Orts- und Hofwüstungen im Main-Taunus-Kreis
GERD S. BETHKE

Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, warum die Mainzer Landstraße in Hattersheim so heißt? Ganz einfach, werden Sie sagen, es ist halt die alte Landstraße nach Mainz, und die Frankfurter Straße ist dementsprechend die alte Straße nach Frankfurt. Auch die Eppsteiner, die Lorsbacher und sogar die Danziger Straße lassen sich einfach erklären. Aber wie kommt der Heddingheimer Weg zu seinem Namen ?

Nur noch wenige Straßen- und Flurnamen im Main-Taunus-Kreis halten die Erinnerung an frühere Ortschaften wach. Dazu gehört der Heddingheimer Weg, aber auch Flurnamen wie In der Oberweilbach (Diedenbergen) oder Im Bauerloch (Hofheim). Orte, die früher einmal bestanden und dann aufgegeben wurden, nennt man Wüstungen; war es ein Hof, spricht man von Hofwüstung, um sie von ganzen Dorfwüstungen zu unterscheiden.

Im Verlauf unserer Geschichte wurden immer wieder Siedlungen aufgegeben und an anderer Stelle neu errichtet; auch die Siedler, die nach dem Abzug der Römer in unser Gebiet kamen, verhielten sich nicht anders: Die vorherrschenden Landbaumethoden machten nach einigen Jahren Getreidebau eine längere Brachzeit und damit einen Wechsel der Ackerflur notwendig, und Häuser, deren Wandpfosten im Boden versenkt wurden, hielten kaum länger als eine Generation, so daß ein neuer Siedlungsplatz öfter einmal notwendig - und möglich - war.

Erst als sich seit dem 6. Jahrhundert in unserer Gegend das Christentum zu verbreiten begann und Kirchen gebaut wurden, konzentrierte sich die bisher vorwiegend in Weilern und Einzelhöfen siedelnde Bevölkerung um diese neuen Kerne, denn Kirchen durften nicht mehr aufgegeben werden. Viele Höfe und kleine Orte, von denen wir zumeist nichts wissen, sind also schon im Frühmittelalter untergegangen.

Das Hochmittelalter, das 11., 12. und 13. Jahrhundert, brachte ganz Europa anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung und Bevölkerungswachstum. Verbesserte Landbaumethoden setzten sich durch, charakterisiert durch die Dreifelderwirtschaft, den schollenwendenden Beetpflug, die Sense und den Anbau von mehreren verschiedenen Getreidesorten, die das Risiko von Ernteausfällen verringern halfen.

Die wachsende Bevölkerung (man hat berechnet, daß sich in den drei Jahrhunderten bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts die Zahl der Menschen in Deutschland verdreifacht hat) mußte ernährt werden; die höheren landwirtschaftlichen Flächenerträge allein reichten dazu nicht aus. Mit dem sogenannten hochmittelalterlichen Landesausbau wurden die Anbauflächen erweitert und neue Siedlungen gegründet: Mittelgebirgswälder wurden gerodet und besiedelt, Sumpfgebiete urbar gemacht, das Land östlich von Elbe und Saale kolonisiert, und in unserer Gegend wurden jetzt erst die Gebiete oberhalb der 250-m-Höhenlinie besiedelt. Im Vortaunus und im Hohen Taunus werden die Orte angelegt, deren Namen auf -hain endet. In Deutschland gab es mehr Ortschaften als je zuvor und danach.

Der lang anhaltende Aufschwung war zugleich eine der Ursachen für die danach folgende Krise. Die Ausweitung des Ackerlandes und die Verringerung des Brachlandes im Gefolge der Dreifelderwirtschaft beschnitt die Weidemöglichkeiten für das Vieh auf der Brache, den Wiesen und in den Wäldern. Der Viehbestand ging zurück, Fleisch spielte in der Ernährung eine immer geringere Rolle. Aber der Viehdung fehlte als Dünger auf den Äckern, die Flächenerträge gingen zurück, die neu unter den Pflug genommenen Böden in den Mittelgebirgen waren z.T. bald erschöpft.

Dazu kam, daß sich seit Beginn des 14. Jahrhunderts eine Klimaverschlechterung bemerkbar machte. Kalte Winter und feuchte Sommer führten zu Ernteausfällen und kulminierten von 1315 bis 1317 in einer europaweiten Hungersnot. Die Pest, im Oktober 1347 aus der Krim nach Messina eingeschleppt, begann ihren Todeszug durch Europa. Der Schwarze Tod erreichte 1349 Frankfurt und damit auch das Main-Taunus-Gebiet. Weitere Pestwellen kamen 1360/61 und 1380/83 sowie immer wieder im 15. Jahrhundert. Über ihre Auswirkungen in unserem Gebiet sind wir nicht unterrichtet, aber die Gesamtbevölkerung Europas war um 1460 gegenüber dem Stand von 1300 um etwa ein Drittel gesunken. Dieser Bevölkerungsrückgang ist die Hauptursache für die nun einsetzende spätmittelalterliche Wüstungsperiode. Die ohnehin dezimierte Bevölkerung zog sich insbesondere aus den Siedlungen in landwirtschaftliche Extremlagen zurück und wanderte in günstiger gelegene Dörfer oder in die expandierenden Städte ab.

Auch die Grundherren griffen z. T. aktiv in das Geschehen ein; ihre Lebensgrundlage beruhte ja sehr direkt auf der Arbeit der Bauern, und deshalb waren sie daran interessiert, daß ihr bestes Land auf jeden Fall genutzt wurde. In manchen Fällen förderten sie deshalb die Zusammenlegung von Weilern und Hofgruppen, die sogenannte Dorfballung.

Die zurückgehende Nachfrage nach Getreide führte zu einem Rückgang der Preise, die von den Bauern erzielt werden konnten. Auch das führte dazu, daß auf schlechten Böden der Getreideanbau aufgegeben wurde - mit der Folge, daß die Viehhaltung wieder stieg und die Flächenerträge zunahmen. Erst Mitte des 16. Jahrhunderts waren die Preise wieder auf dem gleichen Niveau wie zweihundert Jahre früher.

Die meisten Wüstungen entstanden also in den beiden krisenhaften Jahrhunderten, dem 14. und dem 15. Auch im Main-Taunus-Kreis ist das nicht anders, wobei die Ursachen im einzelnen heute kaum mehr festzustellen sind. Der Dreißigjährige Krieg, der immer wieder als Ursache von Wüstungen bemüht wird, ist jedenfalls an unseren Wüstungen unschuldig.

Die im Folgenden aufgezählten Wüstungen sind uns nur aus Urkunden und Akten, z.T. sogar nur aus den bekannten Karten von Wilhelm Dilich (1607/09) bekannt. Im Gelände ist von ihnen heute nichts mehr zu sehen, und nur vereinzelt erinnern Flurnamen daran, daß hier einmal Menschen siedelten.

Amstertal (Hofwüstung)
Im äußersten Osten der Bremthaler Gemarkung schiebt sich das enge Amstertal zwischen die Wälder Burgfrieden und Neuburg der Eppsteiner Gemarkung. Nach einem Abgabenverzeichnis von 1280-85 hatte Gottfried III. von Eppstein hier einen Hof, der wohl am Taleingang am Daisbach gestanden hat. Noch um 1470 hat die Kellerei Eppstein Zinsen von Äckern und Wiesen, aber ein Hof dürfte schon nicht mehr bestanden haben. Beim Verkauf eines Teils der Herrschaft Eppstein an Hessen 1492 wird nur noch der Wald Amstertal genannt.

Beidenau (Hofwüstung)
Kloster Retters hat 1191 Grundzinsen in Bidinowa; 1222 beträgt der Besitz 7 Hufen (210 Morgen). Daß es sich um einen Hof des Klosters handelt, erfahren wir erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts; er wird vom Kloster auf Zeit verpachtet. Er lag am Osthang des Liederbachs im Südosten der später gebauten Beidenauer oder Roten Mühle auf Altenhainer Gemarkung. Am Ende des 16. Jahrhunderts bestanden die Hofgebäude nicht mehr.

Burlachen (Ortswüstung)
Etwa 21/2 km nord-nordöstlich der Hofheimer Kirche liegt die Flur Im Bauerloch. Dort ist die Lage des ehemaligen Dorfes Burlachen zu vermuten, das 1277 erstmals urkundlich erwähnt wird; 1355 hören wir sogar von Schultheiß und Schöffen, und eine Dorfbefestigung ist auch vorhanden, denn Grundstücke liegen vor dem Tor. Das 1425 einsetzende Hofheimer Gerichtsbuch nennt keine Einwohner aus Burlachen, sie werden wohl in den Jahrzehnten nach der Stadterhebung von Hofheim (1352) hierher umgesiedelt (worden) sein.
Ortswüstungen403-72

Wüstungen im Main-Taunus-Kreis

Eichen (Hofwüstung)
Das Gelände dieses Hofs lag in den Gemarkungen Ober- und Unterliederbach. Erstmals hören wir von ihm 1306. Die Hofgüter waren umfangreich, 1543 gehörten dazu etwa 330 Morgen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts hören die Nachrichten über den Hof auf. Zum Hof gehörte ein Gericht, das „zu Eichen unter der Linde" gehalten wurde. Im 14. Jahrhundert treten auch Niederadlige von Eichen auf, die ein Zweig der Adligen von Hain / Altenhain / Neuenhain gewesen sind.

Frankenbrücken und Lubrechtsborn
(Orts- / Hofwüstungen ?) Bei diesen Orten handelt es sich um zwei der vielen Plätze, die im Schloßborner Pfarrbezirk des Mainzer St. Stephansstifts gegründet worden sind. Sie liefern um 1226-39 an St. Stephan den Zehnten und werden in Lehensurkunden bis ins 16. Jahrhundert erwähnt, dürften aber noch im 13. Jahrhundert wieder eingegangen sein. Unbekannt ist, wo sie genau gelegen haben. Nach der Reihenfolge der Orte im Zehntregister von St. Stephan wird Frankenbrücken wohl in der Gemarkung Vockenhausen oder Niederjosbach zu suchen sein, während Lubrechtsborn in der Gemarkung Ehlhalten oder Schloßborn lag; denn 1562 wird in einer Grenzbeschreibung von Schloßborn der Lumporn/Lumborn zwischen Ehlhalter Schlag und Limes am Dattenbach erwähnt.

Haneberg (Hofwüstung)
Nach dem bereits erwähnten Abgabenverzeichnis hat Gottfried III. von Eppstein um 1280-85 dort den Zehnten. Da Anfang des 13. Jahrhunderts auch ein Müller genannt wird, hat der Hof wohl etwa am Platz der viel später (1866) errichteten Hessenmühle am Dattenbach in der Gemarkung Ehlhalten gestanden; oberhalb der Mühle befindet sich die Flur Im Hainberg. Noch 1433 wird ein Hof erwähnt, doch dann hören die Nachrichten auf.
Hartbach (Dorfwüstung)
Der Ort lag etwa 11/2 km west-nordwestlich von Diedenbergen. Er wird 1191 im Zusammenhang mit Besitz von Kloster Retters erstmals erwähnt, das 1222 dort zwei Höfe, 120 Morgen und Wald besitzt; auch das Mariagredenstift, das St. Petersstift und der Deutsche Orden aus Mainz sind dort begütert. 1282 hören wir von einem Glöckner, der Ort hat also eine Kapelle oder sogar Kirche besessen. Zur gleichen Zeit ist ein Ritter Konrad von Hartbach Burgmann in Eppstein. 1366 wird ein Dorfgericht erwähnt, und noch 1416 werden Schultheiß und Schöffen genannt. 1433 scheint der Ort noch zu bestehen, doch wird er später nicht mehr erwähnt. Die Bewohner sind wohl zusammen mit denen von Oberweilbach in das neu entstandene Diedenbergen umgesiedelt, und seine Flur bildet heute mit der von Oberweilbach und dem Gebiet des Hofes Kassern die Gemarkung Diedenbergen.

Hedekam (Dorfwüstung)
Auch dieser Ort wird zuerst im Zusammenhang mit Besitz des Klosters Retters 1277 erwähnt, das damals einen Hof  bei der Kirche hat. Diese Kirche stand bis 1578 in der heutigen Gemarkung Kriftel etwa dort, wo sich die Unterführung der Hattersheimer Straße unter der Bahnlinie Höchst-Hofheim befindet. Der Ort heißt bei seiner ersten Erwähnung Hittinkeim, später dann zumeist Hadekam. Er bestand mindestens aus zwei Dinghöfen, von denen einer 1437 in den Besitz der Mainzer Kartause kommt, während der andere Eppstein-Königstein und später Kurmainz gehört. Da es für beide Höfe Schultheißen gibt, bestehen wohl auch Dinggerichte für den zugehörigen Grundbesitz. Von dem Hof der Kartäuser ist später nichts mehr zu hören, die Gebäude des anderen werden um 1609 abgebrochen.

Heide (Hofwüstung)
Nach seinem Lehensverzeichnis von 1282/83 hat Gottfried III. von Eppstein zu Heide vom Abt von Fulda 18 Hufen (540 Morgen) zu Lehen; das Land ist später an Einwohner von Massenheim verpachtet. Nach einer Karte vom Beginn des 17. Jahrhunderts, die den Hof als Wüstung verzeichnet, müssen wir ihn etwa 0,8 km südwestlich von Massenheim suchen.

Kassern (Hofwüstung)
Im Norden der Gemarkung Diedenbergen verläuft die Kassernstraße, dort lag auch der Hof Kassern, der seit 1300 genannt wird. Anfang des 17. Jahrhunderts liegt er wüst. Aufgrund seiner Lage wird der Hof wohl vorwiegend ein Viehhof gewesen sein, der die Waldweide nutzte.

Königsborn und Niedernhain
Diese beiden Wüstungen sind überhaupt nur von einer Karte vom Anfang des 17. Jahrhunderts bekannt. Königsborn lag danach etwa l km süd-südwestlich von Langenhain, Niedernhain nochmals l km weiter.

Meilingen (Flurwüstung)
Bei Mellingen handelt es sich nicht um eine Orts-, sondern um die einzige Flurwüstung des Main-Taunus-Kreises. Einen Ort Meilingen scheint es nach heutiger Kenntnis nicht gegeben zu haben, jedenfalls kommt in keiner Urkunde und keinem Abgabenregister der Ort oder ein Einwohner vor. Seit 1303 begegnen uns Bezeichnungen wie gegen Meilingen, Mellinger Feld und Mellinger Straße. Später heißen Wälder Mellinger und Wellinger; nach der politischen Zugehörigkeit wurden später ein Darmstädter Wellinger in der Gemarkung Medenbach und ein Mainzer Wellinger in der Gemarkung Bremthal unterschieden.

Oberweilbach (Ortswüstung)
Dieser Ort wird als superiori Wylebach erstmals um 1280 erwähnt, da aber das jetzige Weilbach schon 1222 erstmals inferiori Wilebach (Niederweilbach) genannt wird, muß auch Oberweilbach damals schon bestanden haben. Im Hofheimer Gerichtsbuch wird 1443 letztmals ein Oberweilbacher Einwohner erwähnt, und 1457 sind von Einwohnern zu Diedenbergen Abgaben in Oberweilbach fällig, d.h. wohl, daß die Oberweilbacher inzwischen nach Diedenbergen gezogen waren. Der Petrusaltar der bereits zerstörten Kapelle wird 1518 nach Wallau versetzt. Der Ort lag etwa 1,4 km südwestlich von Diedenbergen, dort besteht heute noch der Flurname In der Oberweilbach. In der benachbarten Flur Heilig Grab wurde 1829 ein trapezförmiger Sarg aus Sandstein ausgegraben (er wird in die Zeit zwischen 950 und 1250 datiert), der 1722 schon einmal geöffnet worden war, und nach Wiesbaden ins Museum gebracht.

Oizmanshoven
In einer Oberliederbacher Güterbeschreibung von 1306 heißt es, ein Grundstück liege vor der Oberengasse bei dem Weg, der nach Oizmanshoven führe. Der Ort ist sonst nicht bekannt.

Literatur mit Quellenangaben:
Gerd S. Bethke, Main-Taunus-Land. Historisches Ortslexikon, Frankfurt am Main 1996 (Rad und Sparren 26)

Aus: Zwischen Main und Taunus – MTK-Jahrbuch 1997 – mit freundlicher Erlaubnis des Autors