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„Wir waren alte Bürger von Hofheim" Die Geschichte jüdischer Menschen in Hofheim reicht bis in das 14. Jahrhundert zurück. Für 1395 bzw. 1399 sind ein Jude „der zu hoffeheim sitzet" und „Mosse zu Hofeheim" bezeugt. Das von Hans Ulrich Colmar transkribierte, älteste Hofheimer Gerichtsbuch weist für das 15. Jahrhundert eine Reihe von Belegen auf, die auf jüdische Einwohner Hofheims schließen lassen. Seit 1650 lebten hier zwischen zwei bis fünf Familien. Pfarrer Seitz führt in seiner Einwohnerliste von 1724 neben 1022 Katholiken auch 38 jüdische Einwohner auf. Daß das 19. Jahrhundert mit seinen ärmlichen Verhältnissen nach den Revolutions- und napoleonischen Kriegen und seiner Dauerdepression für weite Bevölkerungskreise und damit auch für die Kultusgemeinde und ihre Mitglieder einen gewissen Niedergang brachte, zeigen Akten über die finanziellen Probleme. Wie in anderen Bereichen der Hofheimer Gesellschaft auch, brachte erst der Bau der Eisenbahn 1877 mit dem Anschluß an die modernen Verkehrsströme und dem industriellen Boom der Gründerjahre eine allmähliche Verbesserung der Verhältnisse. Renovierung der Synagoge 1925 Überschaut man die hier nur in allerkürzester Form skizzierten Entwicklungen, so steht die Renovierung und Neueinweihung der Synagoge 1925/26 in gewisser Weise für den Höhepunkt des Lebens der jüdischen Kultusgemeinde im Städtchen Hofheim. Mit den beiden Artikeln im Israelitischen Familienblatt vom Frühjahr 1926 wollen wir nun in den eigentlichen Gegenstand unserer Erörterungen einsteigen. Unter dem 18.3.1926 wird vermeldet, daß „bei einer fachmännischen Besichtigung die Notwendigkeit einer Renovierung festgestellt wurde ... Dank der Mithilfe der staatlichen Behörden ... dank dem Opferwillen der Glaubensgenossen war es möglich, die Arbeiten so zu fördern, daß die Synagoge nach halbjähriger Unterbrechung wieder ihrer Bestimmung übergeben werden konnte ... Nach einem Chorgesang überbrachten noch Glückwünsche: der Landrat des Kreises, der Bürgermeister der Stadt, die Pfarrer der beiden Kirchen, Rektor Kunz für die Schule ...". In einem zweiten Artikel vom 8.4.1926 heißt es dann zum Abschluß: „... Die Einweihungsfeier gestaltete sich zu einer erhebenden Kundgebung konfessioneller Eintracht". ... erhebende Kundgebung konfessioneller Eintracht Nach Zeitzeugenbefragungen von Nachbarn und Aussagen später ausgewanderter Bürger jüdischer Konfession war dies keine Phrase; die jüdische Minderheit war in das System der nachbarschaftlichen Kontakte und gegenseitiger Hilfeleistungen eingebunden. Frau Oppenheimer in der Burgstraße half mit Töpfen und Pfannen für Familienfestlichkeiten aus und griff mancher Nachbarin in Notlagen mit kleinen Geldbeträgen unter die Arme; im Gegenzug versorgten Kinder aus christlichen Familien die Feuerstätten, wenn ihre jüdischen Mitbewohner aus rituellen Gründen am Schabbat dies nicht tun durften. Doch gerade hier zeigte sich, daß die fremden, ungewohnten Riten in ihrer Tiefe und Bedeutung nicht verstanden wurden. Die jüdischen Nachbarn verloren nicht ihren Minderheitennimbus, eine Akkulturation hatte nur die Oberfläche berührt. Georg M. erzählte in einem Interview (zitiert nach Erika Haindl): „... Es war viel Kontakt mit der Nachbarschaft, man hat viel gesproche mit de Nachbarn, grad hier im Sommer ... F.'s hatte viel Bank gehabt im Hof, die sinn abends rausgestellt worn, da ham mer hier alle gesesse... also die Judde, die kame auch mit, die habbe immer mit auf der Bank gesessen,... — und des ging noch bis anfangs der dreißiger Jahrn, und dann wars auf einmal aus. Dann kam der ganze Hitlerkram und des — und da is des zerfalle". Eines der ersten Dokumente der neuen, staatlichen Politik war die sogenannte Judenkartei. Nach den Kommunalwahlen des 5. März 1933 übernahmen die Nationalsozialisten auch die Rathäuser. Eine ihrer ersten Maßnahmen war, alle „Juden" aus den Unterlagen des Einwohnermeldeamtes herauszufiltern und in einer Sonderkartei zusammenzufassen. Im Hofheimer Stadtarchiv haben sich 50 Karteikarten erhalten, auf denen in wenigen Fällen sogar noch der orangerote Reiter „Jude" klebt. Alle künftigen Maßnahmen sollten auf diesen Daten fußen. Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 Eine der ersten Aktionen war der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933. Die Hofheimer Zeitung vom Samstag, dem 1.4.1933, berichtet unter der Überschrift „Boykott zunächst nur heute!" folgendes: „Die Bevölkerung von Hofheim wird ersucht, sich ihrerseits restlos hinter den von der Reichsleitung der NSDAP veröffentlichten Boykott der deutschen Juden zu stellen und heute kein jüdisches Geschäft zu betreten". Über die sicherlich auch in Hofheim stattgefundenen Maßnahmen der Parteimitglieder ist nichts Konkretes bekannt.
Ehemalige Synagoge, heute Weinlokal „Zum Türmchen", Burggrabenstraße 16. Aufnahme von Karl Köhler 1920er Jahre. Noch „ersuchte" man die Volksgenossen, doch schon bald hingen an den Häusern von denen, die weiterhin z. B. beim jüdischen Metzger ihr Fleisch wie gewohnt kauften, Schilder mit Aufschriften wie „Hier wohnt ein Volksverräter — Kauft nicht beim Juden!". Selbst 1935 konnte es noch vorkommen, daß ein Parteimitglied von anderen beim Ortsgruppenleiter denunziert wurde, weil es seine Einkäufe „beim Juden" tätigte. Zur Verdeutlichung des Zeitgeistes hier ein Auszug aus einem Brief: „ ... Die Judenfrage, ein Hauptpunkt und Grundpfeiler unseres Programms ... scheint für Pg. (= Parteigenosse) ...... nicht zu bestehen. ... alle Mahnungen scheinen bei diesem Mann fruchtlos zu bleiben. Mit Nationalsozialismus aber hat es nichts mehr zu tun, wenn Pg. ... mir am 28.12.1934 abends erklärt, er tätige seine Einkäufe dort, wo er am billigsten bedient werde und wenn christliche Geschäfte teuerer wären, dann eben beim Juden ..." - Ottilie W. Roederstein, bis zu ihrem Tode 1937 in Hofheim lebende Malerin, schreibt 1933 in einem Brief: „... und dann die grenzenlosen Vorbereitungen für den 1. April, wo ein ganzes Haus Menschenkinder als der 2. Klasse angehörige Menschen weiterleben sollen, hat meinen Lebensmut einfach total erdrückt ... da mir alle Mitteilungen, die ich persönlich erlebe, so nichtig erscheinen zu der ungeheuren Atmosphäre, in der wir leben müssen. Ich habe viele jüdische Freunde und sehe, wie grenzenlos sie leiden durch die Erniedrigung, die ihnen zuteil wird, daß sie sich nicht mehr als Deutsche fühlen dürfen ...". Die Nationalsozialisten drehten die Schraube zur „Ausscheidung der Juden aus dem deutschen Volkskörper" immer enger. Eine Flut von Hunderten von Verordnungen und Gesetzen schränkten das Leben der Minderheit immer weiter ein. Harmlos war noch die Maßnahme, die im Höchster Kreisblatt vom 30. Juni 1933 vermerkt ist: „... Auf Antrag des Stadtverordneten der NSDAP ... soll die Judengasse ihren ursprünglichen Namen Webergasse wieder erhalten". ... wir sollen den Juden einmal abhauen, hat der Jungschaftsführer gesagt Schlimmer war, daß durch sich ständig vermehrende Verbote die neun in Hofheim ansässigen Familien Allmeier, Kahn, Lipmann, Nachmann, Oppenheimer, Rosenthal, Strahlheim, Weiß und Wieseneck ihre wirtschaftliche Lebensgrundlage verloren. Einzelheiten dieser Vorgänge sind bislang nicht dokumentiert. Von einem Herbert Frankenhuis wissen wir mehr. Er gehörte zu den nicht wenigen Leuten, die in und um Hofheim durch Ausbildungen und Praktika versuchten, ihre Chance zur Auswanderung zu verbessern. (Viele kamen für Wochen oder Monate im jüdischen Kinderheim in der Kapellenstraße unter als Hauswirtschaftslehrling oder sonstige Praktikantinnen). Dieser Herbert Frankenhuis also lebte vom 30.9.1936 bis zum 2.1.1937 bei Familie Lipmann und später im Kinderheim in Pension und absolvierte eine kaufmännische Ausbildung im Kaufhaus Schiff in Höchst. Auf dem abendlichen Heimweg vom Bahnhof zu seiner Unterkunft wurde er am Freitag, 11.12.1936, von Pimpfen der Hitlerjugend „verhauen". Dies war nicht der einzige Vorfall. Frankenhuis wendete sich bezeichnenderweise nicht an die Hofheimer Polizei, sondern er ging direkt zu seinem Konsul in Frankfurt — Frankenhuis war nämlich niederländischer Staatsangehöriger. Und es gab einen Deutsch-Niederländischen Niederlassungsvertrag von 1904, der noch von den Nationalsozialisten geachtet wurde. So wurden von einem Hofheimer Polizisten einige 11- und 12jährige Pimpfe und ihr 15jähriger Scharführer zum Rathaus eskortiert und dort vernommen. Diverse HJ-Gliederungen, die Polizei und andere Stellen wurden angewiesen, Frankenhuis fürderhin in Ruhe zu lassen. Was wäre gewesen, wenn Herbert F. „nur" deutscher Jude gewesen wäre? In einem solchen (sicherlich oft vorgekommenen) Falle hätten wir keine schriftlichen Unterlagen. Der Fall Frankenhuis ruht im Original im Wiesbadener Hauptstaatsarchiv. Auswanderung nach Übersee In diesen Jahren spielte natürlich die Auswanderung eine große Rolle. Alle die jungen Leute, die im Raphael-Jeanette-Ettlinger'-schen Kinderheim am Waldrand in der Kapellenstraße ihre Praktika verrichteten, bildeten sich für ihre künftigen neuen Lebensverhältnisse aus. Lilli Eisemann aus der Oberpfalz, Adele Fink aus Köln, Ruth Liebenstein aus Mainz, Anna Neuberg aus Wien (vier von mindestens über zwanzig) wollten hauswirtschaftliche und berufliche Kenntnisse erwerben, um in der Fremde besser bestehen zu können. Der Nachweis einer Berufsausbildung war zwingend für die Erteilung von Visa und Einwanderungserlaubnis vorgeschrieben. Auch die Hofheimer Familien planten und rechneten. Louis und Sophie Kahn wanderten am 25.11.1938 75- bzw. 69jährig von Marxheim in die USA aus. Andere waren finanziell so schlecht gestellt, daß sie nur die Kinder aus Deutschland herausbekamen. Strahlheims konnten einer Tochter die Auswanderung ermöglichen, die andere schaffte es nicht und ist später in Majdanek verschollen. Allmeiers, eine Schneidersippe, schickten nach und nach drei Töchter nach England und Palästina, bevor sie selbst mit ihrer jüngsten Tochter Ruth 1940 in allerletzter Minute die gleiche Route nahmen. Sohn Siegfried mit Frau Judith jedoch kam am 12.9.1942 in Majdanek ums Leben.
Doch auch Beharrung und Behauptung spielten noch 1938 eine Rolle. Der Wiesbadener Oberkantor Saul Lilienthal veröffentlichte in diesem Jahr sein Buch „Jüdische Wanderungen". Er beschreibt die äußere Situation: „8 jüdische Familien - Synagoge in einem alten Wachtturm der Stadtmauer ... Die Synagoge wurde 1925 renoviert. Zu ihr gehören auch die beiden einzelnen jüdischen Familien in Marxheim und Kriftel. Friedhof gemeinsam mit Soden. Gemeindevorsteher Adolf Oppenheimer. ... Am Abgang des Kapellenberges das Raphael-Jeanette-Ettlinger'sche Kinderheim. Ursprünglich Villa, zuletzt 1928 mit Hilfe der Zentral-Wohlfahrtsstelle vergrößert, ganzjährig in Betrieb. Landheim der Samson-Raphael-Hirsch-Schule in Frankfurt". „Reichskristallnacht" Zur gleichen Zeit warf die Pogromnacht ihre Schatten voraus. Getarnt als „Anmeldung des Vermögens von Juden" wurde die Aktion schon im Sommer 1938 vorbereitet. Das Attentat des Herschel Grünspan auf den deutschen Gesandtschaftsrat Ernst vom Rath in Paris am 7. November und dessen Tod zwei Tage später geben der obersten NSDAP-Spitze den Anlaß zum Losschlagen. „Spontan" - in Wirklichkeit auf Geheiß von Hitler und Goebbels — finden im ganzen Reich „Vergeltungsaktionen" statt. Die Polizeiverwaltung Hofheim erhält über den Polizei-Funkdienst u. a. am 10.11.1938 um 5.45 Uhr Funksprüche und Schnellbriefe. Die Parteigruppierungen wurden über die Dienstwege von ihren Gauleitern aus München aktiviert. Am Mittwoch, dem 9. November, hatte man sich in der Turnhalle in der Zeilsheimer Straße abends zur „Feierstunde anläßlich des Jahrestages des Heldentodes von 16 Kämpfern unseres Führers" (Hitlerputsch 1923 in München) getroffen. Man war also versammelt. In Hofheim ging es am Abend des 10. „rund". Georg M. beschreibt es Ende der 1970er Jahre in seinen Erinnerungen so: „Ja, mer wußt schon, was los war. Ich weiß noch hier bei Oppenheimers, da sind sie auch eingedrungen ins Haus. Scheiben eingeschmisse, Spiegelschrank im Schlafzimmer eingedonnert und lauter so Sache, mit Pflastersteinen geworfe, auch hinne bei Weiß's". Der „Volkszorn" zerstört die Synagogen. Joseph R. erinnert sich: „... da wollte'se die Synagog" anstecke, da hat sich mein Vadder noch mit dene aagebunne ... Da hab ich gedacht, was is'n da los - ein Haufe Mensche - und da werfe die alles da obbe runner, die Bank und was da alles noch war. Ich weiß net, ob sie den gekannt habbe, den ..., des war so en Hauptnazi gewese. Un da hat mein Vadder gesagt: „J., des kann ich dir sage, wenn ihr die Kerch hier ansteckt - hier hab ich die Axt, ich schmeiß euch kaputt mit der Axt". Da hat der gesagt: „Herr R., sinn se vorsichtig mit dene Äußerunge, sonst sind sie gleich fort". Aber mein Vadder hat sich nicht gefercht. Der hat gesagt: „Wenn ihr des ansteckt, da brennt doch hier mein Haus ab, un wo will ich denn hie?" Da ham ses dann gelasse, ham ses net angesteckt, halt nur demoliert und der H. vorne, den ham se gezwunge, der mußt dann ruff und den Davidstern abschneide und mußt dann vorne in seiner Werkstatt des Hakekreuz mache und da vorne druff pflanze, — des weiß ich noch genau." Die Hofheimer Zeitung titelte am 12.11.1938 „Auch Hofheim judenfrei". Weiter heißt es im Artikel: „Der feige Mord an ... vom Rath löste auch in Hofheim die größte Entrüstung aus... machte die gerechte Empörung der Bevölkerung sich ... Luft und schritt auch hier zur Vergeltung gegen die Gebäude der hiesigen Juden. Die Ausräucherung der wirklich unser Stadtbild nicht verschönernden Synagoge verhütete das Eingreifen der SA in Anbetracht der erhöhten Feuergefahr in der engen Burggrabenstraße. Während an den Juden selbst keinerlei Rache ausgeübt wurde, konnten sie, ohne belästigt zu werden, abziehen". Gustav Kahn, Adolf Weiß und Eduard Wieseneck wurden in Frankfurt wie an die 30.000 andere Männer im gesamten Reich in „Schutzhaft" genommen. „Die warn so eingeschüchtert und ängstlich..." Im Laufe des Jahres 1941 verschwindet die Möglichkeit der Auswanderung völlig. Nur wenige Personen, amtlicherseits werden „6 Juden" vermerkt, sind noch in Hofheim. Georg M. beschreibt es so: „Ich bin mal auf Urlaub komme (als Soldat) und da sagt mei Mudder ... - geh doch emal nübber zur Frau Oppenheimer, die sitze schon zwei oder drei Tag im Dunkele - geh mal nübber abends, wenns duster wird und mer sieht dich net und mach des, des is ja en Jammer ..., da hab ich gekloppt und hab gerufe: Frau O. unn da hat se vorsichtig gepeilt und da hat se mich an der Stimm erkannt ... Die warn so eingeschüchtert und ängstlich ... und da hab ich den Fehler gefunde und da hab ich dene des Licht gemacht ... - da hat semer hundertmal die Hand geschüttelt, das war das letzte Mal, daß ich sie gesehe hab, dann warn se net mer da". Am 10. Juni 1942 werden Hedwig und Karl Oppenheimer und Mina und Adolf Weiß nach Frankfurt evakuiert. Karl Oppenheimer stirbt am 12.8.1942 in Majdanek; die drei anderen sind verschollen, über ihr Ende ist nichts näheres bekannt. Am 28. August 1942 folgen als letzte Hermine und Adolf Oppenheimer. Sie sind über Frankfurt und Theresienstadt kommend in Minsk verschollen. Quellen: Unterlagen des Stadtarchivs Hofheim und des Hauptstaatsarchivs Wiesbaden; Aus: Zwischen Main und Taunus – Jahrbuch MTK 1998 - mit freundlicher Erlaubnis des Autors |