Frühkeltische Funde in Hattersheim Archäologen stoßen im Baugebiet Südwest auf Skelette, Schmuck und Werkzeuge / „Hessens größte / „Hessens größtes Gräberfeld'
Als „Sensation" bezeichnet das Landesamt für Denkmalpflege die jüngsten Funde im Hattersheimer Baugebiet Südwest. 2500 Jahre alte Keltengräber und rund 5000 Jahre alte Siedlungsspuren lassen die Herzen der Archäologen höher schlagen.
HATTERSHEIM - Als das „größte Gräberfeld in Hessen" bezeichnet Claus Bergmann vom Landesamt für Denkmalpflege die Funde aus der so genannten Frühlatènezeit (5. Jahrhundert v. Chr.) in Hattersheim. 24 Gräber konnten dort für die Nachwelt erhalten werden. Bereits 1999 waren sieben Gräber in Hattersheim gesichert worden - „macht zusammen mehr als 30, und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange", sagt Bergmann. Dies sei umso erfreulicher, als in der Mainstadt die Spuren von „normalen Menschen" ans Tageslicht gelangt sind - im Gegensatz zu den Fürstengräbern am Glauberg in der Wetterau. „Um einen Vergleich zu bemühen: Es reicht nicht, zu wissen, wie Prinz Charles lebt. Der Rest der Bevölkerung ist für uns mindestens genauso wichtig wie die Herrscher" sagt Bergmann über dieses Stück keltischer Alltagsgeschichte.
Skelett- und Brandgräber
Über einen Zeitraum von rund 750 Jahren wurden die Toten auf heutiger Hattersheimer Gemarkung bestattet. Bei den Erschließungsarbeiten für das Baugebiet Südwest traten jetzt unter anderem Skelettgräber in einer Tiefe von bis zu 1,50 Meter zutage. „Und zwar mit und ohne Skelett", sagt Grabungsleiter Klaus-Michael Schmitt, „sie stammen aus einer Epoche weit vor den Cäsarischen Kriegen, also lange vor Asterix und Obelix." Außerdem stießen die Archäologen auf so genannte Brandgräber. Nach Angaben von Schmitt handelt es sich dabei um in Urnen beigesetzte Überreste von Menschen, die auf Scheiterhaufen verbrannt wurden.
So schmückten sich Kelten. Zu sehen sind Halsring und Kinderarmreif aus Bronze.
„Überwiegend wurden hier Kelten bestattet. Wir haben aber auch einen Römer entdeckt, der sich offenbar nach Hattersheim verirrt hatte", erklärt Schmitt.
Äußerst interessant seien zudem die bronzenen Grabbeigaben: unter anderem sechs bis acht Armreife, vier bis sechs Halsringe sowie „Drei-Knoten-Armringe", die aus Frauengräbern stammen. Vor der Zerstörung durch die Bagger gerettet wurden auch zehn bis zwölf komplette Gefäße samt Inhalt: Urnen, Vasen und Teller. Rund 5000 Jahre alt sind Keramikscherben, Steinwerkzeuge und Mahlsteine.
Traditionsreiche Siedlung
All dies wird zurzeit auf einem rund 12.000 Quadratmeter großen Areal ausgehoben. Insgesamt umfasst das Baugebiet Südwest eine Fläche von sechs Hektar. Laut Stadträtin Karin Schnick (Grüne) soll es rund 2000 Menschen eine neue Heimat bieten - auf sozusagen sehr traditionsreichem Siedlungsgebiet. Wo genau jedoch sich der Vorläufer des heutigen Baugebietes befindet, wissen die Fachleute trotz der vielen Fundstücke noch nicht. „Die Siedlung muss hier in der Nähe gewesen sein, so viel steht fest", sagt Bergmann. Man sei daher optimistisch, auch dieses Geheimnis dem Erdreich entreißen zu können.
Stolz sind die Experten jedenfalls darauf, dass die Arbeiten die Bautätigkeit nicht behindern. Das private Unternehmen von Grabungsleiter Schmitt habe 15 Mitarbeiter im Einsatz, „und wir sind oft schneller als die Baufirmen mit ihrem Aushub" sagt Schmitt.
Bergmann bestätigt die gute Zusammenarbeit von Bauunternehmen, Archäologen, der Stadt und Denkmalpflegern. „Solange kein großes Römerschiff geborgen werden muss, können wir die jeweiligen Fundstücke kurzfristig sichern. Das ist alles innerhalb von wenigen Tagen möglich" sagt Bergmann - auch wenn fragile Fundstücke teilweise mitsamt dem Erdreich eingegipst und „im Block ausgehoben" werden müssen. Viel mehr Sorgen bereiten den Archäologen und Denkmalschützern „unsere Freunde mit den Metalldetektoren" - die Grabräuber. Die Kripo Hofheim und Hattersheimer Beamte seien deshalb angewiesen, das Gelände bei Streifenfahrten verstärkt im Blick zu haben.
Für die Grabungskosten müssen die privaten Bauherren aufkommen. Um wie viel Euro sich die Häuser dadurch für die jeweiligen Eigentümer verteuern, will Klaus-Michael Schmitt nicht verraten. „Nur so viel: Es macht lediglich einen Promille-Anteil der Bau- und Erschließungskosten aus." JÜRGEN DICKHAUS
Nadine Richter, Studentin der Vor- und Frühgeschichte, und Erik Waldschmidt vom Grabungsteam begutachten ein keltisches Skelett in einem von vier Gräberfeldern.
LATÈNEZEIT
Die Latènezeit (5. Jahrhundert v. Chr. bis 1. Jahrhundert v. Chr., benannt nach La Tène in der Westschweiz) ist eine Epoche der keltischen Kultur.
Im Rhein-Main-Gebiet sind fast 200 Fundstellen von Gräbern der Frühlatènezeit bekannt. Bislang ist es in Hessen noch nicht gelungen, ein Gräberfeld vollständig freizulegen. Grund ist die verstreute Lage der Gräber auf den jeweiligen Feldern. Oft beträgt der Abstand zwischen den Bestattungsorten mehrere dutzend Meter.
Die Friedhöfe wurden meist über viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte genutzt, schreibt Claus Bergmann vom Landesamt für Denkmalpflege.
Die Toten wurden meist in Tücher eingehüllt. Allgemein war den Kelten offenbar der feste Glaube an eine Weiterexistenz des Menschen nach dem Tode eigen. JD
Frankfurter Rundschau - 19.10.05 -
|