“Die gute alte Zeit”
in Schwalbach am Fuße des Taunus

Schwalbach hat viele Gesichter. Romantische, stille Ecken, die an seine dörfliche Vergangenheit erinnern. Dann großstädtische Architektur, mit Hochhäusern, die die Nähe einer Großstadt erahnen lassen.

So präsentiert sich heute optisch die Stadt im Grünen in der  Landschaft des Vortaunus. 14.250 Menschen leben auf der relativ geringen Gemarkungsfläche von 6,47 Quadratkilometern. Mit einer Dichte von 2.202 Einwohner auf einem qkm rangiert Schwalbach ganz oben in der Skala der Wohnstatistik in Hessen. Die Ausdehnung und die Siedlungsmöglichkeiten sind damit praktisch erschöpft. Innerhalb von 50 Jahren hat sich das Bild der Gemeinde grundlegend gewandelt. Aus dem idyllischen Dorf von einst wurde die Wohnstadt am Rande der Mainmetropole Frankfurt am Main. Der Wohnungsbau und die Gewerbeansiedlung hatten Priorität. Die landwirtschaftlichen Betriebe verschwanden.

Die gute alte Zeit vor 50 Jahren, „Schwalbach, das ist die Mutter Krauss“ und die „Mutter Krauss ist Schwalbach vor den Toren Frankfurts“, so bezeichneten die Besucher aus Frankfurt am Main das dörfliche Idyll im Vortaunus bis weit in das 20. Jahrhundert hinein.

Der Gasthof „Haus Mutter Krauss“ war und ist bis heute das Aushängeschild des ländlichen Schwalbachs. Als Gasthaus „Zum Hirschen“ wurde die Gastronomie 1799 gegründet, in der im 19. Jahrhundert der preußische Gesandte Otto von Bismarck, abseits der Paulskirchen-Versammlung, einkehrte. Viele Prominente und Persönlichkeiten des öffentlichen Leben waren im Haus Mutter Krauss zu Gast.

Das Gebäude schließt sich der historischen Zeile in der Schwalbacher Altstadt an, wie die sehenswerte katholische Pfarrkirche St. Pankratius, das Historische Rathaus und das Gasthaus Zum Schwanen.

Am Ortsausgang Richtung Eschborn lag noch bis Ende der 1950er Jahre die Schwalbacher Burg, inmitten eines Hofgutes. Der Zeitgeist hatte damals wenig übrig für das alte Gemäuer. Die Burg verschwand, sie fiel dem Abriss zum Opfer. Nur ein Steinwurf entfernt entstand 1956 eine neue Schule, die heutige Geschwister Scholl-Schule.

In die alte Schule an der Schulstraße zog die Gemeindeverwaltung. Das Gebäude diente bis 1973 als Rathaus. Hier trat am 8. Juli 1958 der neue hauptamtliche Bürgermeister Hugo Lietzow einen Dienst an. Er löste seinen Vorgänger Julius Hemmerle im Amt ab.

Mit der Tatkraft Hugo Lietzows traten Wandel und Veränderung  ein. Zu den Honoratioren in dieser Zeit zählten in Schwalbach neben dem Bürgermeister die beiden Pfarrer der katholischen und evangelischen Kirsche, Jakob Ries und August Müller, der Schulrektor August Kleinert, das Landarzt-Ehepaar Zieger, der neue Apotheker Karl-Heinz Alzen sowie der Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr, Leonhard Steiner. Im Gemeindeparlament führte Peter Jonen den Vorsitz. Landrat Dr. Joseph Wagenbach amtierte im Main-Taunus-Kreis, der im Bolongaro-Palast in Frankfurt-Höchst seinen Sitz hatte.

Der bekannte Bundesabgeordnete und spätere Bundesminister Georg Leber nahm mit seiner Familie seinen Wohnsitz in Schwalbach. Soweit es seine Zeit erlaubte, nahm der Bundespolitiker auch am Gemeindegeschehen Anteil.

Das dörfliche Leben in Schwalbach.
Ende der 1950er Jahre fügte sich Schwalbach harmonisch in die Landschaft des Vortaunus ein, beherrscht von der Silhouette des Taunuskamms. Das Dorf war noch landwirtschaftlich geprägt. Mehr als ein Dutzend Landwirte bewirtschafteten noch mit den Familien ihre Höfe. Viele Männer waren Rot- Fabriker im benachbarten Frankfurt-Höchst.

Seit Jahrhunderten steht die alte Linde vis-à-vis des alten Friedhofs. In ihrem Schatten hat das Kriegerdenkmal für die Opfer beider Weltkriege seinen Standort.

Am Dalles vor dem Historischen Rathaus traf sich von jeher die Dorfjugend. Jung und Alt freuten sich noch auf die alljährlichen Heimatfeste, auf die Fassenacht mit ihren Maskenbällen sowie auf die Schwalbacher Kerb mit ihrer Kerweborsch-Tradition.

Etwa 15 Vereine bereicherten das Gemeinschaftsleben. Die Freiwillige Feuerwehr, der Männergesangverein und der Karnevalclub ,Pinguine’ luden zu Veranstaltungen und Festen ein.

Im sportlichen Bereich waren die Turngemeinde Schwalbach 1887, der FC Sportfreunde Schwalbach 1920 und der Radfahrverein ,Gemütlichkeit’ tonangebend. Eine beliebte Versammlungsstätte war damals die Gaststätte „Schützenhof“ in der Gartenstraße, die mit ihrem Saal die Heimstätte für Veranstaltungen vieler Vereine war. Hier wurden in den frühen 1950er Jahren Filmvorführungen gezeigt. Eine Anekdote hat bis heute in den Erzählungen Bestand: Als damals die Box-Staffel des Boxclubs Zeilsheim einen Vereinsvergleichskampf in Schwalbach veranstaltete, trat in den dafür errichteten Ring der heimische Landarzt Dr. Hans Zieger. Seine Begrüßung als Ringarzt löste einen heftigen Beifallsturm im Publikum aus.

Deutscher Fußballmeister wurde 1959 Eintracht Frankfurt. In einem dramatischen Endspiel in Berlin schlug der Frankfurter Traditionsverein im Mainderby Kickers Offenbach mit 5:3 Toren (nach Verlängerung). Hans Weilbächer, ein Leistungsträger der Meistermannschaft, baute alsbald in Schwalbach sein Haus.

Und weil das Fernsehen im Ort noch nicht so verbreitet war, galt dem Radio mit seinen Sendungen große Aufmerksamkeit. Beliebt war die allmorgendliche Frühsendung des Hessischen Rundfunks „Frankfurter Wecker“, die werktäglich von Ort zu Ort im Hessenland zog. Auch in Schwalbach wurde Station gemacht. Groß war die Begeisterung bei der Dorfbevölkerung: Heinz Schenk, der spätere Wirt vom Blauen Bock, trat auf und mit ihm das bekannte Rundfunkorchester Willy Berking. Diese Frühsendung des Hessischen Rundfunks erreichte Kultcharakter, allein schon deshalb, weil die späteren TV-Entainer Hans-Joachim Kulenkampff, Peter Frankenfeld und Otto Höpfner hier das Sprungbrett zu ihrer Karriere hatten. Der Schwalbacher Heinz Krell spielte damals als Saxophonist, ebenso  wie sein Vater, im Rundfunkorchester von Willy Berking im Hessischen Rundfunk. In der Jazz-Szene Frankfurt am Main war zu dieser Zeit der Schwalbacher Joky Freund ein bekannter Musiker und zählte zur sogenannten ,Frankfurter Schule’. Im Rundfunk-Orchester des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart ,Erwin Lehn’ fand er sein Engagement und wirkte dort fortan als Orchester-Musiker über viele Jahre mit. Beide deutsche Rundfunkorchester erfreuten sich zu dieser Zeit großer Beliebtheit.

Das Leben war damals in Schwalbach recht gemütlich, und die jungen Menschen freuten sich darauf, ihren eigenen Hausstand zu gründen.

Sie gaben sich im Standesamt Schwalbach vor dem Standesbeamten, in Person von Bürgermeister Hugo Lietzow und in der jeweiligen Kirche das JA-Wort für den Bund des Lebens.

Heute sind diese Paare ,Goldhochzeiter’. Das Standesamt Schwalbach hat inzwischen, nach 135-jährigem Bestand, seine Zuständigkeit an das benachbarte Standesamt Bad Soden abgegeben. Ein Stückchen vertrautes Schwalbach verschwand. Es schließt sich der Kreis der Erinnerung an die liebgewonnene Zeit vor fünfzig Jahren im dörflichen Schwalbach.

Hintergrund. Dieser Beitrag ist in erweiterter, illustrierter Form im Jahrbuch des Main-Taunus-Kreises 2010 erschienen. Das Jahrbuch ist im Buchhandel und im Schwalbacher Bürgerbüro käuflich zu erwerben. PL 

Eschborner Nachrichten - 51./52. Woche 2009 - mit freundlicher Erlaubnis der Edition Taunus

Auch diese Ausgabe des Jahrbuches des Main-Taunus- Kreises ist bei Gerhard Raiß im Eschborner Stadtarchiv erhältlich.