„Wenn eine Stadt so etwas vertragen kann, dann Bad Soden"
Günther Krauskopf

Man feiert Hundertwasser als den Mann, der die Natur in die Architektur zurückholt. Warum eigentlich? In Bad Soden scheint der Meister der krummen Linie des schnöden Mammons wegen übersehen zu haben, daß er mit seinem Projekt mehr Zement in die Natur brachte, als umgekehrt ein paar schüttere Pflanzen auf Dächern und Balkonen wieder gutmachen können. Vollmundig erklärte er bei der Vorstellung seines Projekts im November 1990: „Wir schaffen Natur, wo früher keine war", und auf dem Grundstück Zum Quellenpark 38 werde es in Zukunft zehnmal mehr Bäume geben.

Gute Nacht, Naturschutz

Was im Wiener sozialen Wohnungsbau in der Steinwüste einer Großstadt ein lustiger Farbtupfer sein mochte, mußte in Bad Soden zu einer Wunde in der Natur werden. In Wien konnte Hundertwasser 1984/85 seine sehr persönliche Vision „einer wiederhergestellten Umwelt, die besser an die Natur und die Ziele der menschlichen Lebewesen angepaßt ist", verwirklichen. „Nur wer nach den Gesetzen der Pflanzen und der Vegetation handelt, kann nicht fehlgehen", meinte Hundertwasser noch 1977. Doch hier in Bad Soden scheint er seine Grundsätze vergessen zu haben.

Soll man sich ärgern oder wundern, daß es gelungen ist, ein sogenanntes Hundertwasser-Haus im Quellenschutzgebiet von Bad Soden, zwischen Quellenpark und Wilhelmspark, zu bauen? Dort, wo noch nicht einmal Keller bis zu einer Tiefe von 1,50 m angelegt werden dürfen, konnte ein Projekt auf einem 4000 m2 großen Grundstück verwirklicht werden, das wenige Meter unter der Oberfläche problematisch, weil sumpfig wird. Deshalb mußten auch 251 Stützsäulen aus Stahl und Beton von bis zu 15 m Länge in den Untergrund versenkt werden, um einer Betonplatte für die darüber entstehenden Baumassen von 25.000 m3 Halt zu geben. Ist das kein Eingriff in den Untergrund?

Der meldete sich dann auch eines Tages. Bei den Arbeiten für die Stützpfeiler traf der Bohrer vermutlich auf die Quelle 17 oder 17 a, die beide im 19. Jahrhundert zeitweise für die Herstellung von Sodener Pastillen gedient hatten. Acht Meter hoch schoß der Wasserstrahl in die Luft. Wieviel Zement mag ihn gebändigt haben? Hat jemals jemand darüber nachgedacht, wie lange der Beton dem Quellenwassersumpf widerstehen kann? Und ob es nicht zu einer Anhebung des Grundwasserspiegels durch die Betonmassen kommen kann?

Blick über das Baugrundstück mit einigen der 251 in den Untergrund eingelassenen Stützen. Rechts der alte Frankfurter Hof.

Während diese Arbeiten liefen, mußte die Quelle IV (Sodenia) wegen Verunreinigung zeitweise abgestellt werden. Die eigentliche Quelle war neu zu orten und zu sanieren, wie auch die Leitung zur Ausflußsteile erneuert werden mußte. Klug war die Wahl der Baustelle also auf keinen Fall. Warum wurde nicht das Bethesda- oder das Ziegelei-Gelände dafür ausgewählt?

Ausnahmegenehmigungen wurden erteilt oder Tatsachen geschaffen, die erst auffielen, als es zu spät war. So wurde das Gebäude direkt an den Sulzbach herangebaut, obwohl ein Abstand von fünf Metern vorgeschrieben ist. Der Naturschutzbeirat konnte nicht aktiv werden, da die Naturschutzbehörde gar nicht erst informiert wurde. Wer das wohl versäumt hat? Das Bauen ohne Abstand an einem öffentlichen Gewässer ist verboten. Ähnliches geschah an der Straße Zum Quellenpark. Auch hier wurde die Grundstücksgrenze bebaut, so daß ein (erwarteter) normaler Bürgersteig gar nicht erst möglich wurde. Allerdings ist die Bebauung bis zur Straßengrenze möglich, wenn dagegen kein Einspruch erfolgt. Den Einspruch dagegen einzulegen, hatte das Städtische Bauamt bei der Bauvoranfrage versäumt.

Das Verhängnis nahm seinen Lauf

Als im November 1988 Bürgermeister Gall den Künstler Hundertwasser durch die Altstadt führte, waren die Vorarbeiten zwei Jahre unbeachtet von der Öffentlichkeit schon durchgeführt worden. Die Jahre früher von der Bad Sodener Stadtverordnetenversammlung beschlossene Gestaltungssatzung für das Sanierungsgebiet sollte eine gewisse Einheitlichkeit der Gebäude herbeiführen. Nach § 34 Baugesetzbuch hätte sich der Neubau in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen müssen. Doch das schien nun alles vergessen. Da das Grundstück im Sanierungsgebiet liegt, wurde das eigentliche Geschäft nicht zwischen der Stadt, sondern dem Sanierungsträger Nassauische Heimstätte und dem Bauherrn Wachendorff abgeschlossen. Nur der Magistrat hatte dem Vorhaben zuzustimmen. Seine Baukommission hatte dies empfohlen. Ein Bebauungsplan war für das Sanierungsgebiet nie aufgestellt worden. Auf das, was darin geschah, hatte die Stadtverordnetenversammlung keinen Einfluß. Der Sanierungsträger hatte auch keinen jährlichen Rechenschaftsbericht zu erstellen. Die Stadtverordneten wurden von den geschaffenen Tatsachen in der Sitzung vom 30.11.1989 unterrichtet. Sie wurden nicht um Abstimmung gebeten, denn es gab keine Magistratsvorlage. Diese war auch nicht nötig. Sie erinnerten sich wohl auch nicht daran, daß unter Bürgermeister Galls Vorgänger Dr. Hodann von vier bekannten Architekten 1985 gut gelungene Planungsstudien über die Bebauung des ehemaligen Geländes der Druckerei Haupka vorgelegt wurden, die bald in der Versenkung verschwanden. Alle Architekten hatten im Gegensatz zu der Hundertwasser-Idee eine lockere Bebauung mit Einfamilienhäusern und Durchgang zwischen beiden Parks sowie Freistellung und Erhaltung des historischen Aussehens des ersten Sodener Kur- und Badehauses (Haus Bockenheimer) in der Form von 1839 vorgesehen.

Alle Redner äußerten grundsätzliche Zustimmung. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 1. Dezember 1989: Der SPD-Fraktionsvorsitzende Ulrich Dillmann freute sich, das Hundertwasser-Haus falle der Stadt in den Schoß, „was wir fast nicht verdient haben". Eric Karry (FDP) stellte in der Stadtverordnetenversammlung richtig: Bad Soden habe das sehr wohl verdient. Und Bürgermeister Gall setzte noch eins drauf: „Wenn eine Stadt so etwas vertragen kann, dann Bad Soden". Letzteres klingt heute sybillinisch. Ist diese Stadt hart im Nehmen oder braucht sie wirklich einen Farbtupfer? Die Grünen waren wohl bundespolitisch engagiert und hatten keinen Blick für das Naheliegende. So blieb ein befürchteter Protest gegen das tiefgreifende Vorhaben im Quellenschutzgebiet von Bad Soden aus. Der Name Hundertwasser verzauberte und wirkte wie ein Sesam-öffne-dich.

Wo blieb der Denkmalschutz?

Schon 1989 wurde die Gesamtanlage der Häuser und Parks entlang der Straße Zum Quellenpark in die Denkmaltopographie des Main-Taunus-Kreises aufgenommen. Das somit denkmalgeschützte Haus Bockenheimer, das in seinen Ursprüngen auf 1722 zurückgeht und 1839 seine letzte Form vor dem Eingriff von Hundertwasser und seiner Architekten Peter Pelikan und Harald Trautner erhielt, wurde wie ein Schwalbennest an den Neubau angeklebt. Betrachtet man das Ergebnis der Operation, fragt man sich, wo eigentlich der Denkmalschutz geblieben ist An der noch verbliebenen Längsseite wurden unterschiedliche Balkone und durchlaufende Stützen angebracht und auf dem Dach entsprechende Gauben. Das Aussehen des denkmalgeschützten Gebäudes wurde radikal verändert. Nach dem Denkmalschutzgesetz kann das Umgestalten eines Kulturdenkmals nur dann zugelassen werden, wenn das Erscheinungsbild nur unerheblich beeinträchtigt wird. Hat es da eine Lücke im Denkmalschutz gegeben, oder akzeptierte die Behörde gar bewußt die Veränderung? Ein Schelm, wer dachte, der Denkmalschutz schütze.

„Wiedergewinnung der Menschenwürde in der Architektur"

In einem tristen Wohnviertel wie etwa dem Frankfurter Gallusviertel wäre das Hundertwasser-Gebäude sicher ein Gewinn gewesen. Aber in einer Wohnstadt wie Bad Soden ist es schon starker Tobak zu behaupten, wenn nicht gar überheblich, das Bauwerk trage zur „Wiedergewinnung der Menschenwürde in der Architektur" bei. Auch wenn die einfallslosen Zigarrenkisten des Europahofs, der Post, des Thermalbads oder der Volksbank Bad Soden verunzieren, gibt es doch hier genügend Bauten - alte wie neue -, die nicht für einen Verlust der Menschenwürde stehen.

Mai 1992. Der Frankfurter Hof, zuletzt Haus Bockenheimer genannt, vor dem Eingriff.

Die Nachfrage nach Wohn- oder Gewerberaum in dem 21 Millionen-Mark-Objekt, das die Hessische Landesbank finanziert hat, scheint denn auch nicht gerade überwältigend zu sein. Von den 17 „unvergleichbaren Wohnungen" im Neubau scheinen nur die wenigsten bewohnt. Im „denkmalgeschützten" Altbau sind sechs Mieter zu Hause, die dort auch schon früher gewohnt haben, und neuerdings das Büro einer Rechtsanwältin. Donnerstags stehen nie mehr als 10 Müllbehälter zur Leerung bereit. Ein mäßiger Erfolg, bei Quadratmeter-Preisen von 7.500 bis 9.500 Mark auch ganz verständlich. Schließlich handelt es sich um ein vom Käufer zu finanzierendes Objekt und nicht wie in Wien um sozialen Wohnungsbau. Nur Leute mit zuviel Geld werden daran denken, sich solche Wohnungen zu leisten, aber sie brauchen sie nicht, denn sie haben den Wohnraum, der Menschenwürde nicht nur verspricht, sondern auch gibt. Nicht unerheblich dürften auch die Kosten der Inneneinrichtung sein, denn gerade Linien gibt es nicht.

Wo bleiben die Neugierigen?

Während der Bauzeit konnte man öfters Neugierige beobachten, die sich für den Bau interessierten. In der Zwischenzeit hat sich das Interesse aber deutlich gelegt. Mit von Auto- und Busfahrern gut lesbaren Hinweisschildern hat sich die Stadt, anders als bei Pensionen und Kurkliniken, auf den erwarteten Besucherstrom eingestellt. Er ist aber bis jetzt ausgeblieben. Zum Glück, denn das Objekt ist nicht zugänglich. Die Besucherterrasse ist vom Bauherrn gesperrt, der öffentliche Weg durch die Wohnanlage nicht begehbar, da nicht fertiggestellt. Stadt und Bauherr sind sich schon lange nicht mehr einig.

Eine leicht mißzuverstehende Maßnahme

Im Jahr 1993/94 wurden im Quellenpark Rodungsarbeiten durchgeführt, die von empörten Bürgern als Kahlschlag bezeichnet, von der Stadt aber mit notwendigen Erneuerungen und der Verwendung von sonst verfallenden Wiesbadener Hilfsgeldern begründet wurden. Viele Kritiker sahen darin eher die Schaffung eines Vorgartens für das Hundertwasser-Haus. Schließlich heißt die Öko-Wohnanlage aus Beton, Eisen und Backsteinen ja „Haus in den Wiesen".

Der Frankfurter Hof als Teil des Hundertwasser-Hauses nach den architektonischen Veränderungen.

Diese Neugestaltung hat den Blick auf das Kunstwerk erst so richtig freigegeben. Wie wohltuend war es doch vordem, als das Grün hoher Bäume den kolossalen Bau mit seinem 30 Meter aufragenden Turm etwas verdeckte. Also auch hier stellt sich die Frage, weshalb die seit 1989 denkmalgeschützte Anlage so radikal umgestaltet werden konnte, denn das alte Erscheinungsbild wurde sowohl bei Wegen als auch Sträuchern und Bäumen mehr als unerheblich verändert. Inzwischen werden Wetten angenommen, ob in das städtische Haus der Bäckerei Bahlmann noch einmal ein Bäcker einzieht oder ob es gleich abgerissen wird, wenn der Bäckermeister die Altersgrenze erreicht hat.

Die neueste Maßnahme, die im Juni 1994 beschlossene Anlegung des Franzensbader Platzes im jetzigen Straßenverlauf „Zum Quellenpark" zwischen Trinkhalle, Bäckerei Bahlmann und Hundertwasserhaus, stößt ebenso auf Unverständnis. Der Platz soll gleichzeitig eine Verbindung zwischen Quellenpark und Wilhelmspark herstellen. Vom städtebaulichen Standpunkt ist das Vorhaben nicht notwendig, eine Straße trennt nun mal zwei Parks, auch wenn ein Teil zum Platz umgestaltet wird. Wann wurde eigentlich dieser Straßenzug so schön gestaltet, mit seiner Pflasterung und seinen Pflanzbeeten? Das war doch erst 1981. Und nun schon wieder eine Umgestaltung ? Womöglich kommt es damit zu einem weiteren Eingriff in das seit 1989 geschützte Erscheinungsbild der Gesamtanlage.

Ohne Geld kein Individualismus

Nach Ansicht des sehr realistischen Träumers Hundertwasser hängen wir alle an Schläuchen, sind abhängig von der Gesellschaft, von der wir nur durch Individualisierung loskommen können. Für seine Person hat der Künstler Hundertwasser das Problem gelöst mit Landsitz in der Normandie, Besitz in Venedig und Wien und einer Plantage in Neuseeland, wo er Bäume pflanzt. Er spendet auch an Umweltorganisationen. Wie schön. Aber hier in Bad Soden hat seine Idee ein Quellenschutzgebiet teilweise mit Beton zugeschüttet.

Wo hat Friedrich Stowasser, der sich 1949/50 den Künstlernamen Friedensreich Hundertwasser gegeben hat, eigentlich Erfolg gehabt mit seiner „archetypisch mediterran-afrikanischen Formensprache" ? Wohl nur in der Kunst, im Bauwesen nur da, wo die öffentliche Hand zahlte. Irgendwie erinnern mich die Hundertwasserbauten an die Böttcherstraße in Bremen und an verschiedene exotische Gebäude in Worpswede, wo ein begnadeter Künstler und Architekt zusammen mit anderen Architekten in den zwanziger Jahren in der Formensprache des Jugendstils und des Expressionismus Bauwerke von bleibendem Interesse schuf: Es war Bernhard Hoetger. Hat sich der Meister der krummen Linie, der sich so meisterhaft in Presse, Funk und Fernsehen zu verkaufen versteht, von ihm vielleicht (auch) inspirieren lassen?

Aus: Zwischen Main und Taunus / Jahrbuch 1995

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