Der Geschichte ein Gesicht geben
Hattersheim: Der Künstler Gunter Demnig verlegt neue Stolpersteine

Von Gesa Fritz

Es ist schon ein paar Jahre her, daß Familie Jüterbock zum ersten Mal überraschenden Besuch aus der Vergangenheit erhielt. Damals stand plötzlich ein Mann vor ihrem Haus, bewunderte die frisch gepflanzten Blumen und sagte: „Hier können keine schlechten Menschen wohnen." Der Mann gab sich als Nachfahre der jüdischen Familie Grünbaum zu erkennen, die bis zu ihrer Deportation durch die Nazis in dem Haus in der Staufenstraße in Hattersheim gelebt hat.

In Hattersheim soll die Geschichte ein Gesicht bekommen. Kommende Woche verlegt der Künstler Gunter Demnig die ersten Stolpersteine zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Insgesamt 41 sollen in diesem Jahr ihren Platz erhalten.

Nach Hofheim und Hochheim ist Hattersheim damit die dritte Stadt im Kreis, in der die zehn mal zehn Zentimeter großen Messingplatten in die Bürgersteige eingelassen werden. In die Steine eingraviert sind individuelle Informationen über die Opfer wie ihr Name, ihr Geburtstag, wohin sie deportiert wurden und wann sie starben. Ergänzt werden die Stolpersteine durch ausführliche Biografien der Opfer auf der Homepage der Stadt Hattersheim.

Für den sensiblen Umgang mit der historischen Aufarbeitung hat sich die Arbeitsgruppe Opfergedenken gegründet. Sie nahm Kontakt zu Hausbesitzern auf, die Bedenken gegen Stolpersteine vor dem eigenen Haus haben. Bei den meisten sollen die Einwände mittlerweile ausgeräumt sein. Im Zweifelsfall würden die Gedenktafeln aber auch ohne deren Einwilligung verlegt, sagte Bürgermeister Hans Franssen (SPD).

Mit der Recherche zu den Schicksalen der Opfer wurde die Historikerin Anna Schmidt beauftragt. Deren Arbeit hatte oft etwas von Detektivarbeit. Da fehlten beispielsweise Akten mit Bauplänen von jüdischen Einwohnern.

Und um den Bogen zur nächsten Generation zu knüpfen wurden Schüler der Heinrich-Böll-Schule mit einbezogen. Sie haben sich an der Biographie-Forschung beteiligt und werden bei der Verlegung der Stolpersteine eigene Texte vorlesen.

Das Projekt der Erinnerung wird auch in den kommenden Jahren fortgeführt. Insgesamt sollen in Hattersheim in den kommenden Jahren 100 Stolpersteine verlegt werden. Außerdem will die Arbeitsgruppe durch Führungen, Lesungen, Vorträge oder Konzerte die Steine zu lebendigen Orten der Erinnerung machen.

STOLPERSTEINE

Verlegt wurden die ersten Stolpersteine durch Gunter Demnig in Hattersheim am Donnerstag, 9. September, ab 14 Uhr in der Staufenstraße 16. Weitere Steine werden am 9. November verlegt.

Die Biografien der Opfer finden sich ab dem 9. September unter www.hattersheim.de. Gf

Frankfurter Rundschau - 2.9.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

15 neue Stolpersteine
Hattersheim: Gedenken an jüdische Bürger / Hausbesitzer lenkt ein

Die ersten Messingplatten, die an verfolgte und ermordete jüdische Mitbürger erinnern, wurden bereits Anfang September verlegt. Am Dienstag, 9. November, hat der Kölner Künstler Gunter Demnig weitere 15 der „Stolpersteine" gesetzt. Vor dem Haus in der Hauptstraße la wurden drei Steine für Arthur Grünebaum, Hedwig Grünebaum und Hans Joachim Grünebaum verlegt. Danach folgte ein weiterer Stein für Rosa Junker in der Untertorstraße 18.

Im Stadtteil Okriftel hat Gunter Demnig in der Neugasse 10 drei Stolpersteine verlegt: Sie sollen an das Schicksal von Johanna Schwarz, Adolf Schwarz und Selma Gotthilf erinnern. In der Bahnhofstraße 7 in Eddersheim erfolgte die Verlegung von sechs Steinen am ehemaligen Wohnort der jüdischen Familien Frohwein und Klein. Zum Abschluß wurden zwei Stolpersteine für die Geschwister Johanette und Katharina Klein gesetzt.

Für alle 41 Stolpersteine, die in diesem Jahr verlegt wurden, übernehmen Paten die Kosten. Sie haben auch die Feierstunde am 9. November begleitet. Mit dabei waren auch Mitglieder der AG Opfergedenken sowie Schüler der Heinrich-Böll-Schule, die selbst verfaßte Texte über das Schicksal der jüdischen Bürger in der Nazizeit vorgelesen haben.

Beigelegt ist mittlerweile die Kontroverse mit einem Hauseigentümer, der die Stolpersteine vor seiner Tür vehement ablehnte, weil er befürchtete, sein Haus könnte zum Ziel radikaler Angriffe werden. Die CDU hatte den Fall öffentlich gemacht. Nach Angaben der Stadt hat der Mann eingelenkt. Auch an seiner Adresse werden demnächst Messingplatten zum Gedenken an jüdische Mitbürger verlegt.

Nach Angaben von Gunter Demnig ist es zwar schon vorgekommen, daß die in den Bürgersteig eingelassenen Steine herausgerissen oder mit Farbe beschmiert wurden. Aber Häuser seien bisher noch nie beschädigt worden. Aro

Frankfurter Rundschau - 3.11.10 - mit freundlicher Erlaubnis der FR

Folgen Sie unbedingt der Verlinkung auf die Homepage der Stadt Hattersheim: das Thema ist sehr ausführlich dargestellt.