Was alte Hochheimer Akten erzählen
FRANZ LUSCHBERGER

Interessante Rückschlüsse auf das vergangene Jahrhundert können aus der Urkundensammlung einer Hochheimer Familie gezogen werden, die der Arbeitsgemeinschaft Alt-Hochheim überlassen wurde. Das älteste Dokument dieser Sammlung ist vom November 1815 datiert, stammt von Legationsrat J. P. Caemmerer in Frankfurt und ist an „Euer Hochwürden, Dem Herrn Pfarrer Marzel zu Hochheim" gerichtet. Dieser hatte offensichtlich einen Rechtsstreit mit dem „Kurmainzischen Hofkriegsrath Edel", der sich seit 1804 in Hochheim aufhielt.

Zwei Ehrenmänner

Pfarrer Johann Franz Marzel war von 1793 bis 1818 katholischer Pfarrer in Hochheim. Er machte eine Stiftung, wonach alljährlich am Johannistage (24. Juni), seinem Namenstag, sogenannte Johannisbrötchen an die Schulkinder verteilt wurden. Auch war er Schulinspektor und suchte bei den alljährlichen Schulprüfungen durch Verteilung von Prämien wie Bücher und Kleidungsstücke den Lerneifer der Schüler zu fördern. Er wandte ebenfalls dem Unterricht der Mädchen in den Handarbeiten und der Unterweisung der Knaben im Obstbau seine Fürsorge zu. Pfarrer Marzel wurde 67 Jahre alt und auf dem alten Kirchhof begraben, wie sein Grabstein am Haupteingang von St. Peter und Paul beweist. Eine Straße in Hochheim ist nach ihm benannt.

Hofkriegsrat Edel haben die Hochheimer die „Rosenbrautstiftung" zu verdanken. In seinem 1816 aufgenommenen und 1821 beglaubigten Testament hatte er bestimmt, daß sein barer Geldvorrat und seine Kapitalien von 8166 Gulden zu einer mit dem Armenfonds zu vereinigenden „ewigen milden Stiftung" nach Hochheim fallen und die Zinsen in Höhe von 50 Gulden jährlich „für kranke Arme zu ihrer Erquickung, nicht aber für Arzneien" und „die sonach übrig bleibenden Gesammtzinsen nach Verhältniß der Beträge für Ein und Zwei mittellose, fromme und unbescholtene Mädchen von hiesigen Eltern, die damit auf den 10. Mai jeden Jahres ausgesteuert und als ein Zeichen ihrer Reinheit mit einer frischen Rose, was sie auch koste, geziert werden sollen", verwendet werden. Neben weiteren Einzelheiten ist in der Stiftung festgelegt, daß der Pfarrer und der Oberschultheiß den Fonds verwalten sollen. Bis 1884 war der Fonds auf 13941 Mark angewachsen. Die Edelstraße in Hochheim erinnert an diesen hochherzigen Stifter.

Einblick in einen Rechtsstreit

In dem erwähnten Brief bestätigt der Jurist Legationsrat Caemmerer dem Hochheimer Pfarrer, daß er die Akten mit der Forderung des Hofkriegsrates Edel an die Verlagsanstalt des Senators Quiolett erhalten habe. Da beim Gericht erster Instanz alle Aktenstücke in Duplo überreicht werden müßten, würde er diese von seinem Schreiber anfertigen lassen, dazu eine Klageschrift fertigen und alles dem Gericht übergeben, wo die Klage angenommen würde und zunächst ein Termin zum gütlichen Vergleich anberaumt werde. Bei diesem werde er erscheinen und „die zu machenden Propositionen anhören, sie ad referendem nehmen, die Rechte meines Herrn Mandanten verwahren und über alles Bericht abstatten". Der unterzeichnende „gehorsame Diener und Freund J. P. Caemmerer" war der Anwalt des Hochheimer Pfarrers.

In einem am 2. Februar 1816 geschriebenen Brief an Pfarrer Marzel ist von einem für Hofkriegsrat Edel gegen Madame Belli inszenierten Dekret des Gerichtes erster Instanz die Rede, wodurch der Prozeß eingeleitet worden ist. Legationsrat Caemmerer habe eine lange Note nebst dem Bild des Herzoglichen Geheimrats von Itzstein von Hofkriegsrat Edel erhalten und erwarte dazu die Stellungnahme von Pfarrer Marzel. Bei dieser Gelegenheit teilte der Legationsrat dem Pfarrer mit, daß er Ende dieses Monats in Geschäften nach Aschaffenburg gehe und seine Aufträge dorthin erbitte, weil er den dortigen Schwager des Pfarrers mehrere Male sehen werde. Heute sei es gerade ein Jahr her, daß er mit den Herren vom englischen Wohlfahrtskomitee in Hochheim zusammengekommen sei, woran er sich „mit lebhaftem Vergnügen" erinnere. Dieser Tage sei geistlicher Rat Molinari bei ihm gewesen und habe ihm gesagt, daß er vor kurzem Pfarrer Marzel und Hofkriegsrat Edel besucht hätte. Mit der Madame Belli sei er zwar verwandt, aber nicht gut auf sie zu sprechen.

Da der Schriftwechsel lückenhaft ist, weiß man nicht, um was es bei der Angelegenheit ging und wie der Prozeß schließlich ausgegangen ist. Die Pfarrei Hochheim gehörte 1815 zum Landkapitel Höchst, das unter dem Erzbischöflichen Regensburgischen Generalvikariat zu Aschaffenburg stand. Erst 1827 wurde das Bistum Limburg für die katholische Kirche in Nassau errichtet.

Kriegsschulden werden eingefordert

Am 7. März 1818 wurde vom Herzoglichen Nassauischen „Staats Casse Director" an das Herzogliche Amt Hochheim wegen der „Liquidation der Beytrags-Schuldigkeit der Corporationen des Amts Hochheim zu den Kriegskosten vor dem 1. December 1802" geschrieben. In dem Brief heißt es, daß entsprechend amtlichen Dekretes und „hoher Regierungs-Weisung" von der Gemeindekasse zu Hochheim heute eine Summe von 122 Gulden und 53 Kreuzern bezahlt worden sei, doch betrage die Restschuld der Gemeinde 409 Gulden und 38 Kreuzer. Es könne jedoch ein Irrtum sein, sowohl in der eigenen Schuldenberechnung als auch „mittelß" Genehmigung des Herzoglichen Hofkammerrates Eiffert, die „leicht aufzuklären seyn wird".

Die Antwort des Amtes Hochheim vom 23. März 1818 besagt, daß der Amtmann mit dem Hofkammerrat zu Wallau (dort befand sich die Rezeptur, also die Amtskasse) gesprochen habe, der aber eine Aufklärung nicht erteilen konnte. Auch sei er nicht in der Lage, den „wahrscheinlich vorliegenden Irrthum zu enthüllen". Dies werde bei der Herzoglichen Landesregierung geschehen können, von welcher er angewiesen worden sei, daß aus der Gemeindekasse noch 122 Gulden und 53 Kreuzer „als Zahlungsrest der Beytrags Schuldigkeit der aufgehobenen Corporationen und Stifter zu den bis 1. December 1802 erwachsenen Kriegsschulden zu herzogl. Staats Casse entrichtet werden müßten, welches denn auch geschehen ist".

Weil weitere Papiere fehlen, weiß man auch hier nicht, wie letztlich die Sache ausgegangen ist. Wahrscheinlich haben jedoch der Hochheimer Oberschultheiß Carl Müller, der sich von diesem Jahr an Stadtdirector nannte, und seine Stadtkasse als Letzte zu ihren Gunsten lachen können.

Lesebeginn

Zwei weitere Dokumente betreffen die Traubenlese im Jahr 1817. Das eine ist ohne Adresse „An Wohlgeboren" gerichtet, vermutlich an den Hochheimer Schultheißen. Ihm wird vom Herzoglichen Hofkammeramt „in Abwesenheit des Herzogl. Hofkammerrathes vorläufig" mitgeteilt, daß dieser bei der „Hz. General Domaenen Direction" Verhaltungsbefehle wegen des Weinherbstes beantragt habe, aber noch keine „hohe Verfügung dieserhalb" eingegangen sei. Der Antrag sei dahin gegangen, „mit dem Herbste" (der Weinlese) noch länger zu warten. Übrigens werde der Zehnte wohl gehandelt werden, weil 43 Ohm Besoldungswein Johanni entrichtet werden müßten. Mit der Bekanntmachung solle man warten, bis der Bote mit dem Bescheid des Herzoglichen Hofkammerrates nach Hochheim komme.

Im zweiten Brief vom 29.10.1817 wird dem Herrn Oberschultheißen in Hochheim mitgeteilt, daß die Gemeinde Kostheim beschlossen habe, am nächsten Dienstag, dem 28. Oktober 1817, mit der Weinlese zu beginnen. Man wäre nicht sicher, ob die Witterung im November besser sei, als sie im Oktober bisher gewesen ist. Wörtlich meint der Kostheimer Schultheiß am Schluß: „Wir halten die vorleß nicht ein, sondern laßen den Ersten Tag gleich den berg auf dem Taubhaus, also die ihn begüttente ohne gestehet den Dinstag auch lesen lassen können". (Wir halten die Vorlese nicht ein, sondern lassen am ersten Tag gleich den Berg auf dem Daubhaus lesen, folglich können die dort gelegenen Weinbergbesitzer am Dienstag auch lesen lassen).

1817 war ein schlechtes Weinjahr. Man war sichtlich bemüht, den Beginn der Traubenlese möglichst lange hinauszuschieben in der Hoffnung auf günstigere Witterung, war sich aber dieser Hoffnung nicht sicher. In der Tat: vom Chronisten wird berichtet: „der Wein war so ungenießbar, daß fast keiner gelesen wurde".

Gebäudeverzeichnis

Bereits einen Tag später entsprach die Stadt Hochheim einer Anordnung des Hochheimer Amtmannes Grüsing vom 1. Juli 1840 für die Gemeinden, binnen drei Tagen ein vollständiges Verzeichnis der öffentlichen Gebäude vorzulegen mit Angaben, welcher Kasse die Last des Baues und der Unterhaltung obliegen:

1. Landesgebäude
a. Das Amtshaus mit Oeconomiegebäuden
b. Das daneben stehende Haus, worin die Amtsgefängnisse sind c. Die   Hälfte des Markthäuschens am Frankfurter Tor

Die Erbauung dieser Gebäude sowie deren Unterhaltung liegt der H. Landessteuerkasse ob, und zwar auch vom ganzen Ptc, da dasselbe nur vom H. Amt als Markthütte gebraucht wird.

2.  Gemeinde- u. Schulgebäude
a. Das Rathhaus, wobei das Leiterhaus begriffen
b. 3 Schulhäuser mit 2 Ställen. Diese Gebäude erbaut und unterhält die Gemeindecasse.

3. Kirchen u. Pfarrgebäude
a. Die Kirche sammt Thurm gehört dem Kirchenfonds und wird erbaut und unterhalten
1. Das Lagerhaus und der Thurm von der Kirche selbst.
2. Der Chor von der Herzl. Domainendirection als Zehntherr.

b. Das Pfarrhaus mit Oeconomiegebäuden hat die H. General-Domainen Direction als Zehntherr zu bauen und zu unterhalten.

Flörsheimer Weg und Birnbaumgasse

Bezeichnend für die Stadterweiterung im 19. Jahrhundert sind zwei Urkunden von 1857 und 1864. Die Feldgrundstücke zwischen der heutigen Flörsheimer und Frankfurter Straße vom ehemaligen, jetzt vom Roten Kreuz genutzten Elektrizitätswerk-Gebäude bis in Höhe der heutigen Hausgrundstücke Flörsheimer Straße 18 und Frankfurter Straße 29 sind betroffen. Nach der Urkunde „Zeichnung und Vermessungsprotokoll über diejenigen Parzellen, welche durch die Erweiterung des von Hochheim nach Flörsheim führenden Wegs abgeschnitten wird", wurde die Vermessung der Parzellen unter Hinzuziehung des Feldgerichts und der beteiligten Grundstückbesitzer von dem Geometer W. Schneider vorgenommen. Im Protokoll ist zu lesen: „Da die Aussteinung mangelhaft war, ist dieselbe mit Zuziehung der betreffenden Besitzer umgränzt worden, welches von denselben durch eigenhändige Namensunterschrift anerkannt wird".

Vermessung, Erwerb und die Eintragung im Stockbuch beinhalten die Kaufvertrags- Urkunde vom 13. Juli 1864 eines von der Stadt Hochheim benötigten Grundstücks zur Verlängerung der Birnbaumstraße, der heutigen Wilhelmstraße. Es ging um einen „Restacker der Herzogl. Nassauischen Domaine". Verhandelt wurde in der Rathausstube in Hochheim am 4. Mai 1864 in Anwesenheit des Landschultheißerei-Gehilfen May. Den beiden Verhandlungsparteien gehörten Regierungsaccessist Deubel von Wallau namens des Herzoglichen Finanzcollegiums als Vertreter des Domänenfiskus sowie Bürgermeister Adam Kullmann und die Gemeinderäte Jacob Becker, Peter Franz Munk, Johann Quink, Johann Enders, Franz Friedmann, Georg Adam Munk, Philipp Sack, Anton Petry und Christian Lembach als Vertreter der Stadt Hochheim an. An der Vermessung waren neben dem Substituten Wohmann und Bürgermeister Kullmann die Feldgerichtsschöffen Johann Diener, Johann Mook, Heinrich Diener und Georg Peter Stemmler beteiligt, an der späteren Umschreibung im Stockbuch noch die neugewählten Feldgerichtsschöffen Adolph Luschberger und Sebastian Dienst.

Noch einmal Kriegskosten: Österreich gegen Preußen

In dem Aktenvorgang „Liquidation der Kriegskosten zu Hochheim bis Ende August 1866" ist alles fein säuberlich aufgeführt und belegt: Die Einquartierungen und Beschlagnahmungen im Kriegsjahr 1866. Sie wurden mit 5059 Gulden und 32 Kreuzern beziffert und von der Gemeinde Hochheim über das mittlerweile königliche Amt Hochheim beim Landesherrn geltend gemacht. Das Herzogtum Nassau hatte sich im Krieg auf die Seite Österreichs gestellt. Nachdem die preußische Armee am 3. Juli 1866 gesiegt und den Krieg praktisch entschieden hatte, ihre Truppen kampflos in Wiesbaden einmarschierten, war Nassau occupiert und wurde Preußen einverleibt. Nassau hatte aufgehört zu bestehen.

Die Lektüre der Kriegskosten, welche von Hochheim und anderen betroffenen Gemeinden geltend gemacht wurden, liest sich in unserem Fall wie eine kurzweilige Geschichte. Trotz zahlreicher Aufstellungen, Belege, Quittungen und Bescheinigungen erfährt man, daß vom königlich preußischen Bataillon Waldeck Hab und Gut der Hochheimer beschlagnahmt wurde. Auf Privatfeldern und Gemeindewiesen wurde ein Exerzierplatz angelegt und Flurschäden verursacht, als Fouragekosten Hafer, Heu und Stroh geliefert, die königlich preußischen Dragoner verpflegt. Von der Gemeinde wurden 20 Ohm Wein und 150 Flaschen Wein, viele Pfunde Mehl, Kaffee, Reis, Gerste, Erbsen, Bohnen und Tabak, dazu 1000 feine Zigarren und 2000 mittlerer Qualität an das Bataillon Waldeck geliefert. Bestätigt wurde dies unterschriftlich von Graf von Kielmannsegg, Premier Leutnant und Eskadron-Führer vom Königlichen Dragoner-Regiment Nr. 5, auch von anderen Offizieren und Zahlmeistern, welche die Zeche schuldig geblieben waren. Ebenfalls mit Mannschaftsverpflegung, Pferdefutter, Möbeln und Licht wurde das I. Bataillon des 3. Brandenburger Infanterie-Regiments versorgt, durchreisende Soldaten erhielten Obdach und Verpflegung.

Ob die Hochheimer für ihre Kriegslasten entschädigt wurden, läßt die Kostenabrechnung nicht erkennen. Statt einem Hinweis auf Zahlungseingang schließt der Vorgang am 13. Oktober 1866 mit seinem „Gehorsamsten Bericht an das Königl. Amt in Hochheim": Bürgermeister Kullmann erinnert an seine Forderung und kündigt an, daß er die im September 1866 noch entstandenen Kosten nachreichen werde.

Schließlich vervollständigen zwei Kaufverträge vom 15.2.1875 und 25.2.1899 die Urkundensammlung und bieten gleichermaßen interessanten Aufschluß über Personen und Sachen, über Veränderungen und Gepflogenheiten. Nicht mehr die Herzogliche Landschultheißerei sondern das Königliche Amtsgericht Hochheim war jetzt federführend. Nach wie vor sind aber Bürgermeister, die Feldgerichtsschöffen und das Stockbuch verblieben. Erst mit der Grundbuchordnung wurde 1900 für alle Beurkundungen über Grundstücksrechte das Grundbuch eingeführt, das vom Amtsgericht geführt wird.

Aus: Zwischen Main und Taunus – MTK-Jahrbuch 1997 – mit freundlicher Erlaubnis des Autors