„... die Gedanken sind zollfrei"
Die Hofheimer Schulhausrevolte 1831
PETRA HOFFMANN

„Ihr Herren, wollt Ihr's wissen, die Schul' ist abgerissen". So verkündete der Nachtwächter am Abend des 3. Mai 1831 den Abriß des neuen Schulgebäudes. Dies war der Auftakt mehrtägiger Unruhen, worin der Unmut der Hofheimer Bürger über die Politik des Herzogs von Nassau kulminierte. Wie kam es dazu?

Nach über 200jähnger kurmainzischer Herrschaft fiel Hofheim im Jahr 1803 durch den Reichsdeputationshauptschluß an das spätere Herzogtum Nassau. Die Einwohner der neuen nassauischen Gebiete spürten ganz deutlich den Obrigkeitswechsel, was häufig auch zu Verunsicherungen führte. Soziale und politische Reformen1, insbesondere in der ersten Phase nassauischer Herrschaft, schlugen sich spürbar im Alltagsleben nieder. Die Einführung der Religionsfreiheit, die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Einführung der Gewerbefreiheit, Armenpflege-, Medizinal- und Schulreformen sowie die Pressefreiheit wiesen den Weg ins 19. Jahrhundert. Die Gemeinden wurden in die Staatsverwaltung eingefügt, die Bürger zur Beteiligung an der örtlichen Verwaltung hingeführt.

1814 erhielt das Herzogtum Nassau die erste deutsche landständische Verfassung. Sie wurde jedoch nicht als natürliches Grundrecht, sondern als ein Geschenk des Herzogs an seine Untertanen begriffen. Dementsprechend fanden auch keine freien demokratischen Wahlen statt. Das Stimmrecht war an die Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen, an Besitz und natürlich an das männliche Geschlecht gebunden. 1818 waren nur 0,4 % der nassauischen Bevölkerung wahlberechtigt.

Die Landstände setzten sich aus der Herrenbank, der Vertreter des Adels angehörten, und den 22 Landesdeputierten zusammen. Letztere bestanden aus Vertretern der Geistlichkeit, Vorstehern der höheren Lehranstalten, wohlhabenden Gewerbetreibenden und Gutsbesitzern. Die Ständeversammlung wurde zu Anfang jeden Jahres vom Staatsministerium einberufen. Die Verfassung legte nicht im einzelnen die Kompetenzen des Herzogs und der Landstände fest, so daß es immer wieder zu Auseinandersetzungen kam.

Nichtsdestotrotz zeigt sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei allen Einwohnern des Herzogtums ein heranwachsendes Staatsgefühl und die Herausbildung eines politischen Bewußtseins, das Mitbestimmung forderte. Die restriktive Politik Metternichs wirkte sich jedoch auch auf das politische Klima im Herzogtum Nassau aus. Nach und nach wurde z B die Pressefreiheit eingeschränkt, und seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 wurden Gesinnungsfeinde verfolgt.

Unter dem Einfluß der französischen Julirevolution von 1830 regten sich in ganz Deutschland die revolutionären und freiheitlich gesinnten Gemüter. Im Herzogtum Nassau fanden die politischen und sozialen Auseinandersetzungen ihren Ausdruck in dem schon seit Jahren andauernden „Domänenstreit" zwischen dem Herzog und den Landesdeputierten. Wilhelm von Nassau, der für seinen autokratischen Regierungsstil bekannt war, weigerte sich, eine korrekte Trennung zwischen seinem Privatvermögen, zu dem er auch die Erträge aus den Domänen rechnete, und dem Staatsvermögen vorzunehmen. Diese Weigerung stieß auf den erheblichen Widerstand der Landesdeputierten, die insbesondere die Domänen im Machtbereich der Landstände sehen wollten.

Der Stein des Anstoßes: das Schulhaus in Hofheim, Burgstraße 9.

„... und sehen uns unterdrückt und in Schuldenlast versetzt ..."
Nicht zum besten stand es mit der Wirtschaft des Landes, was insbesondere die Gemeinden und die Einwohner spürten. Die Kosten der Befreiungskriege der Jahre 1813-1815 lasteten auf den Gemeindekassen, Steuerreformen führten zu ungerechter Behandlung. Vor allem die hohen Zölle, eine Folge der ungeschickten nassauischen Zollpolitik, behinderten die freie Entfaltung des Handels und führten zu enormen Preissteigerungen. Die finanzielle Lage der städtischen Kasse in Hofheim verschärfte sich durch den Erlaß, ein neues Schulgebäude zu errichten. Die alte Schule war zu klein geworden. Um Kosten zu sparen, schlugen die Stadtväter unter der Führung von Stadtschultheiß Seelig den Ankauf des Kellereigebäudes als Schule vor. Diese Lösung des Problems hätte auch wohl das Interesse des führenden Gemeindemitglieds und späteren Landesdeputierten Philipp Josef Weiler gefunden, der gleichzeitig der Besitzer des Kellereigebäudes war.2 Die Regierung befand allerdings, die Kellerei sei feucht, und beharrte auf dem Neubau, der natürlich zu Lasten der Stadtkasse ging. Durch einen „Strohmann", den Werkmeister Kunz aus Höchst, wurde das Martin Weiler'sche Haus in der Burgstraße 11 (das heutige Stadtmuseum) ersteigert, um dort zwei Lehrerwohnungen einzurichten.

Aufgebracht durch diese Vorgehensweise der herzoglichen Beamten verfaßten die Hofheimer Stadtväter eine neun Punkte umfassende Petition an die Landstände. Diese Protestnote enthielt neben anderen Sorgen der Gemeinde die Bitte um Rücknahme der Neubaupläne.3 226 Haushaltsvorstände bekräftigten durch ihre Unterschrift den Willen der Stadtväter. Dies war eindeutig die Mehrheit der 338 Familien, die im Jahr 1831 in Hofheim lebten.

„... und der jetzt allenthalben herrschende Schwindel der Zeit ..."
Mit dieser Petition zog am 2. Mai 1831 eine Hofheimer Abordnung nach Wiesbaden, um sie den Landesdeputierten zu überreichen. Doch wegen des Domänenstreites hatte der Herzog die Ständeversammlung auf unbestimmte Zeit vertagt. Diese Nachricht verbreitete sich schnell im ganzen nassauischen Land und löste vielerorts Unruhe aus.

Am Abend des 3. Mai trafen sich einige junge Hofheimer an der Baustelle des neuen Schulhauses und brachen innerhalb einer Viertelstunde das begonnene Bauwerk größtenteils nieder, ohne daß jemand sie daran hinderte.4 Am nächsten Morgen fand sich die Mehrheit der (wohl männlichen) Einwohner in den Wirtshäusern ein und feierte, daß der Stein des Anstoßes abgerissen worden war. Gegen Mittag traf der herzogliche Justizrat aus Höchst ein, um die Vorfälle zu untersuchen. Schon auf der Baustelle wurde er von einer Menge Kinder, die an jenem Mittwochnachmittag schulfrei hatten, belagert. Begleitet von einem großen Tohuwabohu beeilte sich der Beamte, ins vermeintlich sichere Rathaus zu gelangen. Kaum dort angekommen, vernahm man das Läuten der Sturmglocken.

Einigen Aufrührern war es gelungen, den Kirchturm zu besteigen und zunächst die beiden kleinen Glocken, das Zeichen, daß es in der Nachbarschaft brennt, und anschließend mit allen Glocken zu läuten, das Zeichen, daß es in der Stadt selbst brennt. Davon aufgeschreckt, eilten die Leute von den Feldern in die Stadt, worauf der Tumult so groß wurde, daß sich der herzogliche Beamte zunächst in das Pfarrhaus flüchtete. Er kam zu dem Schluß, daß ein weiteres Einschreiten an diesem Tag zwecklos sei und schlich sich durch den Pfarrgarten zur Papiermühle hin. Doch er blieb nicht unentdeckt. Und so folgte ihm die Menge bis zur Mühle hin. Schließlich gelang ihm in der Chaise des Papiermüllers die Flucht, ohne von den Steinen getroffen zu werden, die ihm einige Schulkinder aus ihrem Versteck hinterherwarfen. Die spätere Untersuchung der Vorfälle ergab allerdings entgegen erster Aussagen, daß der Justizrat nicht tätlich bedroht worden war.

Inzwischen hatte sich die Menschenmenge nach Hofheim zurückbegeben; reichlich fließender Alkohol hatte die Stimmung noch weiter angeheizt. Kinder und Erwachsene „wohl aus den meisten Familien von Hofheim" liefen abermals zur Baustelle und rissen die noch verbliebenen Mauerreste der neuen Schule vollends nieder. Ein Balken wurde aufgerichtet und daran ein Trauerflor und eine Sense - einer Trophäe gleich - befestigt.

Vom Rathaus wurden zwei vom Landsturm herrührende Trommeln herbeigebracht und geschlagen. Derweil holten einige ledige Burschen, begleitet von einem Schwarm Kinder, aus dem nahegelegenen Wald eine Fichte, schmückten sie mit Bändern und pflanzten sie - einem Freiheitsbaum gleich - vor dem Rathaus auf. Bis in die Abendstunden des 4. Mai dauerte der Tumult an, und erst als sich die meisten in ihre Häuser zurückgezogen hatten, entschloß sich der Ortsvorstand, Sicherheitswachen für die Nacht aufzustellen. Vorerst kehrte Ruhe ein.

Die Nacht zum 5. Mai: Die Hattersheimer kommen
Die Nachricht von dem Hofheimer Aufruhr hatte sich schnell verbreitet und stieß besonders in Hattersheim auf offene Ohren. Auch hier herrschte bereits eine unruhige Stimmung. Am Tage zuvor war der Landesdeputierte Werle nach der Vertagung der Ständeversammlung aus Wiesbaden zurückgekehrt und wurde mit „Lebehoch"-Bekundungen empfangen. Im Laufe der anschließenden spontanen Feier machte sich eine Gruppe Hattersheimer nach Mitternacht unter Trommelschlägen und viel Lärm auf den Weg nach Hofheim. Daraufhin brach in der Stadt der Tumult von neuem aus. Die Wirtshäuser wurden geöffnet, und ganz Hofheim war wieder auf den Beinen. Nach einiger Zeit gelang es den Sicherheitswachen, die Hattersheimer aus dem Ort zu begleiten, die sich schließlich nicht ohne weiteres Lärmen auf den Heimweg begaben. Der Landesdeputierte Werle wurde durch ein nochmaliges kräftiges „Vivat" aus dem Schlaf geschreckt, bevor sich auch in Hattersheim Ruhe über den Ort legte.

Am folgenden Tag, dem 5. Mai 1831, zog ein Militärkommando in Hofheim ein „und brachte in den Gemüthern aller Hofheimer eine Wirkung hervor, die sie unserer Überzeugung nach für immer von ähnlichen Unternehmungen abschrecken wird."5 In Hofheim erzählt man sich, daß es einem gewissen Landler gelang, das Militärkommando durch eine List nach sechswöchiger Belagerung zum Abzug zu bewegen.

Epilog

Die vom herzoglich-nassauischen Justizministerium ermittelten Anführer wurden verurteilt. Neben dem Abriß und dem Errichten des Freiheitsbaumes wog bei der Bestrafung die Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung besonders schwer. 23 junge Männer wurden zur „Correctionshaus" zwischen fünf Jahren und vierzehn Tagen verurteilt. Die anderen erhielten empfindliche Geldstrafen, die insgesamt die Höhe der eigentlich angesetzten Baukosten überschritten. Ein angestrengtes Revisionsverfahren brachte nur wenig Erfolg. Viele Familie traf die Bestrafung besonders hart, bedenkt man, daß sich die meisten mehr schlecht als recht von einer kleinen Landwirtschaft und vom Handwerk ernährten. Und die Verurteilten traten schließlich ihre Strafe stellvertretend für alle Beteiligten an. Offenbar wurde auch einer der Hintermänner, Philipp Josef Weiler, mit einer Geldstrafe belegt, doch mag ihn, den reichsten Bürger Hofheims, dies kaum so hart getroffen haben.

Schultheiß Seelig wurde seines Amtes enthoben, nachdem ihm eine Beteiligung oder zumindest starke Sympathie an dem Aufstand nachgewiesen wurde. Und natürlich wurde das Schulhaus doch gebaut und die Kosten aus der Stadtkasse entrichtet. Die Schuldenlast der Gemeinde stieg soweit an, daß sich die Stadtväter bei dem Frankfurter Bonnet 3.000 Gulden zur Bestreitung der Baukosten leihen mußten.6

Die Schulhausrevolte hat somit nicht das erwünschte Ergebnis gebracht, was wohl auch die wenigsten der Beteiligten erwartet hatten. Aber hier hat sich deutlich gezeigt, daß das politische Selbstbewußtsein der Bürger sich nicht mehr zurückdrängen ließ und sie nicht mehr die Verfügungen der Obrigkeit ohne weiteres hinnahmen, sondern Mitbestimmung forderten.

Die Beweisstücke: Trauerflor, Messer eines Hattersheimers und Kirchturmschlüssel. Foto: Hauptstaatsarchiv Wiesbaden.

Unter diesem Aspekt sind die Ereignisse des Mai 1831 im Hofheimer Stadtmuseum, Abteilung Stadtgeschichte, dargestellt.7 Hier können die Besucherinnen und Besucher Einblick in die Vernehmungsprotokolle und in die Petition der Hofheimer Bürger nehmen. Augenzeugenberichte sind akustisch in Szene gesetzt und vermitteln einen Eindruck von den Geschehnissen direkt vor Ort. Der Altbau des heutigen Museums ist jenes Gebäude, das von der nassauischen Regierung als Lehrerwohnung angekauft wurde. Es wurde später auch zu Unterrichtszwecken genutzt. Unmittelbar daneben, Haus Burgstr. 9, befindet sich der damals umstrittene Schulneubau. Insgesamt stellt die Abteilung Stadtgeschichte das Leben in Hofheim vom 14. bis 20. Jahrhundert in Einzelthemen vor.

Anmerkungen:
1 Siehe dazu: Herzogtum Nassau 1806-1866. Politik, Wirtschaft, Kultur. Hg. von der Historischen Kommission für Nassau. (Ausstellungskatalog). Wiesbaden 1981.
2 Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Friedel Schwarz, Hünstetten.
3 Die gesamte Petition ist im Hofheimer Stadtmuseum einsehbar.
4 Die Rekonstruktion der Ereignisse sowie die Zitate der Überschriften wurden aus den Vernehmungsprotokollen des Herzoglichen Staatsministeriums Wiesbaden entnommen und befinden sich in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abt. 211, Nr. 14160, 14166 und 14180.
5 Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 211, Nr. 14180.
6 Stadtarchiv Hofheim am Taunus.
7 Stadtmuseum Hofheim am Taunus, Burgstr. 11, 65719 Hofheim, Tel. 06192/202-201. Führungen nach Vereinbarung.

Aus: Zwischen Main und Taunus / Jahrbuch 1995 – mit freundlicher Erlaubnis der Autorin
18.8.05