Soden und Sulzbach am Ende ihrer Reichsfreiheit
CONSTANZE RADERMACHER

Einleitung

Am Ende der Französischen Revolution waren die Monarchien Europas in ihren Grundfesten erschüttert. General Napoleon Bonaparte nutzte diese Situation für seinen Aufstieg und setzte sich an die Spitze der französischen Republik. Um die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit voranzutreiben, setzte Napoleon mit seinen Truppen im Jahre 1800 über den Rhein. Napoleon war von der Arroganz der europäischen Aristokratie unbeeindruckt. Hinter ihm stand eine „Nation freier Bürger", die bereit waren, für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu sterben. Rußland, Großbritannien, Österreich, das Osmanische Reich, das Königreich Neapel und der Kirchenstaat hatten sich dagegen zur sogenannten „Zweiten Koalition" zusammengetan.

Napoleon bewies sich nicht nur als hervorragender Soldat, sondern auch als geschickter politischer Taktiker: er zitierte nicht nur die Österreicher an den Verhandlungstisch, sondern alle Fürsten des Deutschen Reiches. Im Jahre 1801 unterschrieben sie den Vertrag von Luneville, in dem sie auf alle linksrheinischen Territorien verzichteten, die Österreich zuvor im Vertrag von Campio Formio am 17. Oktober 1797 bereits an Frankreich abgetreten hatte. Dem Vertrag von Luneville im Jahre 1801 folgten die Verhandlungen zum Reichsdeputationshauptschluß vom 25. März 1803. Diese Zeit war für die Reichsdörfer Soden und Sulzbach im Bezug auf den Verlust ihrer Reichsfreiheit sowie eigenen Gerichtsbarkeit besonders schwer.

Was man unter „Reichsdörfern" versteht

Soden und Sulzbach werden in den Geschichtsbüchern als „Reichsdörfer" bezeichnet. Doch was versteht man unter „Reichsdörfern" eigentlich? Eine umfassende und lückenlose Darstellung der Entwicklung der Dörfer Soden und Sulzbach zu „freien Reichsdörfern", wie sie in wissenschaftlichen Arbeiten bezeichnet werden, hat bis heute noch nicht erfolgen können. Die Geschichtsforschung ist sich im Fall von „Reichsdörfern" einig, daß sich infolge der Territorialisierung vereinzelte Reichsflecken ihre Reichsunmittelbarkeit bewahren konnten und keiner Landesherrschaft unterworfen waren. Grundsätzlich waren die „Reichsdörfer" von grundherrlichen Lasten befreit und besaßen einen großen Teil an der Gerichtsbarkeit. Besonders im Fall der Reichsdörfer Soden und Sulzbach bestand von Seiten der Dorfbewohner ein deutliches Mitspracherecht bezüglich der Erhaltung und Wahrung der kaiserlichen Privilegien.

Die Privilegien

Als bedeutendes Ereignis in der Geschichte der Reichsdörfer Soden und Sulzbach sei das Jahr 1434 genannt, in dem Kaiser Siegmund den Dörfern ein Privileg über ihre Reichsunmittelbarkeit und freie Gerichtsbarkeit ausstellte. Mit diesem Privileg war die besondere Bindung zum Kaiser unwiderruflich besiegelt und keine andere Herrschaft sollte es wagen, diese Bindung durch eigene Ansprüche zu untergraben. Jedoch führte ein Ereignis im Jahre 1450 dazu, daß die Reichsdörfer unter die Herrschaft der Stadt Franfurt gerieten. Aufgrund einer Fehde zwischen Frankfurt und dem Ritter Michael von Bickenbach begaben sich die Dörfer im Gegenzug für 800 Gulden in den Untertanenstatus an Frankfurt, um der Brandschatzung durch den Bickenbacher zu entgehen. Die Einwohner der beiden Dörfer verpfändeten sich selbst, ihren Besitz und ihre Nachkommen, bis zum Zeitpunkt der Rückzahlung an den Rat der Stadt. Dieser Status währte bis zum Jahr 1618. Die Frankfurter Quellen, Bürgermeisterbücher, Ratsprotokolle und das Rechneibuch von 1618, dokumentieren eindeutig die Rückzahlung von 840 Gulden am 10. November 1618. Nach Ende des Dreißigjährigen Krieges trat Kurmainz mit Frankfurt im Jahre 1650 die gemeinschaftliche Nachfolge von Kurpfalz an. In einem Vertrag wurden die verschiedenen Rechte und Pflichten von Kurmainz und Frankfurt bei der Verwaltung der Dörfer auf das genaueste festgehalten. Kurmainz und Frankfurt verlangten von den Dörfern Huldigungen. Außerdem bezeichneten sich beide Herrschaften als „Landesherren". Zuvor war immer nur von der „Herrschaft" oder der „Obrigkeit" die Rede. Formal blieb die Landeshoheit des Kaisers sichergestellt.

Der Reichsdeputationshauptschluß 1803

Der Reichsdeputationshauptschluß vom 25. März 1803 änderte schließlich die Situation der beiden Gemeinden grundlegend. Die Besitznahme der beiden Dörfer erfolgte, nach einem Bericht des Sulzbacher Oberschultheißen Heinrich Joseph Catta (1796/97 und 1803-1806), durch eine Kommission Nassaus schon am 16 Oktober 1802. Die Bestimmungen der Reichsfriedensdeputation waren für Soden und Sulzbach - bis zu diesem Zeitpunkt besaßen sie noch die Privilegien der Reichsfreiheit und freien Gerichtsbarkeit - weitaus gravierender, als in den Auseinandersetzungen mit Kurpfalz und während der Doppelherrschaft von Kurmainz und Frankfurt, in den Jahrhunderten zuvor. Nassau-Usingen zeichnete sich im Gegensatz zu Frankfurt und Kurmainz nicht durch Gewalt und Einschüchterung aus, sondern durch eine starke Verwaltung und Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den Dorfregierungen. Die beiden nassauischen Fürstentümer Usingen und Weilburg wurden zu Nutznießern der territorialen Neuordnung im Reichsdeputationshauptschluß von 1803. Soden und Sulzbach verloren bei der Übergabe an die Herrschaft Nassau-Usingen nicht nur ihre grundherrschaftliche Unabhängigkeit und freie Gerichtsbarkeit und damit ihre Reichsfreiheit, auch Frankfurt verlor durch den § 27 RDH mit Soden und Sulzbach seinen Herrschaftsanteil, den es seit dem Jahr 1282 zu sichern suchte. Was Frankfurt alles verloren hat, läßt sich mit Hilfe eines überlieferten Berichts aus dem Jahre 1803 nachvollziehen.

Erst ab den Jahren 1802/03, im Zuge der Auswirkungen der Bestimmungen des Reichsdeputationshauptschlusses, existieren statistische und tabellarische Aufstellungen, die Auskünfte über Einwohnerzahlen, Berufe, Handwerke, Ackerbau, Viehzucht sowie Religion der einzelnen Dorfschaften geben. Catta fertigte eine tabellarische Aufstellung über Soden und Sulzbach an. Diese Aufstellung aus Sulzbach führt zur Schlußfolgerung, daß der Begriff „Bauer" als einheitliche Bezeichnung der Einwohnerschaft der Reichsdörfer zu Fehlinterpretationen geführt hat, denn nach der Rückzahlung der Pfandverschreibung vom 10. November 1618, sowie der Herausgabe des Schriftstucks der Original-Pfandverschreibung und der Truhe mit den Privilegien im Jahre 1656, waren die Sodener und Sulzbacher juristisch keine Untertanen mehr. Das war 1650 und erneut 1656 im „ Bergstrasser Recess" vertraglich festgelegt worden. Im Gegensatz zu den Bewohnern der acht umliegenden Dörfer Bonames, Bornheim, Dortelweil, Niedererlenbach, Hausen, Oberrad, Niederrad und Niederursel, die in der Literatur des 18 Jahrhunderts als „Untertanen" bezeichnet werden, werden die Einwohner von Soden und Sulzbach in Cattas Berichten als „Nachbarn" bezeichnet. Catta bezeichnete die Bewohner der beiden Dorf er als „angestellte Dienerschaft" Diese „angestellte Dienerschaft" setzte sich zusammen aus „Bauern" und „Professionisten". Das Handwerk war neben der Land- und Viehwirtschaft in beiden Dorfern vielfältig vertreten. In den Orten gab es Bäcker, Müller (Sulzbach), Schreiner, Strumpfweber, Schuhmacher, Schmiede, Wagner, Leinenweber, Schneider, Sattler, Metzger, Maurer, Zimmerleute, Krämer und Musikanten. Sogar eine Form der intellektuellen Schicht war vertreten, die Chirurgen. Der Wirt hatte in den Dörfern ebenfalls nicht gefehlt. Hinzu kam in jedem Dorf ein Schultheiß, ein Schäfer und ein Kuhhirte. Diese Vielfältigkeit an Handwerken verdeutlicht, daß nicht nur Bauern und Tagelöhner die Dörfer bewohnten. Damit ist eine weitgehende ökonomische Unabhängigkeit der Dorfbewohner bewiesen.

Fazit

Was läßt sich nun zusammenfassend über die Dörfer Soden und Sulzbach am Ende des Jahres 1803 sagen? Die beiden Dorfschaften haben es bis zu diesem Jahr vollbracht - im Gegensatz zu den benachbarten Dörfern - trotz häufiger, kämpferisch wechselnder Machtverhältnisse ihre kaiserlichen Privilegien zu bewahren. Die Privilegien der Dörfer Soden und Sulzbach, reichsfrei und reichsunmittelbar zu sein, standen immer in enger Bindung zum Kaiser, das heißt, solange es einen Kaiser und ein Heiliges Römisches Reich gab, besaßen diese Privilegien ihre Gültigkeit. Im Jahre 1803 war das Heilige Römische Reich nur noch die Hülle eines ehemals politischen Gefüges in Westeuropa, das vom Hochmittelalter bis zum Jahre 1806 bestand. Die verfassungsrechtlichen Bestimmungen im Frieden von Lunéville 1801 und im Reichsdeputationshauptschluß 1803 haben die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches 1806 damit vorgezeichnet. Am 11. August 1804, um im Rang nicht Napoleon, dem Kaiser der Franzosen, nachzustehen, proklamierte Franz II. die österreichischen Erblande zum Kaisertum Österreich. Nach dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803 und der Gründung des Rheinbundes am 12. Juli 1806 und dem damit verbundenen Austritt einiger deutscher Staaten aus dem Reichsverband, legte Franz II. am 6. August die römisch-deutsche Kaiserwürde nieder und besiegelte damit das Ende des Alten Reiches. Die Geschichte Sodens und Sulzbachs, von ihrer Schenkung im Jahr 1035 an das Kloster Limburg an der Haardt, über die Erlangung ihrer Privilegien der Reichsfreiheit und eigenen Gerichtsbarkeit seit 1433, bis zu ihrem Ende als Reichsdörfer im Jahre 1802/03, dokumentiert nur ein Schicksal, das mit dem Ersten Koalitionskrieg gegen Frankreich 1792 beginnt und schließlich mit dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches 1806 endet.

Quellen

Auf die Wiedergabe der Quellen wird an dieser Stelle verzichtet und auf den Originalbeitrag, S. 41 des MTK-Jahrbuches, verwiesen.

MTK-Jahrbuch 2006 - mit freundlicher Erlaubnis der Herausgeber