 bereits löste sich der „Bund der Deutschen" wieder auf, Schuster zog sich ins Privatleben zurück, allein der verbliebene „Bund der Gerechten" setzte seine Arbeit fort.

Im Geheimbund
Adam Mohr traf im März oder April 1840 in Paris auf eine Gruppe deutscher Auswanderer. Hauptgesprächsthema dieser Treffen war die Lage im heimatlichen Deutschland, die von den Emigranten heftig beklagt wurde. Offenbar scheint Mohr ihnen zugestimmt zu haben. In der Auffassung, in ihm einen Gleichgesinnten getroffen zu haben, führten sie diesen schließlich zu einer konspirativen Zusammenkunft. Der Hofheimer Mechanikus war auf den „Bund der Deutschen" gestoßen. Ihm wurden die Statuten vorgelesen: Aus Deutschland solle eine Republik gemacht und alle damaligen Herrscher von ihrem Thron entfernt werden. Dieses Ziel wolle man durch die Macht und die Stärke des Bundes erreichen.

An Ort und Stelle legte Mohr die Eidesformel des Bundes ab: „Ich schwöre bei meiner Mannes Ehre, Verschwiegenheit über das Bestehen des Bundes, genaue Beobachtung seiner Statuten, treuen Eifer für seinen erhabenen Zweck, und willige Folge der Anordnungen zu seiner Erreichung. Mich treffe Ehrlosigkeit und Tod, wenn ich eidbrüchig werde." Auch wurde er mit den Gepflogenheiten des Geheimbundes vertraut gemacht. Das Erkennungszeichen unter den Mitgliedern bestand darin, die Hand zur Stirn zu führen und das Gesicht zu senken. Dabei wurde das Wort „Handschlag" wechselseitig buchstabiert. Mohr erhielt den Decknamen „Alphons" und mußte noch zehn Sous Mitgliedsbeitrag zahlen. Bis zu seiner Abreise aus Paris Ende Mai 1842 nahm er noch zweimal an geheimen Versammlungen des Bundes teil. Er erhielt eine Kontaktadresse in Wiesbaden, wo er sich melden sollte, um die politische Tätigkeit fortzusetzen und für die Ziele des Bundes neue Anhänger zu werben.

Unter dem Gesichtspunkt der geheimen Verschwörung gewinnen auch die Zeilen, die ihm der Hamburger Bundesgenosse C. F. Asmus zum Abschied ins Stammbuch schrieb, neue Bedeutung: „Du wandles lange hier, im Irdischen Gewimmel, Du trafst einen Freund, der Dir als Bruder reicht die Hand. Der Dir den Steig zum unfehlbaren Himmel, schon lange sich für Dich besannd."

In den Fängen der Justiz
Diese doppeldeutige Bedeutung der Zeilen hatte wohl auch die deutsche Justiz erkannt. Die Bundeszentralbehörde in Frankfurt am Main suchte dem geheimen verschwörerischen Treiben Einhalt zu gebieten. Allerorten wurden verdächtige Handwerksgesellen verhaftet und strengen Verhören unterzogen. Viele haben diesem Druck, immerhin lautete die Beschuldigung „Hochverrat", nicht standgehalten und neben einem Geständnis auch die Namen weiterer Mitglieder preisgegeben. So erging dann auch 1841 folgende Fahndungsmeldung nach Wiesbaden: „Der Vorname dieses Mohr heißt wahrscheinlich Adam, er soll etwa 25 Jahre alt, von mittlerer Größe und gesetzter Statur sein, auch einen Schnurrbart getragen haben."

Eine Moschee in Algier. Aus dem Stammbuch Adam Mohrs.
Foto: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden.

Im Mai 1841 wurde Adam Mohr verhaftet, seine Wohnung in Hofheim durchsucht. Mehrmals brachte man ihn zum Verhör ins Criminalgericht Wiesbaden. Nach anfänglichem Leugnen war Mohr geständig, in Paris dem „Bund der Deutschen" angehört zu haben. Bis dahin hatte die Justiz ausreichend belastendes Material gegen ihn zusammengetragen, war über konspirative Treffen und Mitverschwörer informiert. Auch Adam Mohr hielt dem Druck der Befragungen nicht stand, auch er gab weitere Namen preis, die aber den Behörden offenbar schon bekannt waren. Bedenkt man, daß die Gruppen an der Basis der Geheimbünde selten mehr als zehn Mitglieder zählten, war die Gefahr, daß durch Verrat die ganze Organisation aufflog, relativ gering. Wie aus den Protokollen zu entnehmen ist, war es wohl die Taktik der Geheimbündler, jene, mit denen sie in engem Kontakt standen, nicht zu verraten. Aber auch das war dem Gericht nicht fremd, so entnahm man der Aussage des Rödelheimer Vergolders Engel, ein guter Freund Mohrs, ein weiteres Verdachtsmoment gegen den Hofheimer, gerade da er diesen mit keinem Wort erwähnte.

Mohr versuchte sich dahingehend zu verteidigen, daß er seine Mitgliedschaft im Bund der Deutschen als Fehltritt, dessen er sich nicht bewußt war, auslegte. Er sei dort hineingeschlittert und habe nicht mehr zurück gekonnt. Erst bei seiner Rückreise von Paris nach Hofheim habe er die Statuten des Bundes gelesen und sie - erschrocken über den Inhalt - aus dem Fenster des Postwagens geworfen. Auch die ihm anvertraute Kontaktadresse in Wiesbaden habe er nicht aufgesucht. Seinen geheimen Freunden gegenüber habe er gesagt, er sei zweimal dort gewesen, ohne jemanden anzutreffen. Dies sei aber eine Notlüge gewesen, auch könnte er sich der Anschrift nicht mehr besinnen. Erst nachdem ihm diese von den Beamten quasi in den Mund gelegt wurde, räumte er ein, es könne die Gastwirtschaft „Aachener Hof gewesen sein. Auch ein Schreiben des Stadtschultheißen Wohmann von Hofheim konnte Mohr zu seiner Verteidigung heranziehen; er bezeichnete ihn als einen fleißigen Bürger von gutem Betragen.

Stammbuch Adam Mohrs. Foto: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden.

Ob die Justiz diesem intelligenten Mann, der französisch und italienisch sprach und sein Handwerk ausgezeichnet verstand, geglaubt hat, nicht gewußt zu haben, was er tat, bleibt dahingestellt. Er wurde aber des Hochverrats für schuldig befunden. Am 10. Juni 1841 wurde Adam Mohr aus der Untersuchungshaft entlassen. Es existieren keine Aufzeichnungen mehr darüber, ob es zu einer Verurteilung kam und wie hoch die Strafe ausfiel. Sein weiterer Lebensweg jedoch spricht dafür, daß ihm seine „revolutionären Umtriebe" im öffentlichen Ansehen nicht geschadet haben. Er übte sein Handwerk als Mechanikus im eigenen Hause in der Hauptstraße 16 erfolgreich aus, erhielt mehrmals Auszeichnungen für von ihm neu konstruierte Maschinen, darunter Lumpenschneider und Getreidefegmaschinen. Sein Enkel Adolf Mohr gründete 1906 die Maschinenfabrik, die heute als POLAR-Mohr führender Hersteller von Schneidemaschinen ist. Und vor allem war Adam Mohr stets ein Mensch, der sich politisch betätigte und für seine Interessen einstand. Er war im Vorstand vieler Vereine, darunter fungierte er über 25 Jahre als Vorsitzender des Hofheimer Gewerbevereins. Auch als Kreisrat und Schöffe wirkte er im öffentlichen Leben. - Adam Mohr starb am 30. August 1881 als geachteter Bürger in Hofheim.

Anmerkungen:

1.  Dies und alle weiteren Zitate aus den Quellen: Untersuchungen wegen revolutionärer Umtriebe gegen Adam Mohr aus Hofheim. Criminalgericht Wiesbaden, 1841. Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 295, 40
2.  Zur Geschichte der politischen Handwerkervereine m Paris siehe Schraepler, Ernst: Handwerkerbünde und Arbeitervereine 1830-1853. Berlin 1972
3.  Schraepler, S. 44, 45

Aus: Zwischen Main und Taunus / MTK-Jahrbuch 1997 - mit freundlicher Erlaubnis der Autorin
24.7.05

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