Hass auf Stolpersteine
Heimatgeschichtler kämpft gegen Gedenk-Male für deportierte Juden

Von Barbara Helfrich

Hermann Lixenfeld sieht seine Schwiegereltern als Opfer. Es sei „eine Ungerechtigkeit", daß sie nach dem Zweiten Weltkrieg eine Entschädigung zahlen mußten, weil sie in der Nazi-Zeit ein Gebäude aus jüdischem Besitz ersteigert hatten. Jetzt erinnern vor dem Haus in Hattersheim-Okriftel, das inzwischen Lixenfelds Kindern gehört, drei Stolpersteine an die vertriebenen Vorbesitzer, die Familie Schwarz.

Das will Hermann Lixenfeld nicht dulden. Schon vor der Installation der Stolpersteine stachelte er auch andere Hauseigentümer an, ebenfalls bei der Stadt Einspruch gegen die Gedenk-Aktion vor ihren Türen zu erheben, legte ihnen Protest-Schreiben zur Unterschrift vor.

Hermann Lixenfeld, Jahrgang 1935, gehört zu den namhaften Heimatgeschichtlern im Main-Taunus-Kreis. Seine historischen Artikel erscheinen in fast jedem Jahrbuch, das der Kreisausschuß herausgibt. Den Beitrag für die nächste Ausgabe habe er schon geschrieben und abgegeben, sagt Lixenfeld. Thema: Die Geschichte der Juden in seinem Wohnort Flörsheim-Weilbach.

Wenn er die Geschichte der jüdischen Familie Schwarz erzählt, deren Haus in Okriftel seine Schwiegereltern übernahmen, hört sich das so an: Anders als die Frankfurter Historikerin Anna Schmidt schreibt, die im Auftrag der Stadt Hattersheim die NS-Geschichte erforscht hat, sei die Wohnungseinrichtung in der Pogromnacht nicht „vollständig demoliert" worden. „Nur die Bettdecken wurden auf die Straße geworfen und aufgeschlitzt", relativiert Lixenfeld. Zwar hatten „HJ-Buben" Steine gegen die Fenster geworfen, „aber weil die Läden zu waren, ist nichts passiert". Nach der Pogromnacht sei das Ehepaar Schwarz „freiwillig" zu seiner erwachsenen Tochter nach Frankfurt gezogen, behauptet der Hobby-Heimatforscher.

„Damals gelbe Sterne, heute gelbe Steine": Lixenfelds Vergleich sorgt für Empörung

Johanna Schwarz und ihre Tochter Selma wurden von Frankfurt nach Minsk deportiert. Dort verliert sich ihre Spur. Adolf Schwarz nahm sich bald nach der Pogromnacht das Leben. „Diesem Herrn Schwarz gehört kein Denkmal. Er war ein Betrüger", wettert Lixenfeld und erzählt von einem Kredit, den Adolf Schwarz schon 1909 aufgenommen und nicht zurückgezahlt habe. Die Zwangsversteigerung des Hauses habe schon in den 20er Jahren angestanden. Daß sie erst 1939 vollzogen wurde, habe seine Schwiegereltern erst „in die Restitutionsmühle gebracht", behauptet er.

Als der Künstler Günter Demnig im vergangenen November, am Jahrestag des Pogroms, die Gedenksteine im Bürgersteig einließ, hängten die Lixenfelds einen Zettel ans Hoftor: „Damals gelbe Sterne, heute gelbe Steine, Heute wie damals erzwungen". Dieser Brückenschlag zwischen Juden-Verfolgung und Stolperstein-Verlegung „hat mir die Sprache verschlagen", sagt dazu die Historikerin Anna Schmidt.

Den von Lixenfeld vorgefertigten Widerspruchstext hatten laut Stadt die Eigentümer von drei weiteren Häusern unterschrieben. Nach Gesprächen mit der Kommune und der von ihr betrauten Historikerin hätten jedoch alle eingelenkt und die Steine akzeptiert, berichtet Rathaus-Sprecherin Ulrike Milas-Quirin.

Hermann Lixenfeld hingegen hat kürzlich einen zweieinhalbseitigen offenen Brief verfaßt, in dem er sich für eine zentrale Gedenkstätte stark macht, sowohl für „NS-Verfolgte als auch gefallene Soldaten und Bombenopfer". Der Stadt wirft er „diktatorische Vorgehensweisen" vor, unter anderem, weil der damalige Bürgermeister Hans Franssen (SPD) im März 2010 öffentlich zugesagt habe, Stolpersteine nicht gegen den Willen der Hausbesitzer zu verlegen. Später sei Franssen davon abgerückt. Entscheidend sei allein der Beschluß des Stadtparlaments, entgegnet Rathaus-Sprecherin Milas-Quirin. Darin ist kein Vetorecht betroffener Immobilienbesitzer verankert. Die Erinnerung an die Opfer von der Zustimmung heutiger Eigentümer abhängig zu machen, verbiete sich, sagt sie: „Man würde ihnen noch einmal Unrecht tun."

Der Kreis will die Abhandlungen des Mannes weiterhin drucken

Und wie verträgt sich Lixenfelds Kampf gegen die Stolpersteine mit einer weiteren Veröffentlichung seiner Abhandlungen im Jahrbuch des Kreises? Das Landratsamt sieht keinen Grund, ihn von der Autorenliste zu streichen. Die Diskussion um die Stolpersteine sei eine Angelegenheit zwischen Lixenfeld, der Stadt und der Arbeitsgruppe, die sich in Hattersheim mit dem Opfergedenken befaßt, teilte der Kreis der Frankfurter Rundschau mit.

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Diese drei Steine erinnern an die Familie Schwarz. Bild: MICHAEL SCHICK

Frankfurter Rundschau - 3.2.11 - mit freundlicher Erlaubnis der FR


Stolpersteine als Politikum
Hattersheim: Opposition stützt Lixenfeld / Künstler Demnig bezieht Stellung für die Stadt

Von Barbara Helfrich

Die Kontroverse über die Stolpersteine zur Erinnerung an NS-Opfer wird zum Wahlkampfthema. „Nur mit Zustimmung der Bewohner eines Hauses sollte dort ein Stolperstein installiert werden", schreibt der FDP-Fraktionsvorsitzende Dietrich Muth in einer Pressemitteilung.

Damit schlägt er sich auf die Seite des Heimatgeschichtlers Hermann Lixenfeld. Vor dem Haus in Okriftel, das Lixenfelds Schwiegereltern in der NS-Zeit ersteigert haben, erinnern seit vorigem November drei Stolpersteine an die jüdischen Vorbesitzer, die Familie Schwarz. Lixenfeld und seine erwachsenen Kinder, denen das Haus inzwischen gehört, hatten sich schon im Vorfeld vehement gegen die Steine gewehrt.

Lixenfeld motivierte zudem andere Hauseigentümer, bei der Stadt Einspruch zu erheben, und legte ihnen vorgefertigte Widerspruchsschreiben zur Unterschrift vor. Lixenfeld behauptet, die Familie Schwarz sei nicht aus Hattersheim vertrieben worden, sondern habe die Stadt nach der Pogromnacht „freiwillig" verlassen. Zudem habe Adolf Schwarz, der sich bald nach dem Pogrom das Leben nahm, kein Denkmal verdient, weil er „ein Betrüger" gewesen sei, wetterte Lixenfeld in der vorigen Woche im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. Daß seine Schwiegereltern nach dem Zweiten Weltkrieg eine Entschädigung zahlen mußten, sei „eine Ungerechtigkeit".

Lixenfeld hat kürzlich einen offenen Brief zum Thema Stolpersteine verfaßt, ausdrücklich mit Blick auf die Kommunalwahl. Alle Wähler sollten erfahren, „wie unsere Demokratie mit Füßen getreten wird", heißt es in dem zweieinhalbseitigen Papier. Rückhalt bekommt er auch von Karl Heinz Spengler, FWG-Vertreter im Hattersheimer Stadtparlament. Nach eigenen Angaben hat er durch die Protestaktion auch Hermann Lixenfelds Tochter Pia kennengelernt, die jetzt für die FWG zur Kommunalwahl antritt.

Ob die FWG fordern will, bereits verlegte Stolpersteine wieder zu entfernen, „müßte man nach der Wahl besprechen", so Spengler. Die Stolpersteine seien „ein Kunstwerk, nicht mehr und nicht weniger", und dürften „nicht von oben herab" verordnet werden. Auch die CDU hatte bereits im Herbst um Verständnis für Hausbesitzer geworben, die keine Gedenksteine vor ihrer Tür wollen.

Kein Vetorecht verankert
In der Magistratsvorlage zum Stolpersteine-Projekt, die dem Stadtparlament im Sommer 2009 vorlag, ist jedoch keine Vetorecht für Hauseigentümer verankert. Darin heißt es lediglich: „Anschreiben und persönliche Gespräche mit Grundstückseigentümern sollten für die Beteiligung an dem Projekt werben." Laut Rathaussprecherin Ulrike Milas-Quirin hat die AG Opfergedenken im vorigen Sommer einstimmig beschlossen, die Steine notfalls gegen den Willen der Eigentümer zu verlegen.

Dies werde von den meisten Städten so gehandhabt, sagt der Kölner Künstler Gunter Demnig, Initiator der Stolperstein-Aktion. Zu den wenigen Ausnahmen gehöre Fritzlar, wo von Hauseigentümern abgelehnte Steine im Archiv „geparkt" worden seien. In Brühl habe er Steine auf einem Schulhof verlegt, weil sie am eigentlich vorgesehenen Platz unerwünscht waren. Rechtlich sei die Sache aber eindeutig, so Demnig: „Der Bürgersteig gehört der Stadt." Mit Blick auf Lixenfeld, der NS-Opfern offen das Recht auf ein Denkmal abspricht, sagte Demnig: „Wenn die Stadt sich darauf einläßt, ist sie armselig."

KOMMENTAR

Geklitterte Geschichte
Von Barbara Helfrich

Der Heimatgeschichtler Herman Lixenfeld hat pünktlich zur Kommunalwahl seine zweifelhafte Kampagne gegen die Stolpersteine noch mal hochgekocht - und die Hattersheimer FDP schlägt sich prompt auf seine Seite. Dabei ist die Erinnerung an die NS-Opfer ein Thema, das man keinesfalls für Wahlkampfzwecke ausschlachten darf.

NS-Opfer als Betrüger diffamiert
Hermann Lixenfeld macht seine Kritik vordergründig daran fest, daß die Stadt den Hausbesitzern erst ein Vetorecht gegen die Gedenksteine versprochen habe und dann davon abgerückt sei. Dafür bekommt er Rückendeckung von der Opposition.

Doch der Heimatgeschichtler legt auch einen erschreckenden Revisionismus an den Tag: Einen NS-Verfolgten diffamiert er als Betrüger. Entschädigungen, die nach der NS-Zeit leisten mußte, wer jüdischen Besitz erworben hatte, bezeichnet er als Ungerechtigkeit. Die [opponierenden] Hattersheimer Parteien sollten sich nicht für eine solche Geschichtsklitterung vor den Karren spannen lassen, sondern auf Distanz gehen. Das gilt auch für den Main-Taunus-Kreis, der angekündigt hat, Lixenfelds historische Beiträge trotz der Stolperstein-Kampagne weiterhin in seinem Jahrbuch zu publizieren.

Frankfurter Rundschau - 8.2.11 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Empörung über Stolperstein-Gegner
Lixenfelds Verunglimpfung von NS-Opfern abgelehnt / Unterstützung aber von CDU, FDP, FWG

Von Barbara Helfrich

Als „beschämend" bezeichnet die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im Main-Taunus-Kreis (CJZ) die Äußerungen des Heimatgeschichtlers Hermann Lixenfeld zur Stolperstein-Verlegung in Hattersheim-Okriftel. Und die Kreistagsabgeordneten der Wählergemeinschaft Die Linke nennen diese Äußerungen „unerträglich". Sowohl CJZ als auch Linke kritisieren, daß der Main-Taunus-Kreis kein Problem darin sieht, Lixenfeld weiter für das Jahrbuch des Kreises schreiben zu lassen.

Lixenfelds „Verunglimpfung" von NS-Opfern sei möglicherweise sogar strafbar, sagte der Schwalbacher Pfarrer Willi Schelwies, Vorsitzender der CJZ: „Das müssen Juristen klären." Der Kreis dürfe aber „darüber nicht einfach hinweggehen". Lixenfeld wehrt sich vehement dagegen, daß im November vor einem Haus in Okriftel, das seine Schwiegereltern in der NS-Zeit aus jüdischem Besitz ersteigert hatten, drei Stolpersteine verlegt wurden.

Heimatforscher diffamiert einen Verfolgten, der sich das Leben nahm, als Betrüger
Sie erinnern an die Vorbesitzer, die Familie Schwarz, die im Holocaust umkam. Adolf Schwarz nahm sich nach der Pogromnacht 1938 das Leben, Frau und Tochter wurden deportiert. Gegenüber der Frankfurter Rundschau hat Lixenfeld vorige Woche Adolf Schwarz das Recht auf ein Denkmal abgesprochen und ihn als „Betrüger" diffamiert. Seine Schwiegereltern stellte Lixenfeld als Opfer dar, weil sie nach dem Krieg eine Entschädigung zahlen mußten. Er hatte andere Hausbesitzer animiert, ebenfalls Einspruch gegen Stolpersteine vor ihren Türen zu erheben.

Lixenfelds Geschichtsdarstellung sei „eine Katastrophe", findet Bernd Blisch, kommissarischer Vorsitzender des Historischen Vereins Rhein-Main-Taunus. Lixenfeld habe offenbar „viel Forschung aus den letzten Jahrzehnten nicht wahrgenommen". Blisch hat daher „große Bedenken", wenn Lixenfeld im nächsten Jahrbuch wie angekündigt einen Artikel über die Geschichte der Juden in Flörsheim-Weilbach publizieren sollte. Den Text hat Lixenfeld nach eigenen Angaben bereits verfaßt und beim Kreis abgegeben. „Jemand, der die Opfer des Faschismus derart zynisch verhöhnt und beschimpft", dürfe keinen Platz in einer offiziellen Veröffentlichung des Kreises haben, schreibt die Linke.

Die Hattersheimer Oppositionsparteien FDP, FWG und CDU unterstützen Lixenfeld insofern, als sie kritisieren, daß Stolpersteine auch gegen den Willen heutiger Hausbesitzer verlegt werden. Pfarrer Schelwies findet es „nicht angemessen", das Thema „in den Wahlkampf zu ziehen".

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Drei Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig erinnern in Hattersheim-Okriftel an die Familie Schwarz. Bild: MICHAEL SCHICK

Frankfurter Rundschau - 9.2.11 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Fall Lixenfeld im Kreistag
SPD verlangt Aufklärung über Beitrag im Jahrbuch

MAIN-TAUNUS. Der Kreisausschuß soll begründen, warum Artikel des Heimatforschers Hermann Lixenfeld trotz dessen Äußerungen zur Stolperstein-Verlegung in Okriftel weiterhin im Jahrbuch des Kreises veröffentlicht werden sollen. Das hat die SPD-Kreistagsfraktion gestern gefordert. Außerdem sollten die Kriterien offengelegt werden, „die bei der Suche nach Autoren und deren Beiträgen angelegt werden", schreibt sie in ihrer Anfrage weiter. „Lixenfeld ist in den letzten Tagen durch die Verunglimpfung von NS-Opfern stark in die Kritik geraten", begründet die SPD ihre Forderung.

Vor einem Haus in Okriftel, das Lixenfelds Schwiegereltern in der NS-Zeit aus jüdischem Besitz ersteigert hatten, erinnern seit November drei Stolpersteinen an die vertriebenen Vorbesitzer. Dagegen wehrt sich Lixenfeld vehement. Gegenüber der Frankfurter Rundschau hatte er einem der NS-Verfolgten das Recht auf ein Denkmal abgesprochen und ihn als Betrüger diffamiert.

Lixenfeld hat bereits ein Dutzend historische Betrachtungen in Kreis-Jahrbüchern veröffentlicht. Für die nächste Ausgabe hat er nach eigenen Angaben einen Text über die Geschichte der Juden in Weilbach eingereicht.  bhe

Frankfurter Rundschau - 10.2.11 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Streit um Text über Juden
Main-Taunus: Experten sollen Richtigkeit prüfen

Der Artikel über die Geschichte der Juden in Weilbach, den der Heimatforscher Hermann Lixenfeld für das Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises geschrieben hat, soll fürs Erste nicht erscheinen. Das fordern die Linken im Kreistag. Sie wollen den Text von Experten des Frankfurter Fritz Bauer-Institutes auf seine historische Richtigkeit prüfen lassen.

Der Flörsheimer Hobbyhistoriker war ins Kreuzfeuer der Kritik geraten, weil er die Verlegung von Gedenksteinen für jüdische Holocaust-Opfer vor seinem Haus in Hattersheim-Okriftel nicht zulassen wollte. Einem der von den Nazis verfolgten ehemaligen Bewohner des Hauses sprach Lixenfeld das Recht auf ein Denkmal ab und nannte ihn „Betrüger".

Hermann Lixenfeld bediene sich aus dem ewiggestrigen Repertoire, kritisiert auch Monica Kingreen, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Fritz Bauer Institutes. Es sei deshalb höchst problematisch , wenn er im Jahrbuch des Kreises ausgerechnet über die Geschichte der Juden schreibe. „Es ist gut, daß die Stadt Hattersheim die Stolpersteine trotz Widerspruchs verlegt hat", sagte Kingreen. aro/bhe

Frankfurter Rundschau - 11.2.11 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Erstaunlich, wie blind Nähe machen kann. Blind, und blindwütig. Sehr bedauerlich. Einem geschätzten lokalen Historiker sollte das nicht passieren.