Arbeitswelt im 19. und frühen 20. Jahrhundert
Von Petra Hoffmann

Ein zeitgenössischer Bericht vermittelt einen ersten Eindruck der Stadt im 19. Jahrhundert. Er wurde geschrieben, um der Nachwelt ein Zeugnis zu hinterlassen: es ist ein Auszug aus der Urkunde, die beim Pflanzen der Schillereiche 1859 eingegraben wurde.

„Hofheim nämlich hat zur Zeit 1900 Einwohner, welche, 4 Judenfamilien ausgenommen, sich zur katholischen Konfession bekennen. Der kirchlichen Verwaltung stehet Pfarrer Hilf, unter Beigebung eines Frühmessers und Caplans, an der Spitze. Die Gemeindeverwaltung ist dem Bürgermeister Wollstadt gegenwärtig in Händen und stehen demselben zur Unterstützung 9 Vorstandsmitglieder und 5 Feldgerichtsschöffen zur Seite. Nebst diesem ist Hofheim im Besitz zweier Ärzte und einer Apotheke.

Der größte Teil der Einwohner findet seine Ernährung durch den Ackerbau; in jüngerer Zeit jedoch nehmen auch die Gewerbe, von tüchtigen Meistern vertreten, einen erfreulichen Aufschwung. Außerhalb des Ortsberings befinden sich in der Gemarkung 9 Mehlmühlen, zwei Ziegelhütten und zwei Kegelbahnen mit Trinkhallen. Ferner ist Hofheim im Besitze eines Gemeindewaldes von 2400 Morgen, aus dessen Ertrag es nicht nur seine bedeutenden Gemeindeausgaben deckt, sondern sogar noch in die glücklichen Verhältnisse gekommen ist, einen Gemeinde-Capitalstock anlegen zu können. Sodann hat Hofheim reichhaltige Quellen mit vorzüglich gutem und süßem Trinkwasser, welches durch Thon und Gußrohre, von den Wiesen oberhalb, in das Städtchen geführt, an 5 Stellen kräftig springt.

(...) Bei trockenen Sommern pflanzt man hier einen vorzüglichen Wein, was in den jüngsten drei Jahren sehr der Fall war. Auf dem Ackerland wird gezogen ausgezeichnet guter Weitzen, Korn, Gerste, Hafer, Erbsen, Wicken, Bohnen, verschiedene Arten Klee und alle Sorten Gartengewächse. Die Obstzucht wird mit der größten Sorgfalt betrieben und liefert nicht selten einen bedeutenden Nutzen. Die Fruchtpreise sind gegenwärtig a Weitzen 200 Pfund 10 fl 80, Korn 180 Pfd 7 fl 30, Gerste 160 Pfd 6 fl 30, Hafer 110 Pfd 4 fl. Das Fleisch kostet: Ochsen 17 fr [...] Schweine 18, Kalb 12, und Hammelfleisch 11. Das Bier in loco gebraut, seit einem viertel Jahr 1 fl 20 Steuer pro Ohm belegt. Die Maß 12 fr, Weine a 1857 pr. Schoppen 24 fr 1858 15 fr und 1859 12 fr. Brandtwein, welcher nur noch spärlich getrunken wird und auch mit der bedeutenden Steuer pro Ohm zu 12 fl belegt ist, kostet das Maß 40 fr. [lfl = Gulden = 60 fr = hier: Kreutzer]

Hofheim  -  Weinlese um 1930

Weinlese am Deschweg, um 1930

Hofheim hat sehr gute Vicinalwege aber noch keine Chaussee, ist aber eine solche von Limburg durch das Lorsbachertal, nach der Eisenbahn-Station Hattersheim, projektiert."

In den vorangegangenen Jahren hatte Hofheim bereits einen deutlichen Entwicklungssprung gemacht. Die Bevölkerungszahl war deutlich gestiegen, auch wenn die oben genannten Zahlen aufgerundet sind. Nach offiziellen Angaben hatte Hofheim 1804 1118 „Seelen", 1831 1534 und 1860 1894 Einwohner, davon war der überwiegende Teil katholisch, 69 waren Evangelen und 31 Juden. In 320 Häusern lebten 455 Familien. 580 Personen waren verheiratet, 53 Witwer, 69 Witwen, 19 ledige Männer und 33 ledige Frauen „auf eigene Hand sitzend" sowie 501 Jungen und 503 Mädchen. Daneben gab es 41 Gesellen und Lehrlinge, 38 Knechte und 57 Mägde.

J. A. Demian hatte bereits 1823 erwähnt, daß ein großer Teil der Hofheimer vom Feldbau lebten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts änderte sich daran auch im wesentlichen wenig. Die Landwirtschaft blieb neben dem Handwerk der wichtigste Faktor, wenn sich auch im späteren Verlauf durch die Industrialisierung neue Arbeitsbereiche erschlossen. Entscheidend für die Einschätzung der sozialen Lage ist hierbei die Tatsache, daß sich in Hofheim ein hoher Anteil an Nebenerwerbslandwirten befand. Dies waren zumeist Handwerker, aber auch Wirte und Müller, die Ackerbau zum eigenen Bedarf betrieben. Nur selten hatten die Hofheimer Kühe oder gar Pferde, dafür aber hielten viele Familien Schweine, Hühner und Ziegen. Hinzu kam noch die recht große Gruppe der Tagelöhner, die meist in unsicheren und saisonalen Arbeitsverhältnissen in der Landwirtschaft, später auch in den Fabriken standen. Auch ist davon auszugehen, daß der größte Teil der Handwerker einen „Einmann-Betrieb" unterhielt. In den Quellen wird nicht zwischen Meistern, Gesellen und Lehrlingen unterschieden, auch beziehen sich die Angaben der Jahre 1854 und 1869 nur auf die Wahlberechtigten beziehungsweise die Hausbesitzer, wodurch es nicht möglich ist, eine eindeutige Sozialstruktur aufzustellen. Aber alle oben genannten Faktoren sprechen dafür, daß Hofheim nicht zu den wohlhabenden Städten gezählt hat. Dies ist nicht unüblich für die Orte von der Größe Hofheims in den deutschen Flächenstaaten des 19. Jahrhunderts.

Einige Anhaltspunkte über den Wohnort einzelner Berufsgruppen lassen sich für das Jahr 1869 bestimmen. Die Hauptstraße war schon zu dieser Zeit im wesentlichen eine Handwerker- und Handelsstraße, wohingegen sich die größten Konzentrationen von Landwirten in den Nebengassen der zentralen Straße fanden, vor allem im Bereich Rosengasse (heute: Am Obertor), Bärengasse und Pfarrgasse. Im Bereich des Burggrabengäßchens lagen sehr kleine landwirtschaftliche Betriebe. Immerhin befanden sich neben den kleinen Häuschen auf den Grundstücken meist auch noch ein Stall und eine Scheune. Der größte Teil der Tagelöhner lebte am Stephansberg und im Bereich Zanggasse/Burggrabengasse. Besonders hier standen sehr kleine Häuschen, dicht an dicht gedrängt.

Im Jahr 1804 waren in Hofheim nur 24 verschiedene Berufe zu finden, nämlich 4 Schreiner, 1 Schlosser, 2 Glaser, 6 Zimmerleute, 7 Maurer, 7 Küfer, 4 Schmiede, 4 Metzger, 6 Schneider, 11 Schuhmacher, 6 Wagner, 2 Dreher, 6 Müller, 7 Bäcker, 5 Krämer, 7 Rotgerber, 4 Weißgerber, 2 Färber, 1 Häfner (Töpfer), 2 Ziegler, 2 Sattler, 6 Weber, 2 Hutmacher und 92 Bauern und Tagelöhner. Nicht extra erwähnt werden Gesellen und Lehrlinge, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in den obigen Zahlen enthalten sind. Im Laufe des Jahrhunderts zeigt sich eine deutliche Steigerung in der Vielfalt der ausgeübten Berufe, so werden 1854 bereits 49 verschiedene Berufe, 1869 schon 57 und 1894 sogar 121 genannt. Diese Steigerung zeugt nicht nur von einem stetigen Bevölkerungsanstieg, sondern belegt vor allem die zunehmende Spezialisierung. Dies wird besonders deutlich bei den industriellen Berufen, wo einzelne Arbeitsgänge zu Berufsbezeichnungen werden. So finden sich 1912 Bezeichnungen wie Hobler, Schleifer, Polierer. Da aus den Quellen der Arbeitsort nicht hervorgeht, ist für alle Berufssparten Vorsicht angezeigt, da eine klare Unterscheidung zwischen Handwerk und Industrie, auch nicht aufgrund des jährlichen Einkommens, gemacht werden kann. Dennoch spricht aber der sprunghafte Anstieg von Schlossern zwischen 1894 (7) und 1912 (54) dafür, daß der größte Teil von ihnen in der Industrie beschäftigt war.

Besonders augenfällig ist der Anstieg im Bereich Handel und Dienstleistung. Ein Grund für diesen Anstieg ist darin zu finden, daß durch die Industrialisierung immer mehr Waren auf den Markt geworfen werden, die nicht mehr direkt beim Hersteller, z.B. früher dem Handwerk, bezogen werden. Allerdings geben die vorliegenden Zahlen für diesen Bereich, insbesonders für das Jahr 1919, nur ein ungenaues Bild ab. Nach dem Ersten Weltkrieg nannten sich zum Beispiel die früheren Fabrikbeamten der Höchster Farbwerke auch „Kaufleute".

Die Steuerlisten ermöglichen kaum eine Einschätzung des Lebensstandards der Bevölkerung. Dort ist nicht das tatsächliche jährliche Einkommen zu finden, statt dessen beruhen die Erhebungen auf der Grundlage von pauschalisierten Schätzungen, die sich unter anderem auch nach der Größe der Betriebe richten. Dadurch ergibt sich kein einheitliches Bild anhand der Berufe. Im großen und ganzen läßt sich jedoch die Aussage treffen, daß Kaufleute und Wirte über ein höheres jährliches Einkommen verfügten als Handwerker, sofern diese keinen größeren Betrieb führten.

 

Sparte

1854

1869

1894

1912

1919

Landwirtschaft

78

117

114

93

79

Taglöhner

51

67

132

92

54

Baugewerbe

40

29

54

109

128

Metallverarbeitung

12

12

33

61

89

Holzverarbeitung

19

13

33

69

95

Lederherstellung und -Verarbeitung

26

23

55

69

68

Nahrungs- und Genußmittel

21

27

35

42

28

Textil

20

12

31

22

23

Industrie

 

-

69

271

436

Technische Berufe

1

1

3

22

10

Büroberufe

-

-

-

20

46

Ämter, Schule, Kirche, priv. Heime

9

8

30

69

65

Bahn und Post

 

-

49

85

65

Medizin, Hygiene, Akademiker

1

4

30

69

65

Handel und Dienstleistung

11

10

59

134

156

Hauspersonal

 

-

47

149

70

Künstler

 

-

-

8

12

Sonstige

4

15

49

85

65

Die Zahlen basieren auf der Auswertung folgender Quellen: Bürgermeisterwahl Hofheim 1854 (HStAW 228, 704), Gebäudesteuerrolle für die Gemeinde Hofheim für das Jahr 1867, erstellt 1869; Personenverzeichnis zugleich Gemeindesteuerliste der Stadt Hofheim 1894/95 und 1912; Staatssteuerrolle der Gemeinde Hofheim für das Rechnungsjahr 1919; alle Stadtarchiv Hofheim am Taunus.

Von einem gewissen Wohlstand zeugen auch die folgenden Erinnerungen des Hofheimer Händlers Ottmar Fach aus den Jahren 1838-1879:

„Die Eltern fingen klein an mit Gast- und Landwirtschaft, Specerei und Eisenhandel. Die Mutter, eine Waise in Hofheim geboren (...) aber in Gaulsheim in einer Wirtschaft großgezogen, eine kleine aber energische Frau mit eminenter Arbeitskraft - sie brachte es fertig, daß allmählich eine große Haushaltung entstand. Es wurden nach und nach ca. 100 Morgen Land bewirtschaftet, 10-12 Kühe, 2 Pferde, 10-12 Schweine, und gehörten zur Haushaltung 1 Groß-, 1 Kleinknecht, 2 Dienstmädchen, 2 Ladengehülfen - so daß immerhin, ohne die häufigen Taglöhner und die vielen Kinder, meistens 20 und mehr Leute zu Tisch waren.

Hofheim  -  Haus Fach, 1895

Haus Fach in der Hauptstraße, 1895

Der Vater hatte in einem großen Mainzer Specereigeschäft gelernt, war ein tüchtiger Kaufmann und Wirt, gefällig gegen Jedermann mit guten Umgangsformen, so daß er bei Alt und Jung beliebt war und die Gäste gerne bei ihm verkehrten, namentlich da auch die Mutter eine gute Küche führte, letztere war von 5 Uhr früh bis nachts auf dem Posten. Das Geschäft war von Bedeutung, da in den Orten Marxheim, Lorsbach, Langenhain keine Specereiläden waren und die Bewohner meist ihre Einkäufe in Hofheim machten, selbst ein paar kleine Krämer deckten ihren Bedarf hier, wo noch ein großes Geschäft (Weiler) mit 6-8 jungen Leuten existierte.

Streng hielten die Eltern darauf, daß wir täglich die Kirche besuchten und hielten uns auch sonst in guter Zucht (...).

Das Manufacturwaaren-Geschäft, das ich [1865] mit dem Haus übernahm, war klein und ich verstand von Waaren fast nichts, aber meine Schwester, die verheiratet war und meinem verstorbenen ledigen Bruder als Hilfe beistand, lehrte mich Baumwolle von Leinen zu unterscheiden, auch kam mir aus meiner Jugend, da doch die Eltern ein Specereigeschäft hatten, die Kundenbedienung nicht schwer an, überdies war mir die Bevölkerung schon aus Familienanhänglichkeit gewogen (...).

Neben dem Vorschuß Verein bot sich mir, da das Geschäft mich nicht voll beschäftigte, bei Übernahme resp. Verwaltung der Thurn & Taxischen Post durch Preußen, Gelegenheit, eine Postablage, die mir angetragen wurde, zu übernehmen. Hofheim hatte, trotz seiner 2200 Einwohner, noch keine Postanstalt und wurde von Hattersheim aus durch einen Boten begangen, der die Mühlen am Schwarzbach, Kriftel, Hofheim, Lorsbach, Eppstein & Vockenhausen zu befahren hatte. Er mußte dabei noch kleinere Paketchen mitnehmen (größere mußten in Hattersheim abgeholt werden) und konnte doch Alles bewältigen, ein Beweis, wie gering der schriftliche Verkehr war. Durch die Poststelle wurde aber das Geschäft sehr in die Höhe gebracht und auch die Orte Langenhain u. Marxheim mehr nach Hofheim gezogen - welche zu dem Landbestallbezirk gehörten. Ich bekam den Titel Fürstlich Thurn & Taxischer „Postablagebesorger". Bei der endgültigen Abfindung mit Thurn & Taxis war ich als preußischer Postexpeditor angestellt.

Im Geschäft arbeitete ich mit zwei Lehrlingen, da auch der Umfang der Post sich durch Errichtung einer Zugpost von Hattersheim nach Idstein erweiterte, mußte ich, für mein Geld, einen Postgehülfen nehmen (die Fuhrpost wurde bei Eröffnung der Bahn Höchst - Limburg am 14. October 1872 eingestellt), dafür trat aber eine wesentliche Mehrarbeit durch Einrichtung einer Telegraphenstation ein. Jetzt wurde ich vor die Alternative gestellt, entweder mich ganz dem Postdienst zu widmen und das Geschäft aufzugeben oder umgekehrt. Da Letzteres aber bedeutend mehr eintrug, kündigte ich den Postdienst, obwohl mich Geheimrat Director Neloberg persönlich umstimmen wollte, bei der Post zu bleiben und ich übergab am 1. Mai 1876 die Postexpetition, die nach der Haupt- und Burgstraßenecke verlegt wurde, meinem Nachfolger.

Hofheim  -  Paketzustellung, nach 1900

Paketzustellung, nach 1900

Trotz aller dieser Nebenbeschäftigungen blieb meine Haupttätigkeit dem Geschäft gewidmet, dem ich durch Reisen Ausdehnung zu verschaffen wußte, die ich in erster Zeit persönlich vornahm und dann meinem Lehrling Conrad übertrug, der in den ersten zehn Jahren gut arbeitete, (...)

Da die Geschäftsrealitäten eine Ausdehnung erforderten, vergrößerte ich 1877 den Laden durch Hinzunahme des Hausgangs, Verlegung der darin befindlichen Treppe und Versenkung der Küche in das Untergeschoß. Namentlich trug der Bau der Hessischen Ludwigsbahn 1877-79 dazu bei, daß das Geschäft sich erweiterte und konnte ein im Jahr 1872 erworbenes Haus in der Kurhausstraße (die schöne Aussicht) (...) gemeinschaftlich mit meinem Bruder Heinrich kaufen, (,..)."

Und noch jemand begegnet uns in dem Bericht von Ottmar Fach: Die Mutter, die wesentlich mit ihrer Arbeitskraft zum Unterhalt der Familie beigetragen hat, und das unter größten Anstrengungen. Man kann davon ausgehen, daß kein selbständiger Betrieb ohne die mithelfenden Familienangehörigen, sehr wesentlich waren dies die Ehefrauen, ausgekommen ist. Sie tauchen in keiner Statistik auf. Dies gilt auch für Hofheim. In unserem ersten Vergleichsjahr, 1854, sind keine Frauen benannt, da es sich hier um eine Wahlliste handelt und Frauen erst ab 1918 das Wahlrecht zuerkannt wurde. 1869 finden sich unter den Gebäudesteuerpflichtigen 23 Frauen, vorwiegend Witwen, mit Ausnahme einer Hebamme. Vorwiegend Dienstmägde, Hausmädchen, Händlerinnen und immerhin 10 Landwirtinnen werden für Hofheim erstmals 1894 genannt. Die insgesamt 101 berufstätigen Frauen waren entweder verwitwet oder noch ledig. In der Regel gaben die Mädchen mit der Heirat ihren Beruf auf. Dies änderte sich auch nicht über das Jahr 1912 hinaus, wo schon 224 berufstätige Frauen gezählt werden können. Auch sie waren überwiegend im Dienstleistungsbereich bzw. als Hauspersonal angestellt. Nun war aber auch eine Schneiderin tätig, ein Beruf, der bisher den Männern vorbehalten war. Erstmals wird auch eine Verkäuferin genannt. Aber die Hauptgruppe bildeten nach wie vor die Dienstmädchen und Mägde, die in landwirtschaftlichen Betrieben, Privathaushalten und auch in Kinderheimen arbeiteten. 1919, dem Jahr nach dem Ersten Weltkrieg, findet sich eine immer stärker werdende Berufsgruppe, in der auch viele der 246 erwerbstätigen Frauen zu finden sind: die sogenannten „Büroberufe". Dies waren Kontoristen, Buchhalter, Registraturen, Sekretäre, meist auch als Angestelltenberufe bezeichnet. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wird die „Sekretärin" zu einem reinen Frauenberuf, oft am untersten Ende der internen Hierarchie.

Wie es in einem Büro zum Anfang der 1930er Jahre aussah, schildert eine Hofheimerin, die, nachdem sie die wichtigsten hauswirtschaftlichen Fähigkeiten gelernt hatte und die Handelsschule besuchte, bei einer Darmstädter Firma arbeitete:

„Und da hab ich dann angefangen bei der Straßenbaufirma. Und da ist die Zweigniederlassung in Frankfurt aufgelöst worden und da bin ich nach Darmstadt gekommen. (...) Das war ja damals überhaupt noch was Seltenes, daß Mädchen überhaupt aufs Büro gingen. Das war wirklich noch eine Seltenheit. (...) Also, wie ich in Frankfurt war, da (...) war ein Büro, das war für die Zeichner und ein Raum, der war für die Sekretärin, für mich, ich bin als Sekretärin angelernt worden. Weil die weggehen wollte, die wollte heiraten. Und dann war ein Raum für die Mädchen, die Schreibmaschine geschrieben haben, dann der Chef, und (...) eine Buchhalterin noch, und der Prokurist. In Darmstadt war es größer. Da war das, wo die Mädchen geschrieben haben, das war schon ein kleiner Saal, und ich war dann bei meinem Chef (...) im Raum, da hab ich meinen Schreibtisch gehabt. Und dann hat die Buchhaltung ihren Raum gehabt. Das war eigentlich so wie heut auch, ich kann mir nicht vorstellen, daß es heute anders ist. (...) Das war ja furchtbar, die Adler war ja eine schreckliche Schreibmaschine. Die mußten sie bei jedem Großbuchstaben umdrücken. Das war furchtbar, die hat nur drei Tastenreihen gehabt und die anderen Schreibmaschinen haben schon vier gehabt. Nicht bei jedem Buchstaben, da waren manchmal zwei Buchstaben auf einer Taste, das mußten sie auch wissen, welche Buchstaben doppelt waren, also das war eine furchtbare Schreiberei. Die Adler war das. Die anderen nachher, die waren dann schon anders. Und dann hat es nachher auf einmal geheißen, ach jetzt wird auf Band gesprochen vom Chef. Da haben die Mädchen Angst gehabt, sie werden entlassen. Aber es war gar nicht so. Es war ja egal, ob sie ins Stenogramm aufgenommen haben oder der Chef hat aufs Band gesprochen. (...) War was ganz Neues. (...) Ich hab in Darmstadt gewohnt und bin am Wochenende heimgefahren. Mein Chef war aus Frankfurt, der hat mich bis Frankfurt im Auto mitgenommen und von Frankfurt bin ich mit dem Zug hierhergefahren." (Frau F)

Schon vor rund 70 Jahren gab es also schon die Angst vor der Arbeitslosigkeit durch die Technik!

Arbeitslosigkeit war dann auch das vorherrschende Thema in den ausgehenden 1920er Jahren, als die allgemeine Wirtschaftskrise auch Hofheim nicht verschonte. Die sozialen Reformen seit dem Kaiserreich hatten zwar zu einer besseren Absicherung der Arbeiter geführt, Arbeitslosigkeit aber bedeutete für viele eine Zeit des Überlebenskampfes.

Ein Hofheimer gibt uns eine eindrückliche Schilderung dieser Zeit, die er als Kind miterlebt hat:

„Der [Vater] hatte gearbeitet auf der Hammermühle, da war 'ne Schreinerei gewesen, und zwar haben die Fässer gemacht für die Farbwerke Höchst, unter anderem.(...) Und in der Wirtschaftskrise da (...) wurden die geschlossen. Und das war für diese Arbeiter damals eine ganz große Einbuße. (...)

Und da gab's ja die Möglichkeit, auf das Amt zu gehen und, nicht Wohlfahrt, aber um Unterstützung zu holen, wenn er ausgesteuert war. Also es gab hernach Möglichkeiten, noch ein bißchen Arbeitslosenunterstützung zu bekommen. Aber da war's dann so, daß die Leut' mit dem Förster teilweise in den Wald gehen mußten und da haben die neue Bäume gesetzt und sonst irgendwas, also das war nicht einfach so, daß die sich da hingesetzt haben und von dem Geld konnten sie ja auch nicht leben. Es war nicht so tragisch vom Leben her, weil wir ja Selbstverpfleger waren, aber gab ja Leut', g'rad hinne' in de' Gänseck oder in de' Kaffeegass', nun wirklich arme Leut', die habe' gar nix gehabt und von was sollte' die leben? Und meistens war'n 's auch nur Taglöhner, die also keine Facharbeiter war'n oder sonst irgendwie, es war in der Zeit zum Teil sehr sehr schlecht, ich will jetzt nicht einmal einen Namen nennen im Augenblick, aber Leut', die da hinten in der Altstadt gewohnt haben, die kamen dann an zu meiner Mutter und da wußt' ich schon, wenn die reinkamen, was sie eigentlich wollten. (...) Meistens hatten sie ja ein bißchen Brot oder Kartoffeln oder sowas, das hat man gekriegt, indem sie geholfen haben, Kartoffeln ausmachen oder gestoppelt haben, (...) oder auch Weizen gestoppelt. Aber sage' wir mal sie wollte' mal 'n Kuche' backe', 'n Äppelkuche', oder wollte' 'n bißche' Äppelbrei koche' oder sowas, und da ist man dann zu Leut' gegangen, wie wir, wir hatten zwar kein Geld, aber wir hatte' Appel (...) wir hatten einige Baumstücke." (Herr D)

In den ausgehenden 1920er Jahren gewann die NebenerwHofheim  - 04502erbslandwirtschaft wieder an Wichtigkeit. Die Bestellung eines Ackers oder Gartens sicherte auch noch im 20. Jahrhundert die Ernährungslage.

Aus:
Arbeit war das ganze Leben - Hofheimer Arbeitswelt