Alle bejubeln den Krieg, doch der Lehrer ist gleich skeptisch
Gemeindearchivar Krementz hat für das neue MTK-Jahrbuch Josef Reichweins Aufzeichnungen von 1917 ausgewertet

Kriftel - In der Not hält der Mensch auch ein Schwein in seiner Wohnung. „Holzställe, Waschküchen, ja selbst Balkone wurden zu Schweineställen", notiert dazu der Krifteler Hauptlehrer Josef Reichwein im Jahr 1917. Drei Jahre schon herrschte Krieg, auf die Ernten war kein Verlass, das Schlachtvieh unterernährt, und so wurden die Krifteler Bürger aufgefordert, selbst Tiere heranzufüttern und Hausschlachtungen vorzunehmen. „So entstand der Begriff des Pensionsschweins", heißt es bei Reichwein weiter.

Die Aufzeichnungen des Lehrers in der Krifteler Schulchronik bilden die Grundlage für den historischen Beitrag des Krifteler Gemeindearchivars Wilfried Krementz im MTK- Jahrbuch 2006. Auf zehn Seiten schildert Krementz darin die Lebensumstände der Krifteler Bürger während des Ersten Weltkrieges.

Auch Gefühle sind festgehalten

Zwar berichtet der Lehrer Reichwein in seinen Notizen nicht täglich über das Leben zu Kriegszeiten, doch notierte er stets zeitnah die wichtigsten Geschehnisse. „Er hat dabei auch seine persönlichen Gefühle aufgeschrieben", sagt Krementz. Das zeigt sich in einer Bemerkung Reichweins, in der er direkt Bezug zu seinem im Krieg gefallenen Sohn nimmt. „Und wie wird es erst dem zumute sein, der einen Sohn beweint", heißt es darin.
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Historische Postkarte mit Blick auf Kriftel und das Gasthaus „Zur Krone" in der Backhausstraße - diese Karte wurde im Ersten Weltkrieg an einen Frontsoldaten geschickt.

Besonders fasziniert hat den Heimatforscher bei der Beschäftigung mit Reichweins Bericht noch etwas anderes: „Zunächst war in der Bevölkerung großer Jubel über den Kriegsausbruch. Reichwein ist gleich zu Beginn sehr skeptisch gewesen", erzählt Krementz, der den Lehrer in seinem Aufsatz dazu zitiert: „Das erste Gefühl war ein lähmender Schock; es war, als sollte die Welt untergehen." Außerdem zeugten die Aufzeichnungen des Lehrers von großem wirtschaftlichem Verständnis: „Er hat begriffen, was der Bevölkerung durch die Finanzierung mit Kriegsanleihen nach dem Krieg auf gelastet wird", so Krementz.

In den Mittelpunkt seines Beitrags im MTK-Jahrbuch stellt Krementz die Versorgung der Krifteler mit Lebensmitteln, etwa die Einführung von Brot-, Fleisch- und Fettkarten: „Nicht vom Krieg und nicht vom Frieden, nur von Butter reden sie", schreibt Reichwein dazu und rückt auch seine Sorge über das schlechte Wetter und die dadurch gefährdeten Ernten aus. Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund die große Bereitschaft der Krifteler, den Soldaten an der Front warme Kleidung für die kalten Winter zu schicken. Als im Jahr 1917 dem Heer das Pferdefutter ausging, sammelten und trockneten Krifteler Schüler sogar 119 Zentner Laubheu.

Nicht nur Reichweins Notizen, sondern auch die Ausgaben des Kreisblattes in den Jahren 1914 bis 1919, in denen es um Kriftel ging, sowie Chroniken von Adam Schlemmer und Rainer Koch hat Krementz für seinen Text gelesen. Auf diese Weise konnte der Stadtarchivar die Angaben Reichweins überprüfen. Der Lehrer war übrigens 15 Jahre in Kriftel tätig und starb - nur drei Jahre nach seiner Pensionierung - im Alter von 72 Jahren. Franziska Richter

Das MTK-Jahrbuch 2006 ist für fünf Euro im Kreishaus Hofheim, Am Kreishaus 1-5, erhältlich oder kann unter 061 92/2011638 bestellt werden.

Frankfurter Rundschau - 26.1.06 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Auf dieser Homepage lesen Sie in Kürze Auszüge aus dem Kriegstagebuch des verstorbenen Pfarrer Adolf Paul, Eschborn, aus dem Ersten Weltkrieg.