Politischer Widerstand und Verfolgung von NS- Gegnern im Main-Taunus-Kreis von 1932 bis 1945
DIETER REUSCHLING

Widerstand gegen den Nationalsozialismus (NS) wurde auch im Main-Taunus-Kreis durch verschiedene Gruppen oder Einzelpersonen ausgeübt, z B durch Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, politisch gebundene oder nichtgebundene Menschen. Durch das NS-Regime verfolgt wurden vor allem Juden, Sinti und Roma, politische Gegner und viele andere, die sich der Diktatur passiv oder aktiv widersetzten. Dieser Beitrag beschränkt sich bewusst auf den Aspekt des politischen Widerstandes und der Verfolgung.

Verteidigung der Weimarer Republik

Der politische Widerstand gegen den Nationalsozialismus, dessen Regime mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begann, ist ohne die Auseinandersetzungen um die Erhaltung der ersten, am 9. November 1918 ausgerufenen deutschen Republik, der so genannten Weimarer Republik, nicht hinreichend zu erklären. Schon bald nach ihrer Gründung formierten sich die Gegner der Republik von rechts und von links. Die KPD kämpfte für eine „Diktatur des Proletariats" und eine Räterepublik nach sowjetischem Vorbild. Im Kapp-Putsch vom März 1920 versuchten konservative, monarchistische Kräfte, die gewählte Regierung zu stürzen und die republikanische Verfassung durch eine ständische abzulösen, was durch einen Generalstreik verhindert wurde. Der sogenannte "Hitler-Putsch" in München im November 1923 wurde von der Regierung niedergeschlagen. Die radikalen Parteien bildeten paramilitärische Verbände, die als Saalschutz und bei Demonstrationszügen eingesetzt wurden, aber auch der Vorbereitung auf einen für möglich gehaltenen Bürgerkrieg dienten. Bei der NSDAP Hitlers waren dies die Sturm-Abteilungen (SA) und die Schutzstaffeln (SS), bei der KPD der Rot-Frontkämpfer-Bund. Als Gegengewicht dazu bildeten die Parteien der sogenannten Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und Deutscher Demokratischer Partei (DDP) am 22. April 1924 die republikanische Schutzformation „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold - Bund republikanischer Kriegsteilnehmer", die von der SPD dominiert wurde. Alle diese Verbände wurden militärisch geführt und ausgebildet, teilweise auch im Schusswaffengebrauch, und traten bei Veranstaltungen uniformiert und im geschlossenen Formationen auf.

Gegen Ende der Weimarer Republik trugen die wachsende Arbeitslosigkeit und zunehmende Verarmung weiter Bevölkerungskreise, aber auch die häufigen Regierungskrisen und Neuwahlen zum Wachsen der radikalen Parteien bei. Bei den Reichstagswahlen im September 1930 steigerte die NSDAP die Zahl ihrer Abgeordneten von 12 auf 107. Hitler bildete mit anderen Gegnern der Republik, der Deutsch-Nationalen Volkspartei, Vertretern von Industrie, Banken, Militär und Großgrundbesitz die „Harzburger Front". Um die Republik zu verteidigen, schlossen sich SPD, Freie Gewerkschaften, Arbeitersportorganisationen und „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold” am 16 November 1931 zur „Eisernen Fron"' zusammen.

Das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" war auch im Main-Taunus-Kreis aktiv. Nach einem vom Preußischen Innenministerium am 20 August 1932 angeforderten detaillierten Bericht des sozialdemokratischen Landrates Wilhelm Apel (1873-1960) gab es im Kreis fünf Ortsgruppen des Reichsbanners (Hofheim, Lorsbach, Hattersheim, Bad Soden, Kelkheim) und vier Ortsgruppen der „Eisernen Front" (Ruppertshain, Fischbach, Vockenhausen, Naurod). Gaugeschäftsfuhrer des Reichsbanners für Hessen und Nassau war von 1929 bis zur Auflösung der Organisation 1933 Paul Apel (1896-1965), der ältere Sohn des Landrates Wilhelm Apel. Führer des Reichsbanners in der damaligen Kreisstadt Höchst war Wilhelm Apel (1905-1969), der jüngere Sohn des Landrates, er war außerdem Kreisführer der „Eisernen Front"  im Main-Taunus-Kreis. Die l. Funktionärskonferenz der Eisernen Front im Kreis fand am 17. Januar 1932 in Höchst statt,  die von dem Sekretär des Fabrikarbeiter-Verbandes, Verwaltungsstelle Höchst, dem SPD-Mitglied Peter Nida aus Hattersheim, organisiert wurde. Peter Nida war seit 1929 auch Kreistagsabgeordneter des Main-Taunus-Kreises. Für die Landtagswahl in Preußen am 24 April 1932 organisierte die Kampfleitung der "Eisernen Front" unter der Leitung von Peter Nida in fast allen Orten des Kreises Volksversammlungen zum Thema “Der Kampf um Preußen”. Das  Wahlergebnis  war ernüchternd. Die Koalition unter dem Ministerpräsidenten Otto Braun  (SPD) verlor die Mehrheit, blieb aber kommissarisch im Amt, da die von 9 auf 162 Abgeordnete angewachsene NSDAP keine Regierungskoalition bilden konnte. Am 20. Juli 1932 wurde die preußische Landesregierung von Reichskanzler Franz von Papen durch eine Notverordnung entlassen (Preußenschlag ), der   konservative frühere Zentrumspolitiker wurde selbst Reichskommissar für das Land Preußen. Eine Folge davon war der Beginn der oben erwähnten systematischen Überwachung des Reichsbanners durch die preußische Polizei.

Die Gefahren für Deutschland, die mit dem Anwachsen des Nationalsozialismus verbunden waren, sind ihren Gegnern sehr bewusst gewesen. Fast prophetisch wirkt heute eine Karikatur, die  am  31. Mai 1932  nach  der Preußenwahl in der sozialdemokratischen, in der Kreisstadt Höchst erscheinenden 'Freien Presse' gezeigt wurde.  Das volle Ausmaß der Katastrophe,  in  das  die  Nationalsozialisten Deutschland und die Welt hinein steuern sollten, war aber damals kaum vorhersehbar.

Das Ende der Republik

Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933, der sogenannten Machtergreifung, endete praktisch die Weimarer Republik, wenn auch nicht sofort alle demokratischen Rechte von den Nationalsozialisten abgeschafft werden konnten. Die letzte große Demonstration gegen die NS-Regierung, zu der die Eiserne Front im Main-Taunus-Kreis aufgerufen hatte, fand eine Woche nach der Machtergreifung am 7. Februar 1933 auf dem Schloßplatz der Kreisstadt Höchst statt. An der von Peter Nida und Wilhelm Apel jr. organisierten Kundgebung nahmen 4.000 Gegner der Nationalsozialisten teil,  am  anschließenden, nicht genehmigten  Demonstrationszug etwa 2.000. Am l. Juni 1933 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Wilhelm Apel jr., weil er sich als Veranstalter der Kundgebung nicht an die Auflagen der Polizei gehalten haben soll. Da er schon im April 1933 angeklagt worden war, weil er sich gegen Angriffe eines SA-Mannes zur Wehr gesetzt hatte, aber vom Schwurgericht freigesprochen wurde, entzog er sich der erneuten Verhaftung durch Flucht ins Saargebiet und später nach Frankreich. Es gelang ihm, in der Emigration auch die deutsche Besatzung bis zum Kriegsende zu überstehen, ohne nach Deutschland ausgeliefert zu werden. Auch Peter Nida wurde wegen der Kundgebung angeklagt, im September 1933 aber freigesprochen, weil ihm nicht nachgewiesen werden konnte, dass er an dem Demonstrationszug teilgenommen hatte.

Die Nationalsozialisten begannen unmittelbar nach der Machtergreifung ihre Vorstellungen von einer deutschen Gesellschaft mit allen Mitteln in die Realität umzusetzen. Dazu gehörte einerseits das Werben um die Gunst der breiten Massen durch eine breit angelegte Kampagne über die damaligen Medien, das heißt Presse und Rundfunk, die sehr schnell in ihren Dienst gestellt („gleichgeschaltet") wurden. Mit großem organisatorischem Aufwand wurden zum Beispiel die Feiern zum 1. Mai - als „Tag der Arbeit" von ihnen erstmals gesetzlich eingeführt - zu einem Fest der von ihnen angestrebten nationalen Volksgemeinschaft gestaltet. Auf der anderen Seite begann die Ausgrenzung und Verfolgung der „Volksfeinde", das heißt der Juden und der politischen Gegner, sofort nach der Machtergreifung. Auch die Schaltstellen der Staatsmacht wurden unmittelbar danach mit verlässlichen Parteigenossen oder Sympathisanten besetzt und die politischen Gegner entfernt. Am 13. Februar 1933, das heißt schon zwei Wochen nach der Machtergreifung, war im Höchster Kreisblatt zu lesen, dass Landrat Wilhelm Apel und der Frankfurter Polizeipräsident Steinberg, beide SPD, vom preußischen Innenminister Göring ihrer Ämter enthoben wurden. Wie Landrat Apel mit den ihm zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln in den vorhergehenden Jahren versucht hat, den Erfolg der Nationalsozialisten zu verhindern, hat Prof. Rainer Koch in seiner Rede zum 75. Jubiläum des Main-Taunus-Kreises 2003 ausführlich dargestellt.

Verfolgung politischer Gegner

Die Verfolgung der Vertreter des demokratischen Systems, das die Nationalsozialisten schon immer beseitigen wollten, begann mit einer Phase der Einschüchterung, in der viele aus nichtigem Anlass in „Schutzhaft" genommen wurden, oft unter dem Vorwand, sie vor dem Volkszorn schützen zu wollen. Die SA wurde als Hilfspolizei eingesetzt, und die NSDAP-Kreisleitung in Bad Soden entschied mit über das Schicksal der Betroffenen, was der Willkür Tür und Tor öffnete.Wenn es zu keiner Anklage kam, wurde die Entlassung aus der oft mehrwöchigen “Schutzhaft” mit Auflagen verbunden: Die Betroffenen mussten sich schriftlich verpflichten, sich nicht mehr politisch zu betätigen. Sie mussten sich oft täglich bei der Polizei melden oder es wurde ihnen verboten, sich im Main-Taunus-Kreis aufzuhalten. Ein besonders gravierender Fall von Willkür trat in Hochheim auf. Dort war der SA-Mann Biron am 16. August 1933 angeblich überfallen worden. Daraufhin wurden insgesamt 23 Personen vom 23. August 1933 an mehrere Tage, teilweise bis zum 6. September 1933, in “Schutzhaft” genommen. Die meisten davon waren Mitglieder des Reichsbanners bzw. der SPD. Zu einer Anklage kam es nicht, weil der Staatsanwalt später feststellte, dass der Überfall gar nicht stattgefunden hatte. Der drohenden Verhaftung und Verfolgung haben sich wie Wilhelm Apel jr. auch andere politisch exponierte Personen entzogen, wie zum Beispiel der sozialdemokratische Journalist Jakob Altmaier aus Flörsheim, der 1933 emigrierte, nach Kriegsende zurückkehrte und 1949 SPD-Bundestagsabgeordneter wurde.

Das „Ermächtigungsgesetz" vom 23. März 1933 gab Hitler alle Vollmachten zur Ausschaltung seiner politischen Gegner. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 ermöglichte es, allen Gegnern ihren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst zu nehmen, selbst wenn sie nur untergeordnete Aufgaben wahrnahmen. So wurden zum Beispiel der Bahnunterhaltungsarbeiter Franz Krebs, SPD-Stadtverordneter in Hofheim, und der Schleusenwärter Paul Hoffmann, Flörsheim, im Juni 1933 als politisch unzuverlässig fristlos entlassen. Zur Konsolidierung ihrer Macht verboten die Nationalsozialisten ab Mai 1933 die freien Gewerkschaften, die politischen Parteien und die ihnen nahe stehenden Organisationen. Dies hatte zur Folge, dass die dort Beschäftigten ihren Arbeitsplatz verloren, wie zum Beispiel die damaligen Kreistagsabgeordneten Heinrich Weiß und Peter Nida, SPD, die beide Gewerkschaftssekretäre waren. Wilhelm Holzapfel, ebenfalls SPD-Kreistagsabgeordneter, wurde zum 1. Oktober 1933 wegen “staatsfeindlicher Einstellung” von der Konsumgenossenschaft Höchst entlassen.

Sozialdemokratischer Widerstand

Nach dem Verbot der SPD am 22. Juni 1933 organisierten die ins Exil gegangenen Mitglieder des Parteivorstandes und der Reichstagsfraktion zunächst von Prag aus die Exil-SPD (Sopade) und versuchten von außen, die Verbindung zu den Parteimitgliedern im Reich zu erhalten und mit ihnen politische Informationen auszutauschen. Der Exil-Parteivorstand gab die zur illegalen Verteilung im Reich bestimmte „Sozialistische Aktion" heraus und veröffentlichte die aus Deutschland gesammelten Berichte, die ihre Mitglieder im Untergrund über die tatsächliche Lage im Reich lieferten, als „Deutschland-Berichte der Sopade".

Durch illegale Treffen im Saarland und in den Niederlanden stellte Paul Apel, der frühere Geschäftsführer des Reichsbanners für Hessen und Nassau, ab 1933 die Verbindung zur Exil-SPD her. Im Herbst 1933 begann er, der als Versicherungsvertreter und Werber für Zeitschriftenabonnements ohne Verdacht zu erregen viel reisen konnte, im Rhein-Main-Gebiet einen illegalen Verteilerring für die „Sozialistische Aktion" aufzubauen. Zunächst in Hanau, ab 1934 auch im Main-Taunus-Kreis und in Wiesbaden gewann Apel unter seinen früheren Mitstreitern des Reichsbanners Unterverteiler für das Informationsblatt, so auch Peter Nida und Paul Kirchhof, der in Okriftel geboren und aufgewachsen ist und nach dem Krieg SPD-Stadtverordneter in Frankfurt wurde, von 1948 bis zu seinem Tod 1953 als Fraktions-Vorsitzender. Zur Widerstandsgruppe um Paul Apel gehörte auch der Sozialdemokrat Adam Treber, bis 1933 Gemeindevertreter in Hochheim und nach dem Krieg von den Amerikanern als Bürgermeister von Hochheim eingesetzt. In dessen Gaststätte „Zur Eintracht" fanden ab 1934 konspirative Treffen der Gruppe statt, bei denen die Verteilung der „Sozialistischen Aktion" in Wiesbaden, Mainz und im Main-Taunus-Kreis abgesprochen wurde. Auch in Kronberg und Bad Soden fanden illegale Treffen von Paul Apel und Paul Kirchhof mit dortigen Mitgliedern des Reichsbanners und der SPD statt. Im Juni 1935 passierte Paul Kirchhof bei einer Kurierfahrt mit dem Motorrad ein folgenschweres Missgeschick: Er verlor die Aktentasche, in der die für die einzelnen Orte seines Bezirkes bestimmten Exemplare der „Sozialistischen Aktion" enthalten waren. Die Aktentasche geriet in die Hände der Gestapo, die Paul Kirchhof durch das von einem Denunzianten festgestellte Motorrad-Kennzeichen identifizieren konnte. Da er als Mitglied des Reichsbanners bekannt war und dessen Organisation im Rhein-Main-Gebiet - wie oben erwähnt - schon vor 1933 durch die Polizei ermittelt wurde, hatte es die Gestapo relativ einfach, den größten Teil des Verteilerrings aufzudecken. Paul Kirchhof wurde am 2. Oktober 1935, Adam Treber am 3. Oktober, Peter Nida am 15. Oktober und Paul Apel am 3. Dezember 1935 verhaftet. Insgesamt wurden im Rhein-Main-Gebiet über 100 Personen der von Paul Apel gesteuerten illegalen Organisation verhaftet.

Die folgenden Prozesse gegen die Widerstandsgruppe wegen des Aufbaus einer illegalen SPD und damit der „Vorbereitung zum Hochverrat" fanden vor dem Oberlandesgericht Kassel statt. Zu den Angeklagten aus dem Main-Taunus-Kreis gehörten: aus Bad Soden: Heinrich Dosse, Fritz Lagemann, Johann Malinowski, Karl Sammel, Hermann Bender. Aus Hochheim: Adam Treber, Georg Engerer, Josef Schäfer, Josef Krämer. Aus Hattersheim: Peter Nida. Paul Apel wurde Anfang 1936 zu acht Jahren, Paul Kirchhof zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Adam Treber zum Beispiel wurde mit zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis, Heinrich Dosse mit zweieinhalb Jahren und Peter Nida mit einem Jahr und drei Monaten Gefängnis bestraft. Die Widerstandsgruppe um Paul Apel war durch die Verhaftungen und Verurteilungen praktisch vollständig zerschlagen worden.

Für einige der Gruppe endete die Verfolgung auch nach der Verbüßung der Strafen noch nicht. Zum Beispiel wurde Peter Nida nach der Entlassung aus dem Gefängnis im Mai 1937 am 25. April 1941 erneut in Schutzhaft genommen und am 13. Mai 1941 in Untersuchungshaft eingeliefert. Ihm wurde jetzt vorgeworfen, dass er sich vom Herbst 1940 bis zum Frühjahr 1941 gegenüber Bekannten und am Arbeitsplatz, der Druckerei Brönner in Frankfurt, wiederholt abfällig über das NS-Regime geäußert, die schlechte Wirtschaftslage in Deutschland beklagt und behauptet habe, die „englischen Arbeiter lebten besser". Der Strafsenat des Oberlandesgerichtes Kassel verurteilte ihn am 18. Juli 1941 erneut wegen Vorbereitung zum Hochverrat, diesmal zu drei Jahren Gefängnis. Die Strafe verbüßte Peter Nida bis zum 18. Juli 1944 im Strafgefängnis Frankfurt-Preungesheim. Anschließend wurde er der Polizei übergeben, die ihn in Schutzhaft nahm und am 11. November 1944 in das KZ Dachau überführte, wo er am 6. März 1945 ums Leben kam. Während der NS-Zeit musste Peter Nida bis zu seinem Tod wegen seiner ungebrochenen demokratischen Überzeugung insgesamt rund fünf Jahre und acht Monate in Schutzhaft, Untersuchungshaft, im Gefängnis und KZ verbringen.

Verfolgung weiterer politischer Gegner der NS-Diktatur

Das Hessische Staatsarchiv hat die Akten aller hessischen Archive über die NS-Zeit ausgewertet und alle relevanten Daten personenbezogen in der Datenbank „Widerstand und Verfolgung unter dem Nationalsozialismus in Hessen" erschlossen. Darin sind ca. 120 politisch verfolgte Personen mit Bezug zum Main-Taunus-Kreis enthalten, davon ca. 55, die der SPD zuzurechnen sind oder ihr vermutlich nahe standen, und ca. 60 Personen, die der früheren KPD angehörten oder mit ihr sympathisierten. Der Anteil anderer Parteien der Weimarer Republik ist in dieser Datenbank sehr gering (zweimal Zentrum, viermal Sonstige).

Der kommunistische Widerstand war besonders stark in den Orten Hattersheim/Okriftel, Hofheim und Sulzbach/Schwalbach vertreten. In den Jahren 1935 bis 1937 fanden mehrere Prozesse statt, in denen ehemalige Mitglieder der verbotenen KPD angeklagt wurden, eine illegale Ortsgruppe der KPD durch Einsammeln von Mitgliedsbeiträgen, Annahme von illegalen Schriften oder Verteilen von Flugblättern unterstützt zu haben. Aus Hattersheim/Okriftel waren es insgesamt 16 Angeklagte, in Hofheim 10 und in Sulzbach/Schwalbach 8. Die wegen der „Vorbereitung zum Hochverrat" verurteilten Angeklagten erhielten teilweise hohe Zuchthausstrafen, zum Beispiel Georg Vonhof aus Hattersheim vier Jahre, der frühere Kreistagsabgeordnete Peter Oeffner aus Hattersheim drei Jahre und sechs Monate, Karl Schumann aus Hofheim fünf Jahre und Georg Vögele aus Sulzbach viereinhalb Jahre. Karl Schumann wurde nach Verbüßung der Zuchthausstrafe 1941 ins KZ Dachau eingewiesen, wo er am 8. Mai 1945 von den Amerikanern befreit wurde. Georg Vögele kam nach Verbüßung der Zuchthausstrafe 1941 in das KZ Sachsenhausen, wo er am 28. Oktober 1942 ums Leben kam.

Bemerkenswert ist, dass die Bestrafung der ehemaligen KPD-Mitglieder generell wesentlich schärfer war als bei vergleichbaren „Delikten" von SPD-Mitgliedern. Zuchthausstrafen wurden bei Prozessen gegen KPD-Anhänger von der NS-Justiz wesentlich häufiger verhängt, nicht nur im Main-Taunus-Kreis. Ein Grund war sicher, dass die Nationalsozialisten die Kommunisten als ihre gefährlichsten Gegner einstuften. Sie waren relativ gut organisiert, planten den revolutionären Umsturz in Deutschland und waren nach Meinung der Nationalsozialisten die Verbündeten Stalins und des Bolschewismus, den sie von Anfang an als ihren Todfeind betrachteten. Nicht alle politisch Verfolgten waren während der Weimarer Republik in einer Partei organisiert, aber alle, die dem NS-Regime ablehnend gegenüber standen oder auch als Sympathisanten von verbotenen Parteien galten, mussten mit Verfolgung rechnen. Oft reichte die Verleumdung eines NS-Funktionärs, um missliebige Bürger wegen ihrer „staatsgefährdenden" Haltung vor Gericht und ins Gefängnis zu bringen. Einen eindrucksvollen Fall aus Eppstein hat Emmy Meixner-Wulker in ihrem Buch „Zwiespalt" geschildert, in dem sie über das Schicksal ihres Vaters Paul Schiemann berichtet, der 1937 als angeblicher KPD-Anhänger zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde, im Januar 1945 zusammen mit seiner Frau Louise nochmals in Untersuchungshaft kam, und der am 18. Mai 1945 an den Folgen der Gefangenschaft im Zuchthaus Straubing starb. Mit den zunehmenden Niederlagen im Krieg verschärften die Nazis den politischen Druck im Innern. Das Abhören von „Feindsendern" oder die kritische Diskussion der militärischen Lage am Arbeitsplatz wurden zu Kapitalverbrechen. Als Beispiel sei der Fall des Mechanikers Ferdinand Hartmann aus Hochheim genannt, der bei der Firma Messer in Griesheim arbeitete und am 19. April 1943 im Rahmen der „Aktion gegen kommunistisch-marxistische Kreise" an seinem Arbeitsplatz verhaftet und noch am 8. Dezember 1944 vom Volksgerichtshof zu einer Zuchthausstrafe von 4 Jahren verurteilt wurde.

Über die beiden NS-Landräte des Main-Taunus-Kreises, Janke und Brunnträger, ist schon viel geschrieben und geredet worden, besonders im Zusammenhang mit ihren Fotos, die viele Jahre im Kreishaus hingen und erst 1999 entfernt wurden. Im Vergleich dazu ist über diejenigen, die im Main-Taunus-Kreis dem NS-Regime und seinen Repräsentanten Widerstand leisteten, sehr wenig bekannt, zum Beispiel auch nicht, dass es vier Kreistagsabgeordnete aus der Zeit vor 1933 gab, die wegen ihrer politischen Überzeugung ihren Arbeitsplatz verloren und wegen ihres Widerstandes gegen die Nationalsozialisten angeklagt und verurteilt wurden, in Schutzhaft und ins Gefängnis oder Zuchthaus kamen oder ins KZ. Es waren von der SPD Josef Kramer, Hochheim; Peter Nida, Hattersheim; Heinrich Weiß, Hofheim-Marxheim; und von der KPD Peter Oeffner, Hattersheim. Es wäre ungerecht, wenn ihr Handeln und ihr Schicksal in Vergessenheit geraten würde.

Quellen

- Bund Deutscher Pfadfinder (BDP / BDJ): … als wenn nichts gewesen wäre. Fragen an Zeitzeugen zu ihrem Leben im Faschismus. Dokumente aus Bad Soden, Schwalbach und Hofheim, 2. erwt. Aufl., Schwalbach, 1987
-Becker, Peter: Anmerkungen zu Mirjam Flörsheimer, Geschichte und Geschichten, 1900-1950, Flörsheim am Main, 2001
- Benz, Wolfgang: Geschichte des Dritten Reiches München, 2000
- Knigge-Tesche, Renate u Ulrich, Axel: Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933-1945, Frankfurt a M , 1996
- Koch, Rainer: Der Main-Taunus-Kreis von 1928 bis zur Gebietsreform, Rad und Sparren, Zeitschrift des Historischen Vereins Rhein-Main-Taunus e. V., Heft 32, Kelkheim, 2003
- Kopper, Christopher: Das Hakenkreuz über der Kronberger Burg - Politik, soziale Verhältnisse und Wirtschaft Kronbergs am Ende der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Eine Kleinstadt am Taunus zwischen gescheiterter Demokratie, Diktatur, Widerstand, Krieg und Befreiung. Dortmund, 1990
- Meixner-Wulker, Emmy: Zwiespalt. Jugend zwischen NS-Erziehung und –Verfolgung, Hamburg, 1988
- Jost, Valentin (Hrsg): Main-Taunus-Almanach 1967+1968, Frankfurt-Höchst, 1968
- Schiele, Werner: Auf roten Spuren. Die Geschichte der Sozialdemokratie in Florsheim am Main, Florsheim, 1988
- Schmidt, Anna: Hofheim 1933-1945. Forschungsbericht und Quellensammlung i. A. des Magistrats der Stadt Hofheirn Hofheim, o. Ja.
- Ulrich, Axel: Freiheit. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und der Kampf von Sozialdemokraten in Hessen gegen den Nationalsozialismus 1924-1938. Frankfurt a M., 1988
- Volkshochschule Main-Taunus-Kreis: Die Landräte des Main-Taunus-Kreises in der NS-Zeit. Dokumentation der Geschichtswerkstatt, Sept. 2000 - März 2001 Hofheim, 2001
- Verwaltungsberichte des Kreisausschusses des Main-Taunus-Kreises für die Jahre 1928 bis 1935
- Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt 425, und Datenbank „Widerstand und Verfolgung unter dem Nationalsozialismus in Hessen"

Aus: Zwischen Main und Taunus – MTK-Jahrbuch 2005 - mit freundlicher Erlaubnis des Autors
25.6.05

Am 2. Mai 1933 wurden die Gewerkschaften verboten! Webmaster