Die Schwalbacher Schulchronik 1817 - 1867
RICHARD   PETERS

Die Schwalbacher Schulchronik besteht aus zwei Bänden, beide in braunem Leder gebunden. Der erste Band ist mit einem in Blattgold aufgetragenen Text beschriftet: 50 Jahre Schule in Schwalbach. Band 1. 1817 - 1867. Er enthält auf 159 Seiten Eintragungen aus den Jahren 1817 bis 1867. (Der zweite Band beginnt mit Eintragungen aus dem Jahr 1859 und schließt am 31. Juli 1986.) In diesem Beitrag wird vom ersten Band berichtet.

Grundlage für die Führung einer Chronik an der Elementarschule in Schwalbach (damals Kleinschwalbach) war die Anweisung der Herzoglichen Landesregierung an den zuständigen Schulinspektor, den Landdechanten Brand zu Weiskirchen am 12. August 1820, auf die Führung von Schulchroniken hinzuwirken. Dieser Pfarrer Brand wurde dann im Jahre 1827 der erste Bischof des neu gegründeten Bistums Limburg. Bereits 1819 wurde durch ein Generalrescript (Rundschreiben) das Anlegen einer solchen Chronik vorgeschrieben. Dem vorausgegangen war das Schuledikt vom 29. März 1817, mit dem das Schulwesen im Herzogtum Nassau neu geordnet werden sollte. In dieser Chronik sind nicht nur wichtige schulische Dinge vermerkt, sondern auch politische Ereignisse, Dinge des täglichen Lebens wie Ernteergebnisse, Preise für Lebensmittel und landwirtschaftliche Produkte, sowie Wetter und Krankheiten bzw. Epidemien.

Die ersten nachweisbaren Schulraume befanden sich im Obergeschoß der "Unterpforte" bis ungefähr 1794. Diese Pforte stand an der Straße nach Frankfurt, etwa an der heutigen Kreuzung Hauptstraße/Ringstraße, eventuell noch etwas weiter am Bach. Diese Pforte wurde 1819 abgebrochen, weil sie zu schmal war. Bereits 1792 wurde ein Schulhaus "neben dem Brunnen" erbaut, welches heute noch an der Hauptstraße steht, leider in einem sehr desolaten Zustand. Im zweiten Band ist dann zu lesen, daß das Schulgebäude in der Schulstraße, welches heute als Vereinshaus dient, 1834 erbaut und ab 1835 genutzt wurde. Beim Richtfest für die jetzige Geschwister-Scholl-Schule am Ortsausgang wurde am 2. Juli 1955 auch der Grundstein gelegt.
Vor der Reorganisation 1817 verdiente ein Lehrer im Jahr 135 Gulden und 57 Kreuzer. Die Besoldung bestand aus Bargeld aus der Gemeindekasse und "Geldwerte", wie z. B. die Wohnung und auch Frucht; z. B. "5 Malter Hafer, die der Lehrer auf dem Felde sammeln musste". Dieses wurde in der Rechnung mit 10 Gulden bewertet. In dieser Besoldung war eingeschlossen Barbezahlung aus der Kirchenkasse für die Dienste als Organist, Vorsänger, Glöckner und Küster. Bereits im Jahre 1823 betrug das jährliche Salär dann schon 218 Gulden, wovon 120 Gulden bar aus der Gemeindekasse gezahlt wurden. Eingeschlossen war die Barzahlung aus dem Kirchenfonds von 52 Gulden und 23 Kreuzer. Im Jahre 1859 war dann das Jahressalär für den Lehrer 400 Gulden und für den Lehrgehilfen 200 Gulden. Im Jahre 1826 schrieb der damalige Lehrer Rach, daß der erste Lehrer, Melchior Schulnick, bis 1785 der Schule vorstand. "Er arbeitete ohngefahr bis ins Jahr 1785 an hießiger Schule, wo er dann das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselte." Im Jahre 1850 gibt es einen Eintrag über die Lehrer:

    Bis zum Jahr 1785 Melchior Schulnick aus Wasserlos bei Aschaffenburg
    von da bis 1800 Joseph Muller aus Kiepsau an der Jagst, gest. 1822 als Reallehrer in Höchst
    von 1800 bis 1817Adam Peiter, Lehrer von hier mit 132 fl 57 kr Besoldung
    von 1817 bis 1823 derselbe mit 250 fl Besoldung, gest. 1823 mit 44 Jahren
    von 1823 bis 1825 Lehrer Becker aus Zeilsheim mit 218 fl, gest. 1825 mit 24 Jahren
    von 1825bis 1850 Lehrer Räch aus Höchst mit 220 fl Besoldung
    von 1847 bis 1849 Lehrgehilfe Eifel aus Hintermeilingen
    von 1849 bis 1850 (und noch länger) Lehrgehilfe Gauschemann
     

Im gleichen Jahr (1850) gibt der Chronist einen interessanten Überblick:
Die hiesige Schule zählte

    im Jahre 1825 99 Schüler
    im Jahre 1830 125 Schüler
    im Jahre 1835 111 Schüler
    im Jahre 1840 112 Schüler
    im Jahre 1845 136 Schüler
    im Jahre 1850 157 Schüler

1827 berichtet Lehrer Rach, dass am Anfang des Winters die Röteln ausbrachen und den Winter über anhielten. "Die Schule konnte deshalb nicht regelmäßig gehalten werden, indem von 119 Kindern noch 6 zu dem Unterricht erschienen". 1845 hatte die Lehrerfamilie die Blattern und es wurde eine sechswöchige Quarantäne verhängt. Im darauffolgenden Winter grassierten wieder die Röteln und die Schule wurde vier Wochen geschlossen. Vier der 131 Schulkinder verstarben.

Im Jahre 1828 wurden für die 3. und 4. Klasse im gesamten Herzogtum Nassau neue Schulbücher eingeführt. Diese mussten von den Schülern bzw. Eltern gekauft werden. 18 Bücher wurden hier kostenlos an Kinder unbemittelter Eltern verteilt. Von Zeugnissen wird nichts berichtet. Allerdings: Es gab eine Frühlingsprüfung, die von dem Schulinspektor und dem Schulvorstand, und es gab eine Herbstprüfung, die vom Ortspfarrer und dem Schulvorstand abgehalten wurden. Nach der Frühlingsprüfung wurden die Kinder der obersten Klassen entlassen und neue Kinder in die erste Klasse aufgenommen. Der Schulvorstand bestand aus dem Ortsgeistlichen, dem Schultheissen und zwei bis drei weiteren Personen.

Die so genannten Lehrgegenstände waren: Religion, Leibliche Geschichte, Lesen, Sprachunterricht, Denkübungen, Notengeschichte, Naturlehre, Geografie. Das Wesentliche aus der Weltgeschichte, Kopfrechnen, Zifferrechnen, Schönschreibunterricht, Formenlehre, Zeichnen und Gesangslehre.

Durch Rundschreiben wurden allerlei Anregungen und Anordnungen bekanntgegeben, um den Schülern weitere Kenntnisse zu vermitteln. So wurden Schulgärten und Baumschulen angelegt, in Bienenzucht und Weinbau unterrichtet. Auch der Anbau von Maulbeerbäumen und die Seidenraupenzucht wurden gelehrt. Für besondere Erfolge wurden Geldpreise ausgesetzt. Hauptsächlich für die Mädchen wurde Spinnen gelehrt. Dieses geschah vorwiegend nachmittags durch so genannte Industrielehrerinnen. Auch hier wurden für eingereichte Proben Geldpreise vergeben.

Ab 1839 wurden für männliche Jugendliche von 14 bis 18 Jahren Sonntags- und Abendschulen eingerichtet, "um diese besser auf das Leben vorzubereiten". Ein großes Problem war anscheinend das Fernbleiben der Kinder von der Schule. Besonders im Sommer wurden diese nämlich für die Feldarbeit benötigt. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, wurden Geldstrafen verhängt. Die Sommerferien wurden wegen der im Dorf vorwiegend betriebenen Landwirtschaft in Übereinstimmung mit der Ernte gegeben. Der Lehrernachwuchs wurde in den Lehrerseminarien in Idstein und Montabaur ausgebildet. Um dem Mangel an qualifizierten Lehrern vorzubeugen, gab es Stipendien für unbemittelte Studenten. Die Seminaristen waren 14- bis 16-jährige Aspiranten. Die Eltern mussten eine Erklärung abgeben, dass sie während der dreijährigen Dauer des Seminars für den Unterhalt der Lehramtskandidaten sorgen würden.

Die verschiedensten Rescripte = Rundschreiben befassten sich mit:

    Die Verteilung der Preise für Bienenzucht, Obst- und Gartenbau.
    Die Förderung des Seidenanbaues im Herzogtum Nassau. (Maulbeerbaumanzucht)
    Geldstrafen für Eltern wegen Schulversäumnisse der Kinder.
    Die Gefahren des Einsperrens von Kindern. Die Lehrer wurden angewiesen, die Kinder nicht einzusperren, sondern sich durch pädagogische Mittel Respekt und Disziplin bei den Schülern zu erwerben.
    Die übertriebene Spiel- und Vergnügungssucht und Zeitvergeudung der Schuljugend.
    Die Unterrichtszeit und die Ferien in den Volksschulen.
    Lesezirkel für Lehrer und Portofreiheit für die Büchersendungen.
    Die Preisstiftung eines Vermögens für Losungen von Preisaufgaben durch Lehrer
    Das von Kindern der Nichtortsansässigen zu erhebende Schulgeld.
    Die Entlassung der Schüler aus den Volksschulen
    Die körperliche Beschaffenheit derjenigen, die Schullehrer werden wollen.
    Beschwerde über die Handhabung der Schulzucht der Elementarlehrer.
    Anschaffung eines "Bauerschen Atlasses" für jede Schulgemeinde.

Offensichtlich war manche Gemeinde mit der Bezahlung für die Lehrer im Rückstand und diese konnten die Bar- oder Fruchtbesoldung nicht eintreiben. Es war sicher ziemlich schwierig und erniedrigend für die Lehrer, bei der Gemeinde die fälligen Zahlungen anzumahnen. Daher hat der Schulinspektor 1829 angeordnet, dass solche Fälle zu melden seien und von dort die Mahnung betrieben wurde. Falls der Lehrer die Anzeige nicht unverzüglich erstattet, wird er mit einer Geldstrafe belegt. Dieses wurde sicher zum Schutz der Lehrer angeordnet, die sich dann auf diese Bestimmung berufen konnten.

Die 1835 erbaute Schule in der Schulstraße. 1835 wurde lediglich der linke Teil erbaut. Der rechte Teil mit dem Türmchen wurde später (1896) hinzugefügt. (Foto Stadtarchiv Schwalbach)

Wie schon vorher erwähnt, befassten sich die Aufzeichnungen der Lehrer in der Schulchronik auch mit nichtschulischen Dingen So wird berichtet „Im Laufe des Jahres 1829 hatten die hiesigen Ortsbewohner das Glück, wieder ihre große Glocke tönen zu hören. Diese war im Jahr 1827 bei dem  Trauergeläute unserer Landesmutter, der Herzogin von Nassau, zersprungen und wurde erst in diesem Jahr fertig."

Das  Ableben  von  Herzog  Wilhelm  und  der Regierungsantritt des Nachfolgers, Herzog Adolf, und  besonders die damit  verbundene "Staatstrauer" nimmt in einem Rescript vom 21. August 1839 breiten Raum ein. So mussten z.B. sechs Wochen  lang täglich von 12 bis 13 Uhr die Kirchenglocken geläutet werden. Sechs Wochen lang durfte während  der Gottesdienste keine Orgel gespielt werden. Öffentliche Lustbarkeiten waren verboten. Es gab ganz genaue Anweisungen über die Trauerkleidung der Staatsbeamten im Dienst. Die offizielle Korrespondenz musste auf Papier mit Trauerrand  geschrieben  und  mit einem schwarzen Siegel versehen werden. Am 18. März wird von einem sehr starken Gewitter berichtet. "Danach wurde es sehr kalt." Im Jahre 1847 war das Getreide besonders teuer. "Der Weizen wurde zu 26 Gulden, das Korn zu 18 Gulden pro Malter verkauft. An Weihnachten kostete ein Laib Brot zu 4 Pfund 28 Kreuzer. Der Malter Kartoffeln kostete sieben Gulden."

Die 1792 erbaute Schule m der Hauptstraße (Foto Richard Peters)

Das Jahr 1848 nimmt in der Schulchronik einen sehr breiten Raum ein. "Der 4te März brachte eine Bewegung ins öffentliche Leben, deren Folgen und  Wirkungen auf Staatliches, Gemeinde und Schulleben erst jetzt übersehen werden können. Fast überall wurden die Ortsvorgesetzte ihres Dienstes entsetzt und andere wurden gewählt. Hier trat an die Stelle des ehemaligen Schultheisen Hemmerle, Herr Bürgermeister Scherer, an die Stelle der bisherigen Vorsteher traten Gemeinderäte und an die Stelle der bisherigen die nunmehrigen Schulvorstände Martin Lorenz und H. Nikolaus Henrich. Auch die Industrieschule wurde in  Folge der Märzbewegung abgeschafft. Gar vielen wurde im Wirbel dieser sturmbewegten Zeit schwindlig, so daß sie kaum wussten, was sie taten. Auch dieses war eine unüberlegte Handlung, deren  nachteilige Folgen man bald einsah und empfand. Mit Neujahr 1850 wurde die Industrieschule - Dank der Einsicht des Vorstandes - wieder errichtet und Industrielehrerin Anna Maria Schüßler mit einer Vergütung von jährlichen 16 Gulden gewählt. Die Jugend konnte von dem  öffentlichen Streben nicht unberührt bleiben, da sie Zuschauer und Zuhörer von den öffentlichen Handlungen und Verhandlungen war. So drang der Geist der ungesetzlichen Indignation auch in die Schule und erschwerte die Disziplin in hohem Grade."

Der erste Band der Schwalbacher Schulchronik wurde im  September 2002 durch den Magistrat der Stadt Schwalbach herausgegeben. Der zweite Band (von 1859 bis 1986) ist derzeit in Arbeit und wird zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Aus: MTK-Jahrbuch 2003 - mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
14.7.05