Mikwot im Main-Taunus-Kreis:
Die ehemaligen „Judenbäder" zwischen jüdischer Glaubenspraxis und staatlicher Hygiene
WOLFGANG ZINK

Namen, Probleme und Mißdeutungen

Drei Orte sind bis heute zur Existenz einer jüdischen Gemeinde notwendig: Synagoge, Friedhof und Mikwe. Ohne sie ist nach der Tradition kein praktiziertes, religiöses Gemeindeleben möglich. Jedoch unterscheiden sich Synagoge und Friedhof in einer Gemeinsamkeit von einer Mikwe: beide sind auch für Nichtjuden öffentlich zugänglich. So erinnern sich ältere Mitbürger, z.B. in Wallau oder Hochheim, die dortige „Juddeschul" besucht oder an einem jüdischen Begräbnis teilgenommen zu haben. Mikwot waren dagegen in der Regel für Nichtjuden „verborgen", obwohl sie auch in Synagogen „eingebaut" waren, wie z.B. in Hochheim, Höchst und Niederhofheim. Diese Nichtzugänglichkeit verlieh ihnen etwas Geheimnisumwittertes, Magisches, Okkultes, da Christen im Gegensatz zu Muslimen religiöshygienische Vorschriften gänzlich unbekannt sind. Ein weiterer Unterschied: Friedhöfe sind per se dauernd „heilig", Synagogen zeitweilig, Mikwot aber in keinster Weise, obwohl für sie Jahrtausende früher zahlreichere und strengere religiöse Bauvorschriften galten als für Synagogen. In der Mischna ist ein ganzer Traktat den „Mikwa'ot" gewidmet und so abschließend behandelt, daß im Babyl. Talmud keine weiteren Diskussionen und Ergänzungen folgen. Die frühe Normierung der Bauweise führt dazu, daß die auf Massada um 1960 von israelischen Archäologen ausgegrabenen Mikwot aus der Zeit Herodes noch heutigen halachischen Regeln entsprechen und ihre Grundkonzeption z.B. auch 1906 beim Königsteiner Synagogenneubau mit Mikwe wiederzufinden ist.

Die Mikwe/Mikwa hatte im Deutsch von Nichtjuden verschiedenste Namen: „Judenbrunnen" im Mittelalter, später „Judenbäder", amtlich „Ritualbäder", in der jüngeren Heimatgeschichte oft „jüdische Frauenbäder". Jedoch führt das Stichwort „Bad" ebenso zu Mißverständnissen wie „Brunnen" : eine Mikwe konnte erst nach erfolgter körperlicher Reinigung, d.h. nach dem „Baden" benutzt werden. Im übrigen waren Juden „Bäder" schon vor den Römern bekannt. „Brunnen" dagegen dienen der Wasserversorgung für Mensch wie Tier und sind in der Regel bis heute nicht begeh- oder gar untertauchbar konstruiert. Noch mißverständlicher ist das Stichwort „Frauenbad", da es die Funktion der Mikwe reduziert: auch im Main-Taunus-Kreis diente sie zum Untertauchen, d.h. spirituellen Reinigen von Geschirren, Geräten, Frauen und Männern. Allein jüdische Großgemeinden konnten sich finanziell zusätzliche Frauen-Mikwot leisten. Das „Untertauchen" betonend, prägte das deutsche Judentum schließlich den Begriff „Tauchbad" (==  tevila), um den Unterschied zum „rechiza" (= Profanbad) hervorzuheben, während „Mikwe/Mikwa" schlicht mit „Wassersammelbecken" zu übersetzen wäre.

Idee, Herkunft, Größe, Funktion und Inhalt der Mikwe

Das g'ttliche „Urmodell" einer Mikwe finden wir bereits in den ersten Sätzen der Bibel beschrieben. „Und der Ewige nannte das Trockene ,Erde', und die Mikwe der Wasser benannte er ,Meere'." (Gen. l, 9-10)

Getreu dem rabbinisch-theologischen Gedanken der ständigen ,imitatio dei', die sich aus der Abbildhaftigkeit des Menschen vom Ewigen und dessen Vorbildfunktion ergibt, sind im Schöpfungsakt die Weltozeane in einem mikwegleichen Behältnis vorgestellt und damit jede Mikwe sozusagen als „Minimeer". In Ägypten zur Zeit Mosches um 1300 v.d.Z. gab es bereits Mikwot. Aaron, der erste Priester und Bruder Mosches, wird angewiesen, vor Beginn der religiösen Handlungen am Jom HaKippurim „seinen Körper im Wasser an heiligem Ort" zu baden. Das Untertauchen in einer Mikwe war später für alle am Tempeldienst Beteiligten Pflicht. Um 712 v.d.Z. kündet der Prophet Jeschajahu warnend davon, daß seine Mitbürger in Jeruschalajim zwar „eine Mikwe . . . zwischen den beiden Mauern für die Wasser des Teiches gemacht", diese aber - göttliches Vorbild und Weisung mißachtend - nicht benutzt hätten (Jes. 22,11).

Die religiös-hygienischen Vorschriften der Bibel sehen Untertauchen z. B. für Menschen mit Hautkrankheiten wie von „unreinen" Stoffen, Fellen und Geräten in Flüssen ausdrücklich vor, in der Praxis mit der Erzählung vom Syrer Naeman beschrieben. Noch im 19. Jahrhundert benutzten Jüdinnen im Main-Taunus-Kreis im Sommer den nahen Main zur rituellen Reinigung. Biblisch geboten war dieses „Untertauchen" auch nach jedem Geschlechtsverkehr, Pollution, Menstruation und Geburt, dem Verzehr verbotener Speisen, der Berührung von Aas wie Toten und vor der Teilnahme an G'tteskriegen. Mikwot sind im 1. wie 2. Tempel, aber auch in Privathäusern, z.B. der jüdisch-messianischen Bewegung der Essener in Qumran, nachgewiesen, die der täglichen spirituellen Reinigung besondere Bedeutung beimaßen. Durch die Zerstörung des 2. Tempels 70 d. Z. fielen zwar alle Anlässe weg, die auf Tempel und Priester Bezug nahmen, jedoch fügten die Rabbinen neue hinzu: z.B. vor Trauung und Glaubensübertritt.

Bautechnisch mußte eine Mikwe nur groß genug sein, um einen einzigen Menschen voll untertauchen zu lassen. Die Gelehrten der Mischna haben deshalb das Mindestfassungsvermögen mit 40 Sea, d.h. 800 l, festgelegt, und aus der menschlichen Größe eine Wassersäule von mindestens 3 Kubikellen, die architektonisch einem Grundmaß von l Quadratelle x 3 Ellen Höhe entspricht. Wie an der noch erhaltenen alten Mikwe in Königstein von 1837/8 mit den Maßen: 87/B x ll5/L x 89/H und an der 1837 erwähnten, 1983 wiederentdeckten, mittelalterlichen Flörsheimer mit den Maßen 11/B x 119/L x 85/H ersichtlich wird, faßten diese in jedem Fall das vor 2000 Jahren bereits feststehende Mindestvolumen von 800 L.

Von größter Bedeutung war die Wasserbeschaffenheit einer Mikwe, wenn trotz des Vorbildes der Ozeane und in Kenntnis der Anlässe Flußwasser genügen konnte. Die Bibel ordnet die Verwendung „lebenden Wassers" an. Die rabbinischen Fachleute vor 2000 Jahren entwickelten daraus einen Kriterienkatalog von Wassertypen, der moderne Umweltschützer erstaunen kann: „Lebendig" war zunächst nur frisches Meer-, Quell- oder Brunnenwasser.

Grundriß der 1983 in Flörsheim entdeckten alten Mikwe. Zeichnung: Planergruppe Hytrek, Thomas, Weyell u. Weyell, Flörsheim am Main.

Weniger „lebendig" galt Flußwasser, da Untertauchen zur Regenzeit und Schneeschmelze verboten, d.h. zeitlich eingeschränkt war. Regenwasser nahm den untersten Rang lebendigen Wassers ein: es mußte deshalb erst in einem zweiten Becken aufgefangen und nach einem vorgegebenen Zeitraum des Absetzens vor der Einleitung in die Mikwe auf Verunreinigung optisch geprüft werden, nur auf bestimmte Weise und in bestimmter Menge zuleitbar. Als „totes" und damit völlig ungeeignetes Wasser galten Stehgewässer von Tümpeln, Seen ohne Quelle, Zu- und Abfluß, da kein Wasseraustausch binnen 24 Stunden stattfand. Eine dritte und Zwischenkategorie nahm „künstliches", d.h. von Menschenhand „geschöpftes" Wasser ein: Es konnte zwar von „lebendigem" Wasser stammen, hatte aber mit dem menschlichen Eingriff nach rabbinischer Ansicht eine qualitative Veränderung erfahren. Um genau diese künstliche Veränderung der Wasserqualität auszuschließen, durfte das Zuleitungsrohr für Regenwasser z.B. nicht aus Metall sein, weil dieses, anders als Holz oder Stein, als Werkstoff nur dank menschlicher Feuertechnik bearbeitbar gemacht werden kann. Obwohl die Tradition auf Untertauchen in kaltem Wasser in der Mikwe beharrt, waren diese schon zu Zeiten des 2. Tempels mit Türen versehen, überdacht, boten im Vorraum ein wärmendes Feuer, Sitzbänke und erhielten auf verschiedenste Weise erwärmtes Wasser zugegeben.

Mikwot existierten also seit rund 2300 Jahren, als in Deutschland die erste, heute noch erhaltene erbaut wurde: Worms 1034 n.d.Z. Etwa 1120 folgte die Speyrer, die Kölner etwa 1170 und die Friedberger 1260. Aber auch ohne archäologische oder schriftliche Belege gilt der Grundsatz: Keine jüdische Gemeinde ohne Mikwe. Sie dient z. B. auch zum Untertauchen von Schächtgeräten und Schächter wie für die Mitglieder der  Beerdigungsbruderschaft/Chevra Kadischa: ihr „Sitz im Leben". Die Existenz solcher Bruderschaften, wie koscherer Metzgereien, sind ein sicheres Indiz für das Bestehen von Mikwot.

Der Mikwotstreit in Hessen und im Main-Taunus-Kreis 1837/38

Nach Kenntnis dieser Glaubensnormen wird die Armut des Landjudentums auch im Main-Taunus-Kreis deutlich, wenn der Herzoglich-Nassauische Medizinalrat Fabricius am 9.4.1837 der Regierung meldet, daß sich z. B. die Flörsheimer Mikwe „in dem Stalle der Behausung des Hayum Mayer" befinde, „und wie alle diese Bäder, dunkel und unfreundlich" sei. Sein Kollege Dr. Müller berichtet am 26.5.1837, daß die Höchster Mikwe im Synagogenkeller zwar von Flußwasser versorgt werde, aber an „Fenster, Wand, Mauer p.p.... im erbärmlichsten Zustande" sei. Immerhin: ein Fortschritt gegenüber der ehemaligen Eisgrube, gespeist vom Liederbach, die wie andere ungemauerte Erdlöcher in Hessen halachischen Regeln Hohn sprach. Im Einklang mit der Armut jüdischer Landgemeinden ging der religiöse Niedergang: Seit etwa 130 Jahren meist sich selbst überlassen, verfügten sie über keine landesweite Organisationsform und keinen regelmäßig präsenten Rabbiner. Ohne geistige Betreuung, ohne Erziehungswesen, geduldete Einwohner ohne Rechte, auf verachtete Berufe beschränkt, aber mit doppelten Steuern belastet, blieben diese Mini-Gemeinden auf dem niedrigst-möglichen Niveau stehen. Dem Abhilfe zu schaffen, hatten die hessischen Kleinstaaten in aufklärerischer Gesinnung 1837 begonnen, jüdische Religionslehrer und Bezirksrabbiner anzustellen und mit deren Hilfe das jüdische Gemeindeleben zu ordnen. Im selben Geist hatte sich innerjüdisch seit 1800 die Reformbewegung gebildet, die in Hessen besonders auf dem Lande auf den erbitterten Widerstand der orthodox Gläubigen traf. Die Auseinandersetzung entzündete sich an den Mikwot.

Aufmaßzeichnung der alten Flörsheimer Mikwe. Planergruppe Hytrek, Thomas, Weyell u. Weyell, Flörsheim am Main.

Einer der führenden theologischen Köpfe der Reformbewegung war Rabbiner Dr. Abraham Geiger aus Frankfurt am Main (1810-1874), den die Wiesbadener Gemeinde 1832 angestellt hatte. Eine der letzten „Amtshandlungen" des 26jährigen bestand in folgendem Brief an die Nassauische Landesregierung:

 „Schon vor längrer Zeit beklagten sich Glieder der jüdischen Gemeinde zu Dietz über das dort befindliche kalte Frauenbad, das der Gesundheit der Frauen nachtheilig sei; vor kurzem traf eine ähnliche Klage aus Runkel ein, und unter dem heutigen Abend an mich ein dringendes Gesuch von der Gemeinde Oberursel, Amt Königstein, über diesen Gegenstand diß kalten Bäder, bei welchen zuweilen im Winter zuvor das Eis aufgehauen werden muß, ehe die Frau hinein gehen kann, sind von den verderblichsten Folgen für die Gesundheit der Grund, und Beispiele von Gliederlähmung, Blindheit, Taubheit ja selbst plötzlichen Tod, welches dieser Mißstand in seinem Gefolge hat, sind nicht selten. Es ist dies, meines geringen Ermessens nach, im Gegenstand der medicinischen Amtspolizei, und diese hätte dafür Sorge zu tragen, daß ein derartiger Mißstand, welchem mit geringen Kosten durch Herbeischaffung eines heizbaren Gestells, durch welches das Wasser läuft begegnet werden kann, gehoben werde. . . Es wäre im Interesse des Amtes u. a. der Humanität, daß von den Medicinalbeamten sorgfältiger über die jüdischen Frauenbäder gewacht wird, daß diese namentlich überall heizbar zu machen seien, den widerstrebenden Gemeinden aber die Bäder von Amts wegen geschlossen würden." (HHStA Wiesbaden 211,7975)

Die Demagogie dieses Briefes bestand z. B. darin, daß die von Geiger genannten gesundheitlichen Folgen auch von nichtjüdischer Literatur dieser Zeit in keinster Weise belegt sind, im Gegenteil: sie sehen die Mikwot im Vergleich zu der Hygiene der übrigen Bevölkerung als gesundheitliches Vorbild an. Auch die Reduktion auf „Frauenbäder" und die Forderung einer dauernden Beheizbarkeit fordern den Konflikt zwischen Reform und Tradition heraus. Alarmiert, ergeht durch die Herzoglich-Nassauische Landesregierung nur 5 Tage später, am 6.3.1837, ein Circular an alle Amtsbezirke, mit dem diese um ausführlichen Bericht über alle „jüdischen Frauenbäder, deren Einrichtung und Mängel" gebeten werden. Ein fundamentales Mißverständnis bestimmt jedoch die Antworten: Zu prüfen sind Mikwot - allen jüdischen Definitionen widersprechend - als „Badeanstalten". Aus den eintreffenden Antworten der Medizinalräte erfahren wir immerhin erstmalig, wo und wieviele Mikwot es im Main-Taunus-Kreis zu jener Zeit gab:

Grundriß der alten Mikwe von 1837/38 in Königstein, Gerichtsstraße 15. Aus: Besichtigungs- u. Ergebnisprotokoll „Judenbad" vom Juni 1991, erstellt durch Dr. Thea Altaras.

AMT HOCHHEIM, 9.4.1837, Fabricius: Mikwot früher in 7 Gemeinden, die Jüdinnen von Flörsheim und Eddersheim baden im Sommer im Fluß, die in Nähe Wiesbadens benutzen die dortige Mikwe. Flörsheim: gemauerte Mikwe im Keller des Hayum Mayer, Quellwasser, 18 Stufen; Jüdische Gemeinde will in der Synagoge eine neue einbauen. Nordenstadt: gemauerte Mikwe im Keller des Isaak Fiest, wenige Stufen (=  Grundwasser). Breckenheim: ehemals 2, jetzt nur noch l Mikwe im unteren Teil im Haus des Samuel Jessel, Wasser bedeckt nur 2-3 Stufen (= Grundwasser). Zustand insgesamt: gesundheitswidrig, Schließung angeordnet.

AMT HÖCHST, 26.5.1837, Dr. Müller: 5 Bäder, auch von Jüdinnen aus Nachbargemeinden benutzt, Eschborner Jüdinnen gehen nach Rödelheim, baden im Sommer im Main. Höchst: betonierte Mikwe in der Synagoge, Bachlauf durch Knachen geändert,

Kessel für Warmwasserzubereitung, ohne Ablauf. Hofheim: ,das schlechteste'. Soden: Mikwe im Keller einer wohlhabenden Judenfamilie, Quellwasser, Ablauf durch Kanal. Hattersheim: Mikwe im Hofhäuschen der Juden (=  Synagoge), Bachwasser, Warmwasser wird in Eimern herübergetragen. Heddernheim: Mikwe ist in der Judenschule (=  Synagoge), 4-5 Fuß groß mit 7 Stufen, Regenwasser aus einem Auffangbecken, Kessel mit 18 Eimern Fassungsvermögen, Warmwasserzuleitung aus diesem durch Röhre.

Vier Dinge fallen auf: die 4 Privat- und 4 Synagogenmikwot entsprechen durchweg halachischen Regeln, sie verwenden meist kein Grund- oder Regenwasser, nur natürliche Baustoffe und in einem Fall mit dem erst 1824 wiedererfundenen Zement sogar modernste Technik, in mehreren Fällen besteht bereits ein Erwärmungssystem durch beheiztes Wasser. Die o.g. Flörsheimer Mikwe hat z. B. von Kies umgebene Eichenbalkenpfeiler als Stütze der behauenen Buntsandsteinfassung. Zur Anlage mit 18 Stufen gehört ein Brunnenschacht in dem Gewölbekeller ebenso wie das zum Beachten der Tauchzeiten erforderliche Westfenster. Der Bericht zwingt die jüdischen Gemeinden Höchst und Wallau zum teilweise Jahrzehnte dauernden finanziellen Kraftakt, neue, medizininalbehördlich unbeanstandete Mikwot zu bauen. In Flörsheim ist schon 1839 die o. g. Mikwe geschlossen und eine neue in der nahen Synagoge erbaut. Da sich gleichzeitig in all diesen Gemeinden mehr und mehr die Reformbewegung theologisch durchsetzte, nahm die Beachtung der rituell-orthodoxen Reinigungsregeln mit jedem Jahr ab. Von besonderer Bedeutung blieben sie nur, wo „koscheres" Fleisch geschlachtet wurde. Wenn es also noch 1870 Privatmikwot gab, dann fast ausschließlich in Wohnhäusern von Schächtern. Ansonsten waren sie wie in Höchst, Wallau, Niederhofheim, Bad Soden, Hochheim und Flörsheim in Synagogenneu- oder -umbauten integriert worden, obwohl die Zahl orthodoxer Gemeindemitglieder andauernd abnahm. Diese Entwicklung läßt sich an der Meldung orthodoxer Familien durch die Bezirksrabbiner zur Zuteilung koscherer Fette während der Lebensmittelrationierung seit 1916 im 1. Weltkrieg beispielhaft ablesen.

Zu einer Zeit, als der „Stürmer" und andere antisemitische Hetzblätter den Vorwurf des „grausamen" und tierquälerischen Schächtens immer wieder erhoben, verkaufte in Höchst z. B. das jüdische Metzgergeschäft koscheres Fleisch und Schweinefleisch an Juden wie Nichtjuden in einem Laden.

Grundriß der neuen Mikwe in Königstein, 1906. Aus: Heinz Sturm-Godramstein, Juden in Königstein, Königstein 1983.

Deutlicher läßt sich auch im Main-Taunus-Kreis der Rückzug traditionell gelebten Judentums wie die Bereitschaft zur Assimilation unter „deutschen" Juden nicht demonstrieren. Mit der sichtbaren Zerstörung aller Synagogen wie Gemeinden im Kreisgebiet bei der Reichspogromnacht 1938 gingen auch alle Mikwot als Zentren jüdischen Glaubenslebens verloren und mit der Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bürger auch das Wissen von diesen Stätten spiritueller Reinigung mit ungebrochener, jahrtausendealter Tradition. Wer will, kann diese dennoch kennenlernen, zumindest optisch. Er muß nur einmal bei der Familie Reinelt in Flörsheim anrufen, die die in ihrem Keller wiederentdeckte alte Privatmikwe gerne zeigt. Sie überlebte - zugeschüttet und vergessen wie die Königsteiner - die Nazizeit, weil sie seit Jahrzehnten nicht mehr in Benutzung gewesen war.

Aus: Zwischen Main und Taunus / Jahrbuch 1995
17.08.05