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Jüdischer Alltag in Hochheim und dessen Umgebung in Kurmainzer Zeit Die ersten Juden kamen schon in römischer Zeit als geschickte Händler an den Rhein. Trotz der theologischen Differenzen zwischen Christen und Juden entwickelte sich in Mainz in den nachfolgenden Jahrhunderten eine blühende jüdische Gemeinde. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts lebten in Mainz ca. 1100 Juden, die dort zwei kleine Synagogen unterhielten. Ein Grabstein des Jehuda erinnert noch heute an diese Zeit. Der Grabstein stammt aus dem Jahre 1049 und wird heute im Landesmuseum in Mainz aufbewahrt. Das dunkelste Kapitel in der Mainzer Geschichte bildet das Jahr 1096. Wilde Haufen von Vorausabteilungen des 1. Kreuzzuges gelangten durch List in das befestigte Mainz und wüteten derart unter den Mainzer Juden, daß 1014 niedergemetzelt wurden, oder sich zum Teil selbst das Leben nahmen. Nur ein geringer Teil der Mainzer Juden konnte zu Schiff nach Rüdesheim entkommen. Der damalige Erzbischof von Mainz, Ruthard, war für diesen beispiellosen Judenmord verantwortlich. Kaiser Heinrich IV. stellte eine Untersuchung der Vorgänge an, was zur Beschlagnahmung von Ruthards Vermögen und seiner Einkünfte führte. Außerdem kam er in die Verbannung in den östlichsten Teil des Mainzer Erzbistums, nach Thüringen. Nachdem Kaiser Heinrich IV. gestorben war, konnte Ruthard wieder nach Mainz zurückkehren. Als Sühne für die Verbrechen an den Juden gründete er die Abtei Johannisberg. Da die meisten Juden nicht mehr lebten, war ein Ausgleich in anderer Form nicht möglich. Im Jahre 1104 wird in Mainz wieder eine neue Synagoge errichtet. Der uralte jüdische Friedhof „Am Judensand" weist für diese Zeit nur einen einzigen Grabstein aus. Die wenigen überlebenden jüdischen Familien suchten den gegen Bezahlung garantierten Schutz auch in kleineren Orten. Der Nachweis eines jüdischen Friedhofes ist zugleich ein Hinweis auf eine jüdische Gemeinde. In Flörsheim ist im ältesten Gerichtsbuch ein nicht mehr benutzter Friedhof 1448 nachgewiesen, in Hochheim in Akten des Mainzer St. Clarenklosters für das Jahr 1562. Dieser Friedhof lag im Bereich der Sektkellerei Burgeff und der Frankhof-Kellerei. Das Hühnerregister des Amtes Königstein im Jahre 1581 gestattet uns heute einen Einblick in die Bevölkerungsstruktur der damaligen Zeit. Es sind alle Familien aufgeführt, die abgabepflichtigen und die befreiten. Befreit waren in der Regel der Pfarrer, der Schultheiß, die Hirten, der Büttel und die Juden. In folgenden Orten finden sich jüdische Familien: In Weißkirchen: Mosi; in Harheim: Naden und Joseph Schlemmer; in Kelkheim: Berman und Hiers; in Wicker: Abraham, Jakob und Jung Judt; in Weilbach: Abraham und Dauth. Nach dieser Aufstellung lebten im Amt Königstein 11 jüdische Familien. Weitere Familien wohnten in Hochheim, Nordenstadt, Lorsbach, Massenheim, Eppstein, Diedenbergen und Igstadt. In dem reichsritterschaftlichen Ort Niederhofheim waren die meisten jüdischen Familien anzutreffen, deren Bevölkerungsanteil bis zu 30 % ausmachte. Im Amt Königstein waren jeweils ca. 1500 Hühner zu verschiedenen Terminen abzuliefern. 54 Hühner dienten als Heblohn und 64 Hühner erhielten Frauen im „Kindbett". Christen und Juden um 1600 Im Jahre 1588 wird ein Hochheimer Jude namens Moschi auf Klage des Hans Bopp aus Ginnheim vor Gericht geladen, um mit diesem seine Rechnungen zu begleichen. Der hanauische Befehlshaber in Bergen (bei Frankfurt) weist den Ginnheimer Schultheißen an, die Abrechnungen zu überprüfen: „Weigert sich Moschi, vor dem Schultheißen zu erscheinen, oder entdeckt dieser in der von Moschi vorgelegten Rechnung „unfugk", sollen die Außenstände des Juden im Amt Bornheimer Berg mit Arrest belegt werden". Die jüdischen Einwohner hatten eine besondere Steuer zu entrichten, das Judenschutzgeld. Die Höhe dieser Abgabe war jedoch von Ort zu Ort verschieden. Im Jahre 1550 zahlte ein Jude in Nordenstadt und Lorsbach je 5 Gulden, während ein Jude in Massenheim 10 Gulden zu entrichten hatte. Die Juden waren aber auch in die allgemeinen Abgaben miteinbezogen. So entrichtete 1594 Menk von Diedenbergen, Moschi von Nordenstadt, ein Jude in Wallau, Davids Witwe und Mendel in Igstadt von ihren Behausungen je zwei Rauchhühner. Treutle von Nordenstadt, Moschi von Delkenheim und der erst kürzlich in Massenheim aufgenommene Isaak (Itzig) entrichteten je ein Fastnachtshuhn (Althuhn) und je drei Sommerhühner. So mancher Christ hatte von Juden Geld aufgenommen und geriet später in Zahlungsschwierigkeiten. So wurde dem Massenheimer Jakob Cleß im Jahre 1588 wegen „Judenschulden" die Scheune verpfändet. Im selben Jahr bezichtigte Theis Ochs aus Nordenstadt den Juden Joßel aus Nordenstadt der Verwendung einer nicht ortsüblichen Währungseinheit beim Geldwechsel. Ebenfalls im Jahre 1588 trug die Magd des Juden Mosche aus Nordenstadt in einem Kübel glühende Kohlen aus dem Backhaus. Als nun der Wind die Glut entfachte, geriet die „Schuern" in Brand. Noch bevor der Mitbürger Jost Mey löschen konnte, war ihm Mosche zuvorgekommen und hatte das Feuer schon selbst erstickt. Aber auch negative Verhaltensweisen sind zu registrieren. Am 13. Januar 1585 bekennt Gotts von Delkenheim, daß er zu Recht in Eppstein gefangengehalten werde, weil er zahlreiche Übertretungen begangen und mit „hochverbotenen wucherlichen Contracten die arme underthanen hin und wider in dem ampt Epstein jemmerlichen wider mhir zugelassene Ordnung umb daß ihr(ige) bracht und betrogen hat". Gotts wurde sofort ausgewiesen, aber durch Fürsprache seiner Freunde wurde die Ausweisung — auch wegen der Winterzeit — auf ein halbes Jahr ausgesetzt. Gotts Freilassung war jedoch nur möglich, weil er alle Schuldbriefe, Dokumente, Forderungen und Außenstände an Landgraf Ludwig abgetreten hatte. Dagegen wurden ihm seine Barschaft, Fahrhabe (Kutsche), Kleinodien, Silbergeschirr, Pfänder, Haus, Hof, Wein, Vieh und sein gesamter Besitz belassen. In der Folge ließ Landgraf Ludwig die „Judenschulden" zu seinen Gunsten eintreiben. Der Keller (Verwalter) in Eppstein konnte 1585 nur ein Drittel der Schulden abliefern, „da er aus den Leut mehr nicht hette bringen können". Die Eintreibung der von Gotts abgetretenen Forderungen zog sich über Jahre hin. Am 8. Dezember 1588 schickte der Keller zu Eppstein dem Marburger Kammermeister unter anderem 5 1/2 Fuder (5500 1) Wein von „Judenschulden". Jüdische Familien im 17. Jahrhundert Mosche aus Hochheim ist 1588 als Zeuge in Frankfurt nachzuweisen. Im Jahre 1633 ist er noch als Geldverleiher verzeichnet. 1624 ist er im Strafregister mit 80 Reichstalern Strafe zu finden. Er ist in prominenter Gesellschaft, denn der Oberschultheiß hatte 50 und der Unterschultheiß 30 Reichstaler zu bezahlen. Gumbel hatte 1676 Schutz für seinen Sohn Nathan beantragt. Aus seinem Schutzantrag geht hervor, daß er schon 40 Jahre in Hochheim Schutzgeld bezahlt hatte. Sein Vater hätte 50 Jahre in Hochheim Schutz gehabt und sein Großvater Hergen 70 Jahre. Sein Stamm war also über 150 Jahre in Hochheim geschützt. Allerdings muß man die Schutzzeit des Großvaters Hergen reduzieren. Diese Zahlen stammen aus der mündlichen Überlieferung und sind nicht belegbar. Übrigens handelt es sich um die älteste namentlich bekannte Hochheimer jüdische Familie. Im Jahre 1608 wetterte der Pfarrer Urban gegen die Hochheimer, die während des sonntäglichen Gottesdienstes in Götzels Wirtschaft Branntwein tranken. Es kam dort sogar zu Trinkgelagen, wobei sich manche Hochheimer nicht von ihrer besten Seite präsentierten. Im Gerichtsprotokoll heißt es: „Gleichfalls hat Oswalt Harpff uff ein Sonntag under d Predig ein Saufferei und Schlägerei im Würtshaus angefangen, Götzel dem Juden ein halbmaß Kenden (Kanne) mit Wein ins Gesicht geschut und auf den Kopf gestoßen dz er zur Erde gesunken und dz plutt übern Kopff abgeloffen". Oswalt Harpff wurde deshalb mit einem Taler Strafe belegt. Ein anderer Vorfall ereignete sich 1605. „Baltes Wildt hatt Abraham, des Juden Sohn, mit gewalt ein wehr (Ware) uf der Straßen zwischen Hochaim und Costheim abgenommen". Als man ihn zu Hause durch den Büttel (Polizei) abholen lassen wollte, flüchtete er. Doch er wurde gefaßt und mit dem Turm (Gefängnis) bestraft. In der Zeit zwischen 1626 und 1630 ist „wolff der Schulljudt" aus Frankfurt mit einem Grundstück „auf der Schlicht", heute im Bereich Weinbergstraße nachzuweisen, sehr wahrscheinlich ein Weinberg, für den er sechs Albus an die Pfarrei bezahlen mußte. Im Jahre 1631 ist sogar ein jüdischer Winzer m Hochheim belegt, Nathan Carlebach, der die Trauben von 2 1/4 Morgen Weinbergen aus der Kostheimer Gemarkung nach Hochheim brachte. Im Jahre 1682 taucht der Name Nathan Carlebach in Weinzollisten in Hochheim auf. Es ist möglich, daß es sich um die gleiche Person handelt. In der Zeit zwischen 1626 und 1630 ist Lazarus als Hochheimer Einwohner m der Mitte der westlichen Rosengasse nachzuweisen. Im Eckhaus Blumengasse/Neudorfgasse wohnte ab ca. 1640 Isaak, der Sohn des Herz aus Hofheim. Ab dem Jahre 1667 nahm Isaak seinen Sohn Abraham m sein Haus auf, der zuvor einige Jahre m Flörsheim verheiratet war. Die Nachkommen dieses Stammes lebten bis 1938 in Hochheim. Das Finanzwesen in Hochheim im Jahre 1633 Heutzutage verfügen wir über ein gut funktionierendes Bankwesen, das sich der modernsten Computertechnik bedient. Vor 360 Jahren war das natürlich völlig anders Der damalige Gerichtsschreiber gibt uns durch seine Güterfeststellung im Jahre 1633 sowie die Zahlungsverpflichtungen der Hochheimer Bürger einen Einblick in die Finanzsituation jener Zeit. Das Finanzwesen lag in den Händen von drei Personengruppen. Da waren einmal die Kirchen und Klöster und zum anderen das private Kapitalwesen. Im letzteren Falle handelt es sich um jüdische und christliche Geldverleiher. Der Zinssatz lag aber Jahrzehnte konstant bei 5 %. Insgesamt waren im Jahre 1633 40.011 Gulden von Hochheimer Bürgern aufgenommen worden. Davon entfielen auf
Behr Erben in Mainz 3.060 fl Jüdische Weinhändler in Hochheim Juden waren nicht nur beim Viehhandel, Krammarkt, als Metzger oder Geldverleiher tätig, sondern auch als Weinhändler. Aus der Zeit von 1670 bis 1750 liegen Weinzollabrechnungen aus Hochheim vor. Darin sind die Weineinkäufer namentlich aufgeführt und in manchen Jahren sogar deren Wohnort. Dadurch sind Hochheimer Juden als Weinhändler nachzuweisen. 1673 kaufte ein Abraham l 1/2 Fuder (1500 1) Wein. In den folgenden Jahren ist er weiterhin als Weinhändler tätig. Im Jahre 1685 sind sogar zwei jüdische Weinhändler in den Weinzoll-Listen verzeichnet. Aberle kaufte sechs Fuder und Abraham zwei Fuder Wein. Auch in den Jahren danach werden beide in den Zoll-Listen aufgeführt. Im Jahre 1698 findet sich ein weiterer jüdischer Weinhändler aus Hochheim namens Löw, der sieben Fuder Wein einkaufte. Auswärtige jüdische Weinhändler: Allgemein ist festzuhalten: Die jährlichen Weinumsätze durch jüdische Händler schwankten zwischen 2.000 und 10.000 Liter. Nach dem Jahre 1700 ging der jüdische Weinhandel etwas zurück, während um 1730 der Weineinkauf wieder anstieg. Es gab auch Jahre, in denen keine jüdischen Weinhändler aufgeführt sind, zwischen 1700 und 1750 insgesamt 12 Jahre. Die marktbeherrschende Stellung der christlichen Weinhändler läßt sich anhand der Ernteergebnisse aus der Hochheimer Gemarkung laut Zollabrechnung aufzeigen. 1669 621 Fuder (621.000 1), 1670 154 Fuder, 1671 111 Fuder, 1673 78 Fuder, 1674 100 Fuder. Man sieht enorme Ertragsschwankungen in den verschiedenen Jahren. Der jüdische Marktanteil lag nur zwischen 2 und 10 Fuder. Aus dem jüdischen Alltag Im Jahre 1747 suchte Samuel Levi aus Nastätten beim Mainzer Domkapitel um Schutz in Hochheim nach. Seinem Antrag wurde entsprochen, da er sich zum Kaufeines „Judenhauses" entschloß, das nur Juden bewohnen durften und leer stand. Sich in einem „Christenhaus" niederzulassen, wurde ihm jedoch untersagt. Im Jahr 1774 wird Samuel Levi als der älteste jüdische Einwohner erwähnt. Seine Witwe wird noch 1793 in Abgabelisten registriert. In einer jüdischen Gemeinde war es für die religiöse Praxis notwendig, eine Mikwe zu besitzen, d. h. ein rituelles Tauchbad. Zwar ist in Hochheim noch keine Mikwe entdeckt worden, da in der Hochheimer Altstadt natürliche Quellwasser in geringer Tiefe in die Backhauswied mündeten, war eine solche Anlage verhältnismäßig leicht anzulegen. Löw Abraham ist 1768 als Viehhändler nachzuweisen und wohnte bis 1805 mit seinen Söhnen Abraham und Isack Löw in der Rathausstr. 6. Der herzogliche Amtmann berichtete 1803, daß diese jüdische Familie einen Raum als Betraum zur Verfugung stellt. Nach dem Häusertausch im Jahre 1805 kam die Familie des Löw Abraham in den Besitz des Hauses Neudorfgasse Nr. 17. Auch dort stellte die Familie wieder einen Raum für den Gottesdienst zur Verfügung, bis im Jahre 1870 eine Synagoge m der Rathausstraße eingerichtet wurde. Löw Abraham nahm am 2. Mai 1799 200 fl beim Mainzer Domkapitel auf, die er 1803 an den Rechtsnachfolger, den Herzog von Nassau, zurückzahlte, die Zinsen in Höhe von 40 fl standen jedoch dem Mainzer Domkapitel zu. 1803 berichtet der herzogliche Amtmann vom Zuzug des Isack Levi aus Kelsterbach. In Hochheim befanden sich wieder sechs jüdische Familien. Auch im 18. Jahrhundert waren in Hochheim vom Mainzer Domkapitel nur sechs jüdische Familien geduldet. Aus: Zwischen Main und Taunus – MTK-Jahrbuch 1999 – mit freundlicher Erlaubnis des Autors |