Das Ende des Zweiten Weltkrieges im Spiegel der Schulchroniken
HEINZ SIMON

Als am 17. August das Schuljahr 1944/45 begann, trat der Krieg nach fünfjähriger Dauer in seine Schlußphase ein. Die alliierten Truppen näherten sich im Osten und Westen den Grenzen des Deutschen Reiches, der Bombenkrieg wurde noch ausgeweitet und gesteigert. Er lähmte zunehmend das öffentliche Leben und verbreitete Angst und Schrecken an der sog. Heimatfront. Der Attentatsversuch auf Hitler war gerade gescheitert. Der Krieg war im Begriff, sich auf das Reichsgebiet zu verlagern. „Bis zum Juli 1944 blieb das Dorfleben einigermaßen in den gewohnten Bahnen, doch machten sich schon die häufigen Fliegerangriffe bemerkbar ...", erinnert sich der Chronist der Weilbacher Schule. Damit hat er sicherlich die Situation im damaligen Main-Taunus-Kreis an der Schwelle des letzten Kriegsjahres zutreffend beschrieben.

Evakuierung - ein neues Fremdwort
Wohl hatte es bereits seit 1940 Luftangriffe auf Frankfurt gegeben, auch waren einzelne Orte im Kreisgebiet bis dahin schon betroffen, so z.B. Bad Soden, Eschborn, Flörsheim, Okriftel, Schwalbach, Sulzbach. Das Kriegsgeschehen war den Menschen dieser Region nicht nur aus den täglichen Wehrmachtsberichten gegenwärtig, nicht zuletzt auch durch die Flakbatterien, die einen Luftverteidigungsring um Frankfurt bildeten. Sie waren als sog. Großbatterien mit jeweils 12-18 Geschützen zum Schutz der Großstadt und besonders kriegswichtiger Einrichtungen in Sulzbach, Sossenheim, Unterliederbach, Hof Hausen, Kriftel, Hattersheim u.a. Orten stationiert. Einen schrecklichen Höhepunkt des Bombenkrieges bildeten die Großangriffe auf Frankfurt im März 1944. Sie zerstörten große Teile der Stadt und machten ca. 180.000 Menschen obdachlos.

Diese kamen als sog. Evakuierte oder Bombengeschädigte auch in die Dörfer und Städte des Main-Taunus-Kreises und fanden oft Unterkunft bei Verwandten und Freunden. Sie ließen die Einwohner- und Schülerzahlen erstmals deutlich ansteigen: „Wir haben jetzt hier schon über 28 umquartierte Kinder. Der größte Teil derselben ist aus Frankfurt am Main. Von jetzt ab dürfen wir nur noch Kinder aufnehmen, die den U-Schein (Umquartierungsschein der NSV) vorzeigen können. Alle übrigen müssen wir abweisen... Traurige Bilder sind es, wenn die Fliegergeschädigten bar aller Habe hier eintreffen und um das Obdach bitten. Wagen und Autos bringen die wenigen Reste des geretteten Gutes. Jetzt zeigt sich die wahre Volksgemeinschaft. Jeder wetteifert mit dem anderen, um den Unglücklichen Obdach zu geben. Heute am 29. März hat die Zahl der Umquartierten hier in Fischbach schon 350 überschritten und noch immer kommen jeden Tag neue Ankömmlinge hinzu." (Fi)

In den Schulen wurden die neuen Schüler/innen offensichtlich ohne große Probleme integriert, auch wenn es in Kriftel heißt: „So wurden die Klassen stärker und der Raummangel machte sich bemerkbar." Bezüglich der Klassenfrequenzen war man in den Volksschulen damals nicht verwöhnt. Nach den vorliegenden Statistiken lagen die Schülerzahlen pro Klasse im Durchschnitt bei 50-60 Kindern!

Der Schulalltag in Kriegszeiten
Noch wurde 1944 - bis auf die häufigen Luftwarnungen - im Schulalltag Normalität sichtbar. Routinemäßig wird über die Altstoffsammlungen (Papier, Knochen, Spinnstoffe, Metalle) mit genauer Angabe von Menge und Gewicht berichtet, die von den Kindern „mit großem Eifer" durchgeführt wurden. Weiter handeln die Chroniken vom Kartoffelkäfersuchen, von Erntehilfe und vom Ährenlesen, das auch im Sommer 1944 „für dieses Jahr wieder von dem Herrn Regierungspräsidenten verfügt" worden war (Schwa.) - „Im Sommer wurde auf dem Flugplatz das Flachsfeld in Ordnung gehalten und der Flachs gerupft". Auch wurde Seidenraupenzucht betrieben. Die Kokons wurden in die Spinnerei geschickt und mit 5 Reichsmark belohnt. „Dieser Erlös steht wohl in keinem Verhältnis zur aufgewandten Arbeit, aber wir haben durch diese Arbeit auch ein wenig zur Verteidigung unseres Vaterlandes beigesteuert." (Eschb.) -„Ebenso werden Heilkräuter mit Fleiß gesammelt. Am 1.8.1944 konnten bereits 84,5kg getrocknete abgeliefert werden." (Schwa.) Die Liste umfaßte Huflattich, Erdrauch, Kamille, Zinnkraut, Vogelknöterich, Brennessel, Taubnesselblüten, Schafgarbe, Spitzwegerich, Holunderblüten und -beeren, Brombeer-, Himbeer- und Erdbeerblätter, die „zuhause oder auf dem Schulspeicher getrocknet wurden." (Su.)

Am 20.4.1944 wurde noch der „Geburtstag des Führers in einfacher Weise gefeiert" und das Schuljahr wurde „mit einer feierlichen Flaggen-Ehrung" begonnen und beendet. (Flö.) - Die jährlichen Leistungsprüfungen der 10- bis 14jährigen fanden „auch im 5. Kriegsjahr statt." „Von den Mädchen werden drei zur Ableistung der Landjahrpflicht einberufen. Während sich die Kinder auf diesen Ehrendienst sichtlich freuen, treten die Eltern in ein sehr gespanntes Verhältnis zu dem Lehrer." (Brem.)

Die Marxheimer Schüler/innen des letzten Jahrganges wurden am 26.3.1944 „in einer großen Feier im Festsaal der Lehrerinnenbildungsanstalt auf den Führer verpflichtet" und aus der Schule entlassen. -„Von den Schülern der Volksschule Bremthal werden die hauptschulreif erklärten Kinder den Hauptschulen in Hofheim und Idstein wahlweise zugewiesen. Da unter den derzeitigen Umständen nicht alle Schüler aufgenommen werden können, findet eine Ausleseprüfung durch die Hauptschule statt!" - „Am Beginn des neuen Schuljahres stand die Schulaufnahmefeier in dem neuhergerichteten Schulsaal... Wie immer erhielt jedes Kind einen Brezzel und dann fand die photographische Aufnahme durch den hiesigen Fotografen statt, daß die Väter auch eine Ansicht ihrer Kleinen ins Feld bekommen." (Lo.)

Ein Schulleiter beklagt - wie eh und je - die Frechheiten seiner Schüler. „Die Jugend verübt zur Zeit wieder allerlei Unfug. Im Schulhofe trugen sie eine Steinplatte nach der anderen von der Mauer ab. Am 18. d. Monats (April 1944) haben sie einen alten Männerkopf, eine wertvolle Steinmetzarbeit, heruntergeworfen und so stark beschädigt, daß der Kopf nicht mehr aufgesetzt werden kann. Diese Streiche verüben die Jungen in der schulfreien Zeit nachmittags und abends. In der Kirche ist eine große Zahl von Kirchenfenstern zertrümmert, da beim Fußball der Ball immer wieder die Fenster trifft... Noch nie hörten wir solche Klagen wie eben. Bald sind die Raine abgebrannt, bald Fenster zertrümmert, bald Feldschaden angerichtet und dergleichen mehr. Es sind dies deutliche Kriegserscheinungen." (Fi.). - „Am 7.7.44 findet in der Gemeinde die Röntgen-Reihenuntersuchung durch den SS-Sturmbann statt!" (Brem.)

„Auf Anordnung des Gauleiters wurden die Lehrpersonen an fünf verschiedenen Tagen des Jahres nationalsozialistisch geschult." (Ho.) Die erste Woche der Sommerferien, die vom 19.7. -16.8.1944 dauerten, diente der Fortbildung der Lehrkräfte. Am ersten Tag fand eine für alle befohlene „Schulung" statt. In den übrigen fünf Tagen wurden örtliche Arbeitsgemeinschaften gebildet und organisatorische Fragen (z.B. Feiergestaltung) und unterrichtsbezogene Themen behandelt. In der zweiten Ferienwoche wurden Arbeiten in der Schule erledigt „wie Ordnungsarbeiten in der Lehrer- und Schülerbücherei, in den Lehr- und Lernmittelsammlungen, der Inventarisierung", oder es wurden vorgeschriebene Sammlungen durchgeführt. (Schwa.) Alles das wird in den Schulchroniken gewissenhaft registriert, dazu Personalien, Statistiken, Ernte- und Klimadaten und zunehmend und zuletzt dominierend Ereignisse und Auswirkungen des Krieges. So ist auch die in Flörsheim notierte Idylle trügerisch: „Das Storchenpaar auf dem Schornstein der Fabrik ist wieder zurück und bessert das Nest aus. Die Leute sind eifrig mit der Gartenarbeit beschäftigt."

Immer mehr Unterrichtsstörungen durch Luftalarme
Breiten Raum nehmen in fast allen Chroniken die Berichte über Unterrichtsstörungen, Stundenausfall und Bombenschäden durch den Luftkrieg ein. Die Luftwarnungen häuften sich im Schuljahr 1943/44. Unter dem 13.4.1943 heißt es: „Schwalbach gehört zu den luftgefährdeten Gebieten. Öfters müssen während der Schulzeit die Alarmsignale vom Türmchen des Schulgebäudes ertönen. In Gruppen geteilt eilen die Kinder, da für sie kein geeigneter Raum beschafft werden kann, auf schnellste Art nach Hause oder zu Bekannten." Diese Luftalarme ließen sich jedoch - wie in Okriftel unterm 25.3.1944 berichtet - noch quantifizieren: „Es besteht nämlich eine Anordnung, daß ... die Kinder bei Fliegeralarm während des Unterrichts nach Hause geschickt werden. Dies kam leider oft vor, im letzten Schuljahr ca. 80 (x) mal mit weit über 100 Unterrichtsstunden."

Schulverwaltung und Schulaufsicht, und das hieß immer auch Parteileitung, reagierten auf diese neue Art der Unterrichtsstörungen mit organisatorischen Notlösungen. Bei nächtlichem Fliegeralarm begann der Unterricht am nächsten Morgen planmäßig, wenn die Entwarnung vor 20 Uhr erfolgte, eine Stunde später, wenn die Entwarnung zwischen 20-22 Uhr und zwei Stunden später, wenn sie nach 22 Uhr ertönte. Es war den Schulen auch freigestellt, die Unterrichtsstunden auf 50 bzw. 45 Minuten zu verkürzen, um so bei einer Unterrichtszeit von 7-12.30 Uhr noch 6 Stunden oder von 8.30-12.50 Uhr noch 5 Stunden erteilen zu können. Auch wurde der Unterricht bei Vernachlässigung der Nebenfächer auf die Hauptfächer konzentriert.

Die letzte Dienstbesprechung zum Thema „Luftschutz und Schule" fand am 4.3.1944 in Hofheim statt. Ein Schulleiter stellte dazu fest: „Aus der Besprechung ging hervor, daß in fast allen Schulen die Luftschutzräume den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprachen... Es wurde uns geraten, die Kinder bei Fliegeralarm nach Hause zu schicken, wenn die Eltern dies schriftlich wünschen." (Fi.)

Die Menschen mußten nach fünf Jahren der Entbehrungen, der Indoktrination und oft genug des leidvollen Verlustes von nahen Familienangehörigen schließlich erfahren, daß der Krieg noch viel schrecklicher sein konnte. Der Luftkrieg eskalierte, die Front rückte näher und erreichte die Heimat bald ganz unmittelbar. Unter dem 25.9.1944: „Fast zweistündlich heulen die Sirenen in den Städten und Dörfern des Rhein-Main-Gebietes bei Tag und bei Nacht, und angsterfüllten Herzens begeben sich die Leute in Verstecke, um wenigstens gegen die Splitter der Granaten der nahen Flakstellungen gesichert zu sein. Der Bauer kann sich kaum mit dem Einernten seiner Kartoffeln beschäftigen. Die Nerven der Leute werden auf eine harte Probe gestellt." (Schwa.)

Eine Statistik des Sulzbacher Bürgermeisters bestätigt die fast tägliche Bedrohung der Zivilbevölkerung und die damit verbundene Lähmung des öffentlichen Lebens. Er hatte vom ersten Alarm am 10.5.1940 bis zum letzten am 25.3.1945 gewissenhaft Buch geführt und insgesamt 725 Luftwarnungen gezählt, davon allein 516 (71 %) im letzten und vorletzten Kriegsjahr.1

In den Schulen geriet - wie in anderen öffentlichen Einrichtungen - die gewohnte Ordnung immer mehr aus den Fugen. Ein geregelter Unterricht konnte nicht mehr sichergestellt werden. „Der Schulbetrieb war äußerst unruhig. Die häufigen Fliegerangriffe zur Tag- und Nachtzeit wirkten äußerst störend auf die Kinder selbst und auf die Schule. Um die Kinder vor den Angriffen zu schützen, schickten wir die von der Schule näher wohnenden bei Alarm nach Hause, die übrigen hielten wir im Luftschutzkeller. Derselbe war zeitweise derart überfüllt, daß es uns um die Sicherheit der Kinder bangte. Da die Sirenen zuweilen am Morgen mehrmals ertönten, war an einen fruchtbringenden Unterricht nicht zu denken. Die Kinder, besonders die jüngsten Jahrgänge, wurden mit der Zeit derart nervös, daß sie beim Ertönen der Sirenen in die Höhe sprangen und nicht mehr zu halten waren." (Eschb.)

„Tag und Nacht ertönen die Alarmsirenen. Kaum sind die Kinder um 8 Uhr zur Schule gekommen, so ertönen die Sirenen. Stundenlang müssen sie im Luftschutzkeller sein. Ein Unterricht ist fast nicht mehr möglich." (Ke.) - „Durch den ewigen Alarm fällt die Schule fast an jedem Tag einige Stunden aus." (Lo.) - „Durch die sich stets steigernde Lufttätigkeit und die damit verbundenen Alarme wurde der Unterricht seit Beginn des Schuljahres immer häufiger unterbrochen." (Marxh.) Unter diesen ungünstigen Bedingungen, die sich in den letzten Kriegsmonaten noch verschlechterten, konnte die Schule ihren Auftrag nicht mehr erfüllen, dessen waren sich die Lehrerinnen und Lehrer bewußt.

Eine Notiz, die von persönlicher Betroffenheit zeugt, macht das deutlich: „Wie mögen die so entstandenen Lücken im Wissen und Können der Schüler einmal beseitigt werden? Innerlich reife und wertvolle Jungen und Mädchen werden aus eigenem Antrieb darauf bedacht sein. Den übrigen wird der Mangel im ganzen Leben anhaften und sie im Fortkommen hindern." (Marxh.) Ein Schulleiter beendet seinen Jahresbericht angesichts der verzweifelten militärischen Lage mit dem Versuch einer Selbstrechtfertigung: „Gesagt sei noch: Lehrer und Schüler haben, soweit sie in der Lage waren, bis zum Kriegsende ihre Pflicht getan." (Kri.) - Aber noch ging der Krieg weiter. Der sechste Winter mußte durchgestanden werden.

Die Front rückt näher
„Das Jahr (1944/45) stand wieder im Zeichen des Krieges. Je länger er dauert, desto mehr wirkt er störend auf allen Gebieten." (Eschb.) - Zu den längst gewohnten Mängeln in der Versorgung mit Nahrungsmitteln, Kleidung, Baumaterial und anderen lebenswichtigen Dingen kam nun - wie schon in früheren Jahren - der Mangel an Brennstoffen. Teils aus Kohlenmangel, teils wegen fehlender Transportmittel konnten die Schulen nicht mehr mit einem ausreichenden Vorrat an Kohlen versorgt werden.

So wurden die Weihnachtsferien bis Ende Januar verlängert. In der Regel wurde nur ein Raum notdürftig beheizt, in dem die Schüler/innen sich klassenweise nacheinander einfanden, um „Schulaufgaben, Lesestücke und Hausaufsätze" als Ersatzunterricht zugeteilt zu bekommen. Dieses Verfahren nannte man „tägliche Schulappelle". (Flö.)

Immer häufiger fehlten auch Lehr- und Lernmittel. „Bücher und Hefte werden immer knapper. Um den Mangel an Büchern zu decken, wurden in den Häusern alle noch vorhandenen Bücher von ehemaligen Schülern aufgekauft und an die Schüler verliehen. Am schlimmsten sah es bei den Tafeln aus. Obwohl Bezugscheine vorhanden waren, konnte man keine Tafel erhalten, mancher Schüler mußte sich mit einem Schieferstück behelfen." (Eschb.) - „Ein großes Übel im Unterricht ist das Fehlen der notwendigen Lehr- und Lernmittel. Hefte sind kaum zu haben." (Lo.)

Die Fliegerangriffe lösten nicht nur die entnervenden Luftwarnungen aus, in mehreren Orten wurden die Schulgebäude durch Bombentreffer und später durch Artilleriebeschuß so beschädigt, daß sie zeitweise nicht für den Unterricht zur Verfügung standen, so in Sulzbach, Kelkheim, Schwalbach, Lorsbach, Ruppertshain, Massenheim. „Am 11.12.44 begann der Unterricht wieder, der vom 25.9.44, dem Tag des ersten Terrorangriffs aus der Luft, infolge des fast zur Ruine gewordenen Schulgebäudes ganz ausfallen mußte. Nur ein Schulsaal … konnte notdürftig hergestellt werden. Der Neubau (Anbau) mußte zugrundegehen. Es fehlten Ziegel (ca. 10.000 Stück), ebenso Dachpappe." (Schwa.)

In Ruppertshain reparierte der Lehrer das Dach in Selbsthilfe: „Niedergegangene Luftminen haben das Schulgebäude beschädigt. Arbeitskräfte sind nicht zu bekommen, weil fast jedes Haus im Dorf Dach- und Fensterschäden hat... Nach 8- bis l0-tägiger Unterbrechung wird der Schulbetrieb wieder aufgenommen." - „An der Schule und an der Kirche waren fast alle Fensterscheiben und einige Fensterrahmen entzwei, ein großer Teil des Schuldaches abgedeckt, alles herrührend von zwei Bomben, die auf den Friedhof und in den Fronhof gefallen waren." (Su.)

Mit der näherrückenden Front wurden seit Herbst 1944 in zunehmendem Ausmaß Wehrmachtseinheiten in den Dörfern und Städten einquartiert. Für die Unterbringung standen die Privathaushalte und insbesondere die öffentlichen Gebäude - so auch die Schulen - zur Verfügung. Eschborn hatte seit Juli 1944 Einquartierung, Weilbach, Marxheim, Kriftel und Fischbach melden seit Herbst 1944 die teilweise Belegung von Schulräumen mit Truppeneinheiten und Flakhelferinnen. In der Regel kam es zu einer Teilbelegung, die die Schulen zu Unterrichtskürzungen und zu Nachmittagsunterricht zwang.

„Seit dem 8. September hat die Gemeinde Fischbach Einquartierung. Eine Kompanie Nachrichtensoldaten ist auf Fischbach und Ruppertshain verteilt. Hier sind 120 Mann. Die vielen Wehrmachtsautos erregten das Interesse und die Freude der Schuljugend. Ständig sind die Autos von Schuljungen belagert." - „Die Front rückte näher. Die Schule wurde mit deutschem Militär belegt, zuerst mit Pionieren, die in den Kasernen von Mainz-Kastell nicht mehr sicher waren. Sehr junge Soldaten wurden ausgebildet. Dann kam die Artillerie mit Genesenden und Verwundeten. Am hl. Abend erlebten wird den ersten größeren Bombenangriff auf unser Dorf... Die Alarme brachen nicht mehr ab. Drei Säle der Schule waren von Militär belegt, aber der Stützpunktleiter ... erhielt die Kinderschule für wenige Kleinkinder aufrecht. Die Schulkinder mußten halbstundenweise im Wirtshauszimmer vom „Weißen Roß" betreut werden." (Weilb.)

Das Kriegsende
Die Lage wurde im Frühjahr 1945 immer chaotischer, für die meisten Schulen war bereits im März der Unterricht beendet. „Vom 19. Febr. ab verging kein Tag, an dem der Unterricht nicht gestört wurde." (Okri.) „Alle diese Umstände und die dadurch hervorgerufene Unruhe und Nervosität machten einen geregelten Unterricht ganz unmöglich. Dazu kam, daß die deutsche Militärbehörde zuletzt das Schulgebäude für die techn. Nothilfe beschlagnahmte und die Lehrsäle mit Soldaten belegte." (Hör.)- „Da erfolgte die Rückwärtsbewegung. Einzeln oder in Trupps durchziehen die Landser die Gegend. Tagelang ist die Schule von Verbänden belegt." (Lo.)
„11. März 1945 - Die Fliegeralarme nehmen ein derartiges Ausmaß an, daß kein Unterricht mehr stattfinden konnte. Der Alarm setzte oft morgens um 7 Uhr ein und dauerte ohne Unterbrechung bis abends...
- 20. März 1945 - Die Front rückt immer näher, die Alarme reißen nicht mehr ab. Der größte Teil der Bevölkerung schläft in den Luftschutzräumen." (Flö.)
„Ab Mitte März 1945 werden etliche Lehrsäle von den zurückziehenden Truppen und eingezogenem Volkssturm belegt, erst Lehrsaal l u. 4, dann noch 3, dann noch 2 und am 23.3.1945 der letzte Lehrsaal, den ich zur Beschulung der obersten Klasse möglichst lange vor der Belegung gehütet hatte. Mit dem 20. März schließt der Unterricht für lange Zeit." (Neuenh.) - „Ende März stellte die Lehrerinnenbildungsanstalt ihre Tätigkeit ein; das Anwesen wird seinem früheren Zwecke wieder dienstbar gemacht und den ehemaligen Besitzern zurückerstattet (Kloster vom Guten Hirten)". (Marxh.)

- „Eine Entlassung des ältesten Jahrganges konnte nicht mehr wie üblich stattfinden. Am 28. März versammelten sich die 32 zur Entlassung kommenden Kinder, damit ich ihnen die Zeugnisse austeilen konnte. Während ich dies tat, war die Panzerspitze der Amerikaner in Hattersheim eingetroffen." (Okri.)

Bevor der Krieg nun diese letzte Phase der Auflösung und Desorganisation erreichte, versuchte die Parteileitung mit einer geschickten Propaganda und drohenden Standgerichten, in der Bevölkerung letzte Abwehrinstinkte und Reserven für die Verteidigung der Heimat zu mobilisieren.- Der Volkssturm wurde aufgeboten und der Parteileitung unterstellt. „Am Sonntag, dem 19.9. mußten alle männlichen Personen vom 16.-60. Lebensjahr Splittergräben auf der Königsteiner Straße anlegen." (Fi.) - „Am 12.11.44 - dem Aufrufe des Führers folgend - wurde auch in unserer Gemeinde der Volkssturm aufgerufen. Er umfaßt alle Männer von 16 - 60 Jahren. In den letzten Oktobertagen wurde die Erfassung restlos durchgeführt. Am 12. Nov. um 8 Uhr fand auf dem Schulplatz der Horst-Wessel-Schule die feierliche Vereidigung des angetretenen Volkssturmes durch den Ortsgruppenleiter ... statt." (Flö.)

Seit Herbst 1944 wurden auch viele Männer und Jugendliche zu Schanzarbeiten am Westwall „dienstverpflichtet". Diese Maßnahme betraf auch eine Anzahl von Lehrern und Schulen: „4.9.44 - Herr Lehrer ... wurde auf Grund der Notverordnung durch den Herrn Landrat zum langfristigen Arbeitseinsatz am Westwall berufen." (Flö.). Der Einsatz dauerte in diesem Fall bis zum 23.11.1944. - „Am 5.9.44 fährt ein Sonderzug mit Westwallarbeitern aus der Gießener Gegend über Ffm und Ffm-Höchst nach Westen. In Bad Homburg steigen die Mannschaften aus dem Obertaunuskreis und in Ffm-Höchst aus dem Main-Taunus-Kreis zu. Westlich Trier wurde quer durch das Moseltal ein Panzergraben (4 x 3,5 m) ausgeschachtet." (Neuenh.)- Insgesamt waren neun Lehrer aus verschiedenen Schulen des Kreises an dieser Aktion beteiligt. - „Auch die Lorsbacher Jugend hat am Westwall mitgeholfen, dem Feinde ein Hindernis aufzurichten. Sie schaffte treu wie auch viele Männer. Natürlich gab es hier wieder solche, die sich drückten." (Lo.)

Als letztes Aufgebot wurden die Jugendlichen des Jahrganges 1930 gemustert. Ein Schulleiter erwähnt in seinen Aufzeichnungen diese Maßnahme und wagt es, sie mit einem Ausrufungszeichen zu kommentieren: „Auf Ersuchen der HJ-Bannführung wird in der Oberklasse bekanntgegeben, daß am Samstag, 24. Februar, um 9.00 Uhr in Hofheim alle männlichen Angehörigen des Geburtsjahrganges 1930 (!) auf Wehrtauglichkeit untersucht werden. Auch wer keine persönliche Aufforderung erhält, ist verpflichtet zu erscheinen. Jugendliche, die nicht erscheinen, werden strengstens bestraft." (Fi.)

Zum Schluß erlaubte sich die Parteileitung einen letzten Willkürakt mit der Bevölkerung, die bis jetzt allen Befehlen und fragwürdigen Maßnahmen mit Angst, Schicksalsergebenheit, halber Hoffnung auf die Wunderwaffen, fanatischer Überzeugung oder innerer Erbitterung mehr oder weniger gefolgt war. - „Dazu kam die unsinnige Bekanntmachung unseres Ortsgruppenleiters, der am Sonntagabend, dem 25. März, die Einwohnerschaft im Schulhofe aufforderte, Eschborn zu verlassen, weil in unserer Gegend die neue Waffe zur Anwendung kommen sollte. Unter anderem sollte das Vieh abgeschlachtet bzw. weggetrieben werden. Die Bevölkerung war jedoch so vernünftig, daß sie sich diesem Befehl widersetzte. Nur ganz wenige verließen Eschborn."

Der Räumungsbefehl wurde von der Gauleitung damit begründet, daß nördlich des Rheines und Maines eine 15 km Zone - eine „Todeszone" - geschaffen werden sollte. „Man raunte nochmals von der Anwendung neuer Waffen, an die niemand mehr glaubte. Die Aufregung der Bevölkerung stieg trotzdem aufs höchste. Landwirte mußten Gespanne und Wagen bereit stellen, und alle sollten das Notwendigste verpacken und aufladen... Als die Stunde des befohlenen Abmarsches kam, zog nur die Familie des Ortsgruppenleiters und eine Familie aus Mainz mit bepackten Hand- und Kinderwagen von dannen. Die Kreise Alsfeld und Lauterbach waren als Ziel angegeben, jedoch kam man nur bis Schmitten im Taunus und kehrte nach drei Tagen zurück." (Brem.)

Flörsheim: „25. März - Palmsonntag. Morgens erfolgte der Befehl zur Räumung. Bis 7 Uhr sollte dieselbe beendet sein. Transportmittel standen keine zur Verfügung. Die Bevölkerung leistete dem Befehl keine Folge, nur ganz wenige Einwohner zogen aus. Gleichzeitig wurde der Volkssturm aufgeboten, sich beim Läuten der Kirchenglocken zu stellen. Der Abmarsch erfolgte von den Sammelstellen aus nach Okriftel und Hofheim. Bereits abends kehrten die Volkssturmleute wieder zurück... 26. März: Der feindliche Artilleriebeschuß wird immer heftiger ... 27. März: Die Verwaltung wurde aufgelöst, Bürgermeister... ist abgereist, die Polizei versieht noch ihren Dienst. 28. März: Schwerer Beschuß durch feindliche Artillerie und Granatwerfer von Rüsselsheim aus, das die Amerikaner bereits besetzt haben... Um den Ort vor weiterer Beschießung zu bewahren, wird auf dem Kirchturm die weiße Fahne gehißt. Die Einwohner hissen ebenfalls die weiße Fahne. Nachmittags um 1.30 Uhr rückt ein starker Spähtrupp der Amerikaner in Flörsheim ein."

Für die meisten anderen Orte im Kreisgebiet ging der Krieg am Gründonnerstag, dem 29. März 1945, kampflos - wie in Fischbach - zu Ende: „Am Mittag des Gründonnerstag fuhren dann die Fahrzeuge der amerikanischen Armee durch unser Dorf. An einigen Häusern wehten weiße Fahnen. Die meisten Bewohner konnten die bereitgestellten weißen Fahnen nicht mehr hissen, da alles zu schnell und überraschend kam. Auf den Straßen stand die Bevölkerung und begrüßte die Amerikaner... Alle waren froh, daß wir so gut und unversehrt davongekommen waren."

Spätestens mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen endete in den Schulen der Unterricht. Die Schulgebäude wurden von der Militärverwaltung beschlagnahmt und mit Einheiten der Besatzungstruppen, ehemaligen Fremdarbeitern oder auch mit Kriegsgefangenen belegt. Dabei kam es nicht selten zu Plünderungen. Die Schulleiter beklagen später die Beschädigung bzw. den Diebstahl von Inventar, Lehrmitteln und auch Schulakten. Aus Hofheim kam die Verfügung, „daß die obersten Jahrgänge der Volksschule unter Aufsicht der Lehrer arbeiten sollten. So wurde der Schulhof gereinigt und das Alteisen abgefahren. .. (Epp.)

Die Schulen blieben bis zum Herbst geschlossen. „Die Lehrer mußten zuerst auf ihre politische Zuverlässigkeit auf Anordnung der Militär-Regierung geprüft werden ... Jede Lehrperson mußte einen Fragebogen ausfüllen, ob und seit wann sie in der Partei oder einer ihrer Gliederungen gewesen ist oder darin ein Amt bekleidet hat." (Epp.) - „In der Zeit bis zum 24.9.1945 - dem offiziellen Beginn eines normalen geordneten Unterrichts - wird eine scharfe politische Überprüfung des gesamten Lehrkörpers im Main-Taunus-Kreis durchgeführt. Die Lehrerzahl wird dadurch zunächst erschreckend gering... Monatliche Zusammenkünfte aller Lehrenden des Kreises fördern die schulische Arbeit. Langsam aber sicher, entsteht eine gedeihliche Arbeit mit neuen Zielen." (Massh.) So begann unter ungünstigsten äußeren Bedingungen auch für die Schulen im Main-Taunus-Kreis eine neue Zeit.

Nachwort
Zu den Dienstpflichten eines Schulleiters gehörte seit den Zeiten des Herzogtums Nassau auch die Führung einer Schulchronik. In ihr wurden die im jeweiligen Schuljahr bedeutsamen Ereignisse, Personalien und Statistiken festgehalten. Weil diese Chroniken immer auch Mitteilungen aus dem kulturellen und sozialen Umfeld der Schule und nicht selten auch örtliche und überörtliche Nachrichten zum politischen Geschehen liefern, besitzen sie für die ortsgeschichtliche Forschung einen dokumentarischen Wert.

Für die vorliegende Untersuchung konnten nur 21 Chroniken - teils original geführt, teils später nachgeschrieben - von 33 ausgewertet werden. In 5 Chroniken fehlen die Aufzeichnungen für die Jahre 1933-1945, und 7 Chroniken fehlen ganz. Auslassungen im zitierten Text wurden durch Punkte (...) gekennzeichnet, Namen wurden aus Gründen des Personenschutzes nicht aufgenommen.

Es ist weiter zu bedenken, daß aus den Eintragungen immer nur ein auf die subjektive Wahrnehmung des Schulleiters reduziertes Bild der Wirklichkeit entstehen und ausgewertet werden konnte. Der Schulleiter hatte im NS-Staat die „alleinige Verantwortung für die Arbeit in der Schule im Geiste des nationalsozialistischen Staatsgedankens" (Erlaß vom 3.4.1934).2 Deshalb waren auch sehr viele Schulleiter Mitglied der NSDAP. Der Anteil der Parteimitglieder in der Lehrerschaft wird auf ca. 25 % geschätzt.3 Besonders hoch war allerdings der Organisationsgrad im nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB), einer Untergliederung der Partei. Ihm oblag die Kontrolle und Schulung der Lehrer/innen. Die Schulleiter im Main-Taunus-Kreis, die ein Parteiamt bekleidet hatten oder sehr früh (1933 oder früher) der Partei beigetreten waren, wurden mit Wirkung vom 14.9.1945 aus dem Schuldienst entlassen. Sie wurden in der Regel nach einer Wartezeit bis zu zwei Jahren wieder eingestellt.

Hinter den geschilderten Ereignissen und Abläufen des letzten Kriegs(schul)jahres werden die Umrisse einer Volksschule sichtbar, die als Teil eines totalitären Systems an der „nationalpolitischen Erziehung" (Nazifizierung) der jungen Generation mit dem Ziel ihrer uneingeschränkten Verfügbarkeit für die Partei und den „Führer" mitgewirkt hatte. Seit Beginn des Krieges mußte sie ihre Autorität als Erziehungsinstanz immer mehr mit der HJ als Staatsjugendorganisation, mit den Ausleseschulen der Partei (Adolf-Hitler-Schulen), der SS, den  Napola (Nationalpolitische Erziehungsanstalten), den Lagerschulen der Kinderlandverschickung (KLV) und anderen parteigelenkten Institutionen der Berufsfortbildung und „Wehrertüchtigung" teilen. Schließlich wurde sie als tradiertes Schulsystem, das 1940 noch 90 % der schulpflichtigen Kinder erfaßte, zur Disposition gestellt. Mit Einführung der Hauptschulpflicht (16.5.1941) sollte sie nach und nach durch die 6jährige Hauptschule ersetzt werden. Diese „Pflicht-Ausleseschule" wurde im „Altreich" nicht mehr voll verwirklicht.4

Die bisherigen 19 Hochschulen für Lehrerbildung (Zugang Abitur) wurden seit 1941 durch 257 Lehrerbildungsanstalten (Zugang Mittlere Reife) ersetzt, deren Leiter und Erzieher der HJ bzw. der Partei anzugehören hatten. Bis 1943 wurden in diesen Einrichtungen mehr als 44.000 Ausbildungsplätze bereitgestellt, davon ca. 60 % für Lehrerinnen. Die Lehrerschaft mußte zur Kenntnis nehmen, daß ihr Berufsstand auf diese Weise umstrukturiert und noch stärker der Partei untergeordnet werden sollte. Sie mußte nach dem Krieg mit dem Vorwurf der frühen und unkritischen Anpassung bzw. der Mitverantwortung und Mitwirkung an der totalen Politisierung der Schule und damit ihrer Pervertierung leben.

Benutzte Literatur:
Dithmar, Reinhard (Hsrg.); Schule und Unterricht im Dritten Reich, Neuwied 1989
Hansel, Werner/Raiss, Gerhard; Kriegsschäden im Zweiten Weltkrieg in Bad Soden am Taunus (Materialien zur Bad Sodener Geschichte, Heft 8, 1990)
Scholtz, Harald; Erziehung und Unterricht unterm Hakenkreuz, Göttingen 1985

Benutzte Quellen:
Die Schulchroniken von Altenhain (Altenh.), Bremthal (Brem), Diedenbergen (Die.), Eppstein (Epp.), Eschborn (Eschb.), Fischbach (EL), Flörs-heim (Flö.), Hornau (Ho.), Kelkheim (Ke.), Kriftel (Kri.), Lorsbach (Lo.), Marxheim (Marxh.), Massenheim (Massh.), Neuenhain (Neuenh.), Oberliederbach (Obl.), Okriftel (Okri.), Ruppertshain (Rupph.), Schwalbach (Schwa.), Sulzbach (Su.) Weilbach (Weilb.), Wicker (WL).

Anmerkungen:
1 Hansel, W./Raiss, G., Kriegsschäden im Zweiten Weltkrieg in Bad Soden a.Ts., S. 3
2 Scholtz, H., Erziehung und Unterricht unterm Hakenkreuz, S. 60.
3 ebenda, S. 41
4 ebenda, S. 80
5 ebenda, S. 101 ff.

aus: Zwischen Main und Taunus / Jahrbuch 1996 - mit freundlichem Einverständnis des Autors
13.8.05