Bürgermeister zeigt sich in neuem Licht
Historikerin Anna Schmidt stellt Erkenntnisse über Hofheimer Oskar Meyrer vor / Zusammenarbeit mit NS-Regime
VON EVA WILKE

Der Hofheimer Bürgermeister Oskar Meyrer hatte in der NS-Zeit offenbar keine Bedenken, mit dem Regime zusammenzuarbeiten. In einem Vortrag im Stadtmuseum stellte die Historikerin Anna Schmidt ihre Erkenntnisse darüber vor.

Hofheim - 11.Juli - Anfang des 20. Jahrhunderts kannten sich die Menschen in Hofheim und den umliegenden Dörfern. Trotzdem konnte der Nationalsozialismus auch dort Fuß fassen. Wie das funktionierte, zeigt die Historikerin Anna Schmidt in einem Vortrag an Beispielen auf. „Es geht um das Verhalten Einzelner", sagte Schmidt. Eine Stunde lang stellte sie Ergebnisse ihrer fünf Jahre währenden Forschungsarbeit über das Thema „Hofheim zwischen 1933 und 1945" vor. Dabei wurde deutlich, unter welchen Umständen Menschen in dieser Zeit Entscheidungen treffen mussten. Als Beispiel berichtete sie vom Kreisleiter der NSDAP, Fritz Fuchs, der damit drohte, den Bauern die Vorzugspreise für Futter und Düngemittel zu streichen und ihre Milch nicht mehr abzunehmen, falls sie weiterhin mit jüdischen Viehhändlern handeln würden. „Wie sich der Einzelne unter solchen Bedingungen verhalten hat, hing davon ab, wie sehr er sich persönlich bedroht fühlte und wie er seinen Handlungsspielraum einschätzte", sagte Schmidt.

Die Historikerin erklärte den rund 40 überwiegend älteren Zuhörern, dass die Nationalsozialisten systematisch tradierte Bindungen zerstörten und Gegner ausschalten. „Ohne die Mitarbeit der Verwaltung kann ein totalitäres Regime nicht funktionieren", führte Schmidt weiter aus und schilderte die Problematik beispielhaft am Hofheimer Bürgermeister Oskar Meyrer. Meyrer arbeitete seit 1920 als Bürgermeister. Er bekämpfte unter anderem die durch den Ersten Weltkrieg verursachte Wohnungsnot, betrieb die vollständige Kanalisierung seiner Gemeinde und ließ 1927 ein »Volksschulgebäude mit Turnhalle und Volksbad bauen. Außerdem begründete er die Aktiengesellschaft für Kleinwohnungsbau. Im März 1933 fanden die vorerst letzten Kommunalwahlen statt. In den darauf folgenden Monaten wurde Schritt für Schritt die kommunale Demokratie ausgehöhlt und letztlich abgeschafft. Die Partei steuerte mehr und mehr die Verwaltung.

Obwohl Oskar Meyrer - zumindest bis 1938, so der Stand der Forschung von Anna Schmidt - kein Parteimitglied war, blieb er Bürgermeister, im Gegensatz zu manch einem Kollegen im Umkreis. „Da Meyrer beliebt und kompetent war, wäre es unklug gewesen, ihn aus dem Amt zu schaffen", sagte Schmidt. Schließlich konnte die NSDAP in Hofheim nur langsam Fuß fassen.

Meyrer schien aber keine Bedenken gegen eine Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern gehabt zu haben. Dabei möchte Schmidt die überlieferten Reden und Bilder nicht als bedingungslose Unterstützung des Nationalsozialismus gewertet wissen: „Ein gewisses Hin- und Herlavieren war nötig, um sich abzusichern." In seiner Funktion als Leiter der Gemeinde und vor allem als Ortspolizeibehörde habe Meyrer das NS-Regime stabilisiert. Die Ortspolizeibehörde musste politische Gegner des Regimes verfolgen und überwachen und die Erlasse, die Juden aus dem öffentlichen Leben verdrängten, ausführen.

Neuer Impuls durch Forschung

Historikerin Anna Schmidt sieht sich als Informationslieferantin. Sie will Hilfe geben, Fakten in ihre Zusammenhänge einzuordnen. Das Verhalten Einzelner zu bewerten, sieht sie nicht als ihre Aufgabe an. Da müsse jeder seinen eigenen Standpunkt finden, sagte sie.

Im Fall von Bürgermeister Oskar Meyrer könnte von den Forschungsergebnissen ein neuer Impuls ausgehen. Zunächst einmal wurde Anfang dieses Jahres das Grab des 1942 verstorbenen Politikers auf dem Waldfriedhof vor der Einebnung gerettet und die Grabplatte vor wenigen Wochen mit Hilfe des Hofheimer Geschichts- und Altertumsvereins renoviert. In der Innenstadt ist außerdem eine Straße nach dem Rathauschef benannt. „Wie die Hofheimer sich an Oskar Meyrer erinnern wollen, sollten sie diskutieren", sagt Schmidt.

Frankfurter Rundschau – 12.7.05 - Foto: Ilona Surrey - mit freundlicher Erlaubnis der FR
12.7.05