J. Elmer Spyglass, Ehrenbürger von Schwalbach Geboren vor 130 Jahren, gestorben vor 50 Jahren
* 1. November 1877 (1878?) in Springfield, Ohio (USA) + 16 Februar 1957 in Schwalbach

Von Richard Peters

Bereits 1996 erschien im MTK-Jahrbuch ein Artikel über den Schwalbacher Ehrenbürger James Elmer Spyglass von Christopher Higman.

Die Veröffentlichungen im amerikanischen LIFE-Magazin vom November 1947, sowie in der amerikanischen Soldatenzeitung „Stars & Stripes" vom 18. 2. 1957 als auch in der niederländischen Jazz-Zeitschrift „Doctor Jazz Magazin" vom Dezember 2006 haben neue Erkenntnisse gebracht.

Sein Geburtsjahr ist demnach nicht eindeutig klar. Er selbst hat es einmal als 1877 und ein anderes Mal als 1878 angegeben.

Kindheit und Jugend

Im Jahre 1880 wurde in den Vereinigten Staaten eine Volkszählung durchgeführt. Darin wird er mit zwei Jahre alt angegeben. Er war nicht das natürliche Kind seiner „Mutter" Elizabeth Spyglass, geborene Johnson. Diese war 1843 (1847?) in Kentucky geboren.Schwalbach3-1

Er war wahrscheinlich ein Kind ihres Vaters - also ein Stiefbruder - und wurde später von Elizabeth und deren Ehemann, dem Grobschmied Augustus Spyglass adoptiert. Dieser Augustus Spyglass wird einmal als Neger (so steht es in den Unterlagen) und einmal als Mulatte genannt. Er war hispoafrikanischer Herkunft, daher kommt vermutlich wohl auch der Name.

In der Liste dieser Volkszählung wird er folgendermaßen genannt: Elmer Johnson, Schwager (des Haushaltvorstandes Augustus Spyglass), männlich, 2 Jahre alt, geboren ungefähr 1878 in Ohio. (Vater und Mutter  beide aus Kentucky). Wegen des Altersunterschiedes von 35-36 Jahren ist es ziemlich unwahrscheinlich, daß Elmer ein Bruder von Elizabeth ist. Es ist jedoch durchaus möglich und anzunehmen, daß er ein Sohn ihres Vaters ist, also ein Stiefbruder von Elizabeth. Die Bezeichnung „Schwager" in der Liste ist also ernst zu nehmen.

Eine weitere Volkszählung wurde 1910 durchgeführt. Zu dieser Zeit war Elmer bereits in Europa. Dort ist zu lesen: Augustus Spyglass, der  1880 noch als „Schwarzer"  bezeichnet wurde, wird  nun als „Mulatte" aufgeführt, 64 Jahre alt, seit 33 Jahren verheiratet. Er war 1880 33 Jahre alt und 1910 64 Jahre alt, also ist er 1846 oder 1847 geboren; Elizabeth, die 1880 mit 38 Jahren alt angegeben wird, erscheint 1910 mit 64 Jahren alt, d. h. Sie wäre demnach zwischen 1842 (1880 = 38 Jahre) und 1846 (1910 = 64 Jahre) geboren (siehe oben, wo das Geburtsdatum mit 1847 angegeben ist). Interessant ist eine weitere Einzelheit der Volkszählung von 1910. Dort heißt es nämlich, daß Elizabeth während ihres 33 Jahre währenden Ehestandes drei Kinder geboren hat, die alle nicht mehr leben. Daher kann Elmer nicht ihr Sohn gewesen sein. Sie war 33 Jahre älter als Elmer und hätte biologisch durchaus die Mutter sein können, denn sie war bei seiner Geburt zwischen 31 und 35 Jahre alt.

Es ist zu vermuten, daß es sich bei Elmer um einen außerehelichen Sohn des Vaters von Elizabeth handelt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Ehe der Eltern von Elizabeth noch bestanden Die Vermutung wird erhärtet durch eine weitere Einzelheit der Volkszählung von 1910. Damals lebte nämlich im Haushalt des Augustus Spyglass: Susan Johnson, Mulattin, Schwiegermutter (des Haushaltvorstandes Augustus Spyglass), 100 Jahre alt, verwitwet; sie gebar 15 Kinder, wovon fünf noch am Leben sind. Geboren wurde sie in Kentucky, der Geburtsort des Vaters ist unbekannt, der Geburtsort der Mutter ist Kentucky; im Ruhestand, kann weder schreiben noch lesen. Demnach ist sie 1810 geboren. Wäre Elmer ihr Kind gewesen, wäre sie bei seiner Geburt 67 Jahre gewesen, was unwahrscheinlich erscheint. Da sie als Witwe angegeben ist, muß man annehmen, daß ihr Mann, also Elmers Vater, bereits verstorben ist.

Auf jeden Fall scheint James Elmer Spyglass als James Elmer Johnson geboren zu sein. Falls Elizabeth tatsächlich die Mutter gewesen wäre, hat sie dieses vor Augustus verheimlicht. Die Geburt fällt ziemlich genau mit ihrer Heirat zusammen. Möglich ist allerdings auch, daß Elmer ein uneheliches Kind der Elizabeth ist und Augustus der Vater war. Falls Elizabeth die „ledige" Mutter war, ist der Name Johnson berechtigt. Auf jeden Fall scheinen Augustus und Elizabeth den Elmer Johnson adoptiert zu haben, der danach Spyglass hieß. Es war ziemlich ungewöhnlich, daß Augustus als Schmied neben seiner körperlich anstrengenden Arbeit offenbar eine musikalische Begabung besaß und auch pflegte. Er spielte die Orgel und brachte dem kleinen Elmer die Grundzüge der Musik und des Klavierspiels bei. Zu seinem fünften Geburtstag bekam Elmer ein bebildertes Heft für den Klavierunterricht. Seine Jugend in Springfield bzw. Yellow Springs ist in dem Beitrag von Christopher Higman im MTK-Jahrbuch von 1996 eingehend beschrieben.

Studium und erster öffentlicher Auftritt

Bereits im Alter von zehn Jahren verwendete er das Geld, das er als Rosenpflücker verdiente, um sich Noten zu kaufen. Mit 14 Jahren sang er bereits im Kirchenchor. Bevor er zu einem Berufsmusiker werden konnte, mußte er die Schulzeit hinter sich bringen, die ihn seit 1886 von der Springfield Primary School zur Springfield High School führte. Im Juni 1897 machte er dort seinen Abschluß. Bei der Abschlußfeier sang er vor dem Publikum den „Abendstern" von Wagner. Ebenfalls im Jahr 1897 wurde die St. John's Baptist Church gegründet. Dem Gremium der Gründer gehörte auch James Elmer Spyglass an. Sehr bald leitete er den Kirchenchor dieser Kirche. Im Jahr 1901 bestand die junge Kirchengemeinde aus 125 Personen und der Kindergottesdienst wurde regelmäßig von etwa 50 Kindern besucht. Elmers damaliges Wohnhaus in der South Limestone Street Nr. 836 mußte 1909 der damals neuerbauten Springfield South Highschool weichen. Anscheinend ist die Familie dann umgezogen und zwar in die South Limestone Street Nr. 1080. (in USA werden die Hausnummern nach „Blocks" eingeteilt. d. h. Die erste Wohnung war im 8. Block das Haus Nr. 36 und die neue Wohnung im 10. Block das Haus Nr. 80). Er arbeitete als Kellner, Küchenhilfe und Packer, um Geld für sein Gesangstudium zu verdienen. Er gründete und leitete einen Amateur-Chor und trat mit diesem in der Carnegie Hall in Pittsburgh auf. Er war vermutlich der erste farbige Amerikaner, der so etwas vollbracht hat. Der sehr große Erfolg ermutigte ihn, dieses auch in seiner Heimatstadt - vor seinen Eltern - zu wiederholen. Dort blieb der Erfolg jedoch aus und um die entstandenen Schulden abzutragen, mußte Elmer in Toledo als Glaspacker arbeiten. Der Spruch bewahrheitete sich, nämlich daß der Prophet im eigenen Lande nichts gilt.

Ausreise nach Europa und Karriere in der „leichten Muse"

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Abb. 3: Das Foto auf dem Album "Waardeering"

1905/06 studierte er dann am Musik-Konservatorium in Toledo. Freunde und Gönner sammelten die $400, die notwendig waren, damit er nach Europa reisen konnte, um dort sein Gesangstudium fortzusetzen. Er kam mit dem Schiff in Liverpool an und reiste weiter nach London, um dort sein Glück zu versuchen. Bei keiner Konzertagentur wurde er angenommen und seine finanziellen Mittel gingen bald zur Neige. Um zu überleben mußte er deshalb in Kabaretts und Musikhallen auftreten. Mit dem Rest seines Geldes reiste er nach Antwerpen. Dort erhielt er sein erstes Engagement in einem Cafe, das einem Deutschen gehörte. Er sang mit einer Damenkapelle und war so erfolgreich, daß er von da an seine Karriere in der so genannten „Leichten Muse" sah und begann.

Bis etwa 1923, also auch während des Ersten Weltkrieges lebte er in den Niederlanden zusammen mit einer holländischen Frau. Er trat vornehmlich in Amsterdam, Rotterdam, Scheveningen und Den Haag auf. Erst im März 1925 kam er zum ersten Mal nach Deutschland und gastierte in Hamburg im Haus Libelle. Er ging auf Tournee durch ganz Europa und lernte dabei mehrere Sprachen fließend sprechen und er sang nicht nur in diesen Sprachen sondern sogar in Dialekten. In Paris trat er z.B. mit der Mistinguette und Sarah Bernhardt auf und in Berlin mit Otto Reutter.

In München war er Partner von Lisl Karlstadt und Karl Valentin. In Frankfurt am Main gastierte er im Kabarett Klein (dem früheren „Zu den bösen Buben") in der Kaiserstrasse, dem Intimen Theater und dem Trocadero. In der Mainmetropole gefiel es ihm besonders, so daß er hier später auch seßhaft wurde. „Die Leute sind so gemütlich, so freundlich, so duldsam" meinte er später einmal. Am 27. März 1915 fuhr der damals 37-jährige (im Schiffsmanifest steht „ledige") Elmer Spyglass mit der SS NOORDAM nach New York und kam dort am 8. April an. Er wohnte dann bei seinem verwitweten Vater in Springfield. Er hat den 69-jährigen Vater dann zu einem Sommerurlaub nach den Niederlanden eingeladen. Am 17. Juli 1915 ist Augustus dann zurückgereist. Das war möglich, da die USA erst 1917 in den Ersten Weltkrieg eingetreten sind.

Ehe

Ein etwas mysteriöses Kapitel im Leben des James Elmer Spyglass ist seine Ehe. Bald, nämlich schon 1906, heiratete er die am 11. 7. 1878 in Springfield geborene Mary Alice Stewart. Zusammen sind sie am 4. 6. 1909 mit der SS BALTIC von Liverpool nach New York gereist und kamen dort am 12. 6. an. Sie hielten sich einige Zeit in Springfield auf. Am 3. 8. 1911 fuhr die damals 33-jährige Ehefrau mit der SS CEDRIC allein von Liverpool nach New York und kam 11. 8. an, um nach Detroit weiter zu reisen. Möglicherweise war damals die Ehe bereits zerrüttet, denn in Detroit lebte ihre Mutter.

Am 15. 6. 1912 fuhr der damals 34-jährige Elmer ebenfalls allein vom französischen Boulogne an der Kanalküste mit der SS ROTTERDAM nach New York. Er kam am 24. 6. an und reiste weiter nach Springfield. Ein halbes Jahr später, am 21. 12. 1912, reiste die Ehefrau ebenfalls allein von Liverpool mit der SS CAMPANIA nach New York und kam am 29. 12. an. Sie reiste weiter nach Detroit, dem Wohnort ihrer Mutter. Sie erklärte später, sie hätte Europa allein verlassen müssen, nachdem sie von der schweren Krankheit ihrer Mutter erfahren hatte und mit dem Ableben zu rechnen war. Sie kam jedoch zu spät an, nämlich fünf Tage nach der Beerdigung. Sie fuhr - nicht sehr überzeugend - fort, daß ihr in Europa zurückgebliebener Ehemann ihr kein Geld für die Rückreise geschickt hätte und sie bei Verwandten in Brooklyn (bei einer Tante) und später in Detroit bleiben mußte. Sie hätte danach von ihrem Ehemann niemals wieder etwas gehört, bis sie von seinem Tod erfuhr. Da war sie dann bereits 78 Jahre alt. Das klingt ziemlich unglaubwürdig. Wenn sie - oder auch er - ernstlich gewollt hätte, hätte es sicher einen Weg gegeben.

Als Elmer 1915 seinen Vater besuchte, wurde er bereits als „ledig" in die Schiffspapiere eingetragen. Als er von 1914 bis 1923 in Holland mit einer holländischen Frau lebte, war er wahrscheinlich nicht geschieden, aber dauernd getrennt.

Tournee in Europa

Elmer jedoch ging weiter auf Tournee in Europa. Am 1. 7. 1914 fuhr er noch einmal von Cherbourg mit der SS OLYMPIC und kam am 8. 7. in New York an. Es ist nicht überliefert, wo er in den USA wohnte. Er hätte sicher, falls es sein Wille gewesen wäre, mit seiner Frau Kontakt aufnehmen können. Bereits im Oktober 1914 war er zurück in Europa, denn er gab im Apollo Theater in Würzburg ein Gastspiel. Das war kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Den Ersten Weltkrieg hat er in Holland verbracht. 1919 komponierte er das Lied „Waardeering", dessen -Titel und Text er auf holländisch schrieb. Die Würdigung war, wie auf der Kopfzeile des Notenblattes vermerkt ist, als eine „bleibende Erinnerung an das unvergeßliche, liebe niederländische Publikum, in Dankbarkeit für das Wohlwollen, die Zusammenarbeit und das außergewöhnlich freundschaftliche Verhalten" während des Ersten Weltkrieges gedacht. Wie es diese persönliche Widmung nahelegt, verbrachte Spyglass geraume Zeit des Ersten Weltkrieges in den Niederlanden. Außer für die Reise der Ehefrau zu ihrer sterbenskranken Mutter und den Besuch beim alten Vater 1916 gibt es keinerlei Aufzeichnungen über die Gründe für die Reisen. Das Schiff war damals die normale Art nach USA zu reisen und das Geld war anscheinend vorhanden.

Zwischen den beiden Weltkriegen hat er sich auf vielen Gastspielreisen in die Herzen der Europäer gesungen. Sein Repertoire umfasste nicht nur afroamerikanische Lieder wie Spirituals und Field Songs, sondern er sang vermehrt auch europäische Volkslieder und Opernmelodien. Neben deutsch und holländisch sang er auch in französisch, italienisch und sogar in dänisch. Auch Dialekte wie hessisch und bayrisch erlernte er. Das Repertoire war sehr breit gestreut. Neben Puccini-Arien sang er mit Vorliebe Lieder „vom Rhein und Wein".

Ende der Karriere, Zweiter Weltkrieg

Anscheinend hat er sich 1930 mit 53 Jahren in Frankfurt zur Ruhe gesetzt und ist 1939 nach Nizza in Südfrankreich umgezogen. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kehrte er 1939 nach Frankfurt (Sachsenhausen) zurück. Immerhin waren seine Ersparnisse in Deutschland angelegt. Allerdings waren diese Gelder „eines unerwünschten Ausländers" von Amts wegen eingefroren.

Während der NS Zeit und besonders während des Zweiten Weltkrieges - wo er ja als Amerikaner ein „Feind" war und außerdem als Farbiger bei den Nazis zu einer „unterwertigen Rasse" zählte - hatten ihm die Nazis keinerlei Schwierigkeiten bereitet. Allerdings mußte er sich jede Woche bei der Polizei melden. An seinem 70. Geburtstag erklärte Spyglass dazu: „Ich weiß heute noch nicht warum; vielleicht war es deshalb, weil ich seit 1907 fast ständig in Europa und hier gewohnt hatte. In Frankfurt (Sachsenhausen) kannte ich mich gut aus, ich kannte alle Leute vom Bankdirektor bis zum Polizisten. Mit Politik habe ich mich nie beschäftigt". Bei seinen Ausflügen in den Taunus kam er auch nach Schwalbach und er schlug dort seinen „zweiten Wohnsitz" auf. Er nahm sich ein Zimmer und pachtete ein Gärtchen, wo er Gemüse zog. Er sagte später im Hinblick auf seine Erfahrungen in Schwalbach: „Freundschaft wurde mir von allen Seiten entgegengebracht".

Ausgebombt und Umzug nach Schwalbach

Als er 1944 in Sachsenhausen ausgebombt wurde, zog er mit seinen verbliebenen Habseligkeiten und seiner Lebensgefährtin Helene Patt nach Schwalbach. (In den Unterlagen wird er als „ledig" geführt) Im Schwalbacher Meldebuch finden wir: Spyglass, James, Elmer, geschieden, Sänger, Neger. Geb. 1. 11. 1877 in Springfield, Ohio in den USA, evangelisch. Seit 1911 getrennt lebend.

Die Anmeldung erfolgte am 3. April 1944. Er war am 24. März 1944 aus Frankfurt zugezogen; dort war er zuletzt wohnhaft in der Goethestrasse 10. In Schwalbach wohnte er zuerst in der Schulstrasse 1 bei Peter Hildmann. Er lebte unter den Schwalbacher Bürgern als derengleichen und teilte mit ihnen die Not des Krieges. Als im August, September und November 1944 und sogar noch im Februar 1945 Bomben in Schwalbach fielen, viele Gebäude beschädigt oder zerstört wurden und mehr als 30 Tote zu beklagen waren, half er tatkräftig mit, die Trümmer zu beseitigen und die Toten zu bergen. Er war ein überaus beliebter und angesehener Mitbürger. Es ist bemerkenswert, daß ihm von den Einwohnern nie ein Vorwurf gemacht wurde für die Zerstörungen, die doch meistens durch die Piloten aus seiner Heimat angerichtet wurden, geschweige denn, daß er gar „ersatzweise" zur Rechenschaft dafür gezogen wurde. Von der Lebensgefährtin ist folgendes bekannt: Sie war am 21. Mai 1886 in Magdeburg geboren, geschieden, evangelisch. Sie wohnte in Schwalbach im Steinweg 7 bei Fischer, wo auch Spyglass wohnte. Nach dem Tod von Elmer Spyglass ist sie am 15. Mai 1957 nach Bad Soden in die Hasselbachstrasse 42 umgezogen.

Nachkriegszeit

Als dann im April 1945 die ersten amerikanischen Panzer in Schwalbach einrückten -bezeichnender Weise waren die Besatzungen Farbige wie Spyglass - hat er diese begrüßt und sich als Amerikaner vorgestellt. Er hat sich für die im Dorf lebenden Einwohner persönlich verbürgt. Vielleicht deshalb wurde in Schwalbach - wie fast sonst überall - kein amerikanischer Stützpunkt eingerichtet. Daraus ergibt sich sicher auch die folgende Episode. Im August 1945 kam die amerikanische Militärpolizei in das Dorf und verhafteten alle Männer. Verzweifelt klagte der Bürgermeister Hans Rühl bei Spyglass sein Leid und bat um Hilfe. Beide fuhren nach Hofheim zu der amerikanischen Kommandantur. Dort wurde ihnen auf Anfrage erklärt, daß diese Männer weder Entlassungspapiere aus einem Kriegsgefangenenlager noch Registrierscheine gehabt hätten (Registrierscheine wurden von den Besatzungsbehörden als Ausweispapiere ausgegeben). Der Bürgermeister und Spyglass sagten den Behörden dann, daß in Schwalbach noch gar keine solche Registrierscheine ausgegeben worden waren. Daraufhin wurden die verhafteten Männer wieder auf freien Fuß gesetzt. Eine Woche später wurden dann in Schwalbach Registrierscheine für die Bevölkerung ausgegeben.

1945 kamen dann viele Schwalbacher Einwohner zu ihm und baten, in Englisch unterrichtet zu werden. Zeitweise hatte er mehr als 200 „Schüler". Selbst, als er später beim Generalkonsulat arbeitete, unterrichtete er fast jeden Abend zwei Klassen . Der Schreiber dieses Artikels war einer derjenigen, die bei ihm die Englischkenntnisse nach dem Krieg aufbesserten.

„Zweite" Karriere

Im vorgerückten Alter - bereits 1930 hatte er sich ja zur Ruhe gesetzt -hat er noch einmal eine Aufgabe übernommen. Er wurde Empfangschef im amerikanischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main. Seine ausgezeichneten Kenntnisse in vielen Fremdsprachen (und sogar in Frankfurter Dialekt) kamen ihm dabei sehr zu statten. Durch seine profunden Kenntnisse der Materie und seine außerordentliche Lebenserfahrung konnte er vielen Besuchern helfen, ohne die verschiedenen Dienststellen in Anspruch zu nehmen. Der damalige Generalkonsul Sidney B. Redecker sagte von Spyglass: „Wir haben lediglich 15 Beamte, um allen Anforderungen zu genügen. Elmer entlastet uns, indem er viele Problem sofort erledigt, ansonsten die Besucher sofort zur richtigen Dienststelle leitet".

Leider ist das Leben von Elmer Spyglass nur lückenhaft nachzuempfinden. Es ist erwiesen, daß er an seinen Memoiren gearbeitet und diese wohl auch beendet hat. Er gab ihnen den Titel „Where there's a will, there's a way"(Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg). Er hatte sie bereits am 13. 3. 1948 vorgelegt und im Generalkonsulat um die Veröffentlichung gebeten. Der letzte erkennbare Stempel trägt das Datum 5.5. 1948. Sowohl die „Frankfurter Rundschau" als auch die „Frankfurter Neue Presse" kündigten Ende 1954 das baldige Erscheinen dieser Lebenserinnerungen an. Merkwürdig ist jedoch, daß sowohl die FR als auch die FNP zum Ableben des Elmer Spyglass darauf hinwiesen, daß er vom Tode beim Abfassen seiner Memoiren überrascht worden sei. Er hatte jedoch selbst angegeben, diese bereits vor neun Jahren vollendet zu haben.

Tod

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Abb. 10: Grabstein in Yellow Springs

Am 16. Februar 1957, fast 80-jährig, erlag er in seiner Wohnung im Steinweg 7 in Schwalbach einem Herzversagen. Das amerikanische Generalkonsulat wurde am Nachmittag des 21. Februar geschlossen, damit die Mitarbeiter an der Trauerfeier auf dem Frankfurter Hauptfriedhof teilnehmen konnten. Neben dem Generalkonsul John Burns nahmen viele Honoratioren und eine große Anzahl Schwalbacher Mitbürger an der Trauerfeier teil. Nach seinem Willen wurde der Leichnam eingeäschert und die Urne wurde in Yellow Springs in der Nähe seiner „Mutter" und seiner Cousine beigesetzt.

Ehrenbürger von Schwalbach

Am 9.11.1954 wurde er zum Ehrenbürger von Schwalbach ernannt. Der Beschluß erfolgte bei der Gemeinderatssitzung vom 9.11.1954 unter Vorsitz des Bürgermeisters Julius Hemmerle. „Einstimmig beschloß die Gemeindevertretung, Herrn James Elmer Spyglass zum Ehrenbürger von Schwalbach zu erklären, sofern die Aufsichtsbehörde ihre Zustimmung erteilt". Am 2. Dezember 1954 wurde ihm in einer Feierstunde im Hause „Mutter Krauss" die Ehrenbürgerwürde verliehen. Neben Bürgermeister Hemmerle und dem Landrat Dr. Wagenbach, der ihm die Urkunde überreichte, war auch der amerikanische Generalkonsul Pigott mit seiner Ehefrau anwesend. Elmer bedankte sich in seiner für ihn typischen Bescheidenheit. Während der schweren Kriegsjahre sei ihm von den Schwalbachern immer wieder Freundschaft und Vertrauen entgegengebracht worden und Schwalbach sei ihm so zu seiner zweiten Heimat geworden. Zum Abschluß der Feier sang der Geehrte „Schön ist die Jugend" und das „Weserlied".

James Elmer Spyglass Preis

Aufgrund eines Vorschlages des Schwalbacher Ausländerbeirats aus dem Jahr 1994 wurde vom Magistrat der Stadt in der Sitzung am 27. 4. 1994 der „James-Elmer-Spyglass-Preis" ausgelobt. Mit ihm sollen jene Schwalbacher Persönlichkeiten ausgezeichnet werden, die sich für die Verständigung zwischen den Kulturen in der Stadt verdient gemacht haben. Die Dotierung des Preises mit 1000 Mark wird aus privaten Mitteln aufgebracht, um die Idee des privaten Engagements nochmals hervorzuheben. Ein Vorschlag wird von einer Jury genehmigt. Der Jury sollen angehören: Bürgermeister/in, Stadtrat/rätin, Stadtverordnetenvorsteher/in, Vorsitzende des Ausländerbeirates und Geschäftsführer/in der Kulturkreis Schwalbach am Taunus GmbH. Am 9.11.1994 fand ein Festakt zur Erinnerung an die Verleihung der Ehrenbürgerschaft im Jahr 1954 statt. Dabei wurde der neue Preis vorgestellt.

Erste Preisträgerin des neuen Preises war am 8. Januar 1994 Frau Rosza Hülsemann, die für ihr Engagement im Ausländerbeirat ausgezeichnet wurde.

Im Jahr 1995 wurde Frau Hannelore Herbst der Preis für ihren langjährigen ehrenamtlichen Einsatz für die Schülerhilfe verliehen.

1999 erhalten Frau Janine Roeseler und Christa Walk den Preis gemeinsam, weil sie sich besonders um die Integration osteuropäischer Aus- und Umsiedler verdient gemacht haben. 2004 erhielt Hans Jürgen Roth, ehemals Pfarrer in der evangelischen Limesgemeinde in Schwalbach den Preis. Pfarrer Roth hat in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts die ersten interkulturellen Begegnungen in Schwalbach initiiert. Er war einer der Gründer der Schülerhilfe und hat sich insbesondere um den Austausch mit Schwalbachern türkischer und marokkanischer Herkunft bemüht. Er begann außerdem den christlich-jüdischen Dialog in Schwalbach. Im Jahr 2006 wurde der Preis Zehaytu Zere verliehen. Sie wurde geehrt für ihre „vorbildhafte Integrationsleistung", sowie die Integrationshilfen, die sie Neuankömmlingen aus anderen Nationen bietet.

Während der Recherchen erhielt ich den Hinweis, daß Elmer Spyglass 1952 sowohl im Hessischen Rundfunk in deutscher Sprache als auch im amerikanischen Rundfunk AFN in englischer Sprache gesungen hat. Leider sind in den Archiven keinerlei Aufzeichnungen vorhanden.

Aus:
Heimat & Geschichte Schwalbach am Taunus
Ausgabe 3 - November 2007