Herr über das Wissen
Kelkheim: Der ehrenamtliche Stadtarchivar Dietrich Kleipa sichtet die Geschichte der Stadt

Von Gesa Fritz

Im Reich von Dietrich Kleipa regiert der Atem der Zeit. Jahrhunderte alte Bücher, viele eingestaubt und vergilbt, manche leicht zerfleddert, senden eine schwere Duftnote aus. Dicht an dicht reihen sich Urkunden, Rechnungen und Akten in den Regalen aneinander. Etwa 200 laufende Meter sollen es sein. Hier, im Bürgerhaus Fischbach, ruht das Gedächtnis von Kelkheim.

Herr über das Wissen ist Dietrich Kleipa. Seit 1966 arbeitet er ehrenamtlich als Stadtarchivar für Kelkheim. Heute ist er 69 Jahre alt. Aufhören möchte er noch lange nicht, und doch bewegt ihn der Gedanke, daß er sein Amt irgendwann nicht mehr ausüben kann. So hat er sich vor einem Jahr daran gemacht, das Archiv zu sichten.

Gemeinsam mit der Rathausmitarbeiterin Stefanie Kilp taucht er einmal pro Woche für mehrere Stunden in die alten Unterlagen ein, um sie systematisch zu erfassen und so für die Nachwelt auffindbar zu machen.

Jede Rechnung erzählt ihm eine eigene kleine Geschichte

Wenn Kleipa alte Rechnungen liest, erzählen sie ihm kleine Geschichten aus der Vergangenheit Kelkheims. In geschwungener Schrift, nur noch für wenige geübte Augen zu entziffern, ist da auf feinstem Büttenpapier festgehalten, daß Hornau 1748 unter dem

Schutz eines Landreiters stand, ein Daniel Vogt zuzog und an Weihnachten Salut-Schüsse abgegeben wurden. Da läßt sich nachlesen, wie viel Holz jedes Kind um 1850 mitbringen mußte, um den Klassenraum zu heizen. Gehackt, gestapelt und geheizt wurde dann vom Lehrer.

Kleipa ist kein gebürtiger Kelkheimer. Er war zehn Jahre alt, als er mit seinen Eltern aus Ostpreußen in den Ort kam, in dem damals noch die Ochsenkarren durch die Straßen rollten. Geschichte war schon früh sein Hobby, und daß Kelkheim nicht die Heimat seiner Ahnen ist, tut seiner Begeisterung keinen Abbruch.

Und er hat eine ganz eigene Lesart der Historie entwickelt. So setzt in seinen Augen kein offizieller Akt das Zeichen, daß Kelkheim vom Dorf zur Stadt wird. Er macht den Wandel an einer Entwicklung in den frühen 1950er Jahren fest: Bis dahin gab es in keinem der sechs Orte mehr als einen Ziegenbock oder einen Gemeindebullen, der die weiblichen Tiere decken durfte. Als die Decktiere verschwanden, hatte Kelkheim in seinen Augen den Wandel vollzogen.

Bis irgendwann auch die letzte Akte gesichtet ist, werden nach Kleipas Einschätzung noch einige Jahre ins Land ziehen. Fast klingt es fröhlich, wenn er das sagt.

Einblicke in die Kelkheimer Akten gewährt Dietrich Kleipa nach Absprache unter der Telefonnummer 06195/5837.
Dietrich Kleipa

Daß Kelkheim nicht die Heimat seiner Ahnen ist, tut Dietrich Kleipas Begeisterung für lokale Geschichte keinen Abbruch.   
Bild: Michael Schick

Frankfurter Rundschau - 2.2.11 - mit freundlicher Erlaubnis der FR