Eine Liebesaffäre des Hofheimer Pfarrers Johann Hase im Jahre 1469
HANS ULRICH COLMAR

Die Ehelosigkeit von Priestern ist zwar schon im 3. Jahrhundert nachweisbar und wird im 1. Konzil von Nizäa 325 als Voraussetzung für verschiedene Stufen des Priestertums angesehen, in der Praxis des Mittelalters jedoch häufig durchbrochen.

Erst auf dem Konzil von Trient 1563 wird der Zölibat zu geltendem Recht für die ganze römisch-katholische Kirche erklärt. Von den Reformatoren wurde er als nicht neutestamentlichen Ursprungs abgelehnt; nach protestantischer Überzeugung entstammt der Zölibat griechischer Vorstellung im Sinne eines Dualismus von Leib und Seele, der in seinen Auswirkungen zu einer Verteufelung alles Sexuellen führte. Seit dem 2. Vaticanum 1962/65 ist die Diskussion über dieses Thema in der katholischen Kirche wieder aufgelebt; sie erhält in jüngster Zeit Aktualität angesichts eines akuten Priestermangels.

In dem Fall, der sich 1469 in Hofheim zugetragen hat, wird die grundsätzliche Toleranz der Zeitgenossen gegenüber Seitensprüngen eines Priesters deutlich, doch trifft die verheiratete Frau und Mutter als Ehebrecherin der ganze Zorn der Mitbürger, die sich in für uns nicht vorstellbarer Weise um den Lebenswandel jedes einzelnen kümmern. Das Fehlverhalten von Fritzen Anselms Frau wird daher zu ihrer eigenen Besserung und zur Abschreckung für andere öffentlich angeprangert und gerügt, wozu sich Schultheiß, Schreiber, Büttel und andere an dem Vorgang Beteiligte um so selbstverständlicher berechtigt fühlen, als sie gleichzeitig (die Trennung von Verwaltung und Justiz erfolgte erst im 19. Jahrhundert) Mitglieder des Hofheimer Stadtgerichts sind. Die diesbezügliche Kritik an dem Pfarrer beschränkt sich dagegen auf die Formulierung, „daß sie miteinander in unehrlichen Sachen und werken wider die gebote der heiligen Kirche sollen zu tun haben". Von sich aus hätten die Bürger gegen den Geistlichen nichts unternommen.

Vermutlich hätte die Nachwelt nie etwas von den Problemen des Pfarrers Johann Hase erfahren, wenn er nicht seinerseits beim Domstift zu Mainz, vertreten durch dessen Schulmeister Vulprecht von Derße, Klage gegen die Bürger der Stadt Hofheim erhoben hätte. Zwar ist die Anklageschrift verloren gegangen, doch ist das Rechtfertigungsschreiben von Schultheiß Matthias Heier, dem Schreiber Johannes Bender, dem Büttel Conrad sowie den Bürgern Wulffhenne, Conrad Wenner, Cuntze Zymmermann, Peter Snider, Smidthenne und Jacob Schumecher im Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden unter der Signatur 106/275 a erhalten.

Es ist vier Seiten lang, klar gegliedert und geht detailliert auf jeden Punkt der Anklageschrift ein, so daß man die erhobenen Vorwürfe recht gut rekonstruieren kann. Wir erfahren ferner, daß die Klage Johann Hase „zu latin gesatzt", d. h. in lateinischer Sprache, während das Antwortschreiben der Bürger auf deutsch verfaßt ist, was sie selbst für einen Nachteil halten und wofür sie sich fast entschuldigen mit den Worten „und wir alle laien sind, dar uff zu latin nit zu antworten, als die notdurft wohl erheischen möchte". Das Schreiben selbst ist ohne Datumsangabe, doch wird das entscheidende Ereignis auf den 17. November 1469 datiert.

Die Anklageschrift bezieht sich offenbar auf drei Komplexe, von denen der erste fast als Vorwand für die Anrufung der Autorität des Domkapitels und der dritte als Nachspiel erscheint, während vom Inhalt und vom Umfang her der zweite die Hauptsache darstellt.

1. Der kirchenrechtliche Vorwand: die angebliche Entfremdung einer Altarpfründe

Johann Hase erklärt, er sei mit den Einkünften des St. Georgs-Altars in der Pfarrkirche zu Hofheim „versehen und begabt", von den Bürgern jedoch wieder darum gebracht worden. Die Bürger halten dagegen, dieser Altar sei ein „Stipendium" (Stiftung), zu dem sie selbst das Ihre gegeben hätten und noch täglich geben „zur mehrung des Gottesdienstes und zur besserung des Altars." Sie hätten gar nicht die Macht, den Altar Herrn Johann zu verleihen oder wieder zu entziehen. Was der Pfarrer in diesem Zusammenhang schriftlich von sich gegeben habe, sei vom Domstift zu beurteilen, nicht jedoch Sache der Hofheimer Bürger.

2. Eigentlicher Stein des Anstoßes: der Ehebruch

Die Bürger hätten Fritzen Anselms Ehefrau Katharina zu Unrecht gerügt, denn sie sei, um als Nachbarin mit dem Pfarrer zu reden, zwischen 9 und 10 Uhr in der Nacht in sein Haus gekommen. Dann hätten sie ihn auf dem Kirchhof „mit aufgereckten händen, mit Schwertern und kolben und messern" bedroht, Kathrin aus seinem Haus geholt, sie in ein Wirtshaus geführt und ihr einen Schleier in Form eines Kreuzes oder einer Stola vor die Brust gebunden (wohl um sie als Konkubine des Priesters zu kennzeichnen). Anschließend hätten sie ihn mit Gewalt über den Kirchhof zu ihr in das Wirtshaus gebracht, wobei sie vor, neben und hinter ihm gegangen seien und ihn dadurch gezwungen hätten, den Kirchhof (als den ihn rechtlich schützenden Raum) zu verlassen. In der Antwort auf diese Vorwürfe holt der Schreiber Johannes Bender weit aus und geht zunächst auf die Vorgeschichte ein: Vor einiger Zeit sei der Pfarrer gemeinsam mit Kathrin ins Hofheimer Schloß vorgeladen worden, weil ihr Verhältnis stadtbekannt gewesen sei. Herr Johann habe alles in Abrede gestellt und hartnäckig geleugnet, so daß man die Sache zunächst auf sich beruhen ließ. Bald darauf habe sich jedoch folgendes ereignet: Als am Freitag vor Sankt Elisabeth des Jahres 1469 Fritzen Anselm abwesend war, habe sich seine Frau Kathrin nachts zwischen 9 und 10 Uhr, wo sich jeder anständige Christenmensch zu Hause aufhält, in einem leerstehenden Neubau mit dem Pfarrer getroffen, was sie um so mehr befremdet habe, als Herr Johann am Morgen desselben Tages noch Messe gelesen habe. Der Pfarrer habe zwar die Anwesenheit Kathrins in dem Haus geleugnet, doch hätten sie dem keinen Glauben schenken können, da sie die Frau im Haus ihres Ehemannes gesucht und weder in ihrem Bett noch bei ihren Kindern gefunden, ja daß sie sogar im Haus ihrer Schwester vergeblich gesucht hätten. Eine solche Schande sei ihnen um so mehr zu Herzen gegangen, als Kathrin mit einigen von ihnen verwandt sei. Um nun die Wahrheit zu erfahren, seien sie zu dem unbewohnten Neubau gegangen, wo weder Feuer noch Licht noch Flamme (sonst Zeichen für die Anwesenheit von Menschen) zu sehen gewesen seien. Dort hätten sie dann ihre Verwandte Kathrin aufgefordert herauszukommen, worauf sie der Pfarrer - nach anfänglicher Verleugnung - zu ihrer Schmach und Schande aus der Tür gestoßen und diese sofort wieder zugeschlagen habe.

Da Herr Johann im Haus verblieb, hätten sie Kathrin zur Besserung ihres Lebenswandels und zur Abschreckung und Lehre für andere in ein Wirtshaus geführt, ihr jedoch entgegen der Behauptung des Pfarrers keinen Schleier angelegt. Selbst wenn sie zu einer schärferen Strafmaßnahme gegriffen hätten, wäre es ihnen nicht zu verdenken gewesen; man hätte ihnen vielmehr einen Vorwurf daraus machen können, wenn sie nach den genannten Vorfällen nichts unternommen hätten.

Auch hätten sie nicht Hand an den Pfarrer gelegt, wie dieser behauptet, noch ihn zu etwas gezwungen. Er habe vielmehr aus Angst vor Katharinas Verwandten den Schultheißen um freies Geleit gebeten und auch erhalten, indem der Schreiber Johannes Bender und der Büttel Conrad ihn zu seinem Schutz bis zum Pfarrhof geleitet hätten. Zum Dank habe er ihnen sogar - unaufgefordert - einen Gulden Trinkgeld gegeben. Um so ungerechter und undankbarer seien daher die von ihm erhobenen Vorwürfe.
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Anfang des Rechtfertigungsschreibens Hofheimer Bürger an das Mainzer Domstift, Schreiber Johannes Bender (Hess. Hauptstaatsarchiv Wiesbaden 106, 275a).

3. Das Nachspiel: der geheimnisvolle Reiter

Die dritte und letzte Anschuldigung richtete sich gegen Johannes Bender, Conrad Zymmermann, Smidthen und Jacob Schumecher, die den Pfarrer angeblich vom Pferd gezogen und mit Fäusten und Schwertern traktiert haben sollten. In Wirklichkeit habe sich der Vorfall folgendermaßen abgespielt: Johannes Bender sei vor das geistliche Gericht zu Mainz zitiert worden, was er notfalls schriftlich belegen könne; gleichzeitig hätten Conrad Zymmermann, Smidthenne und Jacob Schumecher in Mainz Schweine kaufen wollen. Da ihr gnädiger Junker von Königstein (Eberhard III v. Eppstein-Königstein, 1425-1475) zu dieser Zeit gerade in Fehde gelegen habe und kurz zuvor Leute auf der Straße zu Schaden gekommen seien, hätten sie zu ihrer Sicherheit beschlossen, Hofheim nacht um 2 Uhr zu verlassen. Als sie nun zwischen Diedenbergen und der Weilbach gewesen seien, sei ihnen ein Mann zu Pferde aufgefallen, den sie freundlich aufgefordert hätten, sich zu erkennen zu geben. Da er sich weigerte, seinen Namen zu sagen, hätten sie das Pferd am Zaum gegriffen und den Reiter am Mantel heruntergezogen. Erst dann habe er seine Identität preisgegeben. Als sie nun gewußt hätten, daß es sich um Herrn Johann Hase handelte, hätten sie sofort von ihm abgelassen, er habe sich wieder aufs Pferd gesetzt und sei friedlich davongeritten mit der Bemerkung, er habe befürchtet, Anselm, Kathrins Ehemann, sei unter ihnen und deshalb unerkannt bleiben wollen. Von Gewalttätigkeit ihrerseits könne daher überhaupt keine Rede sein. Nur aus Sorge um ihre eigene Sicherheit hätten sie ihn gestellt. Im übrigen: welcher Priester reite schon zu nachtschlafender Zeit über Land! Damit hätten sie nun wirklich nicht rechnen können, denn dies sei zumindest höchst ungewöhnlich. Mit seinen Vorwürfen tue der Pfarrer ihnen bitter unrecht.

Abschließend wenden sich die beschuldigten Hofheimer Bürger noch einmal an den „würdigen Herrn Vulppert von Derße" als Richter in der festen Überzeugung, ihr Recht zu erhalten und in der Erwartung, daß Herr Johann Hase alle Kosten und den jedem einzelnen von ihnen entstandenen Schaden zu tragen haben werde. Das Ergebnis des Prozesses ist nicht bekannt.

Eine bemerkenswerte Bestätigung erfährt die Hauptsache jedoch durch einen Eintrag im ältesten Hofheimer Gerichtsbuch, wo am 28.2.1475 auf Seite 570 protokolliert wird (vgl. H. U. Colmar, Das älteste Hofheimer Gerichtsbuch II 1451 bis 1475, Hofheim 1988, S. 89ff.):

„Item ist mit recht gewist, daß Fritzen Anselm soll bleiben in den gutem sitzen, die er hat von seiner hausfrauen wegen, bis seine hausfraue und kinder wieder zu ihm kommen und ihr eins dem andern tue, als ehlichen leuten gebührt" (Hervorhebung durch den Verfasser), d.h. der betrogene Ehemann lebt seit über fünf Jahren getrennt von seiner Familie - Frau und Kinder waren wohl des Hauses verwiesen worden - und sitzt hier bis zu einer offenbar erwarteten Versöhnung zu Recht in den von Katharina in die Ehe eingebrachten Gütern.

Vermutlich hätte sich kein Mensch darüber aufgeregt, wenn der Pfarrer ein Verhältnis mit seiner Haushälterin gehabt hätte; daß er aber eine angesehene Bürgersfrau und Mutter zum Ehebruch verleitete, konnte von den Honoratioren und Mitbürgern der Kleinstadt, die sich u. a. auch zu Sittenwächtern und Hütern der Moral berufen fühlten, nicht ungesühnt gelassen werden.

Aus: Zwischen Main und Taunus – MTK-Jahrbuch 1994 – mit freundlicher Erlaubnis des Autors